Protokoll der Sitzung vom 02.02.2016

(Beifall bei der LINKEN)

Ich finde, Herr Schulz hat vollkommen recht. Der Staat hat die Aufgabe, Straftäter zu finden und zu sanktionieren. Dazu muss er in die Lage versetzt werden, und das ist im Moment eine Frage der Ressourcen. Wer das hingegen zu einer Frage von Herkunft oder Religion macht, tut niemandem einen Gefallen. Es ist nicht nur irgendwie Quatsch, sondern es ist das rassistische Gerede vom „kriminellen Ausländer“, gegen das wir alle argumentieren müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Hier sind wir beim zweiten Punkt, bei dem ich mir vom Innenminister eine wirklich andere Politik sehnlichst wünschen würde. Herr Innenminister, ist es nicht so, dass die eigentliche Gefahr nicht von Flüchtlingen ausgeht, sondern gegen Flüchtlinge gerichtet ist? Besteht nicht sogar eine

Gefahr für diejenigen, die Flüchtlingen praktisch helfen oder politisch beistehen? Dazu hätte ich mir von Ihnen deutliche Worte gewünscht – gerade jetzt, wo die unsägliche AfD auch noch zum Schusswaffengebrauch aufruft.

(Holger Bellino (CDU): Es war heute deutlich genug!)

Im letzten Jahr wurden in über 1.000 Fällen Flüchtlingsunterkünfte angegriffen. Flüchtlingsunterkünfte werden beschossen, angezündet, mit Blut und Fäkalien beschmiert. Erst vor wenigen Tagen wurde eine scharfe Handgranate auf eine Flüchtlingsunterkunft in Baden-Württemberg geworfen. Der Polizeipräsident von Leipzig warnte gestern vor einer „Pogromstimmung“, weil es allein in Leipzig am letzten Freitag und Samstag vier Angriffe auf Flüchtlinge gab, unter anderem mit einem Sprengsatz.

Wir alle wollen, dass die sexuellen Übergriffe gegen Frauen in der Silvesternacht lückenlos aufgeklärt werden. Ich bin mir sicher, wir wollen dies auch für Straftaten, die an den übrigen 364 Tagen des Jahres begangen werden. Ich kenne niemanden, der ernsthaft will, dass für Geflüchtete andere Gesetze gelten als für jedermann. Vor dem Gesetz sind alle gleich, und Straftäter gehören vor unsere Gerichte.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber wurden die Übergriffe gegen Frauen nicht schamlos genutzt, um Stimmung gegen Flüchtlinge im Allgemeinen zu machen? Durch die sogenannten sozialen Medien schiebt sich seit Monaten eine Welle von Hass und Rassismus. Angebliche Straftaten werden teils frei erfunden, faschistoide Stimmungen werden geschürt. Rechte Hooligans und Schlägertrupps haben Kölner und Leipziger Stadtteile fast in Schutt und Asche gelegt. Journalisten gelten bei ihnen als Teil der „Lügenpresse“, Politiker als „Volksverräter“, Ausländer als vogelfrei – ausnahmslos. Pegida-Anhänger trugen einen für Frau Merkel gemachten Galgen öffentlich auf Demonstrationen herum.

Hatten wir das alles nicht schon einmal in Deutschland? Hat es nicht Millionen von Menschen das Leben und unser Land fast alles gekostet? Ich sage: Wer, wie die AfD, die Nähe zu Pegida und zur NPD sucht, wer, wie Frauke Petry, zum Schießen auf Flüchtlinge aufruft, wer, wie Herr Höcke, offen rassistische Stimmungen schürt, der nimmt billigend in Kauf, dass Blut fließt.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich halte die Gefahr durch Nazis, durch Rechtspopulisten, und deren Schüren von Hass in unserem Land für die allergrößte Bedrohung, der wir ausgesetzt sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir müssen alles daransetzen, diejenigen, die jede auch nur denkbare Straftat eines Flüchtlings nutzen, um Hass auf Andersaussehende und Andersdenkende zu schüren, gesellschaftlich zu isolieren. Leider ruft Frau Steinbach schon zu Koalitionen mit der AfD auf. Ich hoffe, die Hessen-CDU geht diesen Weg nicht, sondern verabschiedet sich irgendwann von ihrem rechten Rand.

