Wenn Sie etwas zu sagen haben, können Sie noch einmal nach vorne kommen, wir haben heute ja noch ein bisschen Redezeit, Herr Bouffier. Ich bin bereit, das heute alles mit Ihnen zu diskutieren, weil wir, so glaube ich, an einem für die weitere Entwicklung sehr substanziellen Punkt sind – übrigens auch, weil Sie offensichtlich bestimmte Bemerkungen nicht verstanden haben; aber dazu komme ich später noch einmal.
Der Ministerpräsident ruft rein, auch das sei überheblich: An dieser Stelle hat er ausdrücklich recht.
Wenn das aber alles so ist und wir möglicherweise nach Auflösungen suchen – ich rede jetzt nicht über den Jamaikateil, weil der mich heute nicht interessiert, das ist eine Frage, die die beteiligten Parteien zu klären haben –, dann werden wir uns einmal anschauen müssen, was denn ansonsten passiert ist. In dem Zusammenhang möchte ich noch einmal auf das Zitat von Frau Merkel zurückkommen.
Sie haben eben ein paar Bemerkungen zur Soli-Vereinbarung gemacht, Herr Ministerpräsident. Es hat uns ja gefreut, dass das Modell, das die Sozialdemokratie entwickelt
hat, auch eine gewisse Rolle gespielt hat. Der entscheidende Punkt aber ist doch – und das ist es, was der FDP Sorge macht –: Genau das haben Sie vor acht Jahren schon einmal im Koalitionsvertrag vereinbart.
Da komme ich einmal an einen Erfahrungshorizont, wenn wir über Respekt reden. Die Erfahrung haben wir doch auch gemacht, dass Sie am Ende die Verträge mit uns gebrochen haben – z. B. beim Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit,
z. B. bei der Entschließung des Deutschen Bundestages über den Fiskalpakt und die parallele Einführung der Finanztransaktionssteuer,
z. B. bei der Revision der Mietpreisbremse, z. B. bei der Bekämpfung von Steuerdumping, bis zu dem Punkt – dafür können Sie allerdings nichts –, dass die bayerische CSU den mühsam erarbeiteten Kompromiss zur Erbschaftsteuer durch Verwaltungshandeln unterlaufen hat. – Das ist die Erfahrung, die wir mit Vertragstreue aus Ihren Reihen haben.
Dazu kommt all die Häme, die Sie in den letzten Jahren bei jeder Gelegenheit in diesem Haus ausgegossen haben, immer getreu dem Motto „Mehrheit ist Wahrheit“, Herr Ministerpräsident.
Solange Sie der „Bestimmer“ sind – so haben Sie sich ja selbst genannt –, ist alles okay. Aber genau das hat mit demokratischem Respekt nichts zu tun, und das werden Sie irgendwann einmal lernen müssen.
In diesem Kontext will ich auch eine Bemerkung an BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN richten, bzw. an meinen Freund Tarek Al-Wazir. Ich habe es gestern schon angedeutet. Wenn der Kollege Al-Wazir am Montag – das ist das zweite Mal in den letzten 24 Monaten, dass das passiert – die SPD, und zwar in klarer Absicht, in eine Reihe der Politikverweigerung mit der AfD stellt – –
(Zurufe von der SPD: Eine unglaubliche Entglei- sung! – Widerspruch der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Ich rede jetzt, Herr Al-Wazir. Sie können gerne auch noch nach vorne kommen. Ich habe heute alle Zeit, für Sie nehme ich mir alle Zeit der Welt.
Es sei bedenklich, dass es – das ist die Reihenfolge, die er ausdrücklich aufgezählt hat – mit AfD, LINKEN, SPD und nun auch der FDP im Bundestag eine Mehrheit von Parteien gebe, die nicht regieren wollten.
(Armin Schwarz (CDU): Das ist doch die Wahrheit! – Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)
Mit Verlaub: In solchen Sätzen gibt es immer zwei Ebenen. Die eine ist die erste Ebene, bei der es darum geht, einen Mechanismus zu beschreiben. Die zweite ist die Einordnung in eine Linie. Ich habe schon genau verstanden – so viel verstehe ich von Sprache –, was damit gemeint ist.
(Widerspruch der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)
Ich bitte Sie inständig darum, Frau Dorn – weil ich weiß, Sie verstehen davon noch mehr als viele andere in diesem Haus –, sensibel an solchen Punkten zu sein, wen Sie in welche Traditionslinie mit wem stellen.
Ich sage Ihnen das in aller Offenheit. Denn wenn alles richtig ist, was man eben über Respekt gehört hat, Herr Ministerpräsident,
dann sind das die Fragen, die entscheiden, ob aus einem Verantwortungsverhältnis wieder ein Vertrauensverhältnis werden kann. Ich habe Ihnen vor eineinhalb Jahren gesagt: Zwischen uns ist es inzwischen andersherum. Es gibt zwischen uns beiden kein Vertrauensverhältnis mehr, es gibt ein Verantwortungsverhältnis. Das haben wir auch an vielen Stellen in diesem Landtag getragen.
Aber die Frage, ob daraus wieder mehr wird, ist keine Frage, die sich nur an uns richtet, und danach, ob Sie die Mehrheit haben. Das spielt auf ganz anderen Ebenen eine Rolle. Wir werden sehen, ob es dazu irgendeine Form von Perspektive gibt.
Damit komme ich zu Ihren wunderbaren Bemerkungen zum Thema Minderheitsregierung. Wer nicht verstanden hat, dass ich gestern versucht habe, Denkblockaden zu überwinden, der hat in der Tat in den letzten Tagen gar nichts begriffen.
Dass wir in einer Art Basisdemokratie im Deutschen Bundestag über eine ganze Periode miteinander in den unterschiedlichsten Konstellationen reden, um weiß Gott was für Mehrheiten hinzubekommen, daran glaubt in der Tat niemand. Aber wer angesichts des Scheiterns von Jamaika am Wochenende in der objektiv schwierigen Situation von österreichischen Verhältnissen nicht anfängt, darüber nachzudenken, ob es andere Optionen zwischen einem simplen und aus meiner Sicht nach wie vor falschen Einfach-weiter-so wie in den letzten vier Jahren oder Neuwahlen gibt, der muss irgendwann einmal anfangen, auch Beispiele zu nennen, was gehen kann.
Ihr Hinweis zu den hessischen Verhältnissen ist natürlich grundfalsch, legt jedoch abermals Ihr Demokratieverständnis zutage.
(Beifall bei der SPD der LINKEN sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos) – Vizepräsident Wolfgang Greilich übernimmt den Vorsitz.)