Protokoll der Sitzung vom 16.12.2015

(Zuruf des Abg. Michael Siebel (SPD))

Waren die früheren Bauausstellungen vor allem der Darstellung aktueller architektonischer Lösungen gewidmet, also dem Jugendstil in Darmstadt auf der Mathildenhöhe oder der Architektur der Moderne in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung, stehen bei den jüngeren Ausstellungen die Bewältigung des Strukturwandels und die Reparatur von Fehlentwicklungen im Mittelpunkt.

Das hat sicher seine Berechtigung, sorgt aber nicht unbedingt für jene Fokussierung auf Zukunftsfragen gesellschaftlichen Wandels, wie sie das „Memorandum zur Zukunft Internationaler Bauausstellungen“ fordert. Hinzu kommt, dass allzu oft wirtschaftliche Interessen und Prestigeobjekte im Vordergrund stehen. An den praktischen Lebensproblemen der Menschen gingen Bauausstellungen bisher allzu oft vorbei. Leider ist auch angesichts des Antrags der SPD nicht zu erkennen, dass dies in diesem Fall anders werden soll.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Aus unserer Sicht wäre es von zentraler Bedeutung, dass eine IBA sich um die drängenden Fragen der Region dreht. Da haben wir in der Tat aktuelle Probleme, die es anzugehen gilt. Das sind in der Rhein-Main-Region allem voran das Thema preiswertes Wohnen für Familien, Studierende und Flüchtlinge sowie auch das barrierefreie Wohnen für alte Menschen und Menschen mit Behinderungen.

Außerdem geht es um Lösungen des Mobilitätsproblems durch einen möglichst fahrscheinlosen öffentlichen Personennahverkehr, und schließlich stellt sich seit vielen Jahren die Frage, wie der zunehmenden Ausgrenzung von Menschen mit niedrigem oder von Menschen ganz ohne Erwerbseinkommen begegnet werden kann.

(Zuruf des Abg. Michael Siebel (SPD))

Von besonderer Bedeutung hierbei wäre die Integration gerade junger Menschen mit Migrationshintergrund, die sowohl im hessischen Bildungswesen wie auch auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt und vor allem auf dem immer offensichtlicher versagenden Wohnungsmarkt noch immer deutlich diskriminiert werden. Die Behebung des sozialen Sprengsatzes, der hier herangewachsen ist, wäre eine lohnende Aufgabe, die sicherlich auch großen Vorbildcharakter für andere Großstädte weltweit entfalten könnte.

Leider ist eine solche Ausrichtung im SPD-Antrag aber nicht zu erkennen. Zwar wird hier auch das Thema Wohnen angeführt – Herr Siebel hat dazu im Detail Ausführungen gemacht –, jedoch lediglich als ein Thema von vielen Themen. Eine Bauausstellung, die neue Formen der Aneignung städtischer Räume für Geringverdiener, Alleinlebende, Flüchtlinge, junge Menschen in Ausbildung oder für ältere Menschen präsentiert, sich also mit dem Thema preiswertes Wohnen in der Rhein-Main-Region auseinandersetzt, würde DIE LINKE begrüßen und unterstützen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Tatsache, dass nach Vorstellung der SPD ausgerechnet die Landesregierung als „Initiator, Mediator und Moderator“ eines solchen Prozesses wirken soll, lässt bei uns allerdings stärkste Zweifel daran aufkommen, dass an eine solche Ausrichtung auch nur gedacht werden kann.

(Zuruf des Abg. Michael Siebel (SPD))

Wer moderiert, der lenkt. Die hessische CDU der eingestürzten Leuchttürme Kassel-Calden, UKGM-Privatisierung und European Business School ist weder willens noch in der Lage, die drängenden Lebensprobleme der Mehrheit der Bevölkerung im Rhein-Main-Gebiet zu lösen – einmal ganz davon abgesehen, dass sie das als Teil der Landesregierung schon in den letzten Jahren hätte tun können und nicht getan hat.

