(Der Redner fährt das Rednerpult hoch. – Christoph Degen (SPD): Kann man das mit der Reihenfolge nicht besser absprechen?)
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich hätte nicht gedacht, dass eine Plenardebatte so kurz vor einer Landtagswahl noch neue inhaltliche Erkenntnisse bringt.
Aber was wir heute mit dem Antrag der SPD hier erleben, ist nichts anderes als der Abschied der SPD von ihren früheren Positionierungen zum Thema Ganztag. Die verbale Radikalität, die der Kollegen Degen hier an den Tag gelegt hat, kann davon überhaupt nicht ablenken.
Wir durften schon in den vergangenen Wochen lesen, dass die vollmundigen und milliardenschweren Ankündigungen der SPD zumindest beim Thema Ganztagsschulen nicht mehr gelten. Schauen wir doch einmal nach, was im „Hessenplan +“ steht. Darin steht nicht mehr die Forderung, dass alle Schulen gebundene Ganztagsschulen werden, sondern darin steht: 50 Schulen – ich wiederhole: 50 Schulen – sollen nach den Vorstellungen der SPD in den nächsten fünf Jahren gebundene Ganztagsschulen werden.
Herr Kollege Degen, angesichts des Stellenvolumens, das wir in den vergangenen fünf Jahren bereitgestellt haben, ist das Ziel der SPD ziemlich unambitioniert. Das kriegen wir nämlich ohne Probleme hin, wenn wir das Ganztagsschulprogramm weiterhin so erfolgreich wie bisher ausdehnen.
Die weitere Kurskorrektur der SPD erfolgt heute. Sie sagen, Sie möchten für die Grundschulen den Rechtsanspruch umsetzen, den die Große Koalition in Berlin vorgesehen hat. Das finden wir ausdrücklich richtig. Wir haben schon seit vielen Plenarrunden auf diesen Rechtsanspruch hingewiesen, den die Bundesregierung umsetzen will. Wir haben bei diesem Thema bislang immer ein Schweigen der Koalitionspartner auf der Bundesebene geerntet. Deshalb freuen wir uns, dass die SPD jetzt das entdeckt hat, was sie in Berlin beschlossen hat.
Der Rechtsanspruch auf Betreuung von Grundschulkindern ist aber nicht mit der gebundenen Ganztagsschule vergleichbar, Herr Kollege Degen, sondern das genaue Gegenteil davon. Ich darf Ihnen einmal vorlesen, was die SPD zu diesem Thema im Koalitionsvertrag vereinbart hat. Sie wissen das, und deshalb ist der eigentliche Gegenstand Ihres heutigen Antrags, dass Sie von früheren Positionen Abschied nehmen. Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition in Berlin steht, wie dieser Rechtsanspruch umgesetzt werden soll. Ich zitiere wörtlich:
Was umfasst das Sozialgesetzbuch VIII, meine Damen und Herren? – Die Kinder- und Jugendhilfe der Kommunen. Es geht also um Betreuungsangebote der Kommunen und eben nicht um ein Ganztagsschulangebot nach dem Schulgesetz, Herr Kollege Degen.
Bei der Umsetzung des Rechtsanspruchs werden wir auf Flexibilität achten, bedarfsgerecht vorgehen und die Vielfalt der in den Ländern und Kommunen bestehenden Betreuungsmöglichkeiten der Kinder- und Jugendhilfe und die schulischen Angebote berücksichtigen und darauf aufbauen.
Wir freuen uns sehr, dass die SPD nach fünf Jahren erbitterter Debatten um das Thema Ganztagsschule endlich ihren Frieden mit dem Pakt für den Nachmittag gemacht hat, und alle Verbalradikalität, Herr Kollege Degen, kann davon nicht ablenken. – Sie schmunzeln, weil Sie genau wissen, warum Sie heute diesen Antrag gestellt haben: weil Sie noch vor der Wahl Ihre unhaltbaren Versprechen korrigieren wollten. Sie machen uns ein wunderbares Kompliment, indem Sie bestätigen, dass der Pakt für den Nachmittag ein ganz gutes Angebot ist.
Wir nehmen das als Kompliment. Herzlich willkommen, wenn auch Sie in dieser Frage jetzt auf den bildungspolitischen Kurs der Koalition einschwenken.
Herr Yüksel, ich kann gerne noch einmal vorlesen, was die SPD auf der Bundesebene bezüglich der Umsetzung des Rechtsanspruchs vereinbart hat. Soll ich es Ihnen noch einmal vorlesen, Herr Kollege Yüksel? – Ich finde es gut, dass die SPD das, was sie auf der Bundesebene beschlossen hat, auch im Hessischen Landtag vertritt. Das ist ja nicht bei jedem Thema der Fall. Ich finde das deshalb gut und möchte Sie ausdrücklich dafür loben. Dann sollten Sie aber auch sagen, dass wir in Hessen darauf gut vorbereitet sind und dass wir mit dem Pakt für den Nachmittag genau das haben, was die Bundes-SPD jetzt bundesweit umsetzen will. Der Pakt für den Nachmittag macht bundesweit Schule. Darüber freuen wir uns, und wir freuen uns natürlich noch mehr darüber, dass das auch die Unterstützung durch die SPD findet.
Ich hätte wenige Tage vor der Landtagswahl davon nicht zu träumen gewagt, aber manchmal muss man die Feste feiern, wie sie fallen.
