Protokoll der Sitzung vom 30.08.2017

Guten Morgen, Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 113. Plenarsitzung und stelle die Beschlussfähigkeit fest.

Zunächst zur Tagesordnung. Erledigt sind die Punkte 1 bis 6 und der Punkt 12.

Noch eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD betreffend „Wo Schule draufsteht, muss auch Schule drin sein“ – guter Unterricht benötigt ausgebildete Lehrkräfte, Drucks. 19/5201. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 71 und kann mit den Tagesordnungspunkten 43 und 50 zu diesem Thema aufgerufen werden. – Kein Widerspruch.

Außerdem eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend beitragsfreier Kindergartenbesuch, bessere Qualität der Kinderbetreuung und Ausbau der Betreuungsplätze bringen spürbare Verbesserung des Bildungs- und Betreuungsangebots und spürbare finanzielle Entlastung für Familien mit Kindern, Drucks. 19/ 5205. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 72 und kann mit Tagesordnungspunkt 42 zu diesem Thema aufgerufen werden. – Kein Widerspruch.

Zum Ablauf der Sitzung. Vereinbarungsgemäß tagen wir heute bis 18 Uhr bei einer Mittagspause von zwei Stunden. Wir beginnen mit Tagesordnungspunkt 42, der zusammen mit dem soeben erwähnten Dringlichen Antrag unter Tagesordnungspunkt 72 aufgerufen wird. Dann folgt Tagesordnungspunkt 47. Nach der Mittagspause beginnen wir mit Tagesordnungspunkt 43, der zusammen mit den Tagesordnungspunkten 50 und 71 aufgerufen wird.

Entschuldigt fehlen heute Frau Staatsministerin Puttrich ab 10:45 Uhr und Frau Staatsministerin Kühne-Hörmann ab 15 Uhr. Frau Abg. Brigitte Hofmeyer ist erkrankt.

Heute Abend um 19 Uhr wird die Fußballmannschaft des Hessischen Landtags gegen die Stadtverordneten-Kicker Kassel antreten. Das Spiel findet in der Sportanlage Kleinfeldchen statt.

Heute Abend, im Anschluss an die Plenarsitzung, um ca. 18 Uhr, kommen der Sozial- und Integrationspolitische Ausschuss und der Haushaltsausschuss zu einer gemeinsamen Sitzung in Sitzungsraum 501 A zusammen.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich auf der Besuchertribüne unseren ehemaligen Kollegen Dietzel begrüßen. Herzlich willkommen.

(Allgemeiner Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 42 und Tagesordnungspunkt 72 auf:

Antrag der Abg. Merz, Alex, Decker, Di Benedetto, Gnadl, Roth, Dr. Sommer (SPD) und Fraktion betreffend gebührenfreie Bildung von Anfang an – Qualität schrittweise verbessern – Kommunen entlasten – Bürokratie abbauen – Drucks. 19/5163 –

Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend beitragsfreier

Kindergartenbesuch, bessere Qualität der Kinderbetreuung und Ausbau der Betreuungsplätze bringen spürbare Verbesserung des Bildungs- und Betreuungsangebots und spürbare finanzielle Entlastung für Familien mit Kindern – Drucks. 19/5205 –

Vereinbarte Redezeit: zehn Minuten pro Fraktion. Als Erster spricht Kollege Schäfer-Gümbel für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch auf der Tribüne! Die SPD treibt das Thema gebührenfreie Bildung seit Jahren voran. Die Abgeordneten der Union und der GRÜNEN haben die Notwendigkeit dieses Vorhabens geleugnet und hier im Hause dagegen angekämpft, wie man seitenweise in den Protokollen des Landtags nachlesen kann.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt weicht die Union einen Schritt von ihrer bisherigen Haltung ab. Angekommen im 21. Jahrhundert ist sie damit aber noch lange nicht.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Selbstverständlich kann die Sozialdemokratie die Ankündigung der schwarz-grünen Koalition aus der vergangenen Woche als Erfolg verbuchen. Wir freuen uns über jeden noch so kleinen Fortschritt im Interesse der Eltern und Familien.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Die Koalition wünscht sich – wie immer – eine Opposition, die in Ehrfurcht erstarrt. Es tut mir leid, aber damit können Sie ganz sicherlich nicht rechnen. Wir werden Ihnen damit auf keinen Fall dienen. Wenn Sie es richtig und gut gemacht hätten, hätten wir mehr als eine Flasche Sekt aufgemacht, aber Sie haben es eben nicht gut und richtig gemacht.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Schwarz-Grün reibt sich die Hände, war in den Zeitungen zu lesen. Das lässt den Schluss zu, dass es Ihnen nicht um die Sache geht. Mir Ihrer Häme können wir gut leben; denn wir sind, ehrlich gesagt, in dieser Periode von Ihnen nichts anderes gewöhnt.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Die Kaltblütigkeit, mit der Sie ihre eigenen Fraktionskollegen bloßstellen, ist ebenfalls nicht unser Problem. Frau Wiesmann und Herr Bocklet, zwei respektierte Kollegen, haben die Vorschläge der SPD-Fraktion hier monatelang schlechtgeredet. Frau Wiesmann hat von einem „Weihnachtsmann“ gesprochen. In der Tat haben wir nun mit einem – allerdings geschrumpften – CDU-Weihnachtsmann zu tun.

