Protokoll der Sitzung vom 23.08.2018

Weitere Verbesserungen zu dem, was ich bereits genannt habe, versprechen wir uns durch die Handlungsempfehlungen, auf die wir uns verständigt haben. Die Regierungskoalition hat 70 konstruktive Vorschläge unterbreitet – von der Aktenführung im Landesamt über die Einstufungspraxis bis hin zur Personalauswahl.

Die geleistete Arbeit in diesem Untersuchungsausschuss war wichtig und daher auch gut investiert. Dies sage ich hier sehr deutlich; denn der Vorwurf der Opposition, wir hätten den Untersuchungsausschuss verhindern wollen, war und ist schlichtweg falsch.

Erstens. Wir haben nicht gegen die Einsetzung des Untersuchungsausschusses gestimmt, sondern uns, wie auch die Oppositionsfraktion FDP, der Stimme enthalten.

Zweitens. Die damalige Stimmenthaltung war einzig und allein dem unpräzisen, übereilten und in Teilen populistischen Einsetzungsantrag der SPD-Fraktion geschuldet.

Drittens. Herr Schäfer-Gümbel, davon abgesehen war vor allem die SPD-Fraktion, als sie noch Hoffnung auf Regierungsverantwortung hatte, gegen die Einsetzung eines solchen Untersuchungsausschusses.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das ist falsch!)

Der damalige und heutige Fraktionsvorsitzende SchäferGümbel hat hier an diesem Pult die ablehnende Haltung der SPD-Fraktion zu einem Untersuchungsausschuss klar definiert. Auch das gehört zur Wahrheit dazu.

Viertens. Wahr ist auch, dass wir von der ersten Minute an konstruktiv mitgearbeitet haben, beispielsweise als es darum ging, den Beweisantrag der SPD-Fraktion auf Aktenbeiziehung rechtlich vollziehbar zu machen. Dass das notwendig war, zeigten die vielen Meldungen der Bundesund Landesbehörden wegen des fehlenden Konkretisierungsgrades dieses Einsetzungsbeschlusses.

Fünftens. Ich sage das, ob Sie es hören wollen oder nicht. Die Wahrheit ist: Wir haben für eine handelbare Arbeit gesorgt und dies auch gerne getan. Ich erinnere nur stichpunktartig daran: Die Präzisierung des fehlerhaften Einsetzungsbeschlusses war notwendig. Das hat übrigens wertvolle Zeit gekostet. Es gab die einvernehmliche, von uns erarbeitete Grobstruktur. Ich erinnere an unseren Vorschlag, einen Ermittlungsbeauftragten zur bundesweiten Sichtung und Zusammenstellung der Akten einzusetzen. Ich erinnere an das sogenannte Wiesbadener Verfahren, bei dem alle Akten völlig ungeschwärzt im Landtag mithilfe von Mitarbeitern des Landesamtes für Verfassungsschutz eingesehen werden konnten.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Das war ein unpraktikables Verfahren!)

So etwas hat es in keinem anderen Untersuchungsausschuss in Deutschland gegeben. Das ist deutlich weitergehend als das oft zitierte und gelobte Treptow-Verfahren in Berlin.

Das passt eben nicht in die Landschaft: Trotzdem gab es immer wieder Kritik, Unterstellungen und Versuche des Skandalisierens. Schade.

Auch inhaltlich wäre es möglich gewesen, über die Präambel hinaus Gemeinsames hinzubekommen. Man hätte sogar große Teile des Abschlussberichts gemeinsam verabschieden können. Schließlich waren die Mitglieder der Fraktionen DIE LINKE und der SPD positiv überrascht, da der

Abschlussbericht ihrer Ansicht nach durchaus kritisch ausgefallen sei. Aber nur die FDP-Fraktion hat große Teile des Berichts mitgetragen.

