Protokoll der Sitzung vom 25.09.2014

Ich nutze die Gelegenheit, auf der Tribüne einen weiteren ehemaligen Abgeordnetenkollegen zu begrüßen. Schön, dass Sie wieder einmal da sind, Herr Kollege Hoff.

(Beifall bei der CDU und der SPD sowie bei Abge- ordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Für die Landesregierung hat Herr Staatsminister Grüttner das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir werden uns heute nicht nur im Rahmen dieser Aktuellen Stunde mit dieser Thematik auseinandersetzen, sondern auch noch auf der Grundlage eines vorliegenden Antrags.

Deswegen möchte ich im Rahmen dieser Debatte auch mit einem herzlichen Dank an all diejenigen beginnen, die mit einem unglaublichen Einsatz versuchen, Asylbewerber, die in unser Land kommen, aufzunehmen, zu versorgen und zu betreuen. Das beginnt in der Erstaufnahmeeinrichtung, geht über die Kommunen, endet dort aber nicht, sondern es haben sich vor Ort sehr viele Institutionen, Vereine, Bür

gerinitiativen und Kirchengemeinden zusammengefunden, um den Menschen, die bei uns Schutz und Unterkunft suchen, zu helfen. Denen gebührt unser ausdrückliches Dankeschön.

(Beifall bei der CDU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es wäre auch nicht leistbar, hätten wir nicht diese Solidarität mit diesen Menschen, die zu uns kommen.

Deswegen ist es auch klar gewesen, dass im Rahmen vieler Gespräche, die hierzu geführt worden sind, die Landesregierung mit Unterstützung der sie tragenden Fraktionen gesagt hat: Wir müssen auf das, was wir begonnen haben, weiter aufbauen und Weiteres auf den Weg bringen.

An dieser Stelle möchte ich zwei Dinge sagen, Herr Kollege Rock – und ich bedanke mich ausdrücklich für Ihre Ausführungen –: Ich denke, dass der Ministerpräsident den Ernst der Lage erkannt, aber auch in der Wortwahl sehr deutlich und richtig gesagt hat, wo unsere Herausforderungen liegen. Manchmal ist die Fragestellung: „Ist es nicht vielleicht besser, ein festes Dach über dem Kopf zu haben, als in einem Zelt zu wohnen?“, in der Öffentlichkeit anders interpretiert worden, als es gesagt worden ist. Deswegen muss man immer auch nachfragen und genau überlegen, was man gesagt hat. Ich unterstütze ausdrücklich die Aussage, dass es besser ist, ein festes Dach über dem Kopf zu haben, als in einem Zelt zu wohnen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der zweite Punkt. Auch da brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen, unabhängig von der körperlichen Herausforderung, die Sie mir zumuten, wenn ich den Finanzminister in Erstaufnahme- und Unterbringungseinrichtungen schleppen soll, wie Sie es ausgedrückt haben: Er ist sich dieser Situation sehr wohl bewusst. Es ist natürlich auch eine gemeinsame Anstrengung der Landesregierung, auch aller Ressortkollegen innerhalb der Hessischen Landesregierung, wenn man sieht, vor welche auch finanziellen Herausforderungen das Land – und nicht nur das Land allein, sondern auch die kommunale Seite – gestellt wird, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, vor denen wir stehen. Da bedarf es einer Solidarität sowohl vertikal als auch horizontal, und ich sehe, dass diese Solidarität da ist.

Deswegen ist das, was wir als Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht haben, natürlich die konsequente Fortsetzung von Gesprächen, die schon längst begonnen haben. Da ist es in der Tat schon etwas merkwürdig, den Vorwurf zu hören, wir hätten keine Vorsorge getroffen, wenn wir bereits im Oktober 2012 Vorsorge in der Form getroffen haben, nicht nur 573 Plätze in der Erstaufnahmeeinrichtung zur Verfügung zu stellen, sondern sie sukzessive auf 2.000 aufzustocken. Damit haben wir im Oktober 2012 begonnen und den Kommunen mitgeteilt, was zu erwarten ist. Seit dieser Zeit sind wir auch mit der kommunalen Seite in Gesprächen.

