Protokoll der Sitzung vom 23.05.2018

Vielen Dank. – Als Nächste spricht Kollegin Heitland, CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Hessen verfügt über ein hohes Maß an Wohlstand und sozialer Sicherheit. Zwar können wir darauf durchaus stolz sein, doch der Anspruch und die Zielsetzung der schwarz-grünen Landesregierung gehen über dieses hohe Maß hinaus. Auch wenn die große Mehrheit der Menschen in Hessen eine sehr hohe Lebensqualität genießt, gibt es leider auch bei uns Menschen, die nicht oder nur in sehr begrenztem Umfang am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, in Armut leben oder von dieser bedroht sind.

Um unserem selbst gesteckten Ziel, Armut mit allen Kräften zu bekämpfen und soziale und gesellschaftliche Teilhabe zu fördern, gerecht zu werden, ist es unbedingt notwendig, noch vorhandene Aufgaben zu identifizieren und zu analysieren.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich freue mich daher, dass die Landesregierung den zweiten Hessischen Landessozialbericht vorgelegt hat. Die darin enthaltenen Daten sind eine wichtige Grundlage für zukünftige sozialpolitische Entscheidungen. Es ist anzuerkennen, dass die soziale Situation in Hessen gut beobachtet und detailliert dokumentiert wird. Nur durch einen solch guten Überblick über Problemstellungen und Entwicklungen kann effiziente und zielgerichtete Sozialpolitik gemacht werden.

Im Fokus des zweiten Landessozialberichtes steht insbesondere die Kinderarmut. Untersucht wurden Armutsrisiken im Zusammenhang von Lebenslagen und Teilhabemöglichkeiten in den Bereichen Bildung, Erwerbstätigkeit, Gesundheit, Wohnen und Partizipation. Es ist ein zentrales Anliegen der schwarz-grünen Landesregierung, allen Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, frei von Armut aufzuwachsen; denn Armut und Armutsgefähr

dung sind ein wesentliches Risiko für die Teilhabe- und Verwirklichungschancen junger Menschen.

Der bedeutendste Risikofaktor für die Armutsgefährdung von Kindern und Jugendlichen ist allerdings die fehlende oder unzureichende Erwerbsbeteiligung der Eltern. Daher bedeutet das in den meisten Fällen: Kinderarmut gleich Familienarmut. Folglich ist insbesondere die Gewährleistung sozialversicherungspflichtiger Erwerbstätigkeit für alle Menschen in Hessen und damit für die Reduktion des Armutsrisikos ein Kernpunkt der schwarz-grünen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Rechnung getragen wird diesem Anliegen bereits heute durch Maßnahmen und Initiativen wie beispielsweise das Ausbildungs- und Qualifizierungsbudget als regionale Arbeitsmarktförderung zur Integration benachteiligter Menschen im Ausbildung- und Arbeitsmarkt, das Langzeitarbeitslosenprogramm, durch welches Menschen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen können, sich aber parallel auch praxisnah weiterqualifizieren können, der Hessische Lohnatlas, „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, das Hessische Sozialbudget, welches 2019 auf 118,5 Millionen € erhöht wird und somit auch Kommunen, Verbände und Institutionen in der Sozialpolitik unterstützt.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Darüber hinaus kommt es zum 1. August zur Beitragsfreistellung für die Kindergartenbetreuung, was Familien in Hessen bis zu 5.000 € pro Kind in den drei Jahren entlastet. Aber auch schon heute besuchen Kinder aus sozial schwachen Familien unsere Einrichtungen gebührenfrei. Hinzu kommt die Schaffung einer Bildungs- und Betreuungsgarantie für Grundschulkinder in Form des Paktes für den Nachmittag, wodurch die zeitliche Flexibilität von Eltern zur Verfolgung von beruflichen Zielen gewährleistet wird. Schließlich gibt es umfangreiche Maßnahmen in den Bereichen Familie und Beruf. Wir haben den flächendeckenden Ausbau von Familienzentren installiert. Auch das Unterhaltsvorschussgesetz trägt zur Verbesserung und Erleichterung der Situation von alleinerziehenden Müttern und Vätern bei, um nur einige Beispiele zu nennen.

Die hohe Effizienz der schwarz-grünen Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik lässt sich übrigens unzweifelhaft auch an der Beschäftigungsentwicklung in Hessen ablesen. Im Februar 2018 – wir haben das auch an anderer Stelle schon häufig gehört – gab es mehr als 2,5 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Parallel dazu besteht eine historisch niedrige Arbeitslosenquote von 4,7 % im April 2018. Damit liegt Hessen auf Platz vier im Ländervergleich.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das alles sorgt für neue und stabile Beschäftigung und trägt dazu bei, Familien aus der Armut zu führen. Selbstverständlich ist es eine wichtige Aufgabe, das hohe Maß an Wohlstand und Sicherheit, über welches wir in Hessen verfügen, zu schützen und zu vergrößern. Wir intervenieren daher auch in weiteren Bereichen, insbesondere im sozialen Wohnungsbau sowie in der Aus- und Schulbildung.