Dies wäre auch für die Mitglieder der SPD-Fraktion möglich gewesen. Zu den umfangreichen Kapiteln der länderübergreifenden Ermittlungen oder des Disziplinarverfahrens gegen Temme haben Sie keinen einzigen Änderungsantrag unterbreitet. Dennoch waren Sie nicht bereit, über einzelne Kapitel gesondert abzustimmen, um zu zeigen, dass es auch Gemeinsamkeiten gibt. Wir bedauern das.

Selbst den LINKEN haben wir Brücken gebaut, indem wir 90 % ihrer Änderungen zur rechtsextremen Szene übernommen haben. Wir haben angeboten, auch hierüber gesondert abzustimmen. Aber das wurde nicht gewollt.

Als sich dann abzeichnete, dass die Opposition trotz alldem gemeinsame Beschlüsse nicht fassen wollte, sind wir dennoch nicht auf den Ursprungstext des Berichterstatters zurückgegangen, sondern haben die Änderungen der Opposition im Text belassen. Diese Brücken wurden von uns nie eingerissen. Ich denke, das war auch richtig.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So intensiv wir gearbeitet haben, so massiv und ehrverletzend waren teilweise die Vorwürfe vor vier Jahren, vor allem gegenüber dem Landesamt für Verfassungsschutz und gegenüber dem früheren Innenminister. Sie grenzten teilweise an Verleumdung. Das gilt auch für das, was man in den letzten Tagen noch lesen konnte.

Behauptet wurde, es gebe einen Staat im Staat. Fakt ist: Den gibt es nicht. Die Staatsanwaltschaft hat gemeinsam mit der Polizei nach bestem Wissen und Gewissen und vor allem eigenverantwortlich und ergebnisoffen ermittelt. Das heißt, das geschah ohne Vorgaben eines Ministeriums. Es wurde in alle Richtungen ermittelt.

Behauptet wurde, das Landesamt oder zumindest Temme wusste bereits im Vorfeld von dem Mord. Man bezog sich hierbei auf ein Telefonat zwischen dem Geheimschutzbeauftragten des Landesamtes für Verfassungsschutz und Temme. Fakt ist: Dieses Telefonat wirft ein schlechtes Bild auf einzelne Mitarbeiter des Landesamtes. Ich sage auch hier deutlich: Die dort getätigten Äußerungen – wir haben sie alle noch in den Ohren – waren völlig unangemessen. Aber bei nicht nur auszugsweiser Betrachtung dieser Sätze, sondern bei einer Einordnung in den Kontext wurden sie von allen Zeugen und Ermittlern, die wir befragt haben, zwar als massiv missglückter Scherz eingestuft, aber nicht als Indiz einer Mitwisserschaft.

Behauptet wurde, Temme habe etwas mit dem Mord zu tun, sei gegebenenfalls sogar der Täter, oder, abgeschwächt, er habe etwas von dem Mord mitbekommen müssen. Fakt ist: Die MK Café und auch die BAO Bosporus haben Temme durchleuchtet und mehrfach hart befragt. Das Gleiche gilt für das Oberlandesgericht in München und für den Berliner und unseren Untersuchungsausschuss.

Es hat nie ausreichenden Anlass für eine Anklage gegeben. Nach 2011 hat es noch nicht einmal zur Eröffnung eines Strafverfahrens gegen ihn gereicht. Es gab eben keine Anhaltspunkte für eine Verbindung von Temme zum NSU.

Das habe ich bereits mehrfach deutlich gesagt – und ich sage es auch hier –: Das rechtfertigt allerdings in keiner Wei

se seine dienstlichen Verfehlungen und seine Nichtmeldung als möglicher Zeuge.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Die nicht geahndet wurden!)

Es konnte noch nicht einmal geklärt werden, ob er zur Tatzeit überhaupt im Internetcafé war und ob er die Leiche hätte sehen müssen oder nicht.

Das wurde bisher nicht erwähnt: Im Gegensatz dazu gab es vier Zeugen, die sich zum besagten Zeitpunkt sehr wohl und nachweislich am Tatort aufhielten und näher am Tatgeschehen waren, als Temme es gegebenenfalls gewesen wäre. Sie waren definitiv da und haben die Schüsse nicht als solche wahrgenommen.