(Zurufe der Abg. Norbert Schmitt und Michael Sie- bel (SPD))

Der Beitrag des Kollegen Kasseckert mit der zentralen Aussage dazu, wie man eine solche Bauausstellung angeht – nämlich mit der Frage, wie wir als Region 2030 noch an der Spitze sind – beinhaltet und lässt befürchten, dass bei der CDU in der Landesregierung abermals die wirtschaftlichen Interessen und die vermeintlichen Leuchtturmprojekte im Vordergrund stehen würden. Eine solche IBA birgt sogar die Gefahr, dass sich die soziale und wirtschaftliche Kluft zwischen dem Rhein-Main-Gebiet und dem Rest Hessens weiter verstärkt, und das wollen wir nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch was mit der im Antrag von CDU und GRÜNEN beschriebenen „zukunftsfähigen und grenzüberschreitenden Vision“ gemeint ist, bleibt unklar. Lassen Sie mich an dieser Stelle sagen: Ich bin gespannt, an welchen Ausschuss die beiden Anträge überwiesen werden; damit ist der inhaltliche Schwerpunkt natürlich schon vorprogrammiert: Werden die Anträge wie vorgesehen an den Ausschuss für

Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung überwiesen, dann stehen wirtschaftliche und verkehrspolitische Fragen im Vordergrund. Das ist auch die Absicht.

Ich stelle einmal die Frage: Wenn es um die Lösung sozialer Probleme geht, wäre dann nicht zu überlegen, die Federführung dem Sozial- und Integrationspolitischen Ausschuss zu überlassen, oder wenn es um Wohnungsfragen geht, wäre dann nicht die Federführung des Ausschusses für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz angezeigt? Aber das ist offensichtlich nicht das Vorhaben der Initiatoren. Insofern ist die Ausrichtung auf wirtschaftliche Interessen – nicht auf soziale oder wohnungspolitische Interessen – schon klar.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Es bleibt also abzuwarten, ob wir in der Ausschussberatung zu einer Konkretisierung der Anträge kommen, die sich ausschließlich auf die drängenden Bedürfnisse der Menschen im Rhein-Main-Gebiet konzentriert. Das ist unser Petitum. Konkrete Beispiele – nicht nur Visionen – für preiswertes Wohnen für Familien, Studierende und Flüchtlinge und für barrierefreies Wohnen für ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen – das wäre unser Vorschlag.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat der nunmehr dem Stau entronnene Staatsminister Al-Wazir.

(Zuruf des Abg. Timon Gremmels (SPD))

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer über Landesentwicklung und über Regionalentwicklung spricht, muss in langen Linien denken – nach vorne, aber es hilft auch, einmal ein bisschen nach hinten zu schauen.

Wie war die Situation vor 20, 25 Jahren in der RheinMain-Region? – Ich will einmal zwei Beispiele nennen, Stichwort: Müll. Müllnotstand war damals ein geflügeltes Wort. Die einen hatten keinen Deponieraum mehr, die anderen hatten viel zu teure Müllverbrennungsanlagen. Sie haben von diesem Problem lange nichts mehr gehört. Warum? – Weil es in der Rhein-Main-Region durch die Rhein-Main Abfall GmbH gelöst wurde. – Ich sehe Nicken von Menschen, die wissen, wo Flörsheim-Wicker ist.

Zweites Beispiel: öffentlicher Personennahverkehr. Vor 20, 25 Jahren gab es Kleinstaaterei. Es gab weder einen abgestimmten Fahrplan noch ein gemeinsames Ticket der Tarifgebiete. Was man sich heute nicht mehr vorstellen kann: Zwischen Frankfurt und Offenbach hielt die Straßenbahn, und man musste entweder beim Fahrer einen Fahrschein für das jeweils andere Tarifgebiet kaufen oder aussteigen und zum Automaten gehen. Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen. Es ist aber nur 20 Jahre her. Die Linie 16 wurde eingestellt, als ein gewisser Michael Siebel noch im Offenbacher Rathaus gearbeitet hat, wenn ich das richtig im Kopf habe.

(Michael Siebel (SPD): Stimmt!)

Stichwort: Kulturregion, Stichwort: Wirtschaftsförderung, Stichwort: Regionalpark. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben in den letzten 20, 25 Jahren in der Zusammenarbeit in der Rhein-Main-Region wahnsinnig viel erreicht.

(Beifall der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Natürlich entwickelt sich die Metropolregion – deswegen der Blick nach vorne – weiterhin ausgesprochen dynamisch. Das ist grundsätzlich erfreulich. Es führt aber auch zu neuen Herausforderungen. Am dringlichsten sind die Herausforderungen – das ist meine Überzeugung – in den Bereichen Mobilität und Wohnen.

