Protokoll der Sitzung vom 11.03.2014

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lieber Herr Kultusminister, das waren die Kernelemente unserer Bildungspolitik. Das ist das, was wir positiv bewertet und in den letzten fünf Jahren erreicht haben. Dass dies auch von der neuen Landesregierung, zumindest nach Ihren Worten, fortgeführt werden soll, begrüßen wir ausdrücklich. Mir gefällt ein Satz in Ihrer Regierungserklärung ganz besonders gut:

Vor allem aber versprechen wir in der zentralen Frage der Bildungspolitik allen Beteiligten Kontinuität, …

Lieber Herr Kultusminister, genau das wünschen wir uns.

Liebe Damen und Herren der Koalition, hätten Sie es dabei belassen, hätten Sie das Weiter-so als Thema Ihrer Bildungspolitik gewählt, dann wäre alles gut, dann hätten wir keine Probleme. Das gilt umso mehr, Herr Kultusminister, als Sie es wissen und Ihre persönliche Überzeugung das ist, was ich gesagt habe und auf den Punkt bringe: Besser als CDU und FDP es gemeinsam in der letzten Wahlperiode gemacht haben, konnte man es nicht machen. Das war optimal.

(Beifall bei der FDP – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das kann ja jeder sagen!)

Spannender wird es in der Regierungserklärung, wenn man sich anschaut, was dort über die Differenzen zwischen CDU und GRÜNEN dargelegt wird. Ich will das nochmals zitieren, weil das besonders schön ist. Sie finden das auf Seite 2 der Regierungserklärung in der ausgedruckten Fassung. Es heißt dort:

Es ist kein Geheimnis, dass die beiden Regierungsparteien in der Vergangenheit dieses Konflikts auf verschiedenen Seiten standen. Keine der beiden Parteien hat ihre Überzeugungen aufgegeben.

Das wäre auch schlimm.

Aber nachdem klar geworden war, dass wir eine gemeinsame Regierung bilden würden, entstand daraus der Wille, gerade die Zusammenführung des Gegensätzlichen für die Bildungspolitik fruchtbar zu machen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das kommt noch! Der Staat gibt vor!)

Meine Damen und Herren, wenn man ein bisschen polemisch sein wollte, könnte man sagen: Eine Paartherapie wäre hier vielleicht zielführender gewesen, um die Vergangenheit aufzuarbeiten und eine gemeinsame Zukunft zu planen, anstatt den Landtag mit den Befindlichkeiten der Koalitionspartner zu beschäftigen und die Zukunft unserer Kinder davon abhängig zu machen.

(Günter Rudolph (SPD): Sehr gut!)

Lieber Herr Kollege Wagner, gerade dieser letzte Aspekt, die Frage der Zukunft unserer Kinder und Jugendlichen, verdeutlicht jedoch die Tragweite des Handelns. Daran hat sich eine liberale Bildungspolitik orientiert, die ein chancengerechtes Bildungssystem zugrunde legt, sich an den Fähigkeiten und Begabungen jedes Einzelnen orientiert und ihn in diesem Sinne fördert, sodass die besten Startund Bildungschancen für ein selbst gesteuertes und erfolgreiches Leben gegeben werden.

(Beifall bei der FDP)

Bereits in der Vergangenheit haben wir uns nicht von ausgetretenen Pfaden leiten lassen, sondern die Abkehr von ideologiegeleiteter Bildungspolitik propagiert. Doch der Lernprozess setzt bei dem einen früher ein, bei dem anderen halt etwas später, wie wir heute erkennen müssen.

Herr Kultusminister, das von uns erwartete Thema Ihrer Regierungserklärung war die Frage: Wohin soll denn jetzt die Reise mit dieser neuen Koalition gehen? – Leider muss ich feststellen: Dazu bietet diese Regierungserklärung leider weitgehend keine Antworten. Fehlanzeige. Man sucht vergebens Antworten auf die Fragen, die der Koalitions

vertrag aufgeworfen hat. Nach wie vor finde ich dort nur offene Fragen. Ein paar davon will ich hier streifen.

Beispielsweise gibt die Regierungserklärung – bis auf die Schulgesetzänderung zu G 8 und G 9; dazu komme ich noch – nur wenige bis gar keine Auskünfte zur Frage der Realisierung von Konzepten und Maßnahmen, die im Koalitionsvertrag angekündigt wurden. Beispielsweise wäre es wünschenswert gewesen, wenn heute nicht nur bereits Bekanntes – mit Ausnahme des hoch problematischen Rückkehrrechts auch für 7. Klassen – verkündet, sondern auch Eckpunkte und ein Zeitplan für die Realisierung des Pakts für den Nachmittag vorgestellt worden wären. Wo bleibt denn das Konzept für die Ganztagsbetreuung?

(Beifall bei der FDP)

Außer vollmundigen Ankündigungen gibt es bislang nichts, keine Antworten auf die drängenden Fragen, die sich den jungen Eltern in unserem Land stellen.

