Protokoll der Sitzung vom 25.09.2014

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Heike Hof- mann (SPD))

Genauso wie die USA in Afghanistan und im Irak mit ihrer Strategie gescheitert sind, genauso wenig werden sie es mit diesem neuen Krieg schaffen, extremistische Strukturen in Syrien zu zerschlagen.

Meine Damen und Herren, das Leid der Zivilbevölkerung in Syrien und im Irak geht uns alle an. Dass gehandelt werden muss, steht außer Frage. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich um eine politische Lösung für den Bürgerkrieg zu bemühen, die die Vereinten Nationen und den Sicherheitsrat einbezieht, der übrigens – im Gegensatz zum Weißen Haus und dem Pentagon – das zuständige Organ bei derartigen Konfliktsituationen ist.

Solange islamistische Milizen zahlungswillige Sponsoren in arabischen Ländern haben, solange Russland das Regime in Damaskus stützt und solange das NATO-Land Türkei seine Rolle als IS-Unterstützer in diesem Konflikt nicht beendet, wird es kaum zu einem Ende des Blutvergießens in Syrien und im Irak kommen.

Meine Damen und Herren, wir müssen unsere humanitären Anstrengungen für die Geflüchteten verstärken. Wir fordern die Bundesregierung auf, ihre humanitäre Hilfe für die Schutzsuchenden vor Ort auszuweiten. Es kann nicht sein, dass für die Militärhilfe an die Peschmerga mehr Geld ausgegeben wird als für die Menschen in den Flüchtlingslagern.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir fordern die Bundesregierung ferner auf, sich auf europäischer Ebene für eine großzügige Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem Irak und aus Syrien einzusetzen. Dies, meine Damen und Herren, ist nicht nur ein Gebot der Humanität, es ist ein Erfordernis vorausschauender Flüchtlingspolitik.

Die Erfahrung aus der andauernden humanitären Katastrophe in Syrien lehrt uns, dass diese Menschen nicht in den überfüllten Flüchtlingscamps der Nachbarstaaten bleiben werden oder bleiben können. Sie werden, teils auf lebensgefährlichen Wegen, versuchen, Europa zu erreichen. Wir sollten den Menschen, die dem Bürgerkrieg entronnen sind, aber eine weitere Tragödie auf dem Mittelmeer ersparen.

Es ist in diesen Tagen viel von Flüchtlingsgipfeln die Rede, und nirgendwo sind eine Neuausrichtung der Asylpolitik und eine Verständigung über eine schnelle Aufnahme

von Schutzsuchenden aus dem Irak und Syrien mehr erforderlich als auf europäischer Ebene. Die Bundesregierung sollte sich um einen europäischen Flüchtlingsgipfel bemühen; denn Europa muss dringend sichere Fluchtkorridore bereitstellen, damit Menschen, die Schutz für sich und ihre Familien suchen, nicht ihr Leben riskieren müssen, um nach Europa zu kommen.

Zugleich muss Deutschland mehr Flüchtlinge aufnehmen. Die bestehenden Kontingente für Flüchtlinge aus Syrien müssen substanziell erweitert und neue Kontingente für Flüchtlinge aus dem Irak geschaffen werden.

Wenn immer wieder, auch hier im Landtag, behauptet wird, dass Deutschland im europäischen Vergleich jetzt schon die meisten Asylsuchenden aufnehmen würde, dann ist das nur die halbe Wahrheit. Dies mag zwar in absoluten Zahlen richtig sein. Gemessen an der Bevölkerungszahl liegt Deutschland aber nur auf dem zehnten Platz, weit hinter Ländern wie Malta, Zypern und Schweden.

Die unglückselige „Das Boot ist voll“-Rhetorik, die die Debatten der 1990er-Jahre prägte, ist im Augenblick das Letzte, was wir brauchen. Ein reiches Land wie Deutschland ist in der Lage, mehr zu leisten. Die Aufnahmekapazitäten sind noch lange nicht erschöpft.

Etwa 1,2 Millionen Iraker mussten in diesem Jahr bisher aus ihren Heimatorten fliehen. Das UNHCR weist darauf hin, dass die Situation für die Vertriebenen prekär ist. Es gibt kaum Nahrung und Wasser. Viele der Vertriebenen haben keine Unterkunft. Angesichts des nahenden Winters – er ist dort hart – muss schnell gehandelt werden.

Anhand der parlamentarischen Initiativen in anderen Landesparlamenten sehe ich, dass bei den GRÜNEN, in den Reihen der SPD und auch bei der CDU Bereitschaft dazu besteht, Schutzsuchende aus dem Irak in Deutschland schnell aufzunehmen.

