Protokoll der Sitzung vom 02.02.2012

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf von der CDU)

Ich weiß, glaube ich, besser als Sie, worüber ich rede.

(Beifall des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Im Gegensatz zu Ihnen haben wir nämlich schon Anfang des letzten Jahres im Landtag eine große Anhörung zur Gemeinsamen Agrarpolitik 2013 gemacht.

(Beifall des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Es waren nicht nur viele Landwirte da, sondern auch die halbe hessische Agrarverwaltung, weil Sie nämlich bei diesem Thema geschlafen haben, während wir es hier auf die Tagesordnung gebracht haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir für Hessen etwas erreichen wollen, dann sollten wir die Struktur unserer Landwirtschaft, die Herr Stephan richtig dargestellt hat, tatsächlich berücksichtigen, wenn wir Forderungen in Richtung Brüssel aufstellen. Herr Stephan hat doch richtig erklärt, dass wir eine relativ kleinteilige Landwirtschaft haben.

Wir haben einen sehr hohen Anteil ökologischer Landwirtschaft. Dann müssen wir doch etwas für die tun und nicht für diejenigen landwirtschaftlichen Betriebe in Niedersachsen oder Mecklenburg-Vorpommern, die weltmarktorientiert sind. Von mir aus kann für den Weltmarkt produzieren, wer das mag. Er kann aber dann nicht erwarten, dass das auch noch mit öffentlichen Geldern gepäppelt wird. Öffentliche Gelder gibt es unserer Meinung nach nur für öffentliche Leistungen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

Herr Stephan, diese Entwicklung ist auch zwangsläufig. Wie wollen Sie das denn rechtfertigen? Wie wollen Sie denn rechtfertigen, dass quasi öffentliches Geld für solche Agrarstrukturen ausgegeben wird, von denen der Mensch keine öffentlichen Leistungen erwarten kann? Das ist auf lange Sicht unmöglich, denn wir haben doch einen Kuchen, der tendenziell immer kleiner wird, und wir haben immer mehr Leute, die vom Kuchen ein immer größer werdendes Stück abhaben wollen.

Von daher müssen wir als Land mit einer hoch entwickelten Agrarwirtschaft doch darstellen: Wir können hier besonders umweltfreundlich Landwirtschaft machen. – Wenn wir das schaffen, dann schaffen wir etwas für unsere Landwirtschaft, die in der Tat schon auf dem Weg ist, die umweltfreundlichste Europas zu sein. Wir müssen diese Ansätze dann aber stärken, statt der Forderung in Richtung einzelbetrieblicher Förderung, die Sie hier aufstellen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Peter Stephan (CDU): Wo ist denn der Gegensatz?)

Wenn wir die Gemeinsame Agrarpolitik retten wollen, dann müssen wir sie neu rechtfertigen. Die Gemeinsame Agrarpolitik ist nach dem Krieg aus dem Gedanken heraus entstanden, es solle in Europa nie wieder Hunger herrschen. Das war der Gedanke, weshalb die Gemeinsame Agrarpolitik geschaffen wurde.

Die Gemeinsame Agrarpolitik hat sich schon ein Stück weit gewandelt. Aber sie braucht jetzt ein neues Fundament. Das neue Fundament der Gemeinsamen Agrarpolitik muss die ökologische Ausrichtung sein. Da muss eben klar sein: Wir geben in die Landwirtschaft Geld, damit sie besonders umweltfreundlich und besonderes tierfreundlich ist, damit sie den Klimaschutz und die Artenvielfalt fördert. Diese besonderen Leistungen, die vom Markt nicht abgegolten werden, sollen von der Öffentlichkeit abgegolten werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir das schaffen, wird das Greening – das ist die ökologische Orientierung – die Gemeinsame Agrarpolitik retten. Das würde Akzeptanz schaffen. Damit würde es weitergehen. Denn ansonsten würde sie untergehen.

