Protokoll der Sitzung vom 13.04.2011

Wir fahren in der Tagesordnung mit dem Setzpunkt der Fraktion DIE LINKE fort. Ich rufe Tagesordnungspunkt 36 auf:

Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend keine Kürzungen bei Bildung – Drucks. 18/3913 –

Dazu wird Tagesordnungspunkt 65 aufgerufen:

Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD betreffend kurz vor dem Koma – Kultusministerin zerstört die Zukunftsfähigkeit der hessischen Schulen – Drucks. 18/3943 –

Redezeit: zehn Minuten pro Fraktion. Als Erste hat Frau Cárdenas für die Fraktion DIE LINKE das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Kürzungen im Bildungsbereich fegen wie ein Sturm über Hessens Bildungslandschaft hinweg. Täglich erreichen uns Meldungen über neue Abwehrhandlungen, Aussagen von Gewerkschaften, Elternverbänden usw., die sich gegen die Kürzungen wenden. Die Kürzungen treffen Schülerinnen und Schüler, die Kürzungen treffen die Schulämter, Lehrerinnen und Lehrer, Referendarinnen und Referendare. Somit treffen sie das ganze Land Hessen.

Frau Ministerin Henzler, Ihr Versprechen, nicht direkt bei den Schulen zu sparen, hat sich als Täuschung erwiesen. Die Reduzierung der Zahl der Stellen der Lehrerinnen und Lehrer im Vorbereitungsdienst um 1.000, also um rund 20 %, mag 23 Millionen € jährlich einsparen, da dadurch 150 Ausbilderstellen wegfallen werden. Aber mit was für Folgen? Ich könnte es Ihnen sagen, aber im Grunde wissen Sie es selbst. 2009 hat das HKM Prognosen zum Lehrerinnen- und Lehrerbedarf erstellen und auf der Homepage veröffentlichen lassen. Insbesondere die

Berufsschulen leider unter Lehrermangel. In Zukunft wird sich die Situation auch in anderen Bereichen drastisch verschlimmern. In einer von Ihnen in Auftrag gegebenen, aber nicht öffentlich gemachten Studie ist wohl ermittelt worden, dass 2011 624 Lehramtsstellen an Berufsschulen besetzt werden müssten, um den tatsächlichen Bedarf zu decken. Fallen nun noch 1.000 Referendarstellen weg, wie können Sie, Frau Henzler, dann behaupten, Sie würden nicht direkt an den Schulen sparen?

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Woher wissen Sie das denn?)

Zweitens. Eine Reduzierung der Zahl der Staatlichen Schulämter von 15 auf bis zu 6 wird für die Schulen unmittelbare Folgen haben. Dazu läuft auch eine Kleine Anfrage von uns.

(Zurufe von der CDU: Oh!)

Wir werden sehen, was dabei herauskommt, wie genau wir das benennen können.

Davon abgesehen, dass Sie dieses Vorhaben anscheinend gegen den Willen von Lehrpersonal, Schulleitungen, Personalräten der Schulbezirke, Gewerkschaften und Schülervertretungen durchboxen wollen, fördern Sie hiermit die Abschaffung des pädagogischen Bildungsauftrags an unseren Schulen. Neben massivem Personalabbau wird auch eine Mehrbelastung der Schulen betrieben. Statt sich auf die pädagogische Arbeit konzentrieren zu können, müssen diese nun verstärkt Verwaltungsarbeiten übernehmen – Verwaltungsaufgaben, für die nicht einmal berufliche Qualifikationen vorliegen. Es ist offensichtlich, dass durch diese Handhabung nicht etwa Selbstständigkeit an die Schulen gegeben wird, sondern eine Verschiebung von Verantwortung stattfinden wird. Das ist sehr zu bemängeln.

(Beifall bei der LINKEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Hat Ihnen das die GEW aufgeschrieben?)

Wir arbeiten mit der GEW sehr eng zusammen. Das wissen Sie. Das ist auch gut so.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sie tauschen mit denen sogar das Personal aus!)

Vorgeschrieben hat uns aber keiner etwas, Herr Irmer. Wir haben eigene Vorstellungen.

