Protokoll der Sitzung vom 22.09.2015

denn das Dublin-Abkommen kann in zwei Richtungen nicht funktionieren. Es kann nicht funktionieren, dass wir die Hauptlast für die Flüchtlingskrise in Griechenland, in Spanien, in Malta und in Italien haben und andere Länder daran überhaupt nicht beteiligt sind. Umgekehrt wird es nicht funktionieren, dass allein Deutschland die Probleme der Flüchtlingskrise löst. Deshalb müssen wir das als Chance für eine neue europäische Lösung, für einen neuen

europäischen Verteilmechanismus begreifen. Dann könnte aus der Krise auch eine Chance entstehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Wir können partei- und fraktionsübergreifend auch mit etwas Stolz sagen: Im Vergleich zu den Vereinten Nationen, im Vergleich zur Europäischen Union haben wir es in der aktuellen Flüchtlingssituation in Deutschland und in Hessen schon ganz gut gemacht. Deutschland hat sich weit über das hinaus, was Deutschland hätte machen müssen, humanitär gezeigt, hat Flüchtlinge aufgenommen. Hessen nimmt weit mehr Flüchtlinge auf, als wir nach dem Königsteiner Schlüssel aufnehmen müssten. Meine Damen und Herren, wir haben das schon ganz gut gemacht in dieser Flüchtlingskrise.

Hessen handelt. Der Ministerpräsident hat darauf hingewiesen: Wir haben den Landeshaushalt aufgestockt und werden ihn auch weiter aufstocken, um dieser Herausforderung gerecht zu werden. Von 40 Millionen € im Jahr 2012 werden wir im nächsten Jahr – im Haushaltsplan stehen schon 680 Millionen € – wahrscheinlich bei 1 Milliarde € sein. Wir handeln, wir tun etwas, wir wollen dieser Herausforderung gerecht werden. Ja, wir werden in den Haushaltsberatungen, in der zweiten und in der dritten Lesung, auch darüber reden müssen, was das in Euro und in Cent und auch in zusätzlichen Stellen bedeutet. Das ist kein Streit zwischen den Fraktionen im Hessischen Landtag.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Hessen hat gehandelt. Wir haben neue Standorte für Erstaufnahmeeinrichtungen errichtet, 24 Außenstellen, und wir haben jetzt fünf Notunterkünfte. Es ist uns gelungen, dass jeder Mensch, der bei uns Schutz gesucht hat, ein Dach über dem Kopf bekommen hat, dass er etwas zu essen bekommen hat, dass er das Nötigste bekommen hat. Das war ein riesiger Kraftakt. Allen, wirklich allen, Hauptamtlichen wie Ehrenamtlichen, die diesen riesigen Kraftakt geschultert haben, ein ganz herzlicher Dank, ich glaube, im Namen des gesamten Hauses.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der FDP)

In dieser Situation ist Flexibilität notwendig und nicht der Dienstweg. Denn es ist relativ einfach: Die Flüchtlinge kennen nicht den geordneten deutschen Verwaltungsweg, sondern sie kommen einfach. Wir müssen dieser Herausforderung gerecht werden. Ja, dabei werden auch Fehler passieren. Wer behaupten will, er hätte den Masterplan gehabt, wie man 58.000 Menschen unterbringen kann, die wir in diesem Jahr allein in Hessen erwarten, den möchte ich einmal sehen. Es gab keinen Masterplan, und es konnte auch gar keinen Masterplan für diese Herausforderung geben, 58.000 Menschen unterzubringen, sondern es haben alle mit angepackt. Wir versuchen jeden Tag, ein bisschen besser zu werden. Wo Fehler passieren, da arbeiten wir daran, diese Fehler zu korrigieren. Es fehlt nicht an dem politischen Willen, sondern wir packen alle an, um dieses Ziel zu erreichen. Ja, das klare Ziel muss sein, dass wir im Winter keine Unterbringung mehr in Zelten haben. Auch das ist kein Streit in diesem Haus.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Wir haben das Wohnungsbauprogramm noch einmal um 230 Millionen € erweitert, zusätzlich zu den Anstrengungen, die das Land im Wohnungsbau ohnehin unternimmt: 230 Millionen € für die Kommunen, damit sie genau diese Unterkünfte für Flüchtlinge bauen können, wenn sie den Kommunen zugewiesen sind, damit wir aus der Unterbringung in Zelten herauskommen können.

