Protokoll der Sitzung vom 26.05.2015

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD – Beifall des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Bevor ich Frau Kollegin Müller von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort erteile, begrüße ich auf der Tribüne unseren ehemaligen Abgeordnetenkollegen Dr. Walter Lübcke. Schön, dass Sie wieder einmal bei uns sind.

(Allgemeiner Beifall)

Frau Müller, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Anlass der heutigen Regierungserklärung ist der 20. Deutsche Präventionstag in Frankfurt in der nächsten Woche, der unter dem Motto steht: „Prävention rechnet sich. Zur Ökonomie der Kriminalprävention“. Eigentlich ist mit dem Motto alles gesagt. Aber man muss es immer wieder sagen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Man hat es auch eben beim Rundumschlag von Frau Hofmann gemerkt: Wir müssen viel in Prävention investieren. Aber ob wir so viel in Prävention investieren können, dass alle Wünsche von Frau Hofmann erfüllt werden, das weiß ich nicht so genau.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der CDU)

Noch ein Satz zur Anhörung über Salafismus und zu den Imamen in den JVAen. Da haben Sie etwas aufgeschnappt, und es ist Ihr Mantra, dass die Landesregierung da zu wenig tut. – Es ist so, ein religiöses Angebot für Muslime gibt es in fast allen JVAen. Es gibt zwei Imame, die die seelsorgerliche Betreuung machen. Was den Salafismus angeht, hat Hessen einzigartig das Violence Prevention Network installiert. Die gehen auch in die Gefängnisse, schauen ganz gezielt, ob Menschen in diesem Bereich auffällig sind, und kümmern sich um sie.

(Zuruf des Abg. Marius Weiß (SPD))

Da können Sie nicht sagen, dass in Hessen nichts passiere und wir uns dieser Verantwortung nicht stellten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Heike Hofmann (SPD): Viel zu wenig!)

Außerdem ist es so, dass Muslime gerne zu den christlichen Seelsorgern gehen, weil diese unter Schweigepflicht stehen, ganz im Gegensatz zu den Imamen, die nicht unter der Verschwiegenheitsverpflichtung stehen. Sie fühlen sich da mit ihren Sorgen und Problemen viel besser aufgehoben als bei den Imamen. – Das zur Aufklärung.

Jeder Euro, den wir für Prävention ausgeben, spart uns Investitionen in den sogenannten Pflichtaufgaben, für die es gesetzliche Grundlagen gibt und die vom Staat bezahlt werden. Das ist auch die Krux, das Paradoxe und die Schwierigkeit, dass zuerst immer bei den freiwilligen Leistungen gespart wird und im Präventionsbereich natürlich immer mehr investiert werden könnte. Das gilt für den Justizbereich, aber auch für alle anderen Bereiche.

Das alles hängt auch irgendwie zusammen. Wenn wir uns um die Jugendlichen in originärer Jugendarbeit kümmern und das als Prävention verstehen, indem wir ihnen Perspektiven für ihr weiteres Leben, insbesondere ihr Berufsleben, aufzeigen, ihnen Anerkennung und Wertschätzung zuteilwerden lassen, ihnen Teamfähigkeit vermitteln usw., sparen wir uns später die Ausgaben in der Jugendhilfe. Um auf ein Thema von morgen zurückzukommen: Der Jugendarrestvollzug ist nur ein Teil, der reparieren kann, was in der Prävention schiefgelaufen ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Prävention rechnet sich, und das müssen wir immer wieder sagen: trotz oder gerade wegen der Schuldenbremse im Bund, im Land und in den Kommunen. Wir müssen Spielräume schaffen, um in Präventionsmaßnahmen zu investieren, damit wir langfristig sparen. Aber dafür müssen wir erst einmal die Spielräume schaffen.

Das geschieht nämlich nicht nur aus ökonomischen Überlegungen heraus, sondern auch aus gesellschaftlicher Verantwortung gegenüber den Opfern, die keine werden, wenn es keine Täter gibt. Jede Tat, die durch Prävention vermieden werden kann, ist ein Gewinn für die Gesellschaft, aber auch für die Staatskasse.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

An dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe arbeiten Jahr für Jahr viele haupt- und ehrenamtlich tätige Bürgerinnen und Bürger, die sich auf unterschiedlichsten Tätigkeitsfeldern engagieren.

Auch das wurde schon gesagt: Ohne diese Arbeit wäre Prävention nicht möglich und auch gar nicht leistbar. – Diesem Gedanken fühlt sich auch der Präventionstag verpflichtet. Er wendet sich seit 1995 an Verantwortungsträger der Prävention, z. B. in Kommunen, der Polizei, im Gesundheitswesen, in der Jugendhilfe, in der Justiz, in Kirchen, Schulen, Vereinen und Verbänden sowie an Politiker und Wissenschaftler. Dort sind also alle gesellschaftlichen Gruppen vertreten. Neben Kriminalprävention werden auch die Themen Suchtprävention, Verkehrsprävention und verschiedene Präventionen im Gesundheitswesen thematisiert.

