Protokoll der Sitzung vom 31.08.2017

(Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das nervt Sie! – Gegenruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE): Wieso, er hat doch einen echten!)

Das ist unter weiteren vorhergehenden Regierungen geschehen.

Das wurde in dieser Debatte schon gesagt. Wir haben die Situation, dass wir in der hessischen Justiz seit Beginn dieses Jahrtausends einen drastischen Stellenabbau zu verzeichnen haben. Es gingen über 1.200 Stellen verloren. Die Notbremse, die mit dem letzten Haushalt gezogen wurde, reicht nicht aus, um diesen Missstand zu beheben.

(Beifall bei der LINKEN)

Es reicht auch nicht, darauf zu verweisen, dass wir als Bundesland nicht alleine dastehen. Das Problem ist durchaus auch in anderen Bundesländern da. Es reicht auch nicht aus, darauf hinzuweisen, dass im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht ordentlich gearbeitet wird. Das wissen wir alle. Vielmehr ist unsere Aufgabe: Wenn wir ein Problem sehen, das mit mangelnder Personalausstattung in den Gerichten, und zwar bei den Richterinnen und Richtern und im zuarbeitenden Bereich, zu tun hat, dann ist es unsere Pflicht und Schuldigkeit, dafür zu sorgen, dass dort wieder ordentlich gearbeitet werden kann. Das ist im Moment halt nicht der Fall.

(Beifall bei der LINKEN und des Abg. Corrado Di Benedetto (SPD))

Ein Satz in der Antwort auf die Große Anfrage hat mich erst richtig geärgert. Dann habe ich mir gedacht, ich muss ihn wahrscheinlich ganz anders lesen. Da schreibt die Landesregierung – das ist mit Ihrer Unterschrift –:

Im Übrigen obliegt die Verfahrensführung – und damit letztlich auch die Verfahrensdauer – den jeweils zuständigen Richterinnen und Richtern im Rahmen ihrer grundgesetzlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit.

Was denn sonst? Das ist doch selbstverständlich. – Dann folgt der Satz:

Die Landesregierung nimmt insoweit keinen Einfluss auf die Dauer einzelner gerichtlicher Verfahren.

Das ist korrekt. Das darf sie auch nicht. Aber die Landesregierung nimmt Einfluss auf die Dauer der Verfahren insgesamt, weil sie an der Personalausstattung in den Gerichten zu viel gespart hat. Das ist die Aussage.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Sabine Waschke (SPD))

Ich möchte einen letzten Punkt anführen. Wir werden immer wieder darauf hingewiesen, dass mit der Einführung der elektronischen Akte zukünftig eine Entlastung zu erwarten sei. Dazu noch einige Anmerkungen.

Zunächst: Wir sind noch nicht so weit. In der Einführungsphase der elektronischen Akte werden wir zu Beginn eine höhere Belastung zu verzeichnen haben. In der Anhörung zur Digitalisierung, die vor ein paar Tagen in diesem Saal stattfand, ist ganz klar noch einmal betont worden, dass niemand aus dem richterlichen Bereich mit der Einführung der elektronischen Akte eine Personalentlastung erwartet. Zwar findet in diesem Zusammenhang eine Veränderung des Anforderungsprofils statt, aber keine Entlastung. Das müssen wir im Weiteren beachten, wenn wir die Justiz wieder ausstatten wollen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich schließe, was ich normalerweise nicht mache, mit einem englischen Zitat; denn die englische Sprache bringt manchmal die Dinge viel pointierter auf den Punkt: „Justice delayed is justice denied“. Das ist das Problem, das Sie lösen müssen, Frau Kühne-Hörmann.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Frau Kollegin Müller von den GRÜNEN, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich überlege gerade noch, wie lange ich das Plenum hinauszögern soll und ob ich Ihnen meine ganze Rede vortrage oder nur Auszüge daraus.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich lohnt sich die ganze Rede.

Zunächst möchte ich feststellen, dass hier ein Bild gezeichnet wird, welches nicht der Wirklichkeit entspricht. Sie haben als SPD-Fraktion eine Große Anfrage gestellt, die in aller Akribie beantwortet worden ist, mit sehr viel Zahlen-, Daten- und Faktenmaterial. Sie aber haben sich gerade nur Einzelfälle herausgegriffen und diese einfach auf die Ge

samtheit übertragen. Die Statistiken geben das auf keinen Fall her.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Im Gegenteil: Wenn man die Antwort auf die Große Anfrage genau liest, erkennt man eine gut funktionierende hessische Justiz, die seit Jahren stabil und zuverlässig arbeitet. Auf keinen Fall herrschen hier desaströse Zustände. Die Zahlen sind eben nur nackte Zahlen; es handelt sich um Statistiken.

Die einzelnen Fälle müssen jedoch gesondert betrachtet werden. Manchmal liegt es an den Parteien, dass noch Dinge herangezogen werden müssen, manchmal liegt es an anderen Faktoren. Es gibt sehr aufwendige Verfahren; es gibt aber auch Verfahren, die schnell gehen. So pauschal mit einer statistischen Durchschnittszahl umzugehen, wird der Sache einfach nicht gerecht. Die Richterinnen und Richterinnen arbeiten unabhängig, und sie arbeiten mit Sorgfalt. Das ist mir lieber, als dass Verfahren schnell abgearbeitet werden und hinterher weitere Verfahren folgen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

In den meisten der abgefragten Bereiche sind die Eingangszahlen noch weitgehend stabil geblieben. Seit 2010 gibt es zwischen den Eingangs- und Erledigungszahlen keine großen Diskrepanzen mehr. In keinem der Bereiche sind die Bestandszahlen explodiert. Die Entwicklung zeichnet sich durchgängig durch eine weitgehende Konstanz aus.

