Protokoll der Sitzung vom 14.12.2017

Meine Damen und Herren, diese Aussagen beschreiben einmal mehr die Aufgaben und Herausforderungen, die insbesondere im Grundschulbereich bewältigt werden müssen. Diese Ergebnisse zeigen auch, dass sich zwar die Leseleistungen nicht signifikant verschlechtert haben, sondern im Durchschnitt stabil sind und ungefähr das europäische Mittel treffen. Aber damit können wir uns – da sollten wir uns einig sein – nicht zufriedengeben.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Christoph Degen (SPD))

Nein, wir müssen jede Anstrengung unternehmen, um Kinder und Jugendliche für das Lesen zu begeistern und sie entsprechend zu befähigen. Diese wichtigen Grundlagen werden bekanntlich ganz am Anfang gelegt; und diese Debatte ist durchaus in das einzuordnen, was wir in den letzten Tagen sowie heute früh diskutiert haben. Das beginnt ganz am Anfang; das beginnt mit dem Vorlesen. Es beginnt mit dem Anschauen von Bilderbüchern, mit den Erläuterungen, die den Kindern die Lebenswelt erklären und Fragen beantworten. Diese Anstrengungen dürfen nicht enden. Eines sage ich auch sehr deutlich: Hier sind in allererster Linie die Eltern und Familien gefordert.

Aber wir dürfen die Augen auch nicht vor der Lebenswirklichkeit verschließen. Nicht ohne Grund gibt es die Initiative der Stiftung Lesen. Viele von uns, sowohl aus den Reihen der Abgeordneten als auch der Regierung, nehmen an den Vorlesetagen teil; und wir erkennen an, dass die Fundamente neben dem Elternhaus bereits in den Kindertagesstätten gelegt werden.

(Beifall bei der FDP)

Gerade deswegen muss dem Thema frühkindliche Bildung viel mehr Bedeutung zukommen als bisher. Aber auch im Bereich der Grundschulen, die daran anschließen, beschäftigt uns dieses Thema seit geraumer Zeit, wenn ich an die Debatten über eine oder mehrere Schreiblernmethoden oder den Grundwortschatz denke und daran, dass mangelnde Rechtschreibkenntnisse und das Verlorengehen der Handschrift beklagt werden.

Auch wurde in diesen Diskussionen deutlich, dass die Grundlagen zwar in den Kernfächern gelegt werden, die Vermittlung von Rechtschreibkompetenz aber darüber hinaus in allen Fächern, in allen Bildungsgängen und auf die gesamte Schullaufbahn bezogen gewährleistet sein muss. Unstreitig ist aber bei all dem, worüber wir diskutieren – zumindest sollte es unstreitig sein –, dass die Anfänge am wichtigsten sind; und deshalb muss das zentrale Augenmerk dort liegen. Wir werden nicht locker lassen, darauf hinzuweisen. Wir werden auch versuchen, Sie zu bewegen, uns auf diesem Weg zu unterstützen.

Diese Notwendigkeit wird auch klar, wenn man die wichtigen Einzelergebnisse der Studie betrachtet:

Erstens zeigt sich, dass die Leistungen deutlich heterogener ausfallen als noch im Jahr 2001.

Zweiter Punkt. Der Anteil der im Lesen leistungsstarken Schülerinnen und Schüler ist sogar deutlich gestiegen, von

8,6 % im Jahr 2001 auf 11,1 % im Jahr 2016. Gleichzeitig ist aber auch der Anteil der im Lesen leistungsschwachen Viertklässlerinnen und Viertklässler von 16,9 % im Jahr 2001 auf beängstigende 18,9 % im Jahr 2016 gestiegen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier geht die Schere auseinander, das müssen wir ändern.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Dazu passt die dritte wichtige Feststellung, die zitiere ich noch einmal, zumal sie heute auch schon eine Rolle gespielt hat:

Gemessen an der Anzahl der Bücher im Haushalt und dem Berufsstatus der Eltern gehört Deutschland weiterhin zu den Staaten, in denen die sozial bedingten Leistungsunterschiede am höchsten ausfallen.

(Heike Hofmann (SPD): Hört, hört!)

Herr Kollege Schwarz, das ist eine Feststellung dieser Studie. Es war auch keine Forderung von Herrn Degen – wie haben Sie es genannt? –, eine Bücherquote einzuführen. Es handelt sich um eine Feststellung. Das liegt doch auch auf der Hand: Da, wo mehr Bücher vorhanden sind, wo mehr gelesen, wird natürlich auch die Lesekompetenz stärker gefördert. Wir müssen das Lesen fördern und nicht eine Bücherquote einführen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Wenn wir das feststellen, dann stellen wir fest – das hat auch der heutige Vormittag wieder gezeigt –, dass wir die Debatten teilweise auf einer Metaebene führen, die nicht dazu beiträgt, diese Problemlagen zu verringern.

