In dieser Sitzung wurde ihm übrigens vom Vertreter des Koalitionspartners BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – von dir, Mathias – nicht widersprochen.
Okay, vielleicht können wir das anders klären. – Herr Kultusminister Lorz, wenn Sie mit offenen Armen empfangen wollen, müssen Sie sich auch ansehen, wer die Arme auf der Regierungsseite mit aussteckt. Mit diesem bildungspolitischen Sprecher wird es weder einen konstruktiven Dialog noch Ruhe in den Debatten geben, geschweige denn, Schulfrieden oder einen erfolgreichen Bildungsgipfel. Davon bin ich überzeugt.
Daher sehen wir der Einsetzung einer Enquetekommission „Bildung“ mit wesentlich höheren Erwartungen entgegen. Aber darüber werden wir morgen noch eine Debatte führen.
Nur kurz: Wenn Sie den Bildungsgipfel mit der Enquetekommission verzahnen wollen – wenn er denn unbedingt stattfinden soll; wir waren immer der Meinung, dass ein Bildungsgipfel am besten in der Enquetekommission aufgehen sollte –, befürworten wir das natürlich. Wir hoffen, dass dies gelingt. Unsere Befürchtungen gehen allerdings dahin, dass beide Einrichtungen konkurrierend und nicht ergänzend arbeiten werden. Eine Verzahnung beider Gremien müsste also klug eingefädelt werden. Herr Minister, dabei haben Sie jedenfalls unsere Unterstützung.
Zu besprechen gibt es tatsächlich einiges in der Bildung. Was ist mir als Erstes aufgefallen, als ich den Koalitions
vertrag gelesen habe? In der Bildungspolitik steht alles – bis auf eine Ausnahme, auf die ich gleich zu sprechen komme – unter dem Finanzierungsvorbehalt. Da nutzen auch all die Floskeln nichts, vor denen der Koalitionsvertrag nur so strotzt. Auch in dieser Legislaturperiode wird wieder die Politik der kurzen Decke im Vordergrund stehen. Da kann man noch so ziehen und noch so zerren, zu kurz bleibt einfach zu kurz.
Das Einzige, was Sie nicht unter den Finanzierungsvorbehalt stellen, ist der Pakt für den Nachmittag. Schauen wir uns doch einmal an, wem da die Hand entgegengestreckt wird: Nach den unmittelbar Beteiligten, den Schülerinnen und Schülern, sind es doch die Eltern, denen man die ausgestreckte Hand reichen muss. Doch leider ist es bei uns weiterhin so, dass sich Schule nicht in den Lebensalltag von Familien integriert, sondern als eine Aufgabe, ein Problem für die Familien darstellt, das sie kaum bewältigen können.
Während die meisten Kindertagesstätten von 7 Uhr oder 7:30 Uhr an bis in den späten Nachmittag hinein geöffnet haben, beginnt die Schule gegen 8 Uhr und endet in den ersten vier Grundschuljahren meistens um 11:30 Uhr. Das bedeutet, dass für die Kinderbetreuung und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nur bis zum sechsten Lebensjahr Sorge getragen wird. Doch mit der Einschulung ist dann plötzlich alles anders. Nach wie vor gibt es nicht einmal zehn echte Ganztagsgrundschulen in Hessen.
Und alles, was Sie uns hier vorschlagen, Mathias, ist ein ominöser Pakt für den Nachmittag, bei dem die Verantwortung mal eben wieder von der Landesregierung in andere Schuhe geschoben wird.
Wir reden hier nicht über den von der letzten Landesregierung versprochenen Ganztagsschulausbau – das muss noch einmal klargestellt werden –, der zumindest irgendwann einmal auch Profil 3, also die echte Ganztagsschule, zulassen würde. Selbst die Möglichkeit einer Entwicklung dahin wird durch den Pakt für den Nachmittag gänzlich untergraben. Mit dem Ausbau echter Ganztagsschulen, wie wir sie fordern und wie Hessen sie dringend braucht, hat dies überhaupt nichts zu tun.