Für die Gemeinsame Agrarpolitik wie auch sonst in der Politik gilt: Grün ist die Hoffnung. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Kollege May, schönen Dank. – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt Herr Kollege Lotz das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der gesamten Diskussion frage ich mich, ob die Menschen auf der Straße verstehen, warum die Landwirte von der Europäischen Union Direktzahlungen in Milliarden-Euro-Höhe erhalten. Was legitimiert diese Zahlungen? Angesichts der Finanzkrise in der Europäischen Union berührt gerade diese Frage das Gerechtigkeitsempfinden in unserer Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD)

So wurde auf der Agrarministerkonferenz, die im Ok tober 2011 in Suhl stattgefunden hat, davon gesprochen, dass die Weiterentwicklung der europäischen Agrarpolitik eine zentrale Aufgabe dieses Jahrzehnts sei. In dem vorliegenden Antrag von Schwarz-Gelb vermisse ich die Weiterentwicklung. Statt der Weiterentwicklung findet sich da nur ein „Weiter so“.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Daniel May (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das wird der Sache nicht gerecht.

Auch die Agrarministerkonferenz sieht die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik als eine große Chance an. Diesen Ansatz kann ich im Antrag ebenfalls nicht erkennen. Es gilt doch, den guten Ruf der Landwirtschaft in Hessen zu wahren. Herr Kollege May hat darauf hingewiesen. 77 % der Bürger der Europäischen Union und 79 % der Deutschen sind laut einer aktuellen Umfrage des Eurobarometers der Meinung, dass direkte Zahlungen in der einen oder anderen Form an das Erfüllen von Umweltaufgaben geknüpft werden sollten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nur 9 % der Deutschen unterstützen Subventionen ohne Gegenleistungen. Es ist doch verständlich, dass die Menschen wollen, dass nur dann Geld der öffentlichen Hand fließt, wenn eine klar definierte Leistung für die Öffentlichkeit erfolgt.

Frau Puttrich, es reicht nicht, dass Sie erklären, das von der Europäischen Union geplante Greening werde in der hessischen Agrarpolitik bereits seit Jahren gelebt. Es ist gut, dass in Hessen 10 % der landwirtschaftlichen Flächen ökologisch bewirtschaftet werden. Das ändert aber nichts daran, dass die Gemeinsame Agrarpolitik reformiert werden muss. Sie muss ökologischer und gerechter werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Daniel May (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Die knapp 28.500 Empfänger in Hessen erhielten im Jahr 2010 rund 227 Millionen € an direkten Zahlungen. Der größte Teil der Betriebe, das sind ca. 50 %, erhielt weniger als 5.000 €. Ein minimaler Anteil bekam hingegen mehr als 100.000 €. Das zeigt, dass die direkten Zahlungen bei der Einkommenssicherung eine ganz unterschiedliche Bedeutung haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Daniel May (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Herr Stephan, bei der Gemeinsamen Agrarpolitik reden wir auch hinsichtlich der Verteilung der Mittel über Gerechtigkeit. Die Menschen draußen wollen wissen, warum wer welche Summe erhält.

(Norbert Schmitt (SPD): Sehr gut!)

Das kann zum Teil mit der Betriebsgröße erklärt werden. Aber warum erhält ein durchrationalisierter Ackerbaubetrieb ungleich mehr Zahlungen als ein Grünlandbetrieb, der vielleicht nur eine Familie ernähren muss? Das ist den Menschen dieser Gesellschaft kaum vermittelbar. Deshalb gilt es, die Weichen entsprechend den Herausforderungen der Zukunft zu stellen.