Noch einmal kurz zur Anhörung. Da hat ja wohl nicht nur die GEW zum Schulgesetzentwurf gesagt, dass dadurch eine Verschlechterung der Möglichkeiten in der Bildungslandschaft eintreten werde.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Glauben Sie alles, was die GEW sagt? Das ist eine Märchentante!)

Zudem geht auch noch der regionale Bezug verloren. Schulämter sind mehr als reine Verwaltungsorgane. Um Einstellungen, Versetzungen und Konfliktabbau bedarfsgerecht zu regeln, müssen die individuellen Verhältnisse berücksichtigt werden. Wie soll das bei einer großen geografischen Distanz denn funktionieren?

Ihre sture Weigerung, Inklusionsbemühungen zu betreiben, hat ebenfalls unmittelbare Folgen für die Schulen und die Schülerschaft. Dass Sie von der Opposition keinen guten Rat annehmen, haben Sie immer und immer bewiesen. Doch selbst die Betroffenen und auch die Experten finden kein Gehör bei Ihnen. Die Anhörung zur Novellierung des Schulgesetzes hat uns allen vor Augen geführt, welchen großen Stellenwert das Thema Inklusion bei fast allen Anzuhörenden einnimmt. Ihr geringschätzi

ges Handeln angesichts dieser großen Herausforderung – ich würde sogar sagen: dieser historischen Herausforderung – für unser gesamtes Bildungssystem, nämlich im neuen Schulgesetz die Inklusion unter einen Ressourcenvorbehalt zu stellen, ist eine Frechheit und ein Schlag ins Gesicht für alle Betroffenen.

(Beifall bei der LINKEN)

Doch nicht nur, dass es unter Ihnen keine reale Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention an Hessens Schulen geben wird – jedenfalls nicht, wenn wir vom Geist dieser Konvention sprechen –, darüber hinaus werden die wenigen Ansätze gemeinsamen Unterrichts, die in vielen Jahren hart erkämpften integrativen Maßnahmen systematisch untergraben oder zunichtegemacht. Ich kann Ihnen gerne ein Beispiel nennen. An der Ernst-ReuterSchule II in Frankfurt wurden jeder GU-Klasse innerhalb von zwei Jahren zwei Stunden Unterricht genommen. Bei gleichbleibendem oder – angesichts der Nachfrage – sogar steigendem Bedarf wurden 86 von 480 Lehrerstunden weggekürzt. Das sind 17,5 %.

Doch damit ist es nicht genug. Durch den Wegfall von Schülerhöchstzahlen in GU-Klassen wird der inklusive Unterricht zu einer kostengünstigen Erhöhung der Klassengrößen genutzt; denn bei der gleichen Lehrerversorgung und der gleichen Anzahl von Klassen können nun 216 statt 192 Schülerinnen und Schüler gemeinsam unterrichtet werden, natürlich ohne zusätzliche Lehrerkräfte. Die daraus resultierende deutliche Verschlechterung der Unterrichtsqualität wird vom HKM billigend in Kauf genommen. In der Resolution der Personalräte der Stadt und des Landkreises Offenbach von vor einer Woche wird dies als „Sparmodell“ bezeichnet, das auf dem Rücken der Schüler und der Lehrerschaft ausgetragen werden soll.

Auch wird dort kritisiert, dass Sie schon jetzt die Ausbildung von Förderpädagogen erheblich zurückgefahren haben, obwohl diese aus Lehrer-, Schüler- und Elternsicht zur Schaffung eines inklusiven Bildungssystems dringend benötigt werden. Aber dadurch, dass Sie die Klassenhöchstgrenzen aufheben und darüber hinaus in der Gesetzesvorlage den Regelschulkollegen und -kolleginnen statt einer direkten förderpädagogischen Unterstützung im Unterricht, die z. B. in der schwierigen Phase nach der Einschulung besonders notwendig ist, nur noch eine Beratung garantieren, haben Sie sich unseres Erachtens bereits gegen berechtigte Forderungen gewappnet.

