Protokoll der Sitzung vom 07.06.2011

Die ersten Vorschläge zu einem GKV-Versorgungsstrukturgesetz von der Bundesebene gingen bereits in die richtige Richtung. Bis zur Neuordnung der Versorgungsbezirke auf Bundesebene kann auf Landesebene davon abgewichen werden. Bei der Neuordnung der Zulassungsbezirke erhält ein Vertreter der Bundesländer ein Mitspracherecht im Gemeinsamen Bundesausschuss. Der G-BA ist ein Gremium aus jeweils fünf Vertretern der Ärzte und der gesetzlichen Krankenkassen sowie drei unabhängigen Sachverständigen. Er leitet das gesamte operative Geschäft auf der Grundlage der Gesetze und Gremienbeschlüsse.

Obwohl diese Signale von uns positiv aufgenommen worden sind, waren die Landesinteressen vor einigen Monaten noch nicht so berücksichtigt, dass die ersten Vorschläge aus Berlin für Hessen zustimmungsfähig waren. Dies hat unser Sozialminister deutlich zum Ausdruck gebracht. Dies zeigte Wirkung, wie wir heute sehen.

Insbesondere waren die Mitwirkungsrechte der Länder damals unbestimmt formuliert und andere Gesichtspunkte neben den Bezirksgrenzen nicht ausreichend berücksichtigt. Der Hessische Sozialminister betonte in

Wiesbaden vor dem Heilberufetag unter dem bezeichnenden Motto „Stadt, Land, Flucht“, dass er es als seine Aufgabe ansehe, die berechtigten Länderinteressen als Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz durchzusetzen. In der vorletzten Plenarrunde kam hier auch eine breite Unterstützung der Regierungsfraktionen und der größten Oppositionsfraktion zum Ausdruck. Ich bin der Kollegin Frau Schulz-Asche sowie den Kollegen Spies und Rock dankbar, dass es möglich war, die Anträge von CDU und FDP sowie der SPD zu diesem Thema zusammenzufassen und im Ausschuss einmütig zu verabschieden.

Es war in der Debatte meines Erachtens auch notwendig, in aller Höflichkeit, aller Zurückhaltung und allem Respekt anzumerken, dass die Bundespolitik unter deutlichem Antrieb durch die Landespolitik über das GKVVersorgungsstrukturgesetz Maßnahmen einleitet, die die kassenärztliche Selbstverwaltung auf Bundesebene in eigener Regie vielleicht schon selbst hätte durchführen können. Sie hätte die Zulassungsbezirke bedarfsgerecht zuschneiden können.

Darüber hinaus tagt bei jeder einzelnen Zulassung eines Kassenarztes, auch beim Übergang von einem älteren zu einem jüngeren, auch bei einem Verkauf des Kassenarztsitzes an ein MVZ, der örtliche Zulassungsausschuss aus KV-Vertretern und Kassenvertretern, die auch bei einer Verlegung des Praxisstandortes die Versorgungssicherheit prüfen sollen. Es wurde hier von der KV oft eingewandt, dass eine Verweigerung des Standortwechsels aussichtsreich beklagbar wäre. Aber es wurde auch sehr wenig versucht. Deshalb sollen Einfluss und Verantwortung der Zulassungsausschüsse mit der Unterstützung der entsprechenden Beschlüsse der Landesausschüsse gestärkt werden.

Der jetzt vorgelegte Arbeitsentwurf für das Gesetz beseitigt die ursprünglichen Mängel und schafft Rahmenbedingungen, dass die Leistungserbringer, die Kassen und die staatliche Ebene die ambulante ärztliche Versorgung im ländlichen Raum und in den sozialen Brennpunkten der Großstädte nachhaltig sichern können.

Ich möchte die für uns wichtigsten fünf Punkte nennen.

Erstens. Die Einflussmöglichkeiten der Landesvertreter im Gemeinsamen Bundesausschuss werden definiert und gestärkt. Zwei Vertreter haben ein Mitberatungs- und Mitbestimmungsrecht. Sie haben das Recht, die Agenda zu gestalten. Darüber hinaus werden Landesausschüsse aus Vertretern der KV und der GKVen unter Rechtsaufsicht des Landes geschaffen, die sich insbesondere mit Versorgungsfragen zu befassen haben.

Zweitens. Da die gewünschte Entwicklung nicht zu insgesamt mehr Kassenarztsitzen führen soll und die Honorare für niedergelassene Ärzte über einen Inflationsausgleich hinaus zumindest derzeit nicht gesteigert werden können und sollen, werden der KV Instrumente an die Hand gegeben, sektorale Überversorgung abzubauen. Bei Praxisabgabe in einem überversorgten Gebiet, wohlgemerkt: auf der Berechnungsgrundlage der neuen bedarfsorientierten Bezirke, kann die KV ein Vorkaufsrecht zu Marktkonditionen wahrnehmen und den Sitz nach Bedarf schließen. Interessen von Angehörigen des Praxisabgebers sollen geschützt werden. Außerdem sollen die Anreize zur freiwilligen Abgabe der Kassenzulassung in überversorgten Gebieten erweitert werden. Dies ist ein ganz wichtiger Beitrag zur Kostenstabilität und ein berechtigtes Anliegen der Beitragszahler und der gesetz

lichen Krankenkassen. Diese Aspekte sind auch in den Gesetzentwurf aufgenommen.