Behauptet wurde, der Innenminister habe das Disziplinarverfahren gegen Temme verhindert. Fakt ist: Er hat sich eingeschaltet und dafür gesorgt, dass Temme nie wieder beim Landesamt arbeiten kann. Nur durch seine Intervention konnte verhindert werden, dass Temme nach Ablauf entsprechender Fristen wieder zum Landesamt hätte zurückkehren dürfen. Es war richtig, dass das so geschehen ist.

Behauptet wurde, der Innenminister habe das Parlament belogen, weil er angeblich erst im Juli 2006 aus der Zeitung erfahren haben will, dass Temme zumindest kurz vor der Tat am Tatort war. Fakt ist: Diese Unterstellung ist offensichtlich falsch. In der einschlägigen Sitzung des Innenausschusses hat der damalige Innenminister ausgeführt, dass er erst aus der Presse erfahren habe, dass Temme ein Alibi für einen anderen Mord aus der sogenannten CeskaMordserie hat. Um die zeitliche Einordnung, die hier insinuiert wurde, ging es hierbei definitiv nicht.

Behauptet wurde, der Minister habe das Parlament zu spät informiert. Fakt ist: Sowohl der Datenschutzbeauftragte als auch der Generalstaatsanwalt haben bestätigt, dass der Zeitpunkt des Informierens nicht zu beanstanden sei. Dennoch hat Volker Bouffier bei seiner Befragung eingeräumt, heute würde er es anders machen. Er würde den Generalstaatsanwalt mitnehmen, damit dieser das Parlament – in diesem Fall den Innenausschuss – so weit wie möglich informieren kann, ohne das Ermittlungsverfahren zu behindern.

Behauptet wurde, der Innenminister habe die Ermittlungen durch die Sperrerklärung behindert. Das haben wir eben auch wieder gehört. Fakt ist: Das deckt sich weder mit der Aktenlage noch mit den Zeugenaussagen, eignet sich aber zur Skandalisierung. Schließich blieben die Aussagen der V-Leute nicht außen vor, wie das hier dargestellt wird. Sie wurden, wie anfangs von der Staatsanwaltschaft gefordert, vom Landesamt auf der Grundlage eines Fragebogens, den die Polizei erarbeitet hatte, befragt, und zwar so ausgiebig, dass es dazu keine Nachfragen der Polizei gab. Daher wurde auch das Verfahren gegen Temme nach Vorlage des ausgefüllten Fragebogens eingestellt.

Es ging der Staatsanwaltschaft – das wurde hinterlegt – nämlich nur um den formalen Abschluss einer unergiebigen Spur. Viele Ermittler haben bei der Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss Verständnis für das Vorgehen geäußert. Kein Einziger hat eine konkrete Behinderung der Ermittlungen genannt.

Nach Aktenlage der Zeugenaussagen steht fest:

Erstens. Die Sperrerklärung war das Ergebnis eines langen, umfassenden und fundierten Abwägungsprozesses.

Zweitens. Auf der einen Seite ging es darum, eine unergiebige Spur aktenmäßig abzuschließen. Auf der anderen Seite ging es um die Frage, ob es vertretbar ist, wertvolle Quellen abzuschalten.

Drittens. Die für die Ermittlungen zuständige Justiz und der damalige Vorsitzende der Parlamentarischen Kontrollkommission, Rudolph, haben nie gegen diese Sperrerklärung protestiert.

(Günter Rudolph (SPD): Das ist absolut falsch!)

Viertens. Vielmehr hat die Staatsanwaltschaft sie akzeptiert und sie im weiteren Verlauf, wenn nötig, auch verteidigt. So erläuterte der Leitende Oberstaatsanwalt Walcher, dass eine solche Entscheidung nicht nur nicht kritisierenswert sei, sondern dass er sie, falls erforderlich, gegenüber der Öffentlichkeit und gegenüber der Polizei auch verteidigen werde. Das sagt die Herrin des Verfahrens.