Beispiel Mobilität. Wir haben am Tag 350.000 Fahrzeuge, die das Frankfurter Kreuz passieren, wir haben bis zu 450.000 Fahrgäste und Besucher am Frankfurter Hauptbahnhof, wir haben jährlich knapp 60 Millionen Passagiere am Frankfurter Flughafen – Tendenz in allen Sektoren steigend.

Natürlich hat das Folgen für die Menschen in der Region – positive wie negative Folgen, welchen sich die Landespolitik stellen muss. Deswegen sage ich ausdrücklich: Eine intakte und funktionierende Verkehrsinfrastruktur zählt zu den wichtigsten Standortfaktoren und prägt maßgeblich die internationale Wettbewerbsfähigkeit, aber eben auch die Lebensqualität in der Region. Deswegen sind dies aus meiner Sicht die wichtigsten Themenfelder für die Regierung: Wie kommen wir zu einer an den künftigen Anforderungen ausgerichteten strategischen Planung für große Infrastrukturprojekte? Wie lassen sich kürzere Realisierungszeiträume und gleichzeitig bessere Bürgerbeteiligung miteinander vereinbaren? Wie können wir Logistik und Mobilität so weiterentwickeln, dass die Verkehrsströme in Zukunft noch bewältigt werden können und dabei negative Effekte wie Lärm- und Luftbelastung sowie CO2-Ausstoß begrenzt werden können?

(Vizepräsident Wolfgang Greilich übernimmt den Vorsitz.)

Ich komme zum nächsten Punkt, zum Wohnraum. Wir haben in der Rhein-Main-Region eine dynamische Entwicklung. Frankfurt wächst jedes Jahr um 15.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Das gilt für die anderen Kernstädte der Region genauso. Dementsprechend ist klar: Wir haben enorme Herausforderungen, die wir im Rahmen einer zukunftsorientierten Wohnungsbaupolitik bewältigen müssen. Es kommen aktuelle Transformationsprozesse hinzu wie die Energiewende, sich ändernde Mobilitätsgewohnheiten, die Digitalisierung und demografische Veränderungen. Wenn man 20 oder 30 km weit hinausgeht, dann ist die Situation oftmals eine völlig andere. Am Rande der Region haben wir es teilweise mit Schrumpfungsprozessen zu tun. Das heißt, wir brauchen für die Metropolregion Frankfurt/Rhein-Main angepasste Konzepte für das Zusammenleben und die Infrastruktur.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen befindet sich die Landesregierung fortgesetzt in Gesprächen mit allen wichtigen Akteuren der Region, um gemeinsam Problemfelder zu identifizieren und Lösungen zu erarbeiten. Ich will Ihnen nur zwei Beispiele zu dem benennen, was in den letzten zwölf Monaten passiert ist:

Das Land ist Mitglied in der Planungsgesellschaft für die Regionaltangente West geworden. Wir haben ausdrücklich

gesagt, wir wollen auch als Land Hessen zeigen, dass das nicht nur ein Projekt der Region und von einzelnen Kommunen ist, sondern es ist im Interesse des ganzen Landes, wenn dieses wichtige Infrastrukturvorhaben vorankommt. Wir haben übrigens Erfolge erzielt. Die EU hat dieses Vorhaben als eines von zwei Projekten bundesweit als besonders förderungswürdig anerkannt und übernimmt die Hälfte der Planungskosten. Sie sehen, in diesem Bereich passiert etwas.

Das Land ist in diesen Tagen wieder offiziell Mitglied der FrankfurtRheinMain GmbH International Marketing of the Region geworden. Ich glaube, dass dies auch ein Beispiel dafür ist, dass wir handeln. Wir agieren. Wir sind dabei, gemeinsam mit der Region, mit den Städten und Kreisen der Region, die Zusammenarbeit zu verbessern. Ich will aber ausdrücklich sagen, das Netz unterschiedlicher Akteure mit verschiedenen Schwerpunkten entspricht auch der polyzentralen Struktur der Region. Diese polyzentrale Struktur der Region wollen wir auf keinen Fall negieren, sondern wir müssen mit ihr arbeiten. Wir können nicht von oben herab sagen: „So wird es gemacht“, denn das ist in Frankfurt/Rhein-Main schon immer schiefgegangen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt die Initiative Frankfurt/Rhein-Main 2030, mit der bereits ein Strategiebildungsprozess für die Metropolregion auf den Weg gebracht worden ist und in der die Landesregierung über eine Mitgliedschaft in der Lenkungsgruppe mitwirkt.