Meine Damen und Herren, wenn wir über Bauen reden, muss man sich noch einmal die Anstrengung verdeutlichen: 58.000 Menschen brauchen ein dauerhaftes Dach über dem Kopf. Das ist die Größe einer Stadt wie Rüsselsheim. Viele von uns sind kommunalpolitisch aktiv und wissen, wie lang es dauert, ein kleines Baugebiet mit vielleicht 300 Wohnungen auszuweisen. Damit sind eine normale Verwaltung und der politische Prozess gut und gern zwei Jahre beschäftigt. Jetzt stehen wir vor der Herausforderung, möglichst bis zum Winter 58.000 Plätze zu schaffen, damit wir stationäre Unterkünfte haben. Das zeigt, wie groß die Herausforderung ist. Es zeigt aber auch, was in diesem Bereich schon geleistet wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wir haben die Leistungen für die Kommunen erhöht; das ist schon erwähnt worden. Wir kümmern uns um den besonderen Schutz für Frauen und Mädchen durch gesonderte Unterbringungen. Hier müssen wir noch besser werden, das wissen wir; aber ein Anfang ist gemacht. Wir kümmern uns mit einer Beteiligung an dem Sonderkontingent des Landes Baden-Württemberg darum, dass Flüchtlinge aus Syrien und dem Nordirak, die Opfer von geschlechtsspezifischer oder sexueller Gewalt geworden sind, einen eigenen Status bekommen, eigene Möglichkeiten haben, dass wir ihnen helfen. Auch hier engagieren wir uns weiter über das hinaus, was andere Bundesländer tun.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, wir kümmern uns um die vielen Kinder, die in unser Land kommen, teilweise unbegleitet, ohne ihre Eltern, in den Clearingstellen in Frankfurt und in Gießen. Wir kümmern uns selbstverständlich auch um die Sprachförderung für diese Kinder. Wir haben die Intensivklassen ausgeweitet. Mit dem InteA-Programm haben wir zum ersten Mal eine systematische Sprachförderung für diese Kinder auch in den beruflichen Schulen. Ja, wir wissen, das wird eine Daueraufgabe sein. Ja, wir wissen, wir müssen diese Programme noch ausweiten; denn es kommen mehr Menschen, und wenn mehr Menschen kommen, braucht es auch eine Anpassung dieser Programme.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wir sind uns bewusst: Wir haben in unserem Land einiges geschafft. Aber wir haben auch noch viel zu tun, um die Flüchtlinge bestmöglich willkommen zu heißen. Ich habe schon über die festen Unterkünfte anstelle von Zelten, die Ausweitung der Sprachförderung, die Unterbringungssituation von Frauen, aber auch die noch bessere Vernetzung und Unterstützung der ehrenamtlichen Helfer gesprochen. Auch darum wird es gehen: Wenn wir das Engagement der vielen Menschen, die sich jetzt engagieren, erhalten wollen, müssen wir ihnen eine professionelle Struktur an die

Seite stellen. Denn auch in dieser Frage gilt: Das Ehrenamt braucht das Hauptamt. Das Ehrenamt ist nicht der Notfallbürge des Hauptamtes. Aber um das Ehrenamt zu koordinieren und um das Engagement der Menschen bestmöglich zum Einsatz zu bringen, brauchen wir auch hier noch bessere Strukturen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU – Vizepräsident Wolf- gang Greilich übernimmt den Vorsitz.)