Lassen Sie uns über die Entwicklung der Ganztagsschulen in unserem Land und darüber reden, welche Fortschritte wir gemacht haben, aber auch darüber, wo wir noch hinwollen. Das Ganztagsschulprogramm gibt es in Hessen seit fast 30 Jahren. Die ersten Schritte dorthin wurden in den Neunzigerjahren unter einer rot-grünen Koalition und mit Hartmut Holzapfel als Kultusminister gegangen. Es war richtig, dass diese Schritte gegangen wurden. Seit Anfang der Neunzigerjahre gibt es das Ganztagsschulprogramm – seit fast 30 Jahren. Bis zum Beginn der 19. Legislaturperiode, also innerhalb von 25 Jahren, wurden von den unterschiedlichen Regierungen, die es bis dahin gab, in dieses Ganztagsschulprogramm rund 1.500 Stellen investiert. Wir haben es in den fünf Jahren dieser Legislaturperiode geschafft, den Stellenanteil auf fast 3.000 Stellen zu verdoppeln. Das ist doch eine Bilanz, die sich sehen lassen kann.
Innerhalb von 25 Jahren 1.500 Stellen – innerhalb von nur fünf Jahren 1.500 weitere Stellen. Das beweist doch eine eindeutige Prioritätensetzung.
Wir haben das Ganztagsschulprogramm in diesen fünf Jahren geöffnet. Maßgeblich ist das, was die Schulträger im Rahmen ihrer Konzepte beantragen. Wenn sie die Einrichtung des Pakts für den Nachmittag beantragt haben, konnten alle diese Anträge genehmigt werden. Wenn die Schul
träger die Einrichtung einer gebundenen oder einer teilgebundenen Ganztagsschule beantragt haben, wurden ebenfalls alle Anträge genehmigt, weil wir das Stellenvolumen so weit ausgedehnt hatten, Herr Kollege Degen.
Sie haben die Entscheidungen der Schulträger angesprochen. Wollen Sie diese Entscheidungen ersetzen? Wer sonst soll denn anmelden, welche Schulen wie weiterentwickelt werden sollen? Das können wir doch gar nicht von der Landesebene her machen, weil wir für die Ganztagsschulentwicklung sowohl die personellen Voraussetzungen des Landes als auch die baulichen Voraussetzungen brauchen, die der Schulträger zu schaffen hat. Deshalb ist es doch richtig, dass für das Land das maßgeblich ist, was der Schulträger beantragt. Anders kann es sinnvollerweise doch gar nicht gehen.
Herr Kollege Degen, Sie haben gesagt, die Schulträger könnten nur im Rahmen des Stellenkontingents des Landes entscheiden. Mit dieser Feststellung haben Sie ausdrücklich recht. Aber auch das kann doch gar nicht anders sein, Herr Kollege Degen. Egal, wer die Landesregierung stellt, es wird immer so sein, dass es ein Stellenkontingent gibt und dass die Schulträger entscheiden, wie sie dieses Stellenkontingent nutzen. Aus dieser Systematik kommen Sie doch gar nicht heraus. Was erzählen Sie denn hier? Wie sieht Ihr Gegenmodell dazu aus? Praktisch und faktisch kann man es gar nicht anders organisieren, als es im Moment organisiert ist.
Wir können jetzt gerne über den Umfang des Stellenkontingents des Landes reden. Aber auch da hat eine Landesregierung, die in einer Legislaturperiode 1.500 zusätzliche Stellen in dieses Kontingent gegeben hat, vergleichsweise gute Zahlen vorzuweisen. Herr Kollege Degen, das Ziel der Sozialdemokratie, 50 Ganztagsschulen innerhalb von fünf Jahren zu genehmigen, ist dagegen vergleichsweise unambitioniert. Das muss ich Ihnen einmal ehrlich sagen.
Das ist vergleichsweise unambitioniert. Aber ich will versöhnlich schließen: Wir freuen uns sehr über die Unterstützung der Bundes-SPD und jetzt auch der Landes-SPD für den Pakt für den Nachmittag. Ich hätte mir das wenige Tage vor der Landtagswahl nicht vorstellen können; aber es zeugt von der Größe der Sozialdemokratie. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Am Ende erliegt jeder in diesem Haus den Missverständnissen, die er selbst notwendigerweise dadurch produziert, dass er einfach nicht zuhört. Herr Kollege Wagner, das ist bei Ihnen notorisch der Fall. Wenn Sie nämlich in diesem Landtag die Debatten über die Kinderbetreuung auch nur ein einziges Mal aufmerksam verfolgt hätten, hätten Sie z. B. festgestellt, dass ich von diesem Pult aus wiederholt – letztmals in der Debatte über die Regierungserklärung des Herrn Sozialministers – über die Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen Ganztagsbetreuungsplatz gesprochen und explizit darauf hingewiesen habe, dass dieser Rechtsanspruch im SGB VIII verankert werden wird. Wörtlich habe ich gesagt: „Wo auch sonst?“; denn das ist die einzige Gesetzgebungskompetenz, die der Bund hat.
Was folgt daraus? – Daraus folgt, dass alle Anstrengungen unternommen werden müssen, um diesen Rechtsanspruch zu garantieren. Wir haben nie behauptet, dass die Forderung nach gebundenen Ganztagsschulen, die schulpolitisch, bildungspolitisch und jugendpolitisch die vernünftige ist, in kurzer Zeit abgearbeitet werden kann.
Das ist eine Behauptung, von der Sie sagen, wir hätten sie aufgestellt, was aber nicht der Realität entspricht. Es kann im Übrigen auch keine Rede davon sein – das ist ebenfalls eine der Unwahrheiten, die Sie gern einmal produzieren –, dass wir 50 Ganztagsschulen in fünf Jahren wollten, sondern im Hessenplan ist von 50 pro Jahr die Rede.