Protokoll der Sitzung vom 25.03.2015

(Beifall bei der SPD und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Frau Kollegin Gnadl, vielen Dank. – Als Nächste erhält Frau Abg. Wissler für die Fraktion DIE LINKE das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich sagen, dass es gut ist, dass wir uns heute mit der Ausbildungsplatzsituation in Hessen beschäftigen. Denn Jahr für Jahr stellen wir fest, dass sich die Lage nicht wirklich grundlegend ändert. Nach wie vor gilt: Die Unternehmen kommen ihrer Verantwortung, junge Menschen auszubilden, nicht in ausreichendem Umfang nach.

Wenn wir uns den Bericht „Berufsausbildung in Hessen 2014“ der Hessen Agentur anschauen, dann kann man darin nachlesen, dass in Hessen statistisch 88,3 Ausbildungsplätze für 100 nachfragende Jugendliche angeboten werden. Damit liegt Hessen noch unter dem Bundesdurchschnitt von 91,9 Stellen pro 100 Nachfragenden.

Ich will daran erinnern, dass das Bundesverfassungsgericht einmal in einem Grundsatzurteil entschieden hat, dass die Umsetzung des im Grundgesetz verankerten Rechts auf freie Berufswahl erst dann erfüllt sei, wenn das Ausbildungsplatzangebot 12,5 % über der Zahl der Bewerber liege. Erst dann könne man, statistisch gesehen, seinen Beruf wirklich frei wählen. Selbst wenn wir das Verhältnis 1 : 1 hätten – auch davon sind wir noch weit entfernt –, kann von einer freien Berufswahl gar nicht die Rede sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben die Situation, dass jedes Jahr Tausende junger Menschen vergeblich nach einem Ausbildungsplatz suchen. Gleichzeitig haben wir die Situation, dass Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben. Die Unternehmen verweisen oft darauf, dass die Bewerberinnen und Bewerber angeblich nicht genügend qualifiziert seien, trotz eines berufsqualifizierenden Schulabschlusses würden sie den Anforderungen einer Berufsausbildung nicht gerecht.

Ich finde, man muss mit dem Argument ein bisschen vorsichtig umgehen, dass die Bewerber selbst schuld seien. Denn die Unternehmen stehen erst einmal in der Pflicht, den Bewerbern geeignete Ausbildungsplätze anzubieten. Wer eine besondere Unterstützung benötigt, muss diese auch individuell erhalten.

Wir haben über den Übergangsbereich gesprochen, der in Hessen besonders stark ausgeprägt ist. Wir haben über 17.000 Jugendliche in den sogenannten Warteschleifen. Bei den heutigen Maßnahmen im Übergangssystem kann eigentlich nicht davon die Rede sein, dass sie in irgendeiner Form systematisch sind. Oftmals stellen sie auch gar keinen Übergang sicher. Sie stellen eher Warteschleifen dar und kosten junge Menschen oft viel Zeit, ohne dass sie dabei wirklich vorankommen.

Deswegen muss man sich anschauen, wie das Übergangssystem gestaltet ist. Ich meine, wir brauchen einen grundlegenden Umbau des sogenannten Übergangssystems. Es kann nicht sein, dass Menschen mit Hauptschulabschluss im Durchschnitt zweieinhalb Jahre im Übergangssystem verbringen, danach vielleicht keinen Ausbildungsplatz erhalten und dann als ungelernte Kräfte in prekärer Arbeit landen. Damit müssen wir Schluss machen und dafür sorgen, dass das Übergangssystem so strukturiert wird, dass es wirklich einen Übergang schafft und dazu führt, dass Menschen, die dort herauskommen, eine Qualifizierung haben.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir sollten uns auch ansehen, wer bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz auf der Strecke bleibt. Fakt ist, dass die soziale Herkunft nach wie vor eine wichtige Rolle dabei spielt. Gerade junge Menschen mit niedrigem Schulabschluss sind davon betroffen und finden kaum einen Ausbildungsplatz. Aber auch Jugendliche mit Migrationshintergrund sind auf dem Ausbildungsmarkt besonders benachteiligt.

(Michael Boddenberg (CDU): Kommen Sie einmal mit fünf solchen Jugendlichen zu mir, dann besorge ich ihnen einen Ausbildungsplatz! Das dauert keine Stunde!)

