Protokoll der Sitzung vom 11.09.2018

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Meine Damen und Herren, es geht in diesen Tagen um den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Zukunft unserer Demokratie. Setzen wir in den kommenden Wochen bei der Landtagswahl und selbstverständlich auch darüber hinaus klare Zeichen – gegen Hass, Hetze und Ausgrenzung, für unsere Demokratie, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und für einen menschlichen Umgang miteinander, der Respekt vor der Position des anderen hat. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Viele Dank, Herr Kollege Wagner.

An Ihren Plätzen wurde vor wenigen Minuten die Beschlussempfehlung und der Bericht des Haushaltsausschusses verteilt, zu dem Antrag der Landesregierung betreffend Zustimmung zur Abgabe der landeseigenen Grundstücke in Neu-Eichenberg, Gemarkung Hebenshausen, Flur 1, Flurstücke 9/20, 15/11, 15/12, 15/18, 29/2, 36/3, Flur 2, Flurstücke 8/4, 8/5, 8/6, 8/11 und Flur 6, Flurstück 115/10 mit einer Gesamtgröße von 811.932 qm, an die Hessische Landgesellschaft mbH, Fachbereich Bodenbevorratung und Kommunalbetreuung, im Rahmen einer Baulandumlegung zur Bodenbevorratung für die Gemeinde Neu-Eichenberg. Hier geht es um die Zustimmung des Hessischen Landtags nach § 64 Abs. 2 LHO, Drucks. 19/6777 zu Drucks. 19/6726. Berichterstatter ist Abg. Decker.

Somit wird diese Beschlussempfehlung als Tagesordnungspunkt 57 in den Nachtrag der Tagesordnung aufgenommen, mit einer Redezeit von fünf Minuten je Fraktion. Ich frage, ob sich die parlamentarischen Geschäftsführer schon geeinigt haben, wann das aufgerufen werden soll.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Nein, noch nicht!)

Herr Bellino.

Nein, haben wir noch nicht. Der Antrag ist ja auch erst eben verteilt worden. Ich kann mir aber vorstellen, dass wir ihn mit Tagesordnungspunkt 10 kombinieren und am heutigen Abend diskutieren.

(Zurufe)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Unsere Fraktion hat beantragt, dass das hier beraten wird. Die Geschäftsordnung sieht nach § 28 Abs. 1 vor, dass es in diesem Fall auf die Tagesordnung der nächsten Plenarsitzungswoche gesetzt wird.

Gleichzeitig haben wir eine Kleine Anfrage zum selben Thema – dieses Logistikzentrum – eingereicht, die heute als noch nicht beantwortbar bezeichnet wurde. Wir möchten gerne, dass diese Diskussion entsprechend der Geschäftsordnung in der nächsten Plenarwoche erfolgt, in der Hoffnung, dass dann auch die von uns gestellte Kleine Anfrage beantwortet ist, auf die wir natürlich inhaltlich Bezug nehmen wollen. Was gerade vonseiten der CDU-Fraktion vorgeschlagen wird, ist eine Regelung, die nicht im Einklang mit der Geschäftsordnung des Hessischen Landtags steht. Darauf will ich ausdrücklich hinweisen.

Deshalb beantragen wir, nach der Geschäftsordnung zu verfahren: Es kommt jetzt auf die Tagesordnung, das haben wir selbstverständlich beschlossen, und wird in der nächsten Plenarsitzung beraten.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Können wir das nicht nach dieser Debatte klären? – Weitere Zurufe)

Ich habe das ja nicht mitten in der Regierungserklärung angesprochen.

Gibt es weitere Wortmeldungen? – Herr Kollege Frömmrich, bitte sehr.

Herr Präsident! Ich würde sagen, wir stellen das erst einmal zurück und klären das Verfahren nach der Regierungserklärung.

(Beifall)

Besteht Einverständnis darüber? – Dann machen wir das so. Vielen Dank.

Wir fahren fort in der Beratung der Regierungserklärung. Das Wort hat Frau Kollegin Wissler für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, „Die Gesellschaft zusammenhalten“ – unter dieses Motto haben Sie Ihre Regierungserklärung gestellt. Daran muss sich auch Ihre Bilanz messen lassen.

Sie haben gesagt, Hass dürfe keinen Platz in dieser Gesellschaft haben. Sie haben deutliche Worte zur AfD gefunden und gesagt, dass man dieser Entwicklung nicht gleichgültig gegenüberstehen dürfe, sondern sich ihr entgegenstellen müsse. – Das teile ich.