Drittens. Bei der Neuordnung der Planungsbezirke durch den G-BA gelten nicht nur stichtagsbezogene Einwohnerzahlen, sondern auch demografische Besonderheiten – wichtig für den ländlichen Raum –, besondere Sozialstrukturen – wichtig für den ländlichen Raum und soziale Brennpunkte – und folglich Morbiditätsstrukturen und räumliche Erreichbarkeit von Versorgungseinrichtungen. Dies ist eine entscheidende Hilfe für den ländlichen Raum, weil die Bevölkerungsstruktur dort älter ist und die Versorgungsstrukturen weiter voneinander entfernt sind. Darüber hinaus bekommen die KVen die Möglichkeit, durch Honoraranreize eine Ansiedlung im ländlichen Raum zu fördern. Es soll aber hier betont werden, dass es die Entscheidung der KV sein soll, ob sie von der Stellschraube einer differenzierten Honorierung Gebrauch machen möchte.

Viertens. Bei Selektivverträgen zwischen den Ärzten und den GKVen im Sinne des § 73b Sozialgesetzbuch V bekommt die Landesebene ein Mitsprache- bzw. Einspruchsrecht. Selektivverträge sind Vereinbarungen zwischen einer Arztgruppe und einer gesetzlichen Krankenkasse, meistens auf Länderebene, über Honorare und Leistungsspektren, die von der KV unabhängig sind. Die Ärzte, bevorzugt Hausärzte, versprechen sich hiervon Kalkulationssicherheit, die Krankenkassen eine Effizienz- und Qualitätssteigerung. Wie weit diese Erwartungen erfüllt werden, bleibt abzuwarten, das soll hier jetzt nicht das Thema sein.

(Vizepräsident Lothar Quanz übernimmt den Vor- sitz.)

Entscheidend in dieser Debatte ist der mögliche Einfluss auf die flächendeckende Versorgungssicherheit durch diese Verträge. Es muss geprüft werden – und das ist jetzt möglich –, ob bei einem Vertrag nach § 73b auch der ländliche Raum erfasst wird, ob die Notfallversorgung Gegenstand des Vertrags ist und ob die Honorierung im Verhältnis zu den KV-Honoraren steht, ohne unverhältnismäßig nach oben abzuweichen, sodass dann vom Rest des Kuchens zu wenig übrig bleiben würde.

Fünftens. Es dient der Versorgung des ländlichen Raumes, dass die Trägerschaft der Medizinischen Versorgungszentren – MVZ – in ärztlicher Hand sein muss.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sehr gut!)

Nach der bisherigen Gesetzeslage können MVZs einen positiven oder einen negativen Einfluss auf die wohnortnahe Versorgung haben. Daher ist eine differenzierte Diskussion nötig.

(Beifall bei der CDU)

MVZs in der Trägerschaft von Kapitalgesellschaften konzentrieren sich in größeren Städten und entziehen dem ländlichen Raum Kassenarztsitze.

(Zuruf des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

Oft sind sie an stationäre Einrichtungen des gleichen Trägers gebunden – was den wirtschaftlichen Ergebnissen des Krankenhauses dient, nicht aber der ambulanten Versorgung in kleinen Gemeinden. Hingegen kann der Zusammenschluss von freiberuflich tätigen Kassenärzten zu einem MVZ unter ärztlicher Trägerschaft durch gemeinsame Nutzung von Räumen, Gerät und Personal die An

siedlung im ländlichen Raum überhaupt erst ermöglichen.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sehr gut!)

Sie ist daher sinnvoll und wird seit einem Jahr von Landesseite auch unterstützt. Bürgschaftsprogramme sind auch für Ärztehäuser möglich, zinsverbilligte Darlehen können beantragt werden.

Diese Maßnahmen werden durch erweiterte Handlungsmöglichkeiten der Kassenärztlichen Vereinigungen ergänzt: Abrechnungsmöglichkeiten durch Delegation an qualifiziertes medizinisches Fachpersonal oder Telemedizin schaffen, wenn die Kassenärztlichen Vereinigungen das für notwendig und wirtschaftlich sinnvoll ansehen. Die Vereinbarkeit von Praxis- und Familiengründung soll durch großzügige Regelungen bei der ärztlichen Praxisassistenz erleichtert werden.

Wenn durch die niedergelassenen Ärzte die flächendeckende wohnortnahe Versorgung nicht in absehbarer Zeit hergestellt werden könnte, schafft das neue Gesetz auch die Möglichkeit, durch stationäre Einrichtungen ambulante Leistungen gegebenenfalls vorübergehend zu erbringen. Dies können Krankenhäuser sein oder auch Reha-Kliniken, die sich sehr häufig in einem ländlichen Raum befinden. Sie haben heute eine hervorragende personelle Ausstattung und sind gerätemäßig auf dem neuesten Stand eingerichtet.

