(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der große Wurf der SPD ist in Wahrheit ein Bumerang! – Gegenruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD): Der Sprücheklopfer aus der ersten Reihe! – Anhaltende Zurufe von der SPD)
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Wenn die GRÜNEN und die Koalition darüber reden, wer was wann vor wenigen Monaten gesagt hat, dann läuft einem schon ein Schaudern über den Rücken. Wenn ich überlege, was Sie vor wenigen Wochen und Monaten über die Beitragsfreistellung gesagt haben – wir hatten ja zwei Gesetzentwürfe dazu –, wenn man das im Protokoll nachlesen würde, die Aussagen des Ministers, der CDU-Fraktion, von Herrn Bocklet,
dann würde man schon eine sehr interessante Entwicklung erkennen können. – So viel zum Thema „Wir lesen mal nach“.
Für meine Fraktion ist ganz klar: Wir brauchen erst einmal ausreichend Plätze. Wenn Sie Familien fragen, wenn Sie Eltern fragen, dann werden die Ihnen sagen: Qualität ist super, Kostenfreiheit ist super. Aber was nutzt mir das ohne einen Platz? – Das hat für uns die oberste Priorität. Jeder, der in Kommunen im Rhein-Main-Gebiet unterwegs war, weiß, dass es dort lichterloh brennt.
In allen Kommunen wird in Kitas investiert, um neue Plätze zu generieren. Der Rechtsanspruch ist da, die Kommunen können verklagt werden. Überall in Hessen entstehen Kitas. Das kann man auch im Haushalt ablesen. Dort kalkulieren Sie mittlerweile mit 4.200 Einrichtungen, vor drei Jahren waren Sie noch bei 3.800 Einrichtungen. Es gibt einen immensen Ausbau. Warum? – Weil es durch die Familien einen gewaltigen Druck gibt, die diese Plätze nachfragen. Also lautet die erste Priorität: Wir brauchen Plätze.
Das steht übrigens auch im Zielsystem des Landeshaushalts, dass man an dieser Stelle eine Priorität setzen will.
Das Zweite, was uns wichtig ist – da sind wir sehr konform mit einigen Inhalten, die im Gesetzentwurf vorgesehen sind – ist die Frage: Wie kann ich die Qualität in den Einrichtungen steigern? Dabei ist der Betreuungsschlüssel ein wichtiges Thema. Dabei spielen die Qualität, die Fortbildung, die Vorbereitungszeit – das ist hier aufgeführt worden – und natürlich auch die Freistellung der Leitung eine wichtige Rolle.
Liebe Freunde von der SPD, wenn Sie einen solchen Vorschlag machen, müssen Sie sich schon etwas mehr Mühe geben, all jenen, die diesen Gesetzentwurf positiv lesen wollen, ganz genau zu erklären, wie Sie auf diese Zahlen gekommen sind. Sie müssen erklären, wie Sie bei der Abschätzung der Kosten genau diese Zahl ermittelt haben.
Ich will es einmal kurz machen: 240 Millionen € – ich habe es heute Mittag schon gesagt – stehen für die Drei- bis Sechsjährigen im Haushalt. In unserer Kommune ist das eine Teilfinanzierung von 10 %, 12 % der realen Kosten, würde ich überschlägig sagen. Wenn es 10 %, 12 %, 15 % der Kosten sind, kommen Sie auf über 2 Milliarden €. Wenn Sie davon 82 % finanzieren, komme ich schon nur im Kitabereich auf ganz andere Zahlen.
Das sind die Zahlen aus dem KFA, die ich gerade genannt habe, die dort zusammengeführt sind. – Dann würde mich sehr interessieren, wie Sie diese Zahlen am Ende berechnet haben. Das sollten Sie noch einmal deutlich machen, weil ansonsten die Seriosität dieser Vorgaben schwer nachzuvollziehen ist.
Sie haben hier auch etwas eingeführt, was der Frage widerspricht, wie wir ausreichend Plätze zur Verfügung stellen können. Wenn Sie allen Trägern überlassen, ob sie 15 oder 25 Kinder in Gruppen unterbringen und das allein die Entscheidung des Trägers ist, wie wollen Sie denn sicherstellen – genau das ist Frage –, dass die Eltern an ihre Betreuungsplätze kommen? Sie haben es ja zu Recht gesagt: Den Rechtsanspruch hat man gegen den Landkreis oder gegen die kreisfreie Stadt. Der Träger ist raus. Der Träger hat ein Interesse an einer sehr guten Betreuung. Aber wir haben das oberste Interesse, ausreichend Plätze zu haben. Wie wollen Sie das sicherstellen?