Was ist mit den vollmundigen Ankündigungen zur verstärkten Inklusion? Herr Kollege Wagner – ich sehe Sie gerade nicht –,

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), auf einer SPD-Bank sitzend: Bei der Arbeit!)

bleibt es beim „Weiter so“? Es wäre gut, wenn es verstärkte Inklusionsbemühungen gäbe. Aber auch nach Ihrer Rede – da kam nicht mehr dazu – fällt das alles in die Kategorie: angekündigt und außer Worten nichts gebracht.

Das Gleiche gilt für die Reform der Übergangssysteme, vor allem auch für die angekündigte Reform der Lehrerausbildung, insbesondere mit Blick auf das von manchen geliebte Praxissemester. Die Kritik an diesem von Anfang an schwarz-grünen Kind, dem gemeinsamen Kind von Herrn Irmer und Herrn Wagner, nimmt zu. Wir nehmen diese Kritik ernst. Antworten aus der Koalition sucht man vergeblich: Fehlanzeige.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das ist in Arbeit, Mensch!)

Herr Kollege Irmer, in der Regierungserklärung auch kein Wort zu den benötigten Ressourcen. Die Regierungserklärung zieht sich zurück auf die Beibehaltung dessen, was CDU und FDP gemeinsam durchgesetzt und vereinbart hatten: die Beibehaltung der demografischen Rendite im System, 105-prozentige Lehrerversorgung im Landesdurchschnitt und die Aufstockung der Stellen für den Sozialindex, den Nicola Beer als Kultusministerin eingeführt hat. Also auch hier, bei den positiven Botschaften, die Überschrift: weiter so. Insofern richtig, aber was fehlt, sind die Antworten auf die Fragen: Wo bleiben denn die Ressourcen für den Betreuungspakt? Wo sind die Ressourcen für den flexiblen Schulanfang? Wo sind die Ressourcen für die vollständige Binnendifferenzierung, die Sie bei den integrierten Gesamtschulen vereinbart haben? Wo sind die Ressourcen für die Nachsteuerung bei der Inklusion oder beim flächendeckenden Ausbau von Schulklassen, um nur einige Beispiele zu nennen? Sie schweigen sich auch vollständig über die Frage aus, wie Sie denn die angekündigte Stundenreduzierung für Beamte, insbesondere auch für die über 50.000 Lehrerinnen und Lehrer, abdecken wollen.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, viel Raum hat die Ankündigung des Bildungsgipfels beansprucht, mit dem Sie Schulfrieden

herbeiführen wollen – als ob wir Unfrieden an den Schulen hätten. Was bleibt denn – neben den G-8- und G-9-Veränderungen, die Sie angekündigt haben? Hier lese ich in der Regierungserklärung, und wir haben es gehört:

Die neue Landesregierung ist also entschlossen, die ausgetretenen Pfade zu verlassen, den ständig neuen Austausch bekannter Standpunkte zu beenden und jenseits von Struktur- und Formdebatten eine Diskussion über die wesentlichen Ziele des Schulsystems und die Möglichkeiten zu ihrer Erreichung zu führen. Wir strecken die Hand aus, um auf dieser Ebene zu einer Einigung zu kommen und dadurch Schulfrieden zu ermöglichen.

(Florian Rentsch (FDP): Beim Ausstrecken eingeschlafen!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der erste Ansatz deckt sich in der Tat mit dem Ansatz der Enquetekommission, über die wir morgen beraten werden. Dafür bedürfte es nicht zweier separater Zirkel, die mit den gleichen Fragen und Zielsetzungen die Auseinandersetzung führen sollen. Die Enquete ist ein Instrument der Legislative, dieses Parlaments. Sie wird ihren Beitrag leisten. Ein Antrag liegt vor. Insoweit darf ich mich bei den Kollegen von CDU und GRÜNEN wie auch beim Initiator, der SPD, bedanken. Wir hatten sehr konstruktive Gespräche. Wir haben uns auf einen Antragstext verständigt. Nachdem jetzt auch die Linkspartei entschieden hat – wie mir berichtet wird –, diesen Antrag, so wie er vereinbart ist, mitzutragen, habe ich Herrn Wagner so verstanden, dass das auch die Koalition jetzt tun wird. Das begrüße ich ausdrücklich. So können wir denn morgen mit den Stimmen aller Fraktionen diese Enquetekommission mit dem Antrag, den wir inhaltlich vereinbart haben, einsetzen.

