Protokoll der Sitzung vom 23.03.2017

Darüber kann man sich freuen, wenn man Beamter ist. Dazu muss man aber Fragen stellen, wenn man für den Haushalt des Landes Hessen mitverantwortlich ist.

Nachdem sich der Ministerpräsident freuen durfte, darf sich heute sein Stellvertreter freuen.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So was ist Ihnen wohl unbekannt!)

Er darf sich freuen, dass er zwar nicht alles, aber immerhin einiges aus seinem Wahlprogramm hat umsetzen können; denn die GRÜNEN fordern schon seit gefühlt 25 Jahren ein Schülerticket in Hessen.

(Beifall bei der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, welche Chuzpe muss man eigentlich haben, um sich in Pressekonferenzen und in anderen Veranstaltungen so sicher dahin gehend zu äußern, dass dieses Ticket mit 20 Millionen € Landesgeld für die Verbünde bezahlt ist?

(Beifall bei der FDP)

Es ist noch keine zwei Monate her, als mein Kollege Lenders die Landesregierung gefragt hat: Was kostet ein Schülerticket? – Die Antwort war – ich verkürze sie jetzt, vielleicht auch ein bisschen polemisierend –: Man hat keine Prognosen, wie viele Schülertickets verkauft werden, man

ist ahnungslos bei der Frage, wie hoch die kalkulierten Vollkosten für ein Schülerticket sind, aber obwohl man weder den Bedarf noch die Kosten kennt, geht man davon aus, dass die Kosten bei 20 Millionen € gedeckelt sind.

(Beifall bei der FDP)

Wie Sie wissen, bin ich nur Jurist. „Judex non calculat“ ist eine Standardfloskel, die wir Juristen immer beachten sollten.

(Michael Boddenberg (CDU): Was heißt hier „Floskel“?)

Mich wundert, dass sich jetzt ein Metzgermeister dazu äußert, kein Jurist. Das wundert mich jetzt wirklich.

(Beifall bei der FDP – Zuruf von der CDU: Als Metzgermeister muss er rechnen können! – Hans- Jürgen Irmer (CDU): Das ist eine Diskriminierung!)

Man kennt zwei Parameter nicht: Man kennt weder den Bedarf, noch kennt man die Vollkosten. Trotzdem erklärt man, die ganze Veranstaltung koste nur 20 Millionen €. Das glauben wir nicht.

(Beifall bei der FDP)

Wir sind nicht die Einzigen, die das nicht glauben. Sie wissen, dass sich auch der Hessische Städtetag vor 14 Tagen in Fulda mit diesem Thema beschäftigt hat und zu dem Ergebnis gelangt ist – so wurde es uns kommuniziert –, unter 30 Millionen € geht überhaupt nichts. Das sind – um es einmal andersherum darzustellen – plus 50 %. Dann wundern wir uns, dass die Bürgerinnen und Bürger uns die Zahlen, die wir Politiker nennen, nicht mehr abnehmen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, so geht es nun wirklich nicht.

(Beifall bei der FDP)

Ich wiederhole: Der Bedarf ist das zentrale Thema. Wer kauft denn solch ein Schülerticket? Ich weiß nicht, wer darauf hingewiesen hat; ich glaube, es war Frau Wissler, die eben gefragt hat: Wollen denn alle Eltern, insbesondere die von Zweitklässlern und Drittklässlern – wegen mir auch die von Sechstklässlern –, dass ihre Kinder kostenlos durch ganz Hessen fahren können? Wollen die das wirklich?

(Janine Wissler (DIE LINKE): Die brauchen das nicht!)

Ob die das brauchen, ist eine andere Frage. Ich gehe jetzt auf die emotionale Ebene ein. Papi und Mami sagen sich: „So weit sollen der Zehnjährige und die Neunjährige nun wirklich nicht von zu Hause wegfahren können“, und kaufen das Schülerticket daher nicht. So einfach ist die Veranstaltung.

(Zurufe von der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hören Sie doch auf, bei einer Sache dazwischenzurufen, die so unstreitig ist.

(Beifall bei der FDP)

Das können auch die GRÜNEN mit ihrer belehrenden Art nicht verändern; denn Angst ist nun einmal eines der Gene, die Eltern besitzen. Eine ganz große Zahl von Eltern wird sich dagegen entscheiden, dass ihren Sprösslingen diese Möglichkeit gegeben wird.

Nächste Bemerkung. Was ist eigentlich mit dem KFA? Das ist ein Problem, auf das die kommunale Familie ebenfalls hingewiesen hat; wir sind schon selbst darauf gekommen. Bisher ist der Schulträger für die Kosten zuständig. Wie wird es im KFA verrechnet, wenn das Land dem RMV auf einmal 20 Millionen € gibt? Wird das bei den Kommunen abgezogen? Nach welchem System wird das gemacht? Ich rede von ganz praktischen Fragen, die uns in den letzten Tagen und Wochen von kommunalen Spitzenvertretern gestellt worden sind.