Ich war während der letzten Wochen in Dutzenden Kitas in unserem Land. Ich habe festgestellt, dass eines der größten Themen vor Ort die Gewinnung von Fachkräften ist. Das ist eines der zentralen Themen, bei dem wir als Land doch etwas tun könnten. Wenn Sie 2020 den Fachkraftschlüssel erhöhen, indem Sie praktisch 20 % Vorbereitungszeit
draufpacken – ich bin nicht dagegen, das zu machen –, wenn Sie das verbindlich machen und nicht einfach sagen, wir finanzieren es, wenn es jemand macht, dann bedeutet das, dass die Betriebsgenehmigungen womöglich nicht mehr ausgesprochen werden können. Das bedeutet, dass Dutzende von Plätzen in der Betreuung wegfallen. Herr Merz, ich frage Sie nur, weil ich ja weiß, in welche Richtung Sie das positiv sehen. Aber das sind Fragen, die Sie in der Debatte noch beantworten müssen und die sicherlich auch in der Anhörung thematisiert werden.
Priorität: Wir brauchen Plätze. Wir brauchen im Ballungsraum Plätze ohne Ende. Und wir kommen investiv kaum hinterher, diese zu schaffen. Das müssten Sie in der Debatte noch einmal auflösen; denn hier sehe ich schon eine Möglichkeit, dass Ihr Gesetzentwurf eine falsche Entwicklung unterstützt.
Ich möchte noch einmal auch für meine Fraktion sagen: Wir werden uns nicht mehr von der bereits kindbezogenen Förderung verabschieden, das ist für uns dauerhaft entschieden.
Wir wollen auf keinen Fall einen erneuten Systemwechsel. Aus meiner Sicht würde das nur Verwirrung bringen.
Wenn Sie sagen, Sie beziehen sich auf reale Personalkosten, bedeutet das, die müssen Sie erheben. Das heißt, wenn Sie wirklich mit realen Kosten und nicht wie Baden-Württemberg mit Pauschalen arbeiten, müssen Sie diese ermitteln. Wo ist denn da der bürokratische Vorteil an Ihrem Gesetz? Das habe ich noch nicht durchschaut, das müssten Sie auch noch einmal darlegen.
Es gibt viele Fragen zu dem Gesetzentwurf, das wird die Anhörung zeigen. Wir haben selbst einen Gesetzentwurf in der Richtung in Vorbereitung. Wir werden natürlich versuchen, die konstruktiven Vorschläge der Anhörung auszuwerten und aufzunehmen. Sie haben auch die Bewertung der Kinder nach Alter übernommen. Auch das muss irgendwie dargestellt, nachgewiesen und kontrolliert werden. Wo Sie jetzt in Ihrem Gesetzentwurf durch die gruppenbezogene Förderung wirklich so deutlich entlasten, das erscheint mir auch noch nicht nachvollziehbar.
Ich habe es mir einmal in Baden-Württemberg angesehen: Ich würde mir auch einmal die Zahlen ansehen, was die Freistellung der Leitung kosten würde. Da sind wir gleich bei 200, 300 Millionen €. Da sind wir in ganz anderen Dimensionen, wenn Sie die tatsächlich zur Verfügung stellen wollen. Bei der Finanzierung und beim Durchrechnen dessen, was Sie hier tun, sind wir sehr an den wirtschaftlichen Berechnungen interessiert, die Sie dort zugrunde legen. Wir haben uns nämlich vorgenommen: Wir wollen erst ausreichend Plätze, wir wollen eine sehr gute Qualität, und wenn das gewährleistet ist, dann wollen wir die Kostenfreiheit.
Warum wollen wir nicht alles gleichzeitig? – Weil wir nicht sehen können, wie sich alles gleichzeitig finanzieren
Wir sind bei einem Gesetzentwurf, Herr Staatsminister, nicht mehr beim Haushalt. – Das Wort hat Herr Staatsminister Grüttner.