Sie merken, ich habe bisher kein einziges Mal „IBA, IBAdu“ gesungen, sondern ich habe über die Probleme in der Region gesprochen und über die Frage: Was sind hierauf die richtigen Antworten? Daran merken Sie, dass eine einzelne Antwort aus drei Buchstaben vielleicht ein Teil einer Lösung sein kann; dies ist aber auf keinen Fall sicher. Deswegen stellt sich die Frage: Ist das eigentlich das richtige Format?

Deswegen: Ja, wir haben wahrgenommen – ich war auch bei einer der Auftaktveranstaltungen dabei –, dass der Architektursommer 2015 das Thema IBA auf die Tagesordnung gehoben hat. Ja, wir haben auch das Thesenpapier der IHK Frankfurt gelesen, und wir haben über die Frage diskutiert: Ist eine IBA das richtige Format? – Es gibt viele Labels; es gibt viele mögliche Überschriften, aber vielleicht muss man an der Stelle einmal festhalten: Zuallererst brauchen wir doch einen Leitgedanken, und dann müssen wir uns überlegen, was das richtige Format ist, um diesen Leitgedanken in die Realität umzusetzen. Ich halte nichts davon, erst die Struktur zu schaffen und sich dann Gedanken über den Inhalt zu machen. Ich glaube, das wäre der zweite Schritt vor dem ersten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will ausdrücklich sagen: Wir brauchen dazu einen engen Austausch mit der Region. Ich warne ein bisschen davor, dass uns der gedankliche Fehler unterläuft, weiterhin eine Strukturdebatte zu führen, dass man also quasi das Wort „Regionalkreis“ durch „Internationale Bauausstellung“ ersetzt, sich ansonsten aber nicht weiterhin gemeinsam mit der Region Gedanken über die Frage macht: Was ist eigentlich nötig? Ich will ausdrücklich sagen: Ja, wir wollen als Landesregierung, so wie es die SPD in ihrem Antrag fordert, als „Initiator, Mediator und Moderator“ tätig sein. Aber wir wollen nicht diejenigen sein, die der Re

gion erklären, wie sie sich entwickeln soll, weil das nur gemeinsam mit der Region und nicht gegen sie funktionieren kann.

Ich komme zum letzten Punkt, zur Frage: Sind wir bereits aktiv? – Natürlich sind wir das. Herr Kollege Wintermeyer hat Anfang des Monats die Chefs der Staatskanzleien von Rheinland-Pfalz, Bayern und Baden-Württemberg zu einem Gedankenaustausch über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, zur Weiterentwicklung der Metropolregion eingeladen. Ich bin gespannt, wenn dieser Termin zustande kommt, inwieweit sich diese als Betroffene fühlen. Wir haben erst einmal die drei anderen Länder eingeladen; jetzt wollen wir einmal sehen, ob es beispielsweise Stuttgart als eigene Aufgabe ansieht oder nicht, Stichwort: Rhein-Neckar.

(Norbert Schmitt (SPD): Das wollte ich gerade sagen!)

Ja, das werden wir sehen. – Wir sind bereits im Gespräch; die sind eingeladen worden. Ich will an diesem Punkte sagen: Wir müssen mit der Region übereinkommen und fragen, was der beste Weg zur Erreichung dieser Ziele ist, egal, wie wir das Kind dann nennen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir jedenfalls gehen mit einer ergebnisoffenen Haltung in die Gespräche mit den Nachbarländern. Wir gehen mit einer ergebnisoffenen Haltung in die Gespräche mit den Institutionen der Region. Ich bin davon überzeugt: Wir brauchen eine Zusammenarbeit in der Region, die auch grenzüberschreitend ist. Wir müssen diese Zusammenarbeit stärken und gemeinsame Ziele entwickeln. Wenn wir uns dabei an der Sache orientieren, dann wird das, wie das die letzten 20 Jahre lang passiert ist, auch in den nächsten 20 Jahren eine gute Weiterentwicklung der Metropolregion Frankfurt/Rhein-Main ergeben. – Vielen Dank.