Protokoll der Sitzung vom 18.05.2011

desregierung nicht einmal sagen muss, wie ihr Energiekonzept aussieht.

(Norbert Schmitt (SPD): Sehr richtig!)

Wir arbeiten beim Energiegipfel konstruktiv mit, weil wir an Fortschritten in der Sache interessiert sind.

(Zuruf des Abg. Dr. Ralf-Norbert Bartelt (CDU))

Ich habe sehr genau hingehört, als der Ministerpräsident gesagt hat, dass die Arbeit bis Ende September vorbei sein soll. Wir werden darauf achten, dass daraus keine Arbeit bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag wird. Wir werden uns vielmehr irgendwann auf eine Antwort auf die Frage einigen müssen – da ist die Regierung gefragt; da sind die Regierungsfraktionen gefragt –: Wie soll der Energiemix der Zukunft im Bundesland Hessen aussehen? – Die Atomenergie wird dabei keine Rolle mehr spielen. Das ist allerspätestens seit dem gestrigen Tag klar. Deswegen stehen Sie vor der spannenden Frage, wie Ihr Ausbauszenario für die erneuerbaren Energien in Hessen aussieht. Darauf müssen Sie eine Antwort geben. Wir haben diese Antwort übrigens schon gegeben, weil das Energiekonzept der GRÜNEN und das Energiekonzept der SPD auf dem Tisch liegen. Was fehlt, ist das Energiekonzept der Landesregierung und von CDU und FDP in Bezug auf die jetzige Situation. Meine sehr verehrten Damen und Herren, deswegen müssen Sie liefern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich bin froh, dass sich einiges verändert hat. Der Kollege Schäfer-Gümbel hat gerade eben gesagt, er trete dafür ein, im Jahr 2020 den Anteil der großen Vier an der Energieerzeugung auf unter 50 % zu drücken. Ich finde das ausdrücklich richtig. Ich füge an, dass vor zehn Jahren, als die GRÜNEN solche Debatten geführt haben, die SPDWirtschaftsminister Müller und Clement so etwas als Sonnenblumenromantik bezeichnet haben. Aber bitte sehr.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe der Abg. Dr. Thomas Spies (SPD), Janine Wissler und Hermann Schaus (DIE LINKE))

Ich finde das ja gut. Insofern kann ich nur sagen: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind in einer entscheidenden Phase der Umgestaltung der Energieerzeugung in Hessen. Was die SPD will, was die GRÜNEN wollen, liegt auf dem Tisch. Was die Landesregierung will, das weiß ich immer noch nicht. Was die Koalitionsfraktionen wollen, das weiß ich auch nicht.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Was die FDP will, weiß ich seit dem Bundesparteitag am Wochenende noch weniger als vorher. Insofern sind Sie gut beraten, sich einfach einmal die Frage zu stellen, was Sie in den nächsten 20 Jahren energiepolitisch eigentlich erreichen wollen. Wenn Sie darauf eine Antwort haben, dann können Sie wiederkommen und uns beschimpfen. – Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Danke sehr, Herr Al-Wazir. – Für die Fraktion DIE LINKE spricht jetzt Frau Wissler.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Drei CDUGeneralsekretäre haben ein schlechtes Papier zur Energiepolitik vorgelegt. Das an und für sich ist nichts Ungewöhnliches.

(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Falsch an dem Papier ist aber nicht nur der Inhalt. Schwierig ist auch das Veröffentlichungsdatum. Denn damit machen Sie den angeblich so offenen Energiegipfel endgültige zur Farce.

Denn wenn dieses Papier die Position des Hessischen Ministerpräsidenten und des Vorsitzenden der hessischen CDU darstellt, dann können wir den Energiegipfel aus meiner Sicht heute beerdigen. Viele Menschen – uns eingeschlossen – werden sich dann nämlich fragen, ob sie ihre kostbare Lebenszeit weiter dafür opfern sollen, um an einem Energiegipfel mitzuarbeiten, der nichts anderes ist als ein Feigenblatt, als eine Alibiveranstaltung für eine Landesregierung und für eine parlamentarische Mehrheit, die überhaupt kein Interesse an neuen Erkenntnissen hat. Herr Ministerpräsident, deshalb würden wir heute gerne eine Erklärung von Ihnen hören: Gilt das mit der Ergebnisoffenheit des Energiegipfels noch? Wollen Sie mit dem Energiegipfel nur eine Aktivität vortäuschen, oder sind Sie ernsthaft an Ergebnissen interessiert?