Durch das Wohnraumfördergesetz haben wir die Förderung des sozialen Wohnungsbaus gut aufgestellt. Das be

deutet: In der laufenden Legislaturperiode stellen wir insgesamt 1,7 Milliarden € an Fördermitteln für den Wohnungsbau bereit. So werden wir zusätzlich Wohnraum für etwa 35.000 Menschen schaffen können. Die Mittel für unser Städtebauprogramm haben wir jetzt fast verdreifacht auf rund 100 Millionen € pro Jahr.

Damit komme ich zur Aus- und Schulbildung. Um Armut vorzubeugen und Teilhabe zu ermöglichen, ist diese bekanntermaßen ein Schlüsselelement. Nicht umsonst leistet Hessen daher Rekordinvestitionen in den Bildungsbereich. In keinem anderen Flächenland sind die Pro-Kopf-Investitionen in Bildung höher als in Hessen. Allein in den elf Jahren von 2005 bis 2016 sind die Bildungsausgaben in Hessen um 56 % gestiegen. Das ist der Spitzenwert aller 16 Bundesländer.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, trotz steigender Schülerzahlen und einer durch Migrationsbewegungen herausfordernden Situation gewährleisten wir in Hessen eine Lehrerversorgung von 105 % im Landesdurchschnitt – ein von anderen Bundesländern unerreichter Wert.

Speziell für Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen Familien ist die Finanzierung der Teilhabe an Veranstaltungen und Ausflügen im Schulalltag häufig eine Herausforderung. Mit dem Bildungs- und Teilhabepaket machen wir das Mitmachen möglich. Kinder und Jugendliche, deren Eltern bestimmte Sozialleistungen beziehen oder ein geringes Einkommen haben, erhalten Zugang zu schulischen und außerschulischen Bildungsangeboten, um am Leben in der Gemeinschaft teilhaben zu können. Unterstützt werden die Finanzierung von Klassenfahrten, Ausflügen, die Beschaffung von Schulbedarf, Beförderungskosten sowie die Finanzierung von Nachhilfestunden, Mittagessen und Mitgliedsbeiträgen an Vereine. Eine ergänzende Hilfestellung ist dann noch die Familienkarte Hessen, die inzwischen von 110.000 hessischen Familien genutzt wird.

Wie bereits erläutert, stellt die Erwerbstätigkeit den wichtigsten Faktor in der Armutsprävention dar. Deshalb engagieren wir uns hier, den Übergang von der Schule zur Ausbildung für junge Menschen zu verbessern und zu vereinfachen. So soll in Hessen möglichst kein ausbildungswilliger Jugendlicher mehr ohne Ausbildungsplatz bleiben.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich muss mich kurz fassen, weil die Zeit fehlt. – Um der Politik der Armutsvermeidung und Partizipationsförderung noch weiteren Nachdruck zu verleihen, hat die Hessische Landesregierung eine Beauftragte für Kinder- und Jugendrechte berufen. Sie kümmert sich als zentrale Ansprechpartnerin für Kinder und Jugendliche in Hessen um Anfragen und Anliegen rund um das Thema Kinder- und Jugendrechte. Außerdem verhilft sie ihnen dazu, ihre Rechte umzusetzen. Sie setzt sich für landesweite Bekanntmachungen und die Stärkung der Rechte von Kindern und Jugendlichen im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention ein.

Meine Damen und Herren, die Kollegin Ravensburg und ich haben an mehreren Foren teilgenommen und haben mit den Kindern gesprochen. Das ist ein Element, das greift und entsprechende Wirkung zeigt.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Vizepräsidentin Ursula Hammann über- nimmt den Vorsitz.)

Gesprochen wurde dort vor allem über individuelle Bedürfnisse, Problemstellungen und die reale Lebenssituation. So werden schließlich Handlungsempfehlungen an die Politik kommuniziert, und eine Basis für Diskurs und Entwicklung wird geschaffen.

Auf der Grundlage dieser Initiative und weiterer Initiativen soll unter Leitung der Beauftragten für Kinder und Jugendrechte eine Kinder- und Jugendrechtscharta für Hessen erarbeitet werden. Auch das wird zur Problemlösung beitragen.

Der schwarz-grünen Landesregierung ist mehr als bewusst, dass soziale Verantwortung und ihre Umsetzung in die Tat durch politische Weichenstellungen das Rückgrat einer Gesellschaft sind. Sozialer Ausgleich hält die Gesellschaft zusammen. In den Zeiten der Globalisierung, des demografischen Wandels und der grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen, die sich vollziehen, kommt der Sozialpolitik als Bindemittel eine wachsende Bedeutung zu, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der zweite Hessische Landessozialbericht stellt die Grundlage für eine evidenzbasierte und weiterhin vorausschauende Sozialpolitik in Hessen dar, auf die zukünftige Maßnahmen der Armutsbekämpfung und Prävention aufgebaut werden können.