Aber wenn Sie das ernst meinen, Herr Ministerpräsident, warum ist die hessische CDU nicht dabei, wenn in Wiesbaden Tausende gegen die AfD demonstrieren, unterstützt

von SPD, LINKEN und von Ihrem eigenen Koalitionspartner, den GRÜNEN? Warum ist die CDU nicht beim „Rock gegen Rechts“ in Frankfurt präsent? Warum bleibt die Hessen-CDU sitzen, statt sich dem Aufstehen gegen Rassismus anzuschließen? Warum stellen Sie sich denn diesem Rechtsruck nicht aktiv entgegen? Warum sind Sie nicht dabei, wenn Menschen auf die Straße gehen, um gegen genau einen solchen Rechtsruck zu demonstrieren, Herr Ministerpräsident?

(Beifall bei der LINKEN)

Wer über die AfD spricht, darf über deren Stichwortgeber nicht schweigen. Deutschland hat einen Bundesinnenminister, der die Migration als „Mutter aller Probleme“ bezeichnet. Ich glaube, alle, die Seehofer dafür kritisiert hatten, dass er zu lange zu Chemnitz geschwiegen hat, haben sich wohl in diesem Moment gedacht, er hätte lieber dauerhaft den Mund gehalten, bevor er so etwas sagt.

(Beifall bei der LINKEN)

Die „Mutter aller Probleme“: Wohnungsnot, Lehrermangel, Pflegenotstand, Klimawandel, Umweltzerstörung, Kriege – dafür soll die Migration der Sündenbock sein? Was für ein Unsinn.

Herr Ministerpräsident, wer vorgibt, die Gesellschaft zusammenhalten zu wollen, der muss doch laut widersprechen, wenn Migranten, Flüchtlinge, Muslime zu Sündenböcken gemacht werden sollen, wenn sie für Probleme verantwortlich gemacht werden, die seit Jahren und Jahrzehnten in diesem Land bestehen, der darf nicht zulassen, dass Menschen, die zu Niedriglöhnen arbeiten und in Armut leben, gegen Flüchtlinge ausgespielt werden, der muss Rassismus und Diskriminierung deutlich benennen und bekämpfen. Das muss man tun, wenn man diese Gesellschaft zusammenhalten möchte, Herr Ministerpräsident.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Wenn Sie das als Ihre Aufgabe sehen, warum stellen Sie als Ministerpräsident sich nicht schützend vor die 2 Millionen Hessinnen und Hessen, die einen Migrationshintergrund haben und die vom Bundesinnenminister derartig beleidigt und diffamiert werden? Aber statt Seehofer zu widersprechen, laden Sie ihn letzte Woche in die Staatskanzlei ein und freuen sich, dass er da ist.

Wenn Horst Seehofer vor einiger Zeit sagte, man werde sich gegen die Zuwanderung in die Sozialsysteme verteidigen „bis zur letzten Patrone“, dann ist das, sprachlich wie inhaltlich, nur schwer von der AfD zu unterscheiden. Das heißt, an den Tabubrüchen, die Sie beklagen, Herr Ministerpräsident, haben die Seehofers, die Söders, die Scheuers selbst mitgewirkt – und die Irmers und die Willschs, und die Steinbachs, die Sie in Ihrer Partei nicht nur geduldet, sondern mit hohen Funktionen ausgestattet haben.

(Beifall bei der LINKEN und des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Man müsse die Menschen ernst nehmen, die Angst um die kulturelle Identität unseres Landes haben. – Aber wer hat denn diese Ängste durch unsägliche Debatten über die vermeintliche deutsche Leitkultur geschürt? Sie sagen, nicht jeder, der Kritik, Ängste und Sorgen zum Ausdruck bringt, sei ein Nazi oder Rechtsextremist – was im Übrigen auch niemand behauptet hat. Aber wer durch Chemnitz marschiert und den Hitlergruß zeigt, oder wer sich einer sol