Und dann, wenn wir es geschafft haben, den Menschen ein festes Dach über dem Kopf zu geben, kommt die eigentliche, die jahrelange Herausforderung. Denn dann muss der Willkommenskultur die Integrationskultur folgen. Wir sollten auf keinen Fall den Fehler machen, der in der Bundesrepublik Deutschland in den Fünfziger- und Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts gemacht wurde. Unter der Überschrift „Gastarbeiter“ – wenn auch aus ganz anderen Gründen als heute – sind viele Menschen in unser Land gekommen, und wir haben uns eben nicht darum gekümmert, dass diese Menschen sich auch integrieren können. Wir haben uns nicht hinreichend um die Sprachkenntnisse dieser Menschen gekümmert. Meine Damen und Herren, diesen Fehler sollten wir bei den Flüchtlingen nicht wiederholen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Deshalb geht es um den Zugang zu Sprache, zu den Institutionen unseres Landes, zu Integration und zum Arbeitsmarkt.

Für all diese Herausforderungen werden wir auch die Unterstützung des Bundes brauchen. Genau darüber wird in diesen Tagen verhandelt, und hoffentlich kommen wir am Donnerstagabend zu einem guten Ergebnis; denn wir brauchen die Unterstützung des Bundes. Wir können als Land nicht alles allein schultern. Wir brauchen eine bessere Ausstattung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, damit schnell entschieden wird und wir schnell Klarheit haben.

Meine Damen und Herren, dabei geht es nicht um eine Unterscheidung in gute und schlechte Flüchtlinge, sondern es geht darum, festzustellen, welche Menschen an Leib und Leben bedroht sind und unsere Hilfe brauchen, und welche Menschen aus anderen, wenn auch sehr verständlichen Gründen in unser Land kommen. Darum geht es, wenn wir über eine bessere Ausstattung und schnellere Entscheidungsverfahren des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge reden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Wir brauchen eine strukturelle und dauerhafte Beteiligung des Bundes an den Kosten der Flüchtlingsunterbringung. Es ist eigentlich so einfach: Die Antwort des Bundes auf steigende Flüchtlingszahlen können doch nicht allein festgelegte Beträge sein. Das kann nicht funktionieren, und deshalb brauchen wir eine dynamische Anpassung der Leistungen des Bundes an die tatsächlichen Flüchtlingszahlen. Wir werden den Bund bei den Sprach- und Integrationsprogrammen brauchen, die es jetzt schon von Bundesseite gibt, aber eben nicht für Flüchtlinge. Hier werden wir die Öffnung und Unterstützung des Bundes brauchen; auch für einen erleichterten Zugang zum Arbeitsmarkt.

Ein Einwanderungsgesetz wäre die sauberste Lösung. Das fordern wir GRÜNE schon seit Langem. Es wird in dieser Verhandlungsrunde wahrscheinlich nicht gelingen. Aber wir müssen zumindest für die Flüchtlinge einen erleichterten Arbeitsmarktzugang haben. Es ist doch widersinnig, dass wir in vielen Bereichen der Wirtschaft über Fachkräftemangel klagen und das Fachkräftepotenzial der Flüchtlinge nicht nutzen, weil wir bürokratische Hürden haben. Das müssen wir ändern, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Ich sage auch: In der Bundesdebatte helfen ideologische Debatten und Scheinlösungen wirklich niemandem. Deshalb sind wir sehr froh, dass der erste Referentenentwurf aus dem Bundesinnenministerium zur Verschärfung des Asylrechts mittlerweile schon wieder vom Tisch ist. Aber auch der jetzige Entwurf atmet aus grüner Sicht noch zu sehr den Geist von Sanktion und Repression und zu wenig den Geist davon, wie wir die Länder und Kommunen bestmöglich unterstützen können, um die Herausforderungen zu bewältigen.