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.

Die letzten beiden Sätze. – Um Armut und soziale Ausgrenzung zu verhindern bzw. zu verringern und um Menschen in Notlagen bzw. in schwierigen Lebenssituationen zu beraten und zu unterstützen, führen wir bereits eine Fülle von Programmen und Maßnahmen durch. Neben den bereits bestehenden vielfältigen genannten Projekten und Programmen in den Bereichen Teilhabe, Jugendschutz sowie Aus- und Schulbildung

Frau Kollegin, bitte.

werden wir uns weiterhin erfolgreich dafür einsetzen, Kinder vor Vernachlässigung, Gewalt und Armut zu schützen.

(Günter Rudolph (SPD): Man muss nicht alles ablesen, was aufgeschrieben ist!)

Das hat für uns oberste Priorität. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Heitland. Ich habe noch nie zwei so lange Sätze gehört.

(Günter Rudolph (SPD): Das machen wir jetzt alle so!)

Als nächsten Redner rufe ich Kollegen Rock von der FDPFraktion auf. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Wir reden heute über den Landessozialbericht. Der Landessozialbericht hat einen Wert an sich. Er ist gemeinsam im Hessischen Landtag beschlossen worden, weil es uns hier wichtig war, die sozialen Lebenslagen in unserem Land zu kennen, statistisch zu erfassen und daraus Handlungen abzuleiten.

Ich bin froh, dass dieser Landessozialbericht „Landessozialbericht“ heißt und nicht einfach nur „Armuts- und Reichtumsbericht“, wie die Sozialberichterstattung in vielen anderen Ländern und auch im Bund heißt. Warum bin ich froh? – Ich habe den Eindruck, dass sich in unserer Gesellschaft vieles nur noch um die Spaltung der Gesellschaft dreht und nicht um das, was diese Gesellschaft zusammenhält. Wir diskutieren über „arm und reich“, über „gut und böse“, über „Kreuz und kein Kreuz“. Wir müssen jedoch viel stärker das herausstellen, was uns zusammenhält. Sicherlich hält uns die Solidarität in der Gesellschaft zusammen. Darum ist ein Landessozialbericht eine spannende Lektüre für jeden, der sich darüber Gedanken macht.

Liebe Frau Schott, wenn man sich einen solchen Landessozialbericht ansieht, durchliest und versucht, ihn analytisch auszuwerten, kann man zu Schlüssen kommen. Dann kann man etwas ableiten. Wenn man einen Landessozialbericht aber nur liest, damit man seine vorhandenen Wahrheiten belegt sieht, und nur die Dinge zitiert, die einem wichtig sind, um seine bekannten Wahrheiten rezitieren zu können, macht ein Landessozialbericht eigentlich keinen Sinn. Dann schreiben Sie Ihre Anträge wie immer, aber lassen Sie den Bezug zum Landessozialbericht einfach mal außen vor.

(Beifall bei der FDP und Abgeordneten der CDU)

Darin sind nämlich auch Sätze zu finden, die sich ganz interessant lesen. Aber wenn man sich hierhin stellt und sagt, dass, wenn die Gesellschaft, die Gemeinschaft, der Gesetzgeber, der Bundestag von jemandem, der unsere Solidarität in Anspruch nimmt, von jemandem, der von Transferleistungen lebt, also Leistungen nach Sozialgesetzbuch II bzw. Hartz IV bekommt, abverlangt, dass er, wenn er arbeiten kann, auch eine angemessene Arbeit annimmt – – Wenn Sie diese Herausforderung, dass wir als Gesellschaft sagen, dass jemand, der arbeiten kann und ein Jobangebot hat, dieses bitte annehmen möge, anstatt Transferzahlungen zu bekommen, als Zwangsarbeit diskreditieren, muss ich leider sagen: Diese Diskussion will ich gar nicht mehr mit Ihnen führen, weil ich ein anderes Bild habe.

(Beifall bei der FDP und der CDU sowie des Minis- ters Stefan Grüttner)

Solidarität ist nicht einfach ein gesetzlicher Anspruch, sondern Solidarität ist etwas, was man in Anspruch nehmen kann. Aber wenn man es nicht braucht, sollte man versu

chen, sein Leben ohne diese Solidarität in den Griff zu bekommen.

Ich will auf Seite 220 des Landessozialberichts hinweisen. Dort ist z. B. ausgeführt, dass Handlungsansätze, die sich nur auf die materielle Lage beschränken, sogar den Zustand sozialer Ausgrenzung verstetigen können. Es geht eben darum, Handlungsstränge zu entwickeln, die Teilhabe besser organisieren können und die auch dazu führen, dass man aus dauerhafter Armut herausgeführt wird.

Liebe Kollegin Heitland von der CDU, da bin ich ein bisschen irritiert.