(Heiterkeit bei der SPD)

Wenn der CDU-Generalsekretär eine Stunde nach der Pressekonferenz der Regierung der Öffentlichkeit ein Plakat vorstellt, ist die Absicht des Projekts doch klar. Dass

die GRÜNEN diese Inszenierung als verlängerter Arm des Alfred-Dregger-Hauses mittragen,

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der FDP so- wie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

gibt weitreichend Aufschluss über die angebliche Eigenständigkeit der GRÜNEN.

(Manfred Pentz (CDU): Ist schon wieder Fastnacht, oder was?)

Wie kommt man auf eine beitragsfreie Zeit von sechs Stunden? – Da steht bei Ihnen ein Familienbild Pate, das davon ausgeht, dass ein Elternteil in Teilzeit arbeitet. Seien Sie ehrlich: Sie meinen damit die Frauen. Sie haben hier im Landtag erst vor wenigen Wochen gegen ein Rückkehrrecht auf Vollzeitbeschäftigung gestimmt. Da weiß man, woher der Wind weht.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Volker Bouffier hat im hr-Sommerinterview sehr bewusst von einem – ich zitiere – „normalen Kindergartenbesuch“ gesprochen. Die Union erdreistet sich ein weiteres Mal, zu bestimmen, was normal ist und was nicht. Wir hingegen wollen kein Familienmodell, kein Arbeitszeitmodell vorschreiben, sondern eine echte Wahlfreiheit, und wir nehmen die gesellschaftliche Realität zur Kenntnis, dass die Wahlfreiheit oftmals an den Rahmenbedingungen scheitert und in vielen Fällen beide Elternteile in Vollzeit arbeiten müssen, um überhaupt über die Runden zu kommen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Herr Kollege Schäfer-Gümbel, einen Moment. – Ich bitte, auch auf der Regierungsbank die Gespräche einzustellen. Ich denke, das stört den Redner.

Auch das bin ich gewohnt.

(Manfred Pentz (CDU): Die Nerven liegen bei den Sozis blank! – Gegenruf des Abg. Günter Rudolph (SPD): Da muss ein anderer kommen als der Pentz!)

Das, was ich eben gesagt habe, gilt auch für die SPD-Fraktion.

(Heiterkeit)

Es darf nicht sein, dass ein schwarz-grünes Gebührenmodell diejenigen bestraft, die auf eine Betreuung ihrer Kinder über einen Zeitraum von mehr als sechs Stunden angewiesen sind.

Von den rund 250.000 Kindern aller Altersklassen sind über 135.000 Kinder mehr als sieben Stunden durchgehend betreut. Durchschnittlich beträgt die Betreuungszeit 7,5 Stunden – wohlgemerkt: durchschnittlich, also in vielen Fällen deutlich mehr.

Die Eltern dieser Kinder zahlen also auch nach Ihrem Modell und Ihren Vorstellungen künftig Gebühren. Tausende Eltern zahlen weiterhin. Das hat die CDU gemacht. Nun kolportieren CDU und GRÜNE, die SPD wolle im Kern dasselbe wie Schwarz-Grün, nur irgendwie mehr. Das ist falsch.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Weniger wollten sie! – Weitere Zurufe)

Es geht nicht um ein „Mehr“, es geht um völlig unterschiedliche Familien-, Frauen- und Gesellschaftsbilder.

(Beifall bei der SPD)

Es geht um eine grundsätzliche Frage, ob frühkindliche Bildung ebenso wie Schule und Universität kostenfrei sein soll. Niemand käme auf die Idee – nicht einmal die hessische Union –, Studierenden die Seminare, die bis 13 Uhr gehen, kostenfrei zu stellen und sie für die übrigen zahlen zu lassen. Allerdings haben Sie in der Schule dieses Modell – dass man zusätzlich zahlen muss – eingeführt und nennen das heute „Pakt für den Nachmittag“. Ich nenne das „Schulgeld durch die Hintertür“.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Für uns geht es bei der kostenfreien Bildung um die grundsätzliche Frage von Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit. Frau Wiesmann, Herr Wagner, Herr Bocklet, Herr Bouffier, das haben Sie häufig in Abrede gestellt. Für uns ist das aber nach wie vor so.

Es geht um eine Haltung in der Familienpolitik und in der Frauenpolitik. Es geht um die Frage, ob man den Herausforderungen der Gegenwart gewachsen ist oder ein Familien- und Frauenbild aus dem vorherigen Jahrhundert propagiert. Schwarz-Grün verbucht Gebührenfreiheit unter dem Motto „nice to have“.