Was wir brauchen, sind die besten Lehrkräfte und die besten pädagogischen Fachkräfte, um die notwendige individuelle Unterstützung und Förderung umzusetzen. Die Sprachförderung, das Wecken von Begeisterung für das Lesen – damit ist nicht nur das selbstständige Lesen, sondern auch seine Vorläufer gemeint, ich habe es vorhin schon mal erwähnt: Bilderbücher anschauen, Bilder verstehen, Zusammenhänge verstehen –, das alles gehört zusammen, und dazu gehört auch die alltagsintegrierte Sprachförderung.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ich sage es noch einmal und verweise auf mehrere Reden des Kollegen Rock zu diesem Thema: Es darf nicht an der Qualität gespart werden. Das ist der entscheidende Punkt. Die Qualität ist das, worum es geht. Es geht dabei um nichts anderes als Chancengerechtigkeit, die für uns alle im Vordergrund steht.

(Beifall bei der FDP)

Abschließend will ich noch ein paar Worte zum SPD-Antrag sagen. Er greift einige wichtige Punkte hierzu auf, insbesondere in Bezug auf die individuelle Betrachtung und Unterstützung, das sind die Punkte 1 und 2 des Antrags. Unter Punkt 9 wird die notwendige Arbeit in multiprofessionellen Teams erwähnt, darüber diskutieren wir häufiger. In Punkt 10 des Antrages geht es um die Anerkennung der veränderten Aufgaben von Schulleitungen. Wie ich eben lesen durfte, hat das Kultusministerium dazu auch noch erheblichen Nachholbedarf. Das Gutachten zur Belastung der Schulleitungen wurde in einer sehr eigenwilligen, zurückhaltenden, ministeriumsgerechten Art interpretiert. Dazu werden wir noch mehr zu diskutieren haben.

Es gibt andere Punkte in dem SPD-Antrag, beispielsweise die Kostenfreiheit bis zur Hochschule und bis zum Meister, da kann man schon überlegen, ob nicht das eine oder andere zu weit geht. Das ist eine vertiefte separate Diskussion wert, die wir an anderer Stelle führen sollten.

An verschiedenen anderen Stellen schießt der SPD-Antrag weit über das Ziel hinaus, sodass wir uns im Endeffekt wohl enthalten werden.

Zum Stichwort Ganztagsangebote. Wir unterstützen Ganztagsangebote da, wo sie gewünscht werden, nicht pauschal und zwangsbeglückend. Ich bin mir allerdings sehr sicher: Je mehr Ganztagsangebote wir machen können, und zwar je mehr echte Ganztagsangebote wir machen werden, desto mehr werden die Eltern verlangen, dass es diese Angebote gibt. Wir brauchen nicht über Zwang zu reden, das wird freiwillig angenommen werden.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Gerade auch mit Blick auf die Nachmittagsbetreuung der Grundschulkinder dürfen wir die Chancengerechtigkeit nicht außer Acht lassen. Viele Kinder bedürfen einer Unterstützung, die manche Elternhäuser nicht gewährleisten können. Deshalb muss auch hier die Gewährleistung von Qualität im Vordergrund stehen. Da brauchen wir noch ganz große Kraftanstrengungen, um echte Ganztagsangebote zu gewährleisten.

Herr May hat gemeint, er müsse hier noch einmal eine Lanze für den Pakt für den Nachmittag brechen. Ich habe nichts gegen den Pakt für den Nachmittag als Übergangslösung. Was wir aber brauchen – darüber sind wir uns hoffentlich einig und müssen keine unnötigen Gräben aufmachen –, ist, dass wir, wenn wir etwas erreichen wollen, mehr bieten müssen als nur Betreuung und Aufbewahrung; dann muss etwas Pädagogisches angeboten werden.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Ich komme zum Schluss noch einmal zurück auf die Pressemitteilung aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung. Sie schließt mit folgender Einschätzung, der sich wohl viele anschließen können, die die Zukunft der Kinder und der Jugendlichen in den Blick nehmen wollen:

Besonders wichtig ist, dass Lehrerinnen und Lehrer mehr gesellschaftliche Wertschätzung erfahren, vor allem im Grundschulbereich. Wir müssen die Lehrkräfte so gut wie möglich ausbilden und auf die neuen gesellschaftlichen Herausforderungen vorbereiten. Der Unterricht ist heute anspruchsvoller als früher, weil die Vielfalt in den Grundschulen größer geworden ist. Außerdem müssen die Eltern konsequent einbezogen werden. Nur so können sie ihre Kinder wirksam unterstützen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieser Bewertung schließen wir uns an.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank. – Das Wort hat Staatsminister Lorz.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der heutige Setzpunkt der SPD gibt eine gute Gelegenheit, im An

schluss an die gestrige Haushaltsdebatte noch einen Punkt zu vertiefen. Interessanterweise handelt es sich um einen Punkt, den Landesregierung und Opposition gleichermaßen zum Schwerpunkt ihrer bildungspolitischen Investitionen erklärt haben. Im Falle der Regierung handelt es sich um tatsächliche Investitionen, im Falle der Opposition um versprochene, aber das liegt in der Natur der Sache.