Die frühere klassische Kur nach dem Spruch „morgens Fango, abends Tango“ ist heute durch anspruchsvolle Anschlussheilbehandlungen nach Herzoperationen, Gelenkersatzoperationen oder Tumoroperationen ersetzt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Hier ist ein Equipment vorhanden, das man gegebenenfalls bei einer ambulanten Mangelversorgung oder bei Regelungen der Notfallmedizin nutzen kann.

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Was ist denn das für eine absurde Argumentation? Warum kann man denn da nicht alternativ sein? Wenn man morgens Fango und abends Tango hat, dann verhindert man ja auch Krankheiten! Argumentieren Sie dagegen?)

Ich habe nichts gegen Fangopackungen, und ich habe auch nichts dagegen, dass man sich der Lebensfreude durch lateinamerikanische Tänze hingibt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Dazu aber braucht man nicht die teuren medizinischen Einrichtungen auf Kosten der Allgemeinheit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Wenn die Neuregelung kleinräumiger Zulassungsbezirke erfolgt sein wird, kann das Land die Einhaltung des Sicherstellungsauftrags durch Rechtsaufsicht über den Landesausschuss aus Ärzten und GKVen wirksam überwachen. Bei Unterversorgung innerhalb des kleinen Planungsbezirks kann die KV angemahnt werden, und das Land bzw. der Landesausschuss kann Ersatzmaßnahmen einleiten. Dann erhält das Sozialministerium die Überwachungsmöglichkeiten, die ihm heute noch fehlen.

Meine Damen und Herren, jetzt werden die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen, damit KV, kommunale Ebene und die Arbeitsgruppe aus Landkreis und Sozialministerium bedarfsgerechte Zulassungsbezirke schaffen

können. Sie sind ein wesentlicher Baustein dafür, dass Deutschland die Reputation behalten wird, eine der besten Zugangsmöglichkeiten zu medizinischen Einrichtungen für alle Menschen weltweit zu haben. Die Landesregierung und auch die anderen Länder haben hierfür einen sehr wichtigen Beitrag geleistet. Dafür vielen Dank, und vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Danke sehr, Herr Dr. Bartelt. – Als Nächste wird Frau Kollegin Schulz-Asche für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu uns sprechen. Noch etwas zu Tango und Fango? Vielleicht ein Tango mit Fango? Das könnte ungeahnte Begeisterungsstürme auslösen.

Herr Präsident, ich habe zwar heute ein Abendprogramm, aber danach hätte ich für einen Tango noch Zeit – wir können uns gerne treffen.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Da Sie wissen, dass ich eine Verfechterin von Gesundheitsförderung und Prävention bin, glaube ich, es würde mir auch guttun, ein bisschen mehr Tango zu tanzen. – Aber jetzt kommen wir einmal zum Thema, das wir hier gerade beraten.

Meine Damen und Herren! In der Sitzung des Sozialpolitischen Ausschusses am 5. Mai dieses Jahres hat der Ausschuss einstimmig einen Entschließungsantrag angenommen, der die stärkere Mitsprache der Länder bei der ärztlichen Bedarfsplanung ausdrücklich begrüßt und sogar die Landesregierung in der Rolle der Leitung der Gesundheitsministerkonferenz ebenso wie die Durchsetzung der Landesregierung gegenüber dem FDP-Bundesgesundheitsminister ausdrücklich gelobt hat. Das geschah deswegen, weil es eine große Einigkeit darüber gab, dass wir es hier mit einem Problembereich der Bedarfsplanung zu tun haben, dass es notwendig ist, hier staatlicherseits einzugreifen. Ich sage das ausdrücklich, weil es auch Leute geben soll, die der Meinung sind, dass sich auch im ärztlichen Bereich vieles alleine durch freie Marktwirtschaft regeln könnte, ohne Einflussnahme von staatlicher Seite.

Deswegen möchte ich nochmals von dieser Stelle aus ausdrücklich sagen: Ich finde es nicht nur ganz hervorragend, wie sich unser Gesundheitsminister dort eingesetzt hat, sondern auch, dass es eine große Einigkeit der Bundesländer darin gab, dass es eine steuernde Rolle sowohl des Bundes als auch der Länder bei der Bedarfsplanung geben sollte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Meine Damen und Herren, nachdem wir diese große Einigkeit hatten, frage ich mich jetzt,

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

warum Sie heute diese Regierungserklärung abgegeben haben. Denn Substanzielles ist eigentlich nicht dazugekommen.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Sie haben die gleichen Punkte wiederholt, die wir schon alle begrüßt haben. Sie haben sie eigentlich nicht erweitert, und Sie haben vor allem die meisten Punkte nicht konkretisiert, bei denen man fragen kann: Was heißt denn das eigentlich? Wie setzen Sie das um, was auf der Bundesebene in Planung ist? Es ist dort ja noch nicht einmal beschlossen. Welche Instrumente haben Sie denn jetzt? Entwickeln Sie welche, um die Länderkompetenz vor Ort tatsächlich auszuschöpfen? Da bleibt Ihre Regierungserklärung überall diffus.