Meine Damen und Herren, gestern hat die Reaktor-Sicherheitskommission ihren Bericht vorgelegt. Dieser Bericht ist eine Farce, genauso wie das gesamte Moratorium. Dass Biblis nicht gegen Flugzeugabstürze zu sichern ist, wissen wir seit Langem. In einer so kurzen Zeitspanne war eine seriöse Prüfung überhaupt nicht möglich. Deshalb spricht die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW auch von einer „freundlichen Betreiberbefragung“. Denn der Stresstest bedeutet nicht etwa, dass sich die Prüfer selbst in den Kraftwerken ein Bild machen. Nein, sie erarbeiten Fragebögen, die sie dann an die Kraftwerksbetreiber schicken und die diese dann selbst beantworten.

Das muss man sich einmal vorstellen. Jeder Autofahrer ist gezwungen, seinen Pkw beim TÜV vorzufahren – aber bei Atomkraftwerken lässt man es zu, dass die Betreiber selbst eine Mängelliste erstellen, ohne dass unabhängige Sachverständige diese Angaben prüfen.

Die Reaktor-Sicherheitskommission drückt sich um klare Aussagen. Biblis werden gravierende Sicherheitsmängel bescheinigt – aber eine klare Empfehlung zur Stilllegung spricht diese Kommission nicht aus.

Herr Ministerpräsident, erklären Sie deshalb hier und heute, dass die Landesregierung ein Wiederanfahren von Biblis A und B nicht zulassen wird. Jetzt sind klare Ansagen nötig, kein weiteres Wegducken und Herumeiern. Biblis A und B dürfen nie wieder ans Netz gehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Ministerpräsident, es wäre interessant, zu wissen, ob Sie inhaltlich die Aussagen Ihres Generalsekretärs in diesem Papier teilen. Denn in diesem Papier ist zu lesen, es verbiete sich, die Energiepolitik der nächsten 30 Jahre von der „emotionalen Energiedebatte“ und den „Stimmungen im Frühjahr des Jahres 2011 abhängig zu machen“.

Herr Beuth, was wir im Frühjahr 2011 erleben, das sind keine Stimmungen, sondern das war ein Super-GAU – und zwar der zweite innerhalb von 25 Jahren. Herr Beuth, die Katastrophe von Fukushima und die berechtigten Sor

gen der Menschen als „Stimmungen“ abzutun, das zeigt, dass Sie noch immer herzlich wenig begriffen haben.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN)

Stattdessen schreiben Sie, ein „verfrühter Ausstieg“ führe zu einer Abhängigkeit von Importen aus dem Ausland.

Herr Beuth, erstens gibt es keinen „verfrühten Ausstieg“ aus der Atomkraft. Selbst ein sofortiger Ausstieg käme noch um Jahrzehnte zu spät.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens. Die Drohkulisse der Importabhängigkeit ist auch nicht haltbar. Denn in Deutschland wird keine Steinkohle mehr abgebaut. In Deutschland wird auch kein Uran abgebaut. Uran und Steinkohle werden importiert, damit in Deutschland Atom- und Kohlekraftwerke betrieben werden können. Wenn Sie sich von Energieimporten unabhängig machen wollen, dann heißt das, auf hier verfügbare Energieträger zu setzen – in erster Linie auf Sonne, Wind, Wasser und Biomasse.

Herr Beuth, Sie wollen kein verbindliches Ausstiegsdatum festlegen – aber Sie schwadronieren über die Verantwortung gegenüber den kommenden Generationen. Sie lassen also zu, dass die Atomkonzerne Tag für Tag neuen hoch radioaktiven Müll produzieren, den die kommenden Generationen auf Jahrtausende sicher verwahren müssen.

Sie verweisen auf die Energiepreise. Die Union werde nicht zulassen, dass Strom zum Luxusgut werde; der Ausbau der erneuerbaren Energien dürfe keine neue soziale Frage nach sich ziehen.

