Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist gut, dass wir uns heute wieder mit der Ausbildungssituation in Hessen beschäftigen, denn Jahr für Jahr stellen wir fest, dass sich die Lage nicht wirklich zum Guten verändert
und dass es keine Maßnahmen gibt, die die Situation der jungen Menschen wirklich substanziell verbessert. Das ist das Problem, über das wir reden. Der Antrag der SPD benennt dazu einige aktuelle Zahlen. Man muss wirklich sagen: Es ist für ein wirtschaftlich so starkes Land wie Hessen beschämend, wenn wir nach wie vor feststellen, dass die Unternehmen ihrer Verantwortung, Ausbildungsplätze zu schaffen und jungen Menschen eine Ausbildung zu ermöglichen, einfach nicht in ausreichendem Umfange nachkommen.
Das kann man – Herr Kollege Bocklet hat eben schon darauf verwiesen – im Bericht des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung mit dem Titel „Berufsausbildung in Hessen“ nachlesen. Ich lese die Veröffentlichungen der Landesregierung. Ich würde Herrn Klein auch empfehlen, dies einmal zu tun, weil ich glaube, dass Sie dann eine andere Rede gehalten hätten.
Darin kann man nämlich nachlesen, dass in Hessen statistisch 88,3 Ausbildungsplätze für 100 nachfragende Jugendliche angeboten werden. Damit liegt Hessen noch unter dem Bundesdurchschnitt von 91,9 Stellen pro 100 Nachfragende. Diese Zahl ist zurückgegangen, Herr Klein, wenn ich Ihnen das einmal zeigen darf.
Das können Sie auf Seite 6 des Berichts nachlesen. Dort wird deutlich ausgeführt, dass sich Hessen in der Rangfolge der Bundesländer noch einmal leicht verschlechtert hat. Das heißt: Wir haben die Situation, dass es nicht besser wird, wie Sie suggerieren, sondern es wird im Bundesvergleich eher schlechter.
Es ist auch eine schöne Grafik des Wirtschaftsministeriums drin, die Länder haben hierbei unterschiedliche Farben. Die Farbe Weiß heißt „Durchschnitt“, und je dunkler das Blau ist, umso schlechter ist die Situation. Ich will Ihnen nur sagen: 2011 war Hessen noch weiß; 2012 wurde Hessen hellblau, und 2013 ist Hessen, sagen wir einmal, königsblau. Von daher stellen wir fest: Die Tendenz ist negativ, d. h. wir haben weniger Ausbildungsverträge. Auch das kann man in dem Bericht nachlesen, zu dem der Wirtschaftsminister das Vorwort geschrieben hat. Das heißt, es sind offizielle Zahlen des Ministeriums. Darüber brauchen wir uns überhaupt nicht zu streiten. Ich finde aber schon, dass dieser Bericht sehr ehrlich ist und klar macht, dass wir hier ein Problem haben und dass dieses Problem nicht kleiner wird.
Ich muss ganz ehrlich sagen: Herr Klein, ich kann nicht ganz nachvollziehen, warum Sie der SPD vorwerfen, sie würde die Situation dramatisieren. Da ich jetzt gerade Ihre Presseerklärung gelesen habe, in der auch steht, die SPD sollte einmal nicht so tun, als hätten wir es mit einem mas
senhaften Missstand zu tun, sage ich: Doch, wir haben es mit einem massenhaften Missstand zu tun, wenn Tausende Jugendliche jedes Jahr keinen Ausbildungsplatz finden, unversorgt bleiben und in der dualen Ausbildung überhaupt keinen Platz finden, sondern in sinnlosen Warteschleifen bleiben.
Ja, wir haben einen massenhaften Missstand. Diesen wegzureden, ist, ehrlich gesagt, absurd. Ich finde, die Rede des Kollegen Bocklet hat sich wohltuend von Ihrer Rede abgehoben.