Herr Kultusminister Lorz, was Sie uns hier anbieten, ist eine schlecht durchdachte Mogelpackung. Das Land sieht sich lediglich für die Betreuung der Kinder bis 14:30 Uhr zuständig. Danach sollen die Kommunen die Verantwortung und natürlich auch die Kosten übernehmen.
Wie es den hessischen Kommunen geht, das wissen wir und wissen Sie genauso. Es werden längst nicht alle Kommunen in der Lage sein, ein solches Angebot einzuführen, und wenn überhaupt, dann nur über Elternbeiträge. Hier in Wiesbaden kostet die städtische Betreuung an den Grundschulen beinahe 240 € monatlich. Der Pakt für den Nachmittag, für den Sie sich loben lassen wollen, ist somit etwas, was zuerst die verantwortlichen Kommunen belasten wird – und als Nächstes die Eltern, denen Sie hier vormachen wollen, auf ihrer Seite zu sein und wirklich etwas für sie zu tun.
Das heißt, dieser Pakt für den Nachmittag, der als Einziges nicht unter einem Finanzierungsvorbehalt steht, wofür Sie sich feiern lassen wollen, steht eben nur deshalb nicht darunter, weil klar ist, wer ihn ab 14:30 Uhr finanzieren wird. So sieht die Sache aus. Das wird nicht zum Schulfrieden beitragen.
So, aber damit nicht genug. Im Betreuungskonzept der GRÜNEN ist unter dem Punkt „Finanzierung“ angegeben, dass 1,5 Lehrerstellen für die Schulen zur Verfügung gestellt werden sollen, die noch kein Ganztagsangebot haben. 1,5 Stellen – können Sie mir bitte einmal erklären, wie das reichen soll, um an einer Schule mit bis zu 500 Kindern die Betreuung samt Mittagessen bis 14:30 Uhr zu gewährleisten? Sie können mir glauben, der Bedarf und die Nachfrage nach Betreuungsplätzen sind ungemein hoch. Die Schulen, die das anbieten, haben ewig lange Wartelisten.
Noch ein Letztes zu diesem Punkt. Ich halte es für pädagogischen Unsinn, sich die pädagogische und finanzielle Verantwortung für den Tag zu teilen, weil wir ein Gesamtkonzept brauchen, damit Hausaufgaben tatsächlich zu Schulaufgaben werden können und die Benachteiligungen, die manche Kinder von zu Hause mitbringen, ausgeglichen werden können.
Ich sagte es früher schon einmal: Mein inzwischen über 30-jähriger Sohn ging in Nordrhein-Westfalen auf eine Ganztagsgrundschule, wo jeden Morgen in den ersten beiden Stunden die individuell aufgegebenen Schulaufgaben erledigt wurden. Nachmittags gab es vor allem Theater, von Lehrerinnen beaufsichtigte Übungsstunden, Wahlfächer oder Schwimmen, was es in den Grundschulen demnächst auch nicht mehr geben wird.
Was wir brauchen, sind bereits in den Grundschulen echte Ganztagsschulen, wo die Verantwortung für den ganzen Tag bei der Schule bleibt. Wir brauchen vernünftige pädagogische Konzepte an unseren Schulen, und wir müssen Schulen endlich zu einem Ort des Zusammenlebens machen.
Sie hätten mit ausgestreckter Hand auf Schülerinnen und Schüler, auf deren Eltern und auf die Lehrerinnen und Lehrer zugehen müssen, um zu schauen, wie Ganztag funktionieren kann und soll. Sie hätten mit Vereinen und schon bestehenden Einrichtungen planen sollen. Dann hätte man einen Pakt für den ganzen Tag schließen können, der Sinn macht, der an die Lebensrealitäten von Schülerinnen und Schülern und deren Eltern angepasst ist, der vor allem auch inhaltlich und pädagogisch gefüllt ist. Das hätten auch wir mit unterstützt, Herr Kultusminister Lorz.