Herr Beuth, aber auch heute ist die Energieversorgung natürlich schon eine soziale Frage. Schon heute sind Menschen gezwungen, im Winter in ihren Wohnungen zu frieren, weil sie schlicht und ergreifend die horrenden Rechnungen nicht mehr bezahlen können. Heute haben wir mehr als 840.000 Abklemmungen im Jahr – also Menschen, denen Strom oder Heizung abgestellt wird, weil sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können.

Die entscheidende Frage ist doch: Warum sind denn die Preise so hoch? Die Preise sind doch deshalb so hoch, weil die Energiemonopole die Stromkunden abzocken können und niemand sie dabei kontrolliert.

(Beifall bei der LINKEN – Judith Lannert (CDU): Sie haben keine Ahnung!)

Ach, Frau Lannert, bis vor wenigen Jahren gab es eine staatliche Preisaufsicht. Im Zuge der Liberalisierung wurde die abgeschafft. Ohne Sozialtarife, ohne eine wirksame staatliche Strompreisaufsicht werden die Konzerne die Energiepreise als ein Erpressungsinstrument weiter benutzen, und zwar vollkommen unabhängig davon, wie hoch die realen Kosten sind.

Herr Beuth, Sie schreiben, Deutschland müsse sein Stromnetz ausbauen, damit „mehr Windstrom aus Norddeutschland nach Süddeutschland transportiert werden kann“.

Ich frage Sie: Warum eigentlich? Warum sollen wir Windenergie quer durch Deutschland transportieren, wenn Windenergie ebenso vor Ort gewonnen werden kann? Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik, kurz IWES, kommt zu dem Ergebnis, dass das Windenergiepotenzial gerade in den Bundes

ländern am höchsten ist, die die Windenergie bisher am wenigstens ausgebaut haben.

(Lachen der Abg. Judith Lannert (CDU))

Würden Länder wie Bayern, Baden-Württemberg und Hessen endlich ihr Potenzial bei der Windkraft nutzen, dann wäre der angedrohte massive Netzausbau in dieser Form überhaupt nicht nötig. Statt aber vor Ort zu handeln und vor Ort erneuerbare Energien aufzubauen, bauen Sie jetzt den Netzaufbau als einen neuen Popanz auf, um die Energiewende weiter zu verschleppen.

Meine Damen und Herren, wer den Umstieg auf erneuerbare Energien durchsetzen will – ja, der muss die Macht der großen Vier brechen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Das demonstriert RWE tagtäglich. Erst vor wenigen Tagen hat RWE angekündigt, nach Ende des Moratoriums Biblis B wieder anfahren zu wollen. Erst tauscht RWE die Brennstäbe frühzeitig aus – um die Brennelementesteuer zu umgehen –, und jetzt ist genau das das Argument dafür, dass Biblis B länger am Netz bleiben soll.

Meine Damen und Herren, ein Atomkraftwerk aus Sicherheitsgründen länger laufen lassen zu wollen – auf diese Idee muss man erst einmal kommen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Dieses Vorgehen von RWE ist dreist. Das ist eine nicht hinnehmbare Provokation. Deshalb ist es höchste Zeit, dass dieser Konzern endlich in seine Schranken gewiesen wird.

Eine aktuelle Studie des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung, die im Auftrag von Greenpeace erstellt wurde, kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien von den großen Vier blockiert wird.

Jetzt werden Sie sagen, diesen fundamentalistischen Atomkraftgegnern sei nicht zu glauben. Das müssen Sie auch gar nicht. Sie müssen sich einfach nur die Zahlen anschauen, die RWE und Co. selbst veröffentlichen.

Dann stellt man fest, dass derzeit ganze 0,5 % des Stroms aus Wind, Sonne und Biomasse von den großen Vier stammen – und das, obwohl sie 80 % des Energiemarktes beherrschen. Bei der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien ist in den Jahren 2007 bis 2009 sogar ein Rückgang bei allen vier großen Konzernen festzustellen; nur magere 15 % der Investitionen für Forschung und Entwicklung wenden die großen Vier durchschnittlich für die erneuerbaren Energien auf.