Herr Boddenberg, alles klar. Das ist ein gutes Angebot. Ich hoffe, es ist im Protokoll so vermerkt.

(Michael Boddenberg (CDU): Das können Sie so vermerken! – Er nickt schon!)

Das Problem ist, wir haben in Hessen ein paar mehr als fünf, die unversorgt sind.

(Michael Boddenberg (CDU): Dann kommen Sie mit zehn!)

Wenn Sie da unbegrenzte Möglichkeiten haben, ist es interessant, das zu wissen.

(Beifall bei der LINKEN – Michael Boddenberg (CDU): Das ist alles theoretisches Geschwätz!)

Allerdings frage ich mich dann, warum Sie überhaupt ein Bündnis für Ausbildung gebraucht haben, wenn Sie doch Herrn Boddenberg in Ihren Reihen haben, der offensichtlich Ausbildungsplätze en masse vermitteln kann. Dann hätten Sie das Bündnis doch gar nicht gebraucht.

(Beifall bei der LINKEN)

Es zeigt sich sehr deutlich, dass es die kleinen und die Kleinstbetriebe sind, die überproportional ausbilden, während sich die Großkonzerne aus der Verantwortung stehlen. Auch deshalb halten wir die Einführung einer Ausbildungsumlage für einen richtigen Schritt, für dringend notwendig. Wenn die Großunternehmen schon nicht ausbilden, dann sollten sie sich doch wenigstens an der Finanzierung beteiligen.

(Beifall bei der LINKEN)

Man sollte jeden Unternehmer, der sich über Fachkräftemangel beschwert, fragen, was er denn dazu beigetragen hat, diesen Fachkräftemangel zu bekämpfen, und wie hoch die Ausbildungsquote in seinem eigenen Betrieb ist. Ich finde, nach wie vor kommen die Unternehmen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung, genügend Ausbildungsplätze zu schaffen, nur unzureichend nach.

Herr Boddenberg, vielleicht können Sie sich auch folgender Sache persönlich annehmen: Auch Land und Kommunen sind hier wahrlich nicht vorbildlich. Eigentlich müssten sie mit gutem Beispiel vorangehen und Ausbildungsplätze schaffen. Das tun sie aber nicht.

(Holger Bellino (CDU): Was ist mit den Gewerkschaften?)

Die Bedeutung des öffentlichen Dienstes auf dem dualen Ausbildungsmarkt nimmt ab. Auch das kann man im Bericht zur Berufsausbildung 2014 nachlesen. Das ist auch eine Folge der schlechten Ausstattung der Kommunen. Aber gerade die öffentliche Hand müsste hier mit gutem Beispiel vorangehen und Ausbildungsplätze schaffen. Denn wenn es die öffentliche Hand nicht tut, dann ist ihre Autorität gegenüber den Unternehmen, sich dafür einzusetzen, auch nicht so hoch.

(Beifall bei der LINKEN)

Anfang März hat die Landesregierung das „Bündnis Ausbildung Hessen“ ins Leben gerufen. Anders als in den vergangenen Jahren – Herr Minister, das will ich ausdrücklich würdigen – war der DGB dabei und hat dieser Vereinbarung zugestimmt. Ich finde, man muss schon feststellen, dass es hier auf jeden Fall einen Fortschritt gibt im Vergleich zum Ausbildungspakt von 2002. Der Fortschritt ist zum einen, dass der DGB dabei ist; aber es hat auch inhaltliche Gründe, warum der DGB das mit unterzeichnet hat. Ein wirklicher Fortschritt ist, dass man endlich einmal messbare Ziele, also konkrete Zahlen, vereinbart hat. Damit ist eine Möglichkeit zur Überprüfung geschaffen worden. Das will ich ausdrücklich anerkennen.

(Günter Schork (CDU): Das wurde eben gerade bestritten!)

Aber das ist nur der erste Schritt. Wichtig ist, dass diese Vereinbarung jetzt mit Leben gefüllt wird und die Unternehmen in der Pflicht sind, diesen Zusagen jetzt auch nachzukommen.

(Günter Schork (CDU): Richtig!)