Meine Damen und Herren, die Kürzungswelle hat uns bereits voll erfasst. In der Erwachsenenbildung haben Sie Einstellungsstopps und Haushaltssperren erlassen. Das Abendgymnasium Wiesbaden hat sich wegen der untragbaren Verhältnisse an den Landtag gewandt. Dort werden zwei dringend zu besetzende Lehrerstellen nicht besetzt. Auch hier kann keine Rede davon sein, dass nicht direkt bei den Schulen gespart wird.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Wo steht denn das?)

Auch die Kürzung bei den Studienseminaren, die für die Ausbildung der Studienreferendare zuständig sind, und der damit verbundene Personalabbau werden für die Schulen Folgen haben. In Hessen reden wir seit Langem davon, dass wir an unseren Schulen bestausgebildete Lehrerinnen und Lehrer mit einem angemessenen Gehalt haben wollen. Frau Ministerin, mit den Kürzungen bei der Ausbildung verträgt sich das nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Wer von Kürzungen spricht, muss natürlich auch auf die Schuldenbremse eingehen.

(Leif Blum (FDP): Ach du lieber Gott!)

30 % der Wählerinnen und Wähler haben trotz der bewusst verbreiteten Fehlinformationen über die Schuldenbremse und trotz der einseitigen Einflussnahme der Landesregierung gegen ihre Einführung gestimmt,

(Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))

darunter auch Wähler, Mitglieder und Funktionäre von SPD und GRÜNEN, deren Fraktionen für die Einführung der Schuldenbremse gestimmt hatten. Nun wundere ich mich darüber, dass die Fraktionen der SPD und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Kürzungsvorhaben der Frau Kultusministerin ebenfalls stark kritisieren und dass die SPD-Fraktion einen eigenen, durchaus unterstützenswerten Antrag eingebracht hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren von SPD und GRÜNEN, Sie waren doch dafür. Es kann einen doch nicht ernsthaft verwundern, dass nun solch drastische Kürzungen stattfinden. Die Schuldenbremse hatte doch von Anfang an genau diese Funktion.

(Zuruf von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Quatsch im Quadrat!)

Übrigens hat die von SPD und GRÜNEN gestellte neue Regierung in Baden-Württemberg deutliche Kürzungen und einen Abbau bei den Lehrerstellen angekündigt.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das ist unglaublich! Das glaube ich jetzt wirklich nicht! – Gegenruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE): Unglaublich ist das, was Sie machen! – Zurufe von der CDU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie bleiben still? Gut. – Stefan Körzell vom DGB nimmt die Einsparungen bei der Lehrerbildung zum Anlass, vom Anfang einer bitteren Zeit zu sprechen und Eingriffe bei der Infrastruktur, der öffentlichen Sicherheit und im Sozialbereich vorauszusagen.

Wir hatten einmal die „Operation düstere Zukunft“. Mit der sogenannten Schuldenbremse stehen wir jetzt wahrlich vor anderen Dimensionen. Sie werden mit dieser Ihrer abgemagerten Bildungspolitik das öffentliche Schulsystem kaputt machen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sie wissen, dass der Bildungsetat in diesem Jahr höher ist als im letzten?)

Es wird so unattraktiv werden – an manchen Stellen ist es das schon –, dass immer mehr hessische Eltern ihre Kinder auf Privatschulen schicken. Das ist wahrscheinlich Ihr Interesse.

Die Schuldenbremse ist eine Bildungsbremse. Sie ist eine Bildungsbremse, eine Sozialbremse und eine Gerechtigkeitsbremse.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber ich bin mir sicher, letztendlich wird sie dazu beitragen, diese grottenschlechte, komatöse schwarz-gelbe Bildungspolitik auszubremsen. – Danke schön.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der FDP: Das Einzige, was komatös war, war Ihre Rede!)

Schönen Dank, Frau Kollegin Cárdenas. – Bevor ich Frau Habermann für die SPD-Fraktion das Wort erteile, möchte ich noch auf der Tribüne unsere frühere Kollegin Frau Ziegler-Raschdorf herzlich begrüßen. Herzlich willkommen.

(Allgemeiner Beifall)

Frau Habermann, bitte schön.