Wir reden von den Ganztagsschulen und ihrem möglichen Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit. Ich habe sehr wohl wahrgenommen, dass der Abg. Greilich dazu nicht sprechen wollte. Er hat ein ganz anderes Thema aufgemacht, das ich auch sehr gut und spannend finde. Ich lade Sie herzlich ein, es in einer anderen Sitzung des Plenums aufzurufen. Ich finde, es ist gut, wenn wir uns in diesem Haus auch einmal mit Leseförderkonzepten beschäftigen. Ich will mich aber jetzt auf den Antrag der SPD konzentrieren.

Der Antrag der SPD ist deswegen interessant, weil man sich schon die Frage stellen kann: Wenn sich alle Fraktionen dieses Hauses gemeinsam zum Ausbau der ganztägigen Beschulung bekennen, warum macht es dann die größte Oppositionsfraktion ein Jahr vor der Landtagswahl zum Setzpunkt? – Ganz offensichtlich, weil sie Wert auf die Unterschiede in der Vorgehensweise legt. Ich will Ihnen dabei gern behilflich sein, diese Unterschiede noch etwas deutlicher zu machen.

Wir wollen uns zunächst einmal eine etwas genauere Faktenbasis verschaffen. Es ist schon viel auf die Studien rekurriert worden, deswegen fange ich jetzt auch mit den Studien an, nämlich mit der IGLU-Studie zur Lesekompetenz, die uns allen – wir haben alle Pressemitteilungen dazu formuliert – Stoff zum Nachdenken und Anlass zum Handeln bietet. Meine Damen und Herren, es sind aber nicht die verpflichtenden Ganztagsschulsysteme, die in den letzten Jahren in dieser Studie an uns vorbeigezogen wären. Das Beispiel Frankreich wurde nicht ohne Grund genannt. Es ist der Inbegriff eines zentralistischen Systems und eines Systems, das seit vielen Jahrzehnten von frühester Kindheit an auf ein ganztägiges Bildungs- und Betreuungssystem setzt.

Herr Abg. Schwarz hat die Jugendarbeitslosigkeit zitiert, so weit müssen wir aber gar nicht gehen. Wir müssen eigentlich nur in die IGLU-Studie selbst schauen. Frankreich ist das große Industrieland, das in dieser Studie weit abgeschlagen hinter uns liegt. Das belegt zumindest zweierlei. Erstens, dass Zentralismus nicht zwangsläufig zu besseren Ergebnissen führt – so viel zum Thema Abschaffung des sogenannten Kooperationsverbots.

(Beifall bei der CDU)

Zweitens gibt es auch keinen Automatismus nach dem Motto: Je länger die Kinder tagsüber in der Schule sind, umso besser sind ihre schulischen Leistungen.

(Beifall bei der CDU – Zuruf der Abg. Heike Hof- mann (SPD))

Meine Damen und Herren, deswegen ist die andere Studie, die nur wenige Wochen davor herauskam, der IQB-Bildungstrend, wesentlich aufschlussreicher. Da Sie immer so gerne die Vergleiche mit den anderen Bundesländern nehmen, schauen wir uns diesen Bildungstrend etwas näher an, weil er solche Vergleiche zwischen den Bundesländern erlaubt. Und siehe da, wenn wir auf die Ergebnisse zu den Lesekompetenzen schauen, dann gehört Hessen innerhalb Deutschlands in die Spitzengruppe der Bundesländer.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben nämlich, entgegen dem allgemeinen Trend, die Lesekompetenzen bei unseren Viertklässlern steigern können, und zwar insgesamt um sechs Punkte. Wenn wir jetzt beispielsweise Baden-Württemberg und Niedersachsen nehmen – das sind die beiden Referenzländer, die auch von den Autoren des IQB-Bildungstrends immer herangezogen werden, weil sie von den Parametern her mit Hessen am besten vergleichbar sind –: Da ist die Lesekompetenz der Viertklässler im gleichen Zeitraum jeweils um 13 Punkte zurückgegangen.

Das sind die Ergebnisse der letzten Jahre, in denen dort sozialdemokratische Kultusminister die Verantwortung getragen haben.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Jürgen Frömm- rich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

So viel zu dem Thema: Auch Bildungsgerechtigkeit muss man nicht nur wollen, sondern auch können.

(Nancy Faeser (SPD): Und wer regiert in Hamburg?)