Deshalb ist die Frage zur besseren Zusammenarbeit auch nicht die Aufforderung, diese Gespräche zu führen, weil wir schon im September 2013 – das ist nun auch schon wieder zehn Monate her – einen entsprechenden Gesprächskreis mit allen Vertretern der Kommunalen Spitzenverbände, aber auch von Institutionen und Vereinigungen hatten. Daraus folgend wurde eine ständige Arbeits

gruppe zwischen Kommunalen Spitzenverbänden und Landesregierung installiert, die kontinuierlich tagt. Dabei geht es eben nicht allein um die Fragestellung zu einem Landesrechnungshofbericht. Das ist genau der Punkt, zu dem wir mit der kommunalen Seite diskutiert haben: Ja, da sei von einer Unterdeckung die Rede, auf der Grundlage von 2011, fünf kommunale Gebietskörperschaften, die aber in ihren Strukturen allein hinsichtlich der Kostenbelastungen – obwohl in Teilen vergleichbar – so unterschiedlich sind, dass die Frage nach einer Auskömmlichkeit – wobei immer gefragt werden muss, ob eine Pauschale notwendig ist, um auskömmlich zu sein, oder aber, um Kosten zu decken – keine hinreichend guten Auskünfte ergeben hat. Deswegen ist die Antwort auf den Berichtsantrag, die Herr Kollege Merz zitiert hat, nach wie vor richtig, und die Reaktionen der kommunalen Seite erfolgten auch erst nach Behandlung dieses Berichtsantrags im Rahmen des Hessischen Landtags.

Herr Minister, ich mache Sie darauf aufmerksam, dass die Fraktionsredezeit abgelaufen ist.

Ich will versuchen, im Zeitrahmen zu verbleiben. – Zu dem in dieser Debatte geäußerten Vorwurf will ich nur ein klares Bekenntnis machen, dass dies nicht zutrifft. Es wurde der Vorwurf geäußert, es gebe keine menschenwürdige Unterbringung, und das Land sei dafür verantwortlich.

Ich sage mit allem Nachdruck: Nach dem Landesaufnahmegesetz sind die Kommunen für die Unterbringung zuständig. Die Kommunen arbeiten mit Hochdruck daran, eine menschenwürdige Unterbringung sicherzustellen. Es ist an der Stelle ein Schlag ins Gesicht der Kommunen, die das mit großer Anstrengung tun, wenn hier Vorwürfe erhoben werden, dass dies nicht der Fall sei; denn es liegt in der Verantwortung der Kommunen.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Wenn man die Regierung kritisiert, ist es ein Schlag ins Gesicht der Kommunen, klar!)

Noch ein letzter Satz zur nationalen Asylkonferenz. Ja, die brauchen wir, um entsprechende Abstimmungen vorzunehmen. Ich will Ihnen ganz aktuell mitteilen, dass auf der Grundlage eines Antrags des Landes Hessen im zuständigen Bundesratsausschuss für Arbeit und Soziales diese Forderung nach einer nationalen Asylkonferenz und auch einer finanziellen Beteiligung des Bundes heute mit 15 : 0 : 1 Stimmen angenommen worden ist – 15 Jastimmen, keine Neinstimme, eine Enthaltung. Die Enthaltung kam aus Nordrhein-Westfalen, und in Nordrhein-Westfalen liegt Dortmund, und aus Dortmund kamen die unangemeldeten Busse nach Gießen, und in Nordrhein-Westfalen regiert eine rot-grüne Landesregierung.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister Grüttner. – Den Oppositionsfraktionen ist insgesamt eine Redezeit von zwei Minuten zugewachsen. Ich sehe aber keine Wortmeldungen mehr.

Dann stelle ich fest, dass die Aktuelle Stunde abgehalten ist.

Eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU, der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP betreffend Erinnern an den 75. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkrieges und Gedenken an die Opfer von Krieg und nationalsozialistischer Gewaltherrschaft, Drucks. 19/918. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 83 und kann, wenn dem nicht widersprochen wird, mit den Tagesordnungspunkten 39, 47 und 77 aufgerufen werden. – Dann verfahren wir so.

Außerdem eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend schnelle Hilfe für Flüchtlinge aus dem Irak – islamistischen Terror entschlossen bekämpfen, Drucks. 19/919. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 84 und kann, wenn dem nicht widersprochen wird, mit Tagesordnungspunkt 36 aufgerufen werden. – So wird verfahren.

Letztlich weiterhin eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Flüchtlinge menschenwürdig unterbringen und versorgen – Hessisches Maßnahmenpaket Asyl unterstützt Kommunen, Drucks. 19/920. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist auch hier der Fall. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 85 und kann, wenn dem nicht widersprochen wird, mit Tagesordnungspunkt 43 aufgerufen werden. – So wird verfahren.

Dann rufe ich Punkt 36 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend humanitäre Hilfe statt Waffen: Verfolgte aus dem Irak jetzt aufnehmen – Drucks. 19/851 –

zusammen mit Punkt 82:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion der SPD betreffend humanitäre Hilfe für Flüchtlinge im Irak und Kampf gegen die Terrororganisation IS – Drucks. 19/916 –

und Punkt 84:

Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend schnelle Hilfe für Flüchtlinge aus dem Irak – islamistischen Terror entschlossen bekämpfen – Drucks. 19/919 –

Es handelt sich um den Setzpunkt der LINKEN. Frau Cárdenas wünscht das Wort und bekommt es hiermit.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Nachrichten aus dem Irak und aus Syrien überschlagen sich. Fast täglich erreichen uns schockierende Meldungen aus dem Krisengebiet, wo der Islamische Staat auf dem Vormarsch ist und Hunderttausende Flüchtlinge vor sich hertreibt. Tausende von Menschen sind dem Wahn der Terrororganisation bereits zum Opfer gefallen, Hunderttausende – insbesondere Angehörige religiöser und ethnischer Minderheiten – versuchen, sich in die Türkei und die überfüllten Flüchtlingslager des Nordirak zu retten.