Prävention rechnet sich also von der Wiege bis zur Bahre. Wie wichtig diese Arbeit ist, die im Justizministerium mit dem Landespräventionsrat angesiedelt ist und die durch die Vernetzung mit anderen Ministerien und Bundesländern erfolgreich ist, möchte ich kurz darstellen und mit einigen Beispielen hervorheben.

Der Landespräventionsrat – in der Langfassung heißt er die Sachverständigenkommission für Kriminalprävention der Hessischen Landesregierung – unterstützt mithilfe der Geschäftsführung und der Moderation durch das Hessische Ministerium der Justiz die Präventionsarbeit vor Ort und berät bei der Umsetzung der Präventionskonzepte auf kommunaler Ebene. Es erfolgen jährliche Treffen mit den örtlichen Gremien. Dadurch werden die Vernetzung und der Informationsaustausch gefördert.

Da ich aus Kassel komme, kommt jetzt der Werbeblock.

(Zuruf: Ah!)

Genau. – In Kassel organisiert der Präventionsrat jährlich Präventionstage, bei denen unterschiedliche Themen behandelt werden. Der deutsche Präventionstag im Kleinen findet in Kassel seit dem Jahr 2001 unter dem Motto „Gewalt – Sehen – Helfen“ statt. Damit die Frankfurter auch Erwähnung finden, sage ich: Das Motto wurde in Frankfurt entworfen und von Kassel übernommen. Es soll sukzessive zum landesweiten Motto werden. Einige Städte haben es bereits übernommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Der 14. Präventionstag in Kassel findet vom 11. bis 13. November 2015 statt. Er steht unter dem Motto „Umgang mit Medien und sozialen Netzwerken“. Sie sind alle recht herzlich eingeladen, auch diesen Präventionstag zu besuchen.

(Gerhard Merz (SPD): Dafür hätte eine E-Mail gelangt!)

Ach, Herr Merz. – Um zu zeigen, wie breit das Spektrum ist, das diesen Präventionsrat trägt, zähle ich Ihnen auf, wer dort Mitglied ist. Dies sind der Oberbürgermeister, der Bürgermeister, die Dezernentin für Jugend, Schule, Frauen und Gesundheit, der Polizeipräsident, der Präsident des Landgerichts, der Präsident des Amtsgerichts und der Leiter der Staatsanwaltschaft beim Landgericht. Es gibt eine Geschäftsführung. Durch die Zusammenarbeit dieser unterschiedlichen Funktionsträger und Ebenen kann eine sehr gute und vernetzte Präventionsarbeit geleistet werden.

Ähnlich wie in Kassel gibt es in 176 weiteren Städten einen Präventionsrat. Ich denke, das ist schon eine ganz ordentliche Leistung für den Landespräventionsrat, der seit gut 20 Jahren besteht.

Aber nicht nur die Unterstützung der kommunalen Ebene beim Aufbau und der Durchführung der Präventionsarbeit oder das Organisieren der gemeinsamen Veranstaltungen mit den örtlichen Präventionsgremien sind die Aufgaben des Landespräventionsrats. Natürlich bewegt der Landespräventionsrat auf Landesebene und aufgrund der Vernetzung mit den anderen Bundesländern auf Bundesebene einiges. Auf den beiden letzten Präventionstagen in Bielefeld und Karlsruhe wurde eine Vielzahl hessischer kriminalpräventiver Projekte dargestellt, die bundesweit Aufmerksamkeit erlangt haben. Ich denke, das ist sicherlich auch ein

Grund dafür, weshalb wir den Präventionstag jetzt nach Hessen holen konnten.

Der Landespräventionsrat unterbreitet Vorschläge und Empfehlungen. Er berät die Landesregierung sachverständig. Außerdem gibt es alle zwei Jahre den Hessischen Präventionspreis. Das hört sich sehr theoretisch an, ist aber praktisch zu verstehen, wenn man sich die Berichte einmal anschaut.

Der Präventionspreis wird seit 18 Jahren vergeben. Ziel des Wettbewerbes ist es, durch den zu vergebenden Preis kriminalpräventive Projekte in Hessen zu unterstützen, die Vorbildfunktion besitzen und von Präventionsgremien zur Problembewältigung übernommen werden können.

Der Wettbewerb kennt keine Verlierer. Es gibt nur Gewinner, weil alle ihre Projekte vorstellen können. Sie können dann von anderen kopiert werden. Letztes Jahr haben sich 33 Projekte beworben. Es gibt immer drei erste Preise und dann noch weitere Anerkennungspreise. Das ist also ein breites Spektrum.

Wer mehr über die Projekte wissen möchte, dem empfehle ich, es nachzulesen. Das ist im Netz alles beschrieben. Vielleicht findet man dort Anregungen für die eigene Stadt.