Herr Klein, das will ich Ihnen noch einmal verdeutlichen, weil Sie mir offensichtlich nicht glauben. Vielleicht glauben Sie dem Wirtschaftsminister, der der Landesregierung angehört, die Sie unterstützen. Auch in der Zusammenfassung und dem Fazit ist klar nachlesbar:
Mit den aktuellen Beschäftigungszuwächsen halten die beruflichen dualen Ausbildungsaktivitäten in Hessen derzeit nicht Schritt. … Letztlich ergab sich … ein Minus von 1,5 % bzw. 600 Verträgen …
Das heißt, wir haben es wirklich mit einem flächendeckenden Problem zu tun, nicht nur im ländlichen Raum, sondern eben auch in den Städten. Überall haben wir dieses Problem.
Ich finde es auch sehr interessant, dass in diesem Bericht ausgeführt wird, dass auch die Ausbildungsquote, also der Anteil der Auszubildenden, in Hessen erneut in allen Betriebsgrößenklassen unter dem Niveau Westdeutschlands liegt. Im Übrigen würde ich noch einmal in die Presseerklärung schauen, die Sie verschickt haben. Dort behaupten Sie nämlich Gegenteiliges. Hier haben wir es mit einer sinkenden Ausbildungsbereitschaft zu tun. Der Bericht sagt ganz klar, dass wir es mit sinkenden Ausbildungsquoten zu tun haben, und zwar auch in den Kleinstbetrieben, die eigentlich immer das Rückgrat der beruflichen Ausbildung waren. Herr Klein, von daher kann ich Ihnen nur empfehlen, sich das einmal anzuschauen und zu überlegen, ob diese Schönrednerei, die Sie heute betreiben, der aktuellen Situation und dem Schicksal vieler junger Menschen wirklich angemessen ist.
Bei allen Zahlen will ich nur einmal daran erinnern, ob es nun 88 % oder 91 % sind, dass es einmal eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gab, die bestätigt hat, dass das Recht auf freie Berufswahl, das im Grundgesetz garantiert ist, überhaupt erst erreicht ist, wenn man 112,5 % an Ausbildungsangeboten hat, d. h. wenn man einen Überschuss von 12,5 % hat, weil erst dann eine Auswahl bestehen kann. An diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts muss man ab und zu erinnern. Von einem Verhältnis 1 : 1 sind wir schon weit entfernt, aber von dem Recht auf freie Berufswahl, so wie es das Bundesverfassungsgericht einmal festgestellt hat, kann überhaupt nicht die Rede sein.
Wir reden also davon, dass 2013 insgesamt 7.553 junge Menschen in Hessen vergeblich nach einem Ausbildungsplatz suchten. Ich finde es immer wieder verwerflich, wenn die Unternehmen dann als Allererstes die Schuld auf die Bewerber schieben und erklären, sie seien nicht ausbildungsreif, sie seien nicht qualifiziert genug. Das heißt, obwohl sie einen berufsqualifizierenden Schulabschluss haben, würden sie den Anforderungen der Berufsausbildung nicht gerecht werden. Es ist schon eine perfide Argumentation, zu sagen: „Wir schaffen zu wenige Ausbildungsplätze, aber schuld sind eigentlich die jungen Leute, die nicht ausbildungsreif sind“, obwohl es nach wie vor eine rechnerische Lücke gibt. Wenn die Argumentation stimmen würde, dann müsste es ja derzeit einen Überschuss an Ausbildungsplätzen geben.
Die Menschen, die eine besondere Unterstützung benötigen, müssen diese individuell erhalten. Damit bin ich bei der Landesregierung. Man muss sich einmal die heutigen Maßnahmen im Übergangssystem anschauen. Sie sind weder systematisch, noch stellen sie einen Übergang sicher. Sie stellen oft eher Warteschleifen dar, die die jungen Menschen sehr, sehr viel Zeit kosten, und am Ende haben sie trotzdem keinen Berufsabschluss. Da muss sich etwas ändern.