Meine Damen und Herren, was im Dunkeln bleibt, ist die Frage: Wo ist das Konzept für den Bildungsgipfel? Es liegt immer noch nicht vor. Wir müssen uns begnügen und begrüßen es, dass wir wenigstens jetzt die Ankündigung haben, dass es im Sommer losgehen soll. Aber wohin und wie, das bleibt im Dunkeln.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Für meine Fraktion erkläre ich ausdrücklich die Dialogbereitschaft. Wir haben den Eindruck, dass die Etablierung dieses Bildungsgipfels zur Befriedung der Schullandschaft angesichts der Ruhe, die wir in den letzten Jahren an den Schulen geschaffen haben und die aufgrund unserer Bildungspolitik bereits gegeben ist, ein Stück weit ein Versuch ist, die eigene Ideen- und Konzeptlosigkeit zu überdecken und sich die Absolution für Entscheidungen zu holen bzw. Verantwortlichkeiten weiterzugeben.

Meine Damen und Herren von der Koalition, ich sage es sehr deutlich: Überlegen Sie bei der Ausgestaltung Ihres Bildungsgipfels, zu dem wir konstruktiv zur Verfügung stehen, wie wir Doppelarbeit vermeiden können. Arbeiten Sie einfach ordentlich in der Enquetekommission mit, dann können wir diesen Gipfel wahrscheinlich ziemlich reduziert fahren.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Ich habe schon eine gewisse Sorge, auch wenn ich einzelne Passagen dieser Regierungserklärung höre, beispielsweise wenn es dort wörtlich heißt:

Wir können … Pflöcke einschlagen, die uns in den nächsten Jahren helfen werden, konsequent den richtigen Weg zu gehen.

Das unterstreicht ein Stück weit unsere Sorge, dass vielleicht doch kein ergebnisoffener Dialog gewollt ist, sondern dass die Umsetzung nicht klar erkennbarer, bislang im Nebel liegender Ziele verfolgt wird. Deshalb sage ich: Die Enquete ist das wichtigere und richtigere Instrument, ganz abgesehen vom verfassungsmäßigen Primat des Parlaments, den wir alle als Grundsatz achten sollten, auch die Regierungsparteien.

(Beifall bei der FDP)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wie schwer ein Bildungsgipfel zu realisieren ist, zeigt derzeit Baden-Württemberg. Dort scheitert er an der CDU. Sie wird ihre Gründe haben.

Auch die CDU in Nordrhein-Westfalen zeigt sich bisweilen nicht gerade zufrieden mit dem abgeschlossenen Schulfriedensvertrag in NRW.

Aber diese parteiinternen Diskussionen sollen uns nicht an unserer Dialogbereitschaft hindern, wenn der Bildungsgipfel nicht der Selbstvergewisserung und der Inszenierung dient, sondern dem Wohle unserer Schüler.

Noch einmal ein Zitat:

Vor allem aber versprechen wir in der zentralen Frage der Bildungspolitik allen Beteiligten Kontinuität, …

Das ist in der Tat zu hinterfragen. Will die Landesregierung einen ergebnisoffenen, von Struktur- und Formdebatten losgelösten Bildungsgipfel, oder will sie Pflöcke einschlagen, ihre Zielsetzungen manifestieren? Wenn ja, würde ich Sie bitten, Herr Kollege Irmer, uns zu sagen, welche es sind, damit wir nicht ins Dunkle steuern.

Ich komme zu dem – neben dem „Weiter so“ – einzigen konkreten Punkt in dieser Regierungserklärung, nämlich zu der angekündigten Änderung des Schulgesetzes, zu dem vorgelegten Gesetzentwurf zur Einführung eines Rückkehrrechts für 5. bis 7. Jahrgänge an G-8-Schulen. Hierzu heißt es – ich zitiere aus der Regierungserklärung –:

Darüber hinaus ist es eine alte Erfahrung aller Menschen, die beruflich in Bildungsinstitutionen tätig sind: Eine maßgebliche Bedingung dafür, dass diese Institutionen erfolgreich arbeiten können, ist Kontinuität. Deswegen brauchen auch die hessischen Schulen nichts so sehr und wünschen sich nichts so sehr wie Kontinuität.

Das ist zutreffend. Aber gerade das neu hinzugefügte Rückkehrrecht für die 7. Jahrgänge ist ein Beleg für Ihre Hektik und Getriebenheit. Noch vor wenigen Wochen haben wir über das Rückkehrrecht für 5. und 6. Klassen diskutiert. Da war von den 7. Klassen noch keine Rede. Nun erfolgt eine Ausdehnung auf die höhere Klassenstufe. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition: Das ist kein Zeichen von Stringenz und von Überzeugtheit, sondern vielmehr eine Abkehr von alten Argumentationsmustern. Das gilt insbesondere für die CDU-Fraktion. Ich darf Sie erinnern: Noch in Ihrem Koalitionsvertrag haben Sie lediglich ein Rückkehrrecht für die 5. und 6. Klassen vereinbart. – Auf einmal sind die 7. Klassen dabei. Herr Kultusminister, hören Sie nicht auf die schlechten Ratschläge alter Kameraden und falscher neuer Freunde.

Bleiben Sie bei der Politik, für die Sie vor dem 18. Januar 2014 standen. Sie haben unsere Unterstützung, wenn Sie den aufrechten Gang beibehalten.