Ähnlich verhält es sich mit der angeblichen Wahlfreiheit um G 8 und G 9. Auch hier wollte man auf die Beteiligten zugehen, Gespräche führen usw.
In der „Ärztezeitung“ von letzter Woche ist ein Artikel mit folgender Überschrift zu finden: „Jugendärzte schlagen Alarm: Schulstress macht immer mehr Kinder krank“.
Der unnötige Leistungsdruck, unter den Kinder durch die unsägliche Schulzeitverkürzung in Hessen gestellt wurden, hat auch bei unseren Schülerinnen und Schülern negative Auswirkungen hinterlassen. Statt G 8 ganz abzuschaffen und so konsequent endlich Ruhe in das Thema zu bringen,
folgt ein unausgereifter Vorschlag dem anderen. Durch die Schulzeitverkürzung ist einer ganzen Generation Zeit für die eigene Entwicklung genommen worden. Man hat sie bewusst unnötigem Schulstress unterzogen, der – nun haben Sie es wieder einmal schriftlich – vermehrt junge Menschen krank macht.
Ein kleines Lob muss ich Ihnen allerdings aussprechen: Die schwarz-grüne Landesregierung hat sich durchgerungen, einen von uns formulierten und vom Haus abgelehnten Änderungsantrag nun doch zu berücksichtigen. Immerhin werden in diesem Gesetzentwurf nun auch die derzeitigen 7. Klassen berücksichtigt. Allerdings ist dies nur ein Minischrittchen in die richtige Richtung – mehr ist es nicht. Es wird vielleicht dafür sorgen, dass ein paar Schülerinnen und Schüler weniger in Hessen unter G 8 leiden müssen.
Flickschusterei nennt man das wohl – und das betreiben Sie an verschiedenen Stellen. Denn die Hürden für eine Rückkehr – das hat eben auch Herr Greilich ausgeführt – sind bewusst oder unbewusst hoch gelegt. Die propagierte Wahlfreiheit der Eltern ist und bleibt Lug und Trug. Entscheiden dürfen in erster Instanz nämlich keineswegs die Eltern – nein, zunächst entscheidet die Schulkonferenz. Diese kann sich ganz gegen einen Wechsel stellen oder aber sich auch dafür entscheiden, einen Wechsel ohne oder nur mit einem Teil der laufenden Jahrgänge vorzunehmen. Dann erst werden der Schulelternbeirat und die Schülervertretung befragt. Hinzu kommt die anonymisierte Elternbefragung, in der sich die Eltern einstimmig für den Wechsel aussprechen müssen.
Wie soll denn hiermit Schulfrieden hergestellt werden, und wo ist hier die Wahlfreiheit? Nur ein einzelner Elternteil, Mathias Wagner, kann doch dafür sorgen, dass eine ganze Klasse weiterhin G 8 durchlaufen muss. Dass die Kinder und Jugendlichen dieser Klassen weiterhin gesundheitsgefährdendem Stress unterliegen, das kritisieren wir aufs Schärfste.
Auch Ihr Vorgehen im Bereich der inklusiven Beschulung – das haben schon mehrere angesprochen – ist alles andere als friedensfördernd. Hier knüpfen Sie an das Vorgehen Ihrer beiden Vorgängerinnen, Frau Henzler und Frau Beer, an. Diese haben nämlich auch etwas mit ihren Händen gemacht: Sie haben sie nur nicht ausgestreckt, sondern gefaltet und in den Schoß gelegt. Das Thema Inklusion scheint in Hessen einfach nicht verfangen zu können. Seit Jahren hat man den Eindruck, dieses Thema solle einfach ausgesessen werden. Das geht aber so nicht, Herr Kultusminister. Auch Hessen hat sich durch die Ratifizierung der UNBehindertenrechtskonvention verpflichtet, ein inklusives Bildungssystem zu schaffen – nicht nur inklusive Klassen, sondern inklusive Schulen, ein inklusives Bildungssystem. Dieses Thema kann man nicht aussitzen, dieses Thema geht nicht einfach irgendwann vorbei.