Allein am vergangenen Wochenende passierten rund 140.000 Kurdinnen und Kurden aus den umkämpften Dörfern und Städten Nordsyriens die Grenze zur Türkei. Die Türkei hat damit innerhalb weniger Tage genauso viele Menschen aufgenommen wie alle europäischen Staaten zusammen seit dem Beginn des Bürgerkrieges in Syrien vor drei Jahren.

Der aggressive Vormarsch des Islamischen Staates ist – ich denke, darin sind wir uns hier im Hause alle einig; dazu haben wir auch schon einiges gesagt – schockierend und verstörend. Seine Gewaltorgien sind auch ein Angriff auf unser moralisch-ethisches Empfinden. Der Islamische Staat hat dem syrischen Bürgerkrieg durch die Einbeziehung des Irak nicht nur eine regionale Dimension gegeben. Diese Gruppierung hat es geschafft, die USA und eine Reihe weiterer Staaten zu einer direkten militärischen Intervention zu provozieren und in den Strudel des Bürgerkrieges hineinzuziehen.

Meine Damen und Herren, gerade weil diese Organisation eine Internationalisierung des Konfliktes nicht scheut, weil sie mit ihren öffentlichkeitswirksam inszenierten Hinrichtungen das Einschreiten westlicher Staaten geradezu herausfordert, ist höchste Zurückhaltung geboten, wenn es darum geht, Waffen an vermeintliche Partner zu liefern oder in anderer Form militärisch einzugreifen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vor diesem Hintergrund ist es kaum nachvollziehbar, dass Deutschland Rüstungsgüter in eine Krisenregion liefert, die vor Waffen nur so strotzt, übrigens ohne dass hierfür irgendeine völkerrechtliche Grundlage ersichtlich wäre.

(Holger Bellino (CDU): Das ist Ihre Interpretation!)

Die Bundesregierung ist geradewegs dabei, Deutschland in einen Krieg zu verstricken, dessen Konfliktlinien nur in glücklichen Stunden verständlich sind. Die Lieferung von Waffen an eine Bürgerkriegspartei – das muss offen gesagt werden – ist keine humanitäre Maßnahme, die den Geflüchteten irgendeinen Vorteil verschafft.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie ist eine Form der militärischen Einmischung, bei der das eigene Risiko kalkulierbar erscheint, weil das Schießen und das Sterben den Kurdinnen und Kurden überlassen bleiben.

Welch fatale Wirkung Waffenlieferungen an vermeintliche Verbündete haben können, zeigt das Beispiel Islamischer Staat selbst. Die Dschihadisten verwenden jetzt das Kriegsgerät, mit dem Gegner des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad großzügig versorgt wurden, und es ist das NATO-Land Türkei, das dem Islamischen Staat Versorgung, auch mit Waffen sowie Rückzugsmöglichkeiten bot und weiterhin bietet.

Gleichzeitig greift das türkische Militär immer wieder Demonstranten aus Nordkurdistan, aus der Osttürkei an, die sich an der Grenze mit dem Widerstand in Kobane solidarisieren wollen. Hier wäre der Bundesregierung zumindest dringend zu raten, den türkischen Botschafter einzubestellen und ihm ein paar für ihn unangenehme Fragen zu stellen.

(Beifall bei der LINKEN)

In diesem Bürgerkrieg wird es immer schwieriger, Freund und Feind zu unterscheiden. Frontverläufe verschieben

sich schneller, so scheint es, als die US-Luftwaffe ihre Raketen programmieren kann. In Gedankenspielen wird inzwischen sogar so jemand wie Bashar al-Assad zum möglichen Bündnispartner.

Es gehört zu den Absurditäten dieses Bürgerkrieges, dass die USA ihre Luftangriffe in einer Koalition mit Staaten wie Katar und Saudi-Arabien fliegen, die als Financiers eben jener Gruppierungen gelten, gegen die sich die abgeworfenen Bomben richten.

Meine Damen und Herren, es ist offensichtlich, dass die USA genauso reflexgesteuert und ohne ein schlüssiges politisches Konzept in diesen Krieg ziehen, wie sie es einst in Afghanistan und im Irak taten. Klar ist auch, dass die Vereinigten Staaten mit dem Irakkrieg, den sie bekanntermaßen mit einer großen Lüge begannen, wesentlich zur Destabilisierung der Region beigetragen haben.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Heike Hof- mann (SPD))