Ja, es wird in den Verhandlungen auf Bundesebene auch um die sicheren Herkunftsstaaten gehen. Ja, dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen; das ist völlig klar. Aber wenn es um die Sache geht, sollten wir uns auch eines bewusst machen: Die sicheren Herkunftsstaaten lösen kein einziges der realen Probleme, vor denen wir in der aktuellen Situation stehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU und der LINKEN)

Die sicheren Herkunftsstaaten geben weder eine Antwort auf die Perspektivlosigkeit vieler Menschen auf dem Balkan, noch haben sie bislang den Beweis erbracht, dass sie einen Beitrag dazu geleistet haben, dass tatsächlich weniger Menschen aus dem Balkan zu uns gekommen sind. Deshalb lassen Sie die ideologischen Debatten sein und uns das Verhandlungsergebnis am Donnerstag daran messen, ob es tatsächlich Flüchtlingen hilft.

Lassen Sie uns die Verhandlungen am Donnerstag und das Verhandlungsergebnis auch noch an etwas anderem messen. Das kann man nicht hoch genug schätzen, nämlich ob es gelingt, dass die demokratischen Parteien in diesem wichtigen Thema beieinander bleiben, ob es ihnen gelingt, trotz unterschiedlicher Auffassungen ein gemeinsames Paket zu schnüren. Es wird niemand von dem anderen verlangen, seine Grundüberzeugung aufzugeben – und wir GRÜNE werden unsere Grundüberzeugung auch nicht aufgeben –, aber ein Paket, eine Allparteieneinigung bei dem Thema, wird allen etwas abverlangen. Und dieses Abverlangen ist auch ein Wert.

Meine Damen und Herren, was wäre denn die Alternative? Wenn am Donnerstagabend spät in der „Tagesschau“, im „Nachtmagazin“ oder in welchem Nachrichtenmagazin auch immer, die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes sehen, dass es das Einzige ist, was diesen Politikern angesichts der Herausforderungen einfällt, in den üblichen einfältigen Parteienstreit zurückzufallen: Soll das die Antwort der politischen Klasse auf die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung sein, dass wir uns wieder streiten wie die Kesselflicker? Das kann und darf nicht das Ergebnis vom Donnerstagabend sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, wir sollten die Hilfsbereitschaft der Menschen nicht überfordern. Wir sollten ihre Sorgen und Ängste ernst nehmen. Wir sollten sie aber auch nicht unterfordern. Die Menschen wissen, vor welcher Herausforderung wir stehen. Wir sollten ihnen auch ehrlich sagen: Das ist keine Veranstaltung von Wochen oder Monaten, das ist eine Veranstaltung von Jahren. Wir sollten ihnen offen sagen, dass es uns auch etwas abverlangen wird und mit Einschränkungen verbunden sein kann, wenn wir Flüchtlingen helfen wollen – und das wollen wir.

Wir sollten den Menschen auch ganz offen sagen, dass das nicht aus der Portokasse geht. Das wird Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte haben. Wir sollten jetzt sehr ehrlich darüber reden, dass wir – wie immer, wenn es um Geld geht – nur drei Möglichkeiten haben. Das eine sind Umverteilungen im Haushalt, das andere ist eine bessere Einnahmebasis für die öffentlichen Haushalte – Kundige wissen, was das bedeutet; aber das gehört zur Ehrlichkeit auch dazu –, oder wir sagen, wir können die Ziele der Schuldenbremse nicht einhalten. Das gehört auch in diese Debatte. Die Menschen warten darauf, dass ihre Hilfsbereitschaft auch mit dieser Ehrlichkeit der Politik beantwortet wird, dass wir diese größeren Zusammenhänge darstellen und auch Antworten darauf geben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Deshalb lassen Sie uns der Versuchung widerstehen, auch dieses große Thema zum Gegenstand von kleiner parteipolitischer Münze zu machen. Das war bislang in der Debatte auch nicht der Fall. Dafür bin ich ausdrücklich dankbar. Ich bin auch sehr dankbar für die konstruktiven Gespräche, die in der letzten Woche auf Einladung des Ministerpräsidenten mit allen Fraktionsvorsitzenden im Landtag geführt wurden. Wir haben als Politik eine Verantwortung für dieses Thema. Zu dieser Verantwortung gehört auch eine klare Absage an diejenigen, die glauben, mit diesem Thema Stimmung machen zu müssen. Sorgen, Fragen und Ängste von Bürgerinnen und Bürgern sind berechtigt. Darauf müssen wir als Politiker auch Antworten geben. Aber es gibt eine klare Trennlinie: Meine Damen und Herren, Rassismus ist keine Sorge. Fremdenfeindlichkeit ist keine Meinung. Fremdenfeindlichkeit ist Menschenfeindlichkeit, und für Menschenfeindlichkeit gibt es in diesem Land keinen Raum. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Wagner. – Als Nächste hat Frau Abg. Wissler für die Fraktion DIE LINKE das Wort. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In der Nacht zum Sonntag wurde erneut ein Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft verübt, diesmal in Wertheim. In der vergangenen Woche warfen in Porta Westfalica Unbe