Im Koalitionsvertrag ist zu lesen, dass bis 2019 „angestrebt“ wird, insbesondere im Grundschulbereich möglichst keinen Elternwunsch auf inklusive Beschulung mehr abschlägig bescheiden lassen zu müssen. – Wunderbar. Da wird also etwas angestrebt. Aber es steht kein Wort darüber, wie und mit welchen Ressourcen dies geschehen soll. Was ist mit der dringend notwendigen verbesserten Lehrer
Am Parallelsystem soll festgehalten werden, was de facto schon klarmacht, dass es kein inklusives Schulsystem in Hessen geben wird. Denn Inklusion kann nur durch die Überwindung von Exklusion tatsächlich Fuß fassen.
Im Herbst – Sie werden das wissen, Herr Kultusminister – sind die Evaluationsergebnisse bezüglich der Umsetzung der UN-Konvention für Deutschland zu erwarten. Ich bin mir nicht sicher, ob diese direkt auf die Bundesländer heruntergebrochen werden. Aber so oder so wird deutlich werden, dass hier in Hessen endlich etwas geschehen muss. Nach wie vor wird Inklusion hier verhindert statt gefördert. Der Ressourcenvorbehalt verhindert so oder so, dass die Schulen in die Lage versetzt werden, inklusiv zu beschulen. Der Beibehalt des Förderschulwesens spricht ebenfalls Bände hinsichtlich Ihrer Inklusionsabsichten. So werden Sie auch in diesem Punkt keinen Schulfrieden erreichen, meine Damen und Herren.
Schauen wir doch einmal, was die Politik der ausgestreckten Hände für die hessischen Lehrerinnen und Lehrer bedeutet. In Grunde kann diese Frage ganz einfach beantwortet werden: Sie bedeutet für die Lehrkräfte an unseren Schulen Belastung statt Entlastung. Hessen kehrt nicht in die Tarifgemeinschaft der Länder zurück. Das heißt, dass man den hessischen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes einseitige Sonderbelastungen aufbürdet. Für verbeamtete Lehrerinnen und Lehrer gibt es 2015 bereits die erste Nullrunde, die nach Abzug der Inflation eine Reallohnsenkung sein wird. Weitere Reallohnabsenkungen folgen; denn in den Jahren darauf wird es nur eine einprozentige Erhöhung geben. Meine Damen und Herren, bei dieser Ihrer Politik der ausgestreckten Hand muss man aufpassen, dass man nicht an Ihrem ausgestreckten Arm verhungert.
Warum das Ganze? – Damit diese Beschäftigten eine halbe Milliarde Euro für die Schuldenbremse erwirtschaften. Ganz großes Kino.
Hinzu kommt, dass die Arbeitsbelastung keineswegs geringer wird. Zwar soll die Arbeitszeit von 42 auf 41 Stunden die Woche verkürzt werden, aber dadurch verringert sich ja nicht die Arbeit. Im Klartext heißt das doch nur, dass die gleiche Arbeit in kürzerer Zeit geleistet werden muss, – nach unserer Meinung eine Unverfrorenheit. Hessens Lehrer leiden deutschlandweit an der höchsten Arbeitsbelastung. Und damit wollen Sie den Schulfrieden schaffen? – Das wird Ihnen nicht gelingen.
Es krankt auch an der Ausbildungsorganisation. Durch die Erhöhung des Anrechnungsfaktors für die Lehrer im Vorbereitungsdienst ist zwar rein rechnerisch eine Versorgungsverbesserung an den Schulen eingetreten, mehr aber auch nicht. Die Belastung für die Mentorinnen und Mentoren hat auch stark zugenommen, ohne dass eine Entlastung vorgesehen wäre. Einige Schulen wollen schon gar keine Lehrerinnen und Lehrer mehr im Vorbereitungsdienst ausbilden; das wissen Sie sicherlich auch. Zum Schulfrieden wird auch diese Problematik nicht beitragen.