chen Demonstration anschließt, der hat doch kein Verständnis zu erwarten, sondern lauten Widerspruch und strafrechtliche Konsequenzen.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Wer die Parolen und Forderungen der AfD übernimmt, der gräbt ihr nicht das Wasser ab, sondern er ermutigt sie, er macht sie stark und vergiftet das gesellschaftliche Klima. Dafür kann sich die AfD bei Seehofer bedanken, der übrigens nächste Woche nach Frankfurt kommt. Wir unterstützen die Demonstration nach dem Motto „Seebrücke statt Seehofer“. Dort wollen wir ein Zeichen setzen gegen die Politik dieses Bundesinnenministers.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Herr Ministerpräsident, Ihre klare Distanzierung zur AfD habe ich wahrgenommen. Ich nehme Ihnen auch die Empörung ab, wenn Sie die Aussagen von AfD-Politikern über die Bundeskanzlerin zitieren. Ich will aber nur einmal darauf hinweisen, dass viele Menschen, die seit Jahren auf genau diese Gefahr hinweisen, die Opfer von rechten Anfeindungen waren, oft nicht ernst genommen oder gar kriminalisiert wurden, weil sie sich Naziaufmärschen in den Weg gestellt haben. – Das muss sich ändern. Wer die Gefahr von rechts ernst nimmt, der muss zivilgesellschaftliche Bündnisse stärken, der muss die Initiativen stärken, statt sie einem Generalverdacht auszusetzen, wie wir das häufig erlebt haben.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Sie haben einen sensiblen Umgang mit den sozialen Medien angemahnt, weil Stimmungen sich schnell verselbstständigen. Umso schwerer wiegt es, dass die Hessen-CDU in sozialen Medien mit Einträgen wie „Auf den Schulhöfen muss Deutsch gesprochen werden“ wieder so tut, als seien die Migranten das Problem, und damit wieder versucht, von den tatsächlichen Problemen abzulenken.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn das Problem auf hessischen Schulhöfen ist doch nicht, welche Sprache dort gesprochen wird. Das Problem ist, dass Lehrer und Sozialpädagogen fehlen, dass die Schulgebäude zerfallen. Verantwortlich dafür sind die CDU-geführten Landesregierungen der letzten 20 Jahre. Was Sie machen, ist wieder eine Ablenkung von Ihrem eigenen Versagen, indem Sie die Probleme auf die Migration schieben. Das machen Sie, und das ist unverantwortlich.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Herr Ministerpräsident, zu den drängenden Problemen an den Schulen – Unterrichtsausfall, die vielen Hilferufe aus den Schulen, Lehrermangel, dass Bildung abhängig ist vom Geldbeutel und der Herkunft –, zu alledem haben Sie in Ihrer Regierungserklärung kein einziges Wort verloren. Ich finde, diese Sorgen sollten Sie einmal ernst nehmen. Aber die erwähnen Sie nicht einmal.

Herr Ministerpräsident, wenn Ihr Kultusminister dann mit geschönten Statistiken jongliert und versucht, mit unqualifizierten Aushilfskräften und pensionierten Lehrern den Lehrkräftemangel wegzumogeln, wenn die Überlastung der Lehrkräfte und Schulleitungen – –

(Achselzucken des Ministers Prof. Dr. R. Alexander Lorz)

Ja, genau, Achselzucken, Herr Kultusminister. Schön, dass Sie es gerade noch einmal demonstriert haben. – Sie kehren es einfach unter den Teppich. Sie behaupten, es gibt keinen Unterrichtsausfall, und wenn man Sie nach Zahlen fragt, dann sagen Sie, er wird nicht erhoben. Deswegen fühlen sich die Menschen nicht ernst genommen. Das ist die traurige Wahrheit nach fünf Jahren schwarz-grüner Bildungspolitik.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Die unterfinanzierten Kommunen haben derweil kein Geld, um Klassenräume, Turnhallen oder Toiletten zu sanieren.

Dann sagen Sie, man muss die Sorgen und Nöte von Menschen ernst nehmen – wenn es um die Flüchtlingspolitik geht. Aber an anderer Stelle ist davon leider ganz selten die Rede. Wo werden die Sorgen der Lehrerinnen und Lehrer ernst genommen? Wo werden die Sorgen der Menschen ernst genommen, die Angst haben beim Thema Inklusion, die Angst haben, dass ihr Kind nicht auf eine Regelschule gehen kann? Wo werden die Sorgen der Menschen ernst genommen, die dringend Ganztagsschulangebote bräuchten und keine haben? Nehmen Sie doch diese Sorgen und Probleme, ernst und tun Sie etwas. Aber darüber reden Sie nicht, Herr Ministerpräsident.