Meine Damen und Herren, ein solches Signal der Solidarität und Hilfsbereitschaft sollten wir auch aus Hessen senden. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Cárdenas. – Als nächster Redner hat Herr Kollege Schwarz, CDU-Fraktion, das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, hochverehrte Kolleginnen, sehr geehrte Kollegen! In den vergangenen Wochen sind wir Zeugen unglaublicher Gräueltaten der Terrorgruppe Islamischer Staat geworden. Die schwer bewaffneten Milizen sind plündernd, mordend und marodierend bis in die Nähe Bagdads genauso wie zur kurdischen Autonomieregion im Norden des Irak und Syriens vorgerückt. Rigoros wird alles aus dem Weg geräumt, was nicht ihren Überzeugungen entspricht.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Bedrohung von religiösen Minderheiten – seien es Christen, Jesiden, Juden und viele mehr – ist mehr als dramatisch. Sie werden schlicht vor die Wahl gestellt, zum Islam zu konvertieren, sofort exekutiert zu werden oder ihrer Heimat beraubt zu werden.

Die Grausamkeiten der selbst ernannten Gotteskrieger zeigen sich auch deutlich im Einsatz von Streubomben. Human Rights Watch hat hierzu in einer aktuellen Presseerklärung deutlich Stellung bezogen. Jedoch nicht nur Minderheiten sind bedroht, sondern auch Muslime, Schiiten und Sunniten. Alle, die sich gegen den IS wehren, begeben sich in allergrößte Gefahr.

Kollegin Cárdenas, fast das Einzige, womit ich bei Ihren Ausführungen übereinstimme, ist die Zahl, dass deutlich mehr als 1 Million Flüchtlinge auf der Flucht sind, denen dringlich geholfen werden muss. Diese Menschen sind auf der Flucht vor dem Terror. Viele Hunderttausende suchen Schutz im Norden Iraks, in Teilen Syriens und in der Türkei.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, es fehlt an allem. Es fehlt an medizinischer Versorgung. Es fehlt an Lebensmitteln. Es fehlt an Unterkünften. Kurz gesagt: Es ist eine humanitäre Katastrophe.

Deutschland unternimmt enorm viel, um die Not zu lindern. Vier Fünftel aller Flüchtlinge aus Syrien außerhalb der Region werden in Deutschland aufgenommen. Die Politik hat die große Aufgabe, diesen Prozess klug zu begleiten und klug zu steuern.

Gerade auf europäischer Ebene gilt es, Hilfen zu koordinieren. Die Menschen im Irak brauchen keine vielen kleinen Pakete, sondern sie brauchen eine gesamtumfängliche Hilfe, dass sie nicht zum Schluss noch hingehen und die kleinen Pakete vor Ort verteilen müssen.

In Kenntnis der Fakten bin ich Bundesinnenminister de Maizière für den deutlichen Hinweis dankbar, dass auch andere Länder in der Pflicht sind und Deutschland nicht allein die Not dieser Welt heilen kann.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sehr richtig!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Flüchtlingshilfe ist im Wesentlichen immer Hilfe vor Ort. Ziel muss es sein, dass die Menschen in ihrer Heimat bleiben und sicher leben können. Die Not der Menschen muss nicht nur gelindert, sondern muss verhindert werden. Es geht auch darum, den Zerfall des irakischen Staatsgefüges zu verhindern. Für den Erfolg ist dabei ein politischer Prozess wichtig, der alle Bevölkerungsgruppen mit einbezieht.

Der kurdische Präsident Barzani stellt fest, dass 5 Millionen Menschen im Autonomiegebiet leben. Jetzt erwarten sie dort weitere 1,5 Millionen Flüchtlinge. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, auf Deutschland übersetzt würde das ein Zuwachs von 20 bis 30 Millionen Menschen bedeuten, um hier einmal die Dimensionen aufzuzeigen.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, der jüngst abgehaltene hessische Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung zeigt in diesen dramatischen Situationen, wie aktuell das Thema Flucht und Vertreibung und Deportation ist. Der IS-Terror und seine Expansion müssen aufgehalten werden. Der IS ist nicht nur eine Bedrohung für den Mittleren und Nahen Osten, sondern auch für den Rest der Welt.

Das betrifft auch die Mobilisierung junger europäischer Männer, die als Deutsche, als Franzosen und als Briten in den Heiligen Krieg ziehen, um dort zu kämpfen und gegebenenfalls nach Europa zurückzukehren. Ich bin dankbar, dass der UN-Sicherheitsrat gestern einstimmig eine Resolution verfasst hat, dass alle UN-Mitgliedstaaten verpflich

tet sind, die Ausreise von potenziellen Terroristen zu verhindern.