kannte einen Brandsatz gegen ein Haus, in dem 37 Menschen leben. In den letzten drei Wochen gab es Brandanschläge auf zwei Unterkünfte in Thüringen sowie in Neckargemünd, in Dortmund und an vielen anderen Orten. Auch im südhessischen Heppenheim brannte eine Flüchtlingsunterkunft.

Nach einer Zählung von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ gab es seit Beginn dieses Jahres mindestens 61 Fälle von Brandstiftungen an Flüchtlingsunterkünften; alleine seit dem Juli waren es 37. Die Mehrheit dieser Anschläge wurde auf bereits bewohnte Unterkünfte verübt.

Wir sehen, die Hemmschwelle, auch schwere Anschläge zu verüben, sinkt offenbar. Ich denke, die Bilder aus den frühen Neunzigerjahren von Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen sind noch allen im Gedächtnis. Heute wie damals ist diese Zunahme der Gewalt auch eine Folge von rechter Stimmungsmache, die bis ins selbst ernannte bürgerliche Lager hineinreicht.

Meine Damen und Herren, die Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte müssen ernst genommen werden, denn es geht hier um offene Menschenfeindlichkeit. Es geht um das Verbreiten von Angst und Schrecken. Ich denke, nicht zuletzt der lange unentdeckte NSU-Terror mahnt uns, den Neonazis, aber auch dem Rassismus aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft entschieden entgegenzutreten. Das ist eine Aufgabe aller Demokratinnen und Demokraten.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Martina Feldmayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Umso wichtiger ist es, dass so viele Menschen in diesen Tagen Solidarität und Hilfsbereitschaft zeigen. Das sind die vielen Hauptamtlichen, vor allem aber auch die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer, die seit Wochen – zum Teil Tag und Nacht – im Einsatz sind, um ankommende Flüchtlinge zu empfangen und zu versorgen. Diese Menschen und die Bilder von den deutschen Bahnhöfen in den letzten Wochen senden ein Zeichen der Solidarität und der Hoffnung, und deshalb sollte sich der Landtag bei diesen Menschen auch bedanken.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Die Ehrenamtlichen leisten wichtige und notwendige Arbeit. Damit erfüllen sie staatliche Aufgaben. Auf der einen Seite ist dieses Engagement erfreulich – aber es ist eben auch erschreckend, dass es sonst an vielen Stellen keine vernünftige Versorgung gäbe. Meine Damen und Herren, es ist doch geradezu absurd, dass Ehrenamtliche Flüchtlinge an Bahnhöfen empfangen und versorgen, während Hundertschaften der Bundespolizei zeitgleich Grenzen kontrollieren, die sich nicht kontrollieren lassen, und Mitarbeiter der Justiz Ermittlungsverfahren wegen illegaler Einreise gegen jeden einzelnen Flüchtling bearbeiten müssen. – So viel zum Thema Gastfreundschaft und Willkommenskultur in Deutschland. Dahin ist es noch ein langer Weg. Nötig wäre es, dass wir den Menschen, die in Deutschland ankommen, endlich helfen, statt Grenzkontrollen und Ermittlungsverfahren durchzuführen.