Dennoch bot das Landesamt Alternativen zur direkten Befragung an, die aber allesamt ausgeschlagen wurden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, demgegenüber stand die Identität der fünf von Temme geführten Quellen, die dem islamistischen Bereich zuzuordnen sind.

Das war vor dem Hintergrund der damaligen Sicherheitslage. Bitte erinnern Sie sich: im Jahr 2000 die Verhinderung eines terroristischen Anschlags auf dem Straßburger Weihnachtsmarkt durch die Festnahme der Melani-Gruppe in Frankfurt, Anschläge in New York 2001, auf Djerba und Bali 2002, in Madrid 2004 und in London 2005 und – das wollen wir bitte nicht vergessen – die Weltmeisterschaften im eigenen Land und die misslungenen Kofferbombenanschläge in Köln im Sommer 2006. Spätestens jetzt muss doch klar sein, dass der Quellenschutz nicht nur die betreffenden Quellen, sondern auch unsere Bürgerinnen und Bürger schützt – und somit uns alle. Deshalb überwogen für den Innenminister der Schutz der Quellen und die Sicherheit unseres Landes gegenüber der Abarbeitung einer unergiebigen Spur – ich finde, zu Recht.

Wie der Abschlussbericht zeigt, haben wir aber sehr wohl auch Fehler identifiziert, die es abzustellen gilt. Wir kritisieren massiv, dass die Durchsuchung bei Temme ausgesetzt wurde. Es gab und gibt deutliche Kritik an seinem Verhalten, an seinem Besuch in diesem für ihn gesperrten Café und an seinem Untertauchen oder Nichtmelden nach der Tat.

Im Abschlussbericht finden Sie auch eine kritische Bewertung des Auftretens von einigen Mitarbeitern des Landesamtes. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass das Untertauchen des Trios 1998 in Thüringen vom damaligen SPD-geführten hessischen Innenministerium als Thüringer Problem abgetan wurde und zu keinerlei Handeln in Hessen führte, obwohl es sogar im damaligen M-Büro thematisiert wurde. Das war eine Fehleinschätzung, die wir feststellen, aber nicht skandalisieren.

Persönlich füge ich noch hinzu, dass die damalige Einstellungspraxis im LfV in den Neunzigerjahren nicht so war, wie ich sie mir vorgestellt hätte. Ich glaube auch nicht, dass dies dann nach dem Regierungswechsel so weitergegangen ist.

Zusammenfassend kann man bezüglich der Vorwürfe gegen den damaligen Innenminister auf das Zitat von Herrn

Cuntz im „Wiesbadener Kurier“ vom 20.12.2017 verweisen. Ich zitiere:

Ministerpräsident Volker Bouffier war 2006 hessischer Innenminister gewesen. Ihm war vorgeworfen worden, die Mordermittlungen behindert zu haben, weil er die Vernehmung der von Temme geführten V-Leute nicht genehmigt hatte.

Es gehört zur Ironie dieser Geschichte, dass der NSU-Untersuchungsausschuss ausgerechnet diesen Vorwurf entkräftet und in diesem Punkt der CDU genutzt hat. …

Der Tag, an dem Bouffier als Zeuge vernommen wurde, war Tief- und Höhepunkt des Ausschusses zugleich. Tiefpunkt deshalb, weil der Ministerpräsident in einer quälend langen Sitzung befragt wurde, in der es der Opposition nicht nur um Aufklärung, sondern auch um „parteipolitische Inszenierung“ ging.

Dennoch: Der Untersuchungsausschuss hat fleißig, engagiert und konzentriert gearbeitet. Darauf weisen wir gerne hin. Er hat wichtige Erkenntnisse geliefert. Die Sperrerklärung war wohl ausgewogen und hat die Aufklärung keinesfalls behindert.

(Zurufe der Abg. Hermann Schaus und Janine Wiss- ler (DIE LINKE))