Genauso bin ich davon überzeugt, dass wir die Ausbildung in Terrorcamps strafrechtlich verfolgen müssen. Das sind wesentliche Aspekte. Es besteht Einigkeit innerhalb der NATO, innerhalb der Europäischen Union und im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, dass die Terrorgruppe IS bekämpft werden muss. Die Region des Nahen und Mittleren Ostens braucht die USA als Ordnungsmacht – Frau Kollegin Cárdenas. Und es ist zu begrüßen, dass Washington auch im arabischen Raum wichtige Partner gegen den Islamischen Staat gefunden hat.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Barack Obama hat recht, wenn er sagt, dass diese Terrorbande zerschlagen werden muss. Er hat recht, wenn er sagt, dass dies eine Aufgabe der internationalen Gemeinschaft ist. Er hat recht, wenn er sagt, dass der IS Länder wie den Libanon, Jordanien, Saudi-Arabien akut bedroht und mittelbar auch Israel. Es muss deutlich gemacht werden, was für eine Drohkulisse und was für ein Bedrohungspotenzial hier im Raume stehen.

Die irakische Staatsregierung bittet um militärische Unterstützung genauso wie der Präsident der autonomen Region Kurdistan im Nordirak, der eben schon erwähnte Masud Barzani. Mutige Kurden stellen sich den wesentlich besser bewaffneten IS-Terroristen in den Weg, sind aber ohne moderne Waffen chancenlos.

Wir begrüßen ausdrücklich die Bereitschaft der Bundesregierung, hier zu helfen. Die Hilfe ist auf dem Weg – humanitär, aber auch mit Waffen. Deutschland stellt sich damit seiner internationalen Verantwortung. Deutschland setzt sich damit für Frieden und Sicherheit ein. Deutschland steht parat, wenn es darum geht, einen Beitrag für Sicherheit, Frieden und die Bewältigung von Konflikten und Krisen zu leisten.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der ehemalige Außenminister Joschka Fischer hat völlig recht, wenn er feststellt, dass mit Gebetsteppichen und mit Zelten diese Terrormiliz, der IS, nicht erfolgreich bekämpft werden kann. Es besteht dringend Bedarf an militärischer Ausstattung,

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

an Schutzwesten, Helmen, aber auch Maschinengewehren und Panzerfäusten. Ich bin froh, dass seit gestern 13 Uhr diese Hilfe durch die Bundeswehr auch geliefert wird. Es ist auch zu begrüßen, dass die Bundeswehrsoldaten in Erbil an der Ausbildung von kurdischen Kämpfern an militärischem Gerät beteiligt sind, denn humanitäre Hilfe setzt ein gewisses Maß an Sicherheit voraus.

Daher schließen sich humanitäre Hilfen und Waffenlieferungen nicht aus, sondern gehören in diesem konkreten Fall zusammen. Wer die Debatte am 1. September im Deutschen Bundestag verfolgt hat,

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

konnte den Erfahrungsbericht von Volker Kauder, der vor Ort war, verfolgen. Klar ist auch die Botschaft gewesen, humanitäre Hilfe, die die Bundesrepublik Deutschland leis

tet – Frau Kollegin Cárdenas –, ist immer mehr als das, was an Waffen geliefert wird.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Das stimmt doch gar nicht!)

Insofern bitte ich, dies zur Kenntnis zu nehmen. Bei uns sind 50 Millionen € mehr als 30 Millionen €. Ich weiß nicht, wie das bei den LINKEN ist. Tatsache ist, es wurden bisher 150 t an Hilfsgütern nach Erbil in den Nordirak geliefert. Was die Waffen betrifft, ist die erste Tranche mit 30 Millionen € zu bewerten. Das muss klar und deutlich gesagt werden: Der humanitäre Aspekt steht immer vor dem Aspekt der Unterstützung durch Waffenlieferung.

Als wirtschaftlich starkes Land haben wir Verantwortung. Wir haben das auch als Bürger eines Landes, das dankbar dafür ist, dass andere Länder in ganz schwierigen Zeiten für uns Verantwortung getragen haben. Auch der deutschirakische Schriftsteller Navid Kermani fordert, dass wir uns vor Ort einmischen sollen.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Einmischen ist das richtige Wort!)

Hören Sie bitte genau zu. – Dies sollten die ewigen Bedenkenträger, die immer wissen, wie alles richtig geht, einmal ernst nehmen.

(Zuruf von der LINKEN: Herr Schwarz, es gibt nun einmal ein Völkerrecht! Das geht nicht nach: „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“!)