Deswegen sage ich ausdrücklich: Das kann ein Schritt in die richtige Richtung sein. Aber wir haben in der Vergangenheit schon sehr oft erlebt, dass solchen freiwilligen Vereinbarungen – Bündnissen, Ausbildungspakten – einfach keine Taten gefolgt sind. Deswegen sagen wir: Wenn das zu mehr Ausbildungsplätzen in Hessen führt, ist das gut; aber wir sind der Meinung, dass wir eine gesetzliche Regelung in Form der Ausbildungsplatzumlage bräuchten,

um deutlich zu machen, dass die Unternehmen hier eine gesellschaftliche Verantwortung haben, der sie sich nicht entziehen können.

Ich will nochmals darauf hinweisen: Die Landesregierung könnte bei den Ausbildungsverbünden mehr machen. Auch hier könnte man Unternehmen sehr konkret unterstützen, Kleinunternehmen, wenn sie Ausbildungsplätze schaffen.

(Beifall bei der LINKEN – Minister Tarek Al-Wa- zir: Das kommt! – Judith Lannert (CDU): Das wird doch gemacht! – Zuruf des Abg. Jürgen Lenders (FDP))

Frau Lannert, Sie sagen, das wird gemacht. Der Minister sagt, es kommt. – Da müssten Sie sich jetzt einmal entscheiden.

(Minister Tarek Al-Wazir: Ich komme jetzt ans Red- nerpult!)

Gut, dann erklären Sie das nochmals.

Wie gesagt, das wäre ein Ansatz, den auch wir für richtig halten.

Ich will noch auf etwas hinweisen, was auch die Kollegin Gnadl angesprochen hat: die Qualität der angebotenen Ausbildungsplätze. Auch das ist in der Vereinbarung zumindest angesprochen. Die letzte Auszubildendenumfrage des DGB ergab, dass junge Menschen, die beispielsweise eine Ausbildung zum Koch, zum Hotelfachmann, zum Maler oder Lackierer oder auch zum Fachverkäufer im Lebensmittelhandwerk machen, sehr oft unzufrieden sind. Viele von ihnen geben an, dass sie mehr als die 40 Wochenstunden arbeiten, was eigentlich gesetzlich verboten ist. 10 % der Befragten beklagen, dass sie viele ausbildungsfremde Tätigkeiten erledigen müssen. Nur 40 % der Auszubildenden bekamen nach ihrem Abschluss ein Übernahmeangebot, und in einem Drittel dieser Fälle war das auch noch auf ein Jahr befristet. Die Aussicht auf Übernahme ist vage, dafür müssen sie viel Kaffee kochen und kopieren. Gerade Branchen, die über mangelnde Bewerberzahlen klagen, haben offenbar große Qualitätsprobleme in der Ausbildung. Auch hier ist das Land gefragt, mehr Kontrollen durchzuführen, ob Gesetzesverstöße vorliegen. Auszubildende sollen eben nicht als billige Arbeitskräfte herhalten, sondern es muss wirklich deutlich gemacht werden: Auch die Qualität der Ausbildung ist ein Thema, das die Landespolitik interessiert.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Lisa Gnadl und Torsten Warnecke (SPD))

Die Berufswahl prägt den Lebensweg wie kaum eine andere Entscheidung. Deswegen ist es auch Aufgabe der Politik, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass junge Menschen ihre Berufswünsche verwirklichen können.

Jetzt haben wir ein solches Bündnis. Ob man sich diesmal an die Vereinbarungen hält, wird sich zeigen. Wir sind der Meinung, grundsätzlich bräuchten wir eher Gesetze auf Bundesebene als Versprechen: das Recht auf eine qualifizierte Berufsausbildung, die Ausbildungsplatzumlage. Das wäre fair und gerecht; denn Unternehmen, die nicht ausbilden, sollen wenigstens dafür zahlen, damit die kleinen Unternehmen unterstützt werden, die die Ausbildungsplätze schaffen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Abg. Wissler. – Herr Minister Al-Wazir, Sie haben eben gesagt, Sie kommen jetzt ans Rednerpult. Soll ich das so verstehen – –

(Minister Tarek Al-Wazir: Nein, nein!)

Gut. – Herr Schork, dann haben Sie als Nächster das Wort. Bitte sehr.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landesregierung kann natürlich jederzeit das Wort ergreifen.

(Minister Tarek Al-Wazir: Nein, nein!)

Aber bei diesem Punkt halte ich es für richtig, dass wir uns an die Reihenfolge halten.