Ich weise darauf hin, dass er sich gemeldet hat, bevor ich mich zu Wort gemeldet habe. Ich gehe dann davon aus, dass er auch auf die Wortmeldungen davor Bezug nimmt. – Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Thema ist sichtlich ein Thema, das einer intensiven Diskussion bedarf, und zwar in den unterschiedlichsten Facetten, die dabei eine Rolle spielen.
Herr Bocklet hat auf Drucks. 19/3067 vom 26. Januar 2016 Bezug genommen. Das war der Gesetzentwurf der SPD zur Beitragsfreistellung von fünf Stunden im zweiten Kindergartenjahr – und nicht mehr. Jetzt sind eineinhalb Jahre vergangen, und wir reden über einen Gesetzentwurf der SPD im Hinblick auf die Beitrags- und Gebührenfreiheit nicht nur im zweiten Kindergartenjahr, sondern vom Krippenjahr an, plus die gesamte Leitungsfreistellung, die er in den Blick genommen hat.
Ich weiß gar nicht, wie ich das bewerten soll. Die Fragestellung der Beitragsfreiheit frühkindlicher Bildung ist sicherlich ein Thema, das uns alle beschäftigt und das uns alle unter gewissen Gesichtspunkten dazu bringt, die richtigen Wege zu finden, um Eltern und anderen Hilfestellung zu leisten. Aber an dieser Stelle unter dem Gesichtspunkt von Beitragsfreistellung, Leitungsfreistellung, pädagogischen Zeiten und vielem anderen mehr das Füllhorn auszuschütten, das weist nicht unbedingt in eine solide politische Richtung.
Wir reden hier über Maßnahmen, die nicht nur unter finanziellen Gesichtspunkten unverantwortlich sind, sondern auch mit Blick auf die Trägerinnen und Träger von Kindertagesstätteneinrichtungen. Wir haben uns vor einiger Zeit sehr bewusst entschieden, von der gruppenbezogenen Förderung auf die kindbezogene Förderung umzusteigen, unter dem Gesichtspunkt „Geld folgt Kind“. Dies alles wird durch diesen SPD-Entwurf ad absurdum geführt.
Das heißt, bei maximal 25 Kindern pro Gruppe bedeutet dies ab 26 Kindern die zweite Gruppe und damit eine Vollfinanzierung.
Wenn ich Träger bin – Träger sind nun einmal diejenigen, die das Beste für ihre Einrichtungen und für alle wollen, die sie betreuen –, dann lese ich den Gesetzentwurf und sa
ge: minimal 15 Kinder. Ich gehe von einer dreigruppigen Kindertagesstätte mit jeweils 25 Kindern pro Gruppe aus, also 75 Kindern. Dann kann ich in Zukunft aus drei Gruppen fünf Gruppen à 15 Kinder machen. Ich kann an dieser Stelle den Fachkraftschlüssel von sechs Personen plus Ausfallzeiten auf zehn Personen plus Ausfallzeiten erhöhen. Selbstverständlich kann ich das. Selbstverständlich kann ich das nach diesem Gesetzentwurf tun.
Ich weiß gar nicht, wie ich die Fachkräfte bekomme. Ich weiß nur eines: Wenn ich als Land einer kommunalen Pflichtaufgabe einen Freibrief gebe, alles zu tun, was man möchte, wird es letztlich dazu führen, dass man es tut. Das hat nichts mehr mit Qualität zu tun, und es hat nichts mehr mit Verantwortlichkeit zu tun.
Was mich die gesamte Zeit beschäftigt, seitdem ich den SPD-Gesetzentwurf gelesen habe, ist die Tatsache: Alle Verantwortlichkeit für die Kinderbetreuung, die kommunale Pflichtaufgabe ist, wird verlagert von der kommunalen Seite aufs Land. Diese Frage müssen wir ernsthaft diskutieren.
Nein, nicht zwei Drittel; denn Sie ziehen keine Grenze ein. Wenn wir die Statistik – deswegen sage ich das mit Zahlen – von 2015 zu Rate ziehen, die letzte reale Statistik, dann sind es 2,4 Milliarden € für die Kinderbetreuung. Herr Schmitt bestätigt diese Zahl. Dann bedeutet das bei zwei Dritteln – 75 % sind 1,8 Millionen €, davon 80 % – 1,4 Milliarden €.