(Beifall bei der FDP)

Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Die FDP hält es für grundsätzlich klug, dass der Schülerverkehr in Hessen vereinfacht wird. Ich bin auch gar nicht auf die strukturellen Unterschiede eingegangen – ich glaube, keiner der Vorredner hat das getan –, die es zwischen dem Gebiet des RMV und dem Gebiet des Nordhessischen Verkehrsverbunds gibt. Dort muss einmal Ordnung hineingebracht werden.

Wir haben auch nichts dagegen, dass das Angebot der Schülertickets weiterentwickelt wird.

(Florian Rentsch (FDP): So ist es!)

Wir haben aber etwas dagegen, dass uns hier weisgemacht werden soll, dies sei eine relativ günstige Veranstaltung und mit 20 Millionen € pro Jahr abzuarbeiten. Das bestreiten wir.

(Beifall bei der FDP)

Ein Nachsatz: Insbesondere der Landesrechnungshof hält uns immer wieder vor, dass der Haushalt des Landes Hessen ein ganz großes Problem habe. Es werde nämlich zu viel für konsumtive und zu wenig für investive Bereiche ausgegeben. Auch gegen diesen Rat verstoßen Sie hier immer wieder. Das ist eine ausschließlich konsumtive Veranstaltung. Deswegen machen wir derzeit auch nicht mit.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Hahn. – Für die Landesregierung spricht Herr Staatsminister Al-Wazir. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich heute einfach.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD und der FDP: Ah!)

Im Hinblick auf manche Redebeiträge, die ich hier gerade gehört habe, will ich sagen: Es würde vielen Leuten gut anstehen, wenn sie sich einfach einmal freuen könnten.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der FDP)

Dem lieben Kollegen Uwe Frankenberger will ich sagen: Ich weiß, man darf von der Regierungsbank aus nicht dazwischenrufen. Aber, lieber Uwe, mein Zwischenruf war nicht: „Den GRÜNEN sollst du es gönnen!“, sondern ich habe gesagt, es wäre gut, wenn man es den Schülerinnen und Schülern und den Auszubildenden einfach einmal gönnen würde.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will an dieser Stelle einmal grundsätzlich sagen: Es ist heute der dritte Tag des Plenums, und alle Themen sind wichtig. Aber manchmal fällt mir auf, dass es eine ziemliche Diskrepanz gibt zwischen dem, worüber wir uns richtig aufregen, und dem, was für viele Menschen wirklich wichtig ist. Das ist ein Thema, das für viele Menschen in ihrem Alltag unglaublich wichtig ist: für 840.000 Schülerinnen, Schüler und Auszubildende, die ab dem nächsten Schuljahr die Möglichkeit haben, für 1 € am Tag hessenweit unterwegs zu sein. Das ist der Punkt, um den es geht.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass uns das gemeinsam mit den Verkehrsverbünden gelungen ist – am Ende auch gemeinsam mit den Kommunen, mit den Schulwegekostenträgern und mit den lokalen Nahverkehrsorganisationen –, ist einfach eine sehr gute Nachricht für die Schülerinnen und Schüler in Hessen, für die Auszubildenden in Hessen und für die Familien in Hessen. Gerade für diejenigen, die mehrere Kinder haben, die vielleicht sogar über Kreis- oder Stadtgrenzen hinweg unterwegs sind, ist das eine sehr gute Nachricht.

Wenn ich an die Auszubildenden denke, muss ich sagen: Deswegen ist das auch eine gute Nachricht für die Wirtschaft. Es macht die duale Ausbildung attraktiver. Auch für den öffentlichen Personennahverkehr ist es eine gute Nachricht. Es soll auch die eigenständige Mobilität junger Menschen in Hessen fördern, damit sie nicht mehr nur zu Fuß oder per Rad, sondern auch mit dem ÖPNV eigenständig unterwegs sein können.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es soll für junge Menschen den öffentlichen Personennahverkehr – im Wortsinn – erfahrbar machen und ist damit aus meiner Sicht auch die beste Werbung für den öffentlichen Personennahverkehr in Hessen.

Es ermöglicht den Kindern aus einkommensschwächeren Familien eine bessere Teilhabe, nicht nur, was die alltägliche Mobilität betrifft, etwa die Fahrt von der Schule zum Wohnort, sondern auch dann, wenn es um Klassenausflüge und die hessenweite Mobilität geht. Es ist deshalb ein Beitrag dazu – das will ich an dieser Stelle sagen –, die Mobilitätskosten gerade für Familien zu senken.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen ist es gut für Familien. Es ist ein Beitrag dazu, Teilhabe zu ermöglichen und Chancengerechtigkeit herzustellen.

Ich war letzte Woche im südlichen Hessen unterwegs. Eine Kunstlehrerin kam auf mich zu und sagte, sie habe schon nachgeschaut und festgestellt, das Schülerticket gilt ab dem nächsten Schuljahr, das Mitte August beginnt. Die documenta werde bis Mitte September gehen, und sie überlege sich schon, ob sie mit ihrem Leistungskurs Kunst vom Süden Hessens aus mit dem Regionalverkehr einen Ausflug zur documenta machen könne. So etwas wird in Zukunft möglich sein.