Nur allzu gerne wird von CDU und FDP die Agrarreform auf die geplanten, vorhin genannten 7 % Vorrangflächen reduziert. Eine ähnliche Reduzierung auf einen Schwerpunkt hatten wir übrigens schon einmal, als vor knapp drei Jahren um den Vorrang für die Nutzung erneuerbarer Energien gerungen wurde. Damals waren CDU und FDP gegen die sogenannte Verspargelung der Landschaft durch Windkrafträder. Glücklicherweise gehört dieses Schreckgespenst seit einigen Wochen der Vergangenheit an.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Beim Thema Agrarreform geht es nicht um die Verspargelung, sondern da sind es die Stilllegungsflächen. Leider wird der Begriff häufig in einem falschen Zusammenhang genannt. Es geht um ökologisch wertvolle Flächen, die extensiver bewirtschaftet werden sollen. Nur weil da weniger gedüngt wird, heißt das nicht, dass die Flächen aus der Produktion herausfallen.

Machen Sie also bitte keine Panik. Von einer echten Stilllegung, wie sie bis vor Kurzem in der Tat noch existierte, ist hier nicht die Rede. Wir setzen uns zudem dafür ein, dass Ackerrandstreifen, Wasserrandstreifen und andere Strukturelemente in die Vorrangfläche eingerechnet werden.

Meiner Auffassung nach müssen wir von den Maiskulturen wegkommen. Etwa ein Viertel aller Betriebe wirtschaftet mit engen Fruchtfolgen.

Alle reden ständig von Nachhaltigkeit. Ursprünglich war die Dreifelderwirtschaft das Sinnbild für Nachhaltigkeit. Es kann mir niemand erklären, dass nachhaltig gewirtschaftet wird, wenn ständig 70 % der Ackerfläche für eine Fruchtart genutzt wird. Deshalb sollten maximal 50 % der Ackerfläche für eine Frucht sein. Sonst wird das alles keinen Effekt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es sollten nur diejenigen 100 % der direkten Zahlungen erhalten, die drei unterschiedliche Kulturen anbauen, ökologische Vorrangflächen zur Verfügung stellen und das Umbruchverbot für Grünland einhalten.

Wir werden in den kommenden Jahren voll damit zu tun haben, das Grünland zu schützen. Nehmen wir einmal an, dass ein neuer Stall gebaut wird und die Kühe in den Laufstall kommen. Möglicherweise wird dadurch mehr Futtermais verwendet. Dafür muss Grünland umgebrochen werden.

Möglicherweise wird für den Energiemais das Grünland zu Ackerland umfunktioniert. EU-Agrarkommissar Ciolo? will ab dem Januar 2014 ein Verbot des Grünlandumbruchs haben. Das ist aus unserer Sicht aus verschiedenen Gründen sinnvoll.

(Beifall des Abg. Timon Gremmels (SPD))

Das ist es etwa wegen des Klimaschutzes. Der Termin für das Verbieten des Umbruchs sollte unserer Meinung nach vorgezogen werden, um bestehendes Grünland zu schützen. Aufgabe der Politik wird es sein, die Grünlandnutzung wirtschaftlich attraktiv zu machen.

Meine Damen und Herren der CDU und der FDP, ja, es darf durch die Reform kein Bürokratiemonster entstehen. Das wurde im Übrigen auch auf der Agrarministerkonferenz in Suhl so erklärt. Herr Stephan, dem wird auch niemand widersprechen. Wir dürfen die Sorge vor zu viel Bürokratie aber auch nicht als Totschlagargument benutzen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Denn die vom EU-Agrarkommissar Ciolo? vorgestellte Agrarreform ist in unseren Augen zwar nur ein Reförmchen. Es ist aber auch eine große Chance, denn sie zeigt in die richtige Richtung. Wenn wir ehrlich über Agrarpolitik reden, dann müssen wir auch eine ehrliche Diskussion führen, wie es spätestens nach 2020 mit den direkten pauschalierten Zahlungen weitergehen soll. Anstatt Selbstverständlichkeiten zu belohnen, sollten in Zukunft die ge

sellschaftlichen Leistungen der Landwirte entlohnt werden.