Ein weiterer großer Bereich des Landespräventionsrats ist die Beratung der Hessischen Landesregierung. Zu verschiedenen Fragen und Aufgabestellungen der Kriminalprävention gibt es Arbeitsgruppen mit Sachverständigen, die die Landesregierung beraten.

So gibt es aktuell eine Arbeitsgruppe zu Gewalt und Minderheiten, in der Vertreterinnen und Vertreter der Staatlichen Schulämter aus Offenbach und Frankfurt sitzen, was allein schon erwähnenswert ist. Weiterhin sind in dieser Arbeitsgruppe der Landesfrauenrat Hessen, die Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte, der Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Hessen, der Hessische Städteund Gemeindebund, die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau, das CGIL Bildungswerk in Frankfurt, das Polizeipräsidium Südhessen, das Ministerium für Soziales und Integration, das Ministerium der Justiz, der Hessische Jugendring, die Sportjugend Hessen und die Hessische Hochschule für Polizei und Verwaltung vertreten.

Also auch da handelt es sich um ein breites Spektrum. Die Arbeitsgruppen beschäftigen sich mit dem Schwerpunktthema Prävention und Extremismus unter verschiedenen Gesichtspunkten.

Diese Arbeitsgruppe tagt bereits seit dem Jahr 2002. Wie wir gehört haben, verliert ihre Arbeit nicht an Aktualität.

Nach der fachlichen Empfehlung der Arbeitsgruppe an die Landesregierung konnte IKARus, das Informations- und Kompetenzzentrum Ausstieghilfen Rechtsextremismus, gebildet werden, mit dem das Beratungsnetzwerk Hessen um den Baustein Mobile Intervention gegen Rechtsextremismus ergänzt wurde. Sie sehen also, dass die Arbeit des Präventionsrates und der Arbeitsgruppen ganz praktische Auswirkungen hat.

Aufgrund der Erfahrungsberichte über zunehmende Fremdenfeindlichkeit unter Jugendlichen mit Migrationshintergrund hat sich die Arbeitsgruppe intensiv mit einem Kooperationsprojekt in Offenbach befasst. Sie hat positive Verhaltensänderungen im Verlauf des Projektes feststellen können. Unter anderem ergab sich aus dieser Arbeit der

Arbeitsgruppe die Empfehlung an die Landesregierung, dass pädagogische Projekte, die sich mit dem Thema Fremdenfeindlichkeit reflektorisch auseinandersetzen, helfen, entsprechende Tendenzen schon im Ansatz zu vermeiden. Das sollte deshalb gezielt gefördert werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Klaus Dietz (CDU))

Die Arbeitsgruppe hat sich ebenfalls des Themas kriminalpräventive Initiativen zur verbesserten Integration der Muslime in Hessen angenommen. Aufgrund von Fachveranstaltungen empfahl die Arbeitsgruppe der Landesregierung, einen zentralen Ansprechpartner zur Koordination der verschiedenen kommunalen, regionalen und landesweiten präventionsrelevanten Dialogforen einzurichten. In Abstimmung mit dem Integrationsbeirat und dem Landespräventionsrat wurden eine konkrete Aufgabenstellung und ein Anforderungsprofil erarbeitet. Bereits im Jahr 2008 wurde der Landesmigrationsbeauftragte der hessischen Polizei eingesetzt. Seitdem arbeitet er erfolgreich.

Dieser hat wiederum seine Ziele mit der Arbeitsgruppe abgestimmt. Daraus ergab sich folgende Empfehlung an die Landesregierung: Bei der gesamtgesellschaftlichen Kriminalprävention sollte mit möglichst vielen Gruppen und Organisationen auf Augenhöhe und eng zusammengearbeitet werden. Ein Konzentrieren auf eine einzelne Gruppe oder Religionszugehörigkeit kann unberechtigte Vorurteile fördern – oder sogar zu einer Stigmatisierung und, damit verbunden, zu fremdenfeindlichen Tendenzen führen. – Ich denke, besser kann man es nicht formulieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

So entwickelt sich die Arbeit in den Gruppen immer weiter. Es entstehen fundierte Empfehlungen an die Landesregierung hinsichtlich der Kriminalprävention in den unterschiedlichsten Bereichen.

Es gibt noch weitere Arbeitsgruppen. Frau Kühne-Hörmann hat die Arbeitsgruppe „Gewalt im häuslichen Bereich“ beschrieben. Es gibt auch noch die Arbeitsgruppe „Prävention für ältere Menschen“. Ganz interessant ist, dass diese Arbeitsgruppe einen Leitfaden für die Zeit nach der Entlassung aus dem Krankenhaus erarbeitet hat. Da sind viele ältere Menschen hinsichtlich der Frage überfordert: Was ist jetzt zu tun? – Da gibt es einen Leitfaden mit konkreten Hilfen, der im Netz abgerufen werden kann. Ich finde, das ist eine super Arbeit, die viel zu wenig bekannt ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)