In den wenigen Bereichen, wo es Anstiege bei den Bestandszahlen gab, ist inzwischen reagiert worden. Wir haben schon über die Verwaltungsgerichte geredet. Dort war es unstrittig; inzwischen sind aber schon mehr Verwaltungsrichterstellen geschaffen worden. Auch im Bereich der Wirtschaftskriminalität ist aufgestockt worden. Tun Sie also nicht so, als würde man die Umstände ignorieren und dort nicht handeln, wo Bedarfe bestehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Es gibt zudem Bereiche, in denen die Zahlen rückläufig sind. So betrug beispielsweise 2010 die Anzahl der Eingänge in Ermittlungsverfahren in der Zuständigkeit der Jugendstaatsanwaltschaft Hessen noch 58.981 und sank bis 2016 auf 50.026. Die Zahl der Erledigungen im Jahr 2016 betrug 51.051 und übersteigt damit die Zahl der Eingänge. Es sind also sichtbare Rückgänge zu verzeichnen. Das Gleiche gilt für Familiensachen. An den Amtsgerichten gab es 38.497 Fälle im Bestand; 2017 sind es noch 32.470.

Ich trage das jetzt vor, weil ich bei Ihrer Rede das Gefühl hatte, dass Sie sich nicht so detailliert damit beschäftigt haben; sonst hätten Sie nicht einfach nur Einzelfälle skandalisiert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Die Belastung der Richterinnen und Richter ist unstreitig hoch. Es stimmt aber nicht, dass es keine qualifizierten Leute mehr gibt. Wir sitzen zusammen im Richterwahlausschuss, und in der nächsten Woche haben wir wieder Sitzung. Darin werden wir 45 Neueinstellungen beschließen. Es gibt also immer noch gute Bewerbungen. Die Bewerber sind alle gut geeignet. Sie bewerben sich explizit in der

hessischen Justiz, obwohl sie zuvor vielleicht in großen Rechtsanwaltskanzleien gearbeitet haben oder Ähnliches. Sie wollen jedoch in die hessische Justiz gehen; sie wollen dort unabhängig arbeiten. Sie wissen, dass sie dort eine gute Aufgabe erwartet und dass sie einen guten Job bekommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Bei den Richterinnen und Richtern gibt es auch Bereiche, wo die Zahlen der Eingänge gesunken sind. Im Ordnungswidrigkeitenbereich bei den Amtsgerichten wurden 2010 noch 1.133 Eingänge verzeichnet, im Jahr 2016 waren es nur 1.068. In den Familiensachen – ich habe es schon erwähnt – ist die Belastung deutlich zurückgegangen: von 441 Eingängen im Jahr 2010 auf 385 Eingänge im Jahr 2016.

Was Sie hier skizziert haben, ist also nicht das, was in der Großen Anfrage beantwortet wurde. Es tut mir leid, dass sie nicht Ihren Erwartungen entsprach. Sie ist auf jeden Fall sehr umfangreich und für uns sehr hilfreich, auch in der Argumentation Ihnen gegenüber.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Zu den Vakanzen: Seit 2010 gab es im richterlichen Bereich kaum Vakanzen. In der Regel waren 90 % der Stellen besetzt. Natürlich gibt es die Fälle, in denen Konkurrentenklagen angestrengt werden, bei den Spitzenpositionen, z. B. im Landessozialgericht – Frau Hofmann schaut mich an –; aber auch das sind Einzelfälle. In der Statistik, die Sie abgefragt haben, sind 90 % der Stellen besetzt.

Auch im Bereich der Verzögerungsrügen wäre nicht anzumerken, dass sich die Situation in Hessen überdurchschnittlich darstellte. Noch vor Kurzem hat Oberlandesgerichtspräsident Poseck in einem Interview gesagt, dass bei allen Amtsgerichten in Hessen die Zahl der Rügen bei 50 pro Jahr liege. 50 pro Jahr bei rund 100.000 Fällen – das sind gerade mal 0,05 %. Von den Rügen, die eingereicht werden, sind auch nicht alle berechtigt. Auch in diesem Bereich ist der Versuch, ein Schwarz-Weiß-Bild zu malen und zu vermitteln, die Justiz wäre schlecht aufgestellt, keinesfalls gerechtfertigt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Ich hoffe, ich habe Ihnen deutlich gemacht, dass die Welt nicht so einfach ist, wie Sie sie malen.

(Günter Rudolph (SPD): Nein! Das ist Ihnen nicht gelungen! – Gegenruf von der CDU – Günter Rudolph (SPD): Sie hat mich gefragt, und ich habe geantwortet!)

Ich finde jedenfalls, die Menschen sind in der hessischen Justiz gut aufgehoben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Das Wort hat nun die Ministerin der Justiz. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Große Anfrage – das haben einige Kollegen vorhin schon gesagt – enthielt 140 Fragen und umfasste 93 Seiten Antworten mit vielen Statistiken. Daher teile ich das, was der Kollege Honka und die Kollegin Müller gesagt haben: Frau Kollegin Özgüven, Sie sind als Fragestellerin in Ihrer gesamten Rede auf keinen einzigen Fall aus der Antwort eingegangen, und das bei 140 Fragen und 93 Seiten Antworten.

So etwas habe ich noch nie erlebt. Dass die Antworten auf Ihre Anfrage nicht dem entsprachen, was Sie versucht haben in Ihrer Rede aufzuzeigen, kann ich nicht ändern. Bei so vielen Fragen und so vielen Antworten aber keinen einzigen Satz konkret zu den Antworten zu sagen, das finde ich ziemlich ärmlich für einen Fragesteller. Das muss ich wirklich sagen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD)

Getroffene Hunde bellen, würde ich jetzt mal sagen.