Herr Klein, wenn Sie sinngemäß sagen: „Wir brauchen eine differenzierte schulische Bildung und eine starke Wirtschaft, dann wird sich das Problem schon lösen“, kann ich nur antworten: Das, was Sie unter „guter, differenzierter schulischer Bildung“ verstehen, ist eine Schulbildung, die eben nicht allen eine Chance gibt; denn das dreigliedrige Schulsystem selektiert viel zu früh, es sortiert Menschen viel zu früh aus.
Die Leute, die nach der 4. Klasse auf die Hauptschule oder auf die Förderschule gehen, haben kaum eine Chance auf einen höheren Schulabschluss und demzufolge schlechtere Chancen auf dem Ausbildungsmarkt.
dann wird sich das Problem lösen“, dann will ich darauf hinweisen, dass es die DAX-Konzerne sind, die nicht ausreichend ausbilden. Sie haben beschämende Ausbildungsquoten und stehlen sich aus der Verantwortung. Man kann ja nun nicht sagen, dass es diesen Konzernen nicht gut gehen würde. Sie stehlen sich aus der Verantwortung. Deshalb stimmt das Credo „starke Wirtschaft, dann wird sich das Problem schon lösen“ nicht. Auf Freiwilligkeit zu setzen, hilft überhaupt nicht.
Wir müssen die Unternehmen über eine Ausbildungsplatzumlage verpflichten, Ausbildungsplätze zu schaffen, weil es nicht sein kann, dass die Kleinen ausbilden und die Großen sich aus der Verantwortung stehlen, meine Damen und Herren.
Wir müssen uns einmal anschauen: Wer bleibt vor allem auf der Strecke? Dabei spielt die soziale Herkunft nach wie vor eine riesige Rolle. Es geht insbesondere um Menschen mit niedrigem Schulabschluss, es geht um Menschen mit Migrationshintergrund. Es kann doch nicht sein, dass Menschen mit Hauptschulabschluss im Durchschnitt zweieinhalb Jahre im Übergangssystem verbringen, danach immer noch keinen Ausbildungsplatz erhalten und als prekär Beschäftigte auf dem Arbeitsmarkt landen. Damit müssen wir Schluss machen. Wir brauchen einen grundlegenden Umbau der Übergangssysteme.
Ich will auch noch einmal das ansprechen, was Frau Gnadl schon ausgeführt hat: Wer heute keine Berufsausbildung hat, der ist dazu verdammt, lebenslang in prekärer Beschäftigung zu Niedriglöhnen zu arbeiten. Bei dem ist Altersarmut vorprogrammiert. Deswegen muss es auch Aufgabe der Landespolitik sein, dafür zu sorgen, dass jeder junge Mensch eine Berufsausbildung machen kann und nicht als Ungelernter in Niedriglohnjobs landet.
Dabei muss man auch über das Thema „Fachkräftemangel“ reden. Alle jammern darüber. Ich finde: Man sollte jedes Unternehmen, das darüber jammert, fragen, wie viele Ausbildungsplätze es selbst geschaffen hat.
Ich möchte noch auf einen wichtigen Punkt hinweisen: Auch der öffentliche Dienst schafft viel zu wenige Ausbildungsplätze. 2001 waren es 1.368 Stellen, 2013 waren es nur noch 1.032. Das heißt, auch der öffentliche Dienst, auch die Kommunen und das Land ziehen sich aus der Verantwortung. Das hat etwas mit der finanziellen Situation der Kommunen zu tun, aber die öffentliche Hand darf sich hier nicht aus der Verantwortung stehlen, sondern muss mit gutem Beispiel vorangehen und mehr Ausbildungsplätze schaffen.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Ich hätte gerne noch etwas zur Ausbildungsqualität, zur Mindestvergütung und zu all diesen Fragen gesagt, aber ich musste ja Herrn Klein noch einmal die reale Situation erklären.
Deshalb zum Schluss: Wir brauchen Gesetze und keine leeren Versprechen. Ich hoffe, dass sich die Landesregierung und auch die SPD auf der Bundesebene – sie ist in der Großen Koalition – dafür einsetzen, dass sich an dieser Situation etwas ändert.