Ich finde, wir müssen alles tun, um den Menschen klarzumachen, dass nicht die Flüchtlinge, sondern Krieg und Elend in ihren Ländern das Problem sind, das es zu lösen gilt. Damit meine ich Lösungen in deren Heimatländern und nicht Scheinlösungen mit sogenannten Drittstaaten –

wie der Türkei –, wo es uns offenbar bloß darum geht, uns die Flüchtlinge vom Hals zu halten.

Deshalb sage ich: Waffenexporte, Krieg und die Zusammenarbeit mit Diktaturen, z. B. der Diktatur in Saudi-Arabien, sind ein Flüchtlings-Konjunkturprogramm.

Meine Damen und Herren, die Flüchtlinge sind Ausdruck des Problems, das uns nach Jahren der Abschottung nun erreicht hat. Wir sollten weder in Hysterie noch in Sündenbockmentalität verfallen. Unser Land und unser Leben sind nicht bedroht, und zwar erst recht nicht, wenn Sie es mit den Ländern und dem Leben der Flüchtlinge vergleichen. Es braucht Menschen, die Probleme lösen wollen, statt sie wieder nur zum Anlass für noch mehr Hass und noch mehr Gewalt zu nehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Ursache des Terrorismus im Irak und in Syrien ist nicht der Islam, sondern der Irakkrieg. Wenn wir jetzt in Syrien wieder sinnlos Bomben werfen – man weiß nicht einmal, auf welcher Seite und mit welchem Ziel –, dann verschärfen wir die Konflikte und lösen weitere Flüchtlingsbewegungen aus.

Ein letzter Punkt. Es gibt keine innere Sicherheit ohne soziale Sicherheit. Wir brauchen einen Lastenausgleich zugunsten der Armen und der Normalverdiener. Sie sollen wissen, dass unser Land soziale Sicherheit für alle bietet. Ich wünsche mir, Frau Merkel würde genau wie in der Bankenkrise vor die Kamera treten und wieder eine Garantie abgeben – eine Garantie für soziale Sicherheit in unserem Land. Das wäre möglich und nötig. In diesem Sinne sagen wir: Refugees welcome!

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Als Nächster spricht Kollege Greilich, FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Innenminister, Sie haben eine Rede zur Regierungserklärung gehalten, die wir so – oder ähnlich – jedes Jahr hören, wenn die Polizeiliche Kriminalstatistik vorgelegt worden ist. Sie haben es aber leider versäumt, auf das einzugehen, was heute aktuell ist, was sich heute an Fragen stellt. Frau Kollegin Faeser hat eingangs ihrer Rede darauf schon verwiesen.

Heute Mittag – vor Ihrer Regierungserklärung – erschien eine Meldung der „Bild“-Zeitung unter der Überschrift: „Was uns der Innenminister alles verschweigt“. Sie kennen die Meldung mit Sicherheit.

(Minister Peter Beuth: Inzwischen!)

Ich gehe davon aus, dass Sie es schon vor Ihrer Rede wussten, weil Sie ein gut funktionierendes Ministerbüro haben.

In dem Artikel heißt es: „Die geheimen Lageberichte des LKA … [sind gekennzeichnet als] ‚VS – nur für den Dienstgebrauch‘.“ Stimmt das, Herr Innenminister? Das ist eine der Fragen, die Sie hätten beantworten müssen. Ich will, weil sich einiges davon wirklich unappetitlich liest, hier nicht im Einzelnen zitieren, was die „Bild“-Zeitung in

dem Artikel berichtet, sondern will zusammenfassend nur erwähnen, was dort steht, und von Ihnen wissen: Stimmt es, dass es diese Vorfälle gab und dass über sie nicht berichtet worden ist?

(Beifall bei der FDP)

Beispiel: Messerangriff auf einen Sicherheitsdienstmitarbeiter am 23. Januar in Heppenheim; Beispiel: Massenschlägerei am 24. Januar in Bensheim; Beispiel: Übergabe von 12.500 € im Bereich des Polizeipräsidiums Mittelhessen von einem Flüchtling an einen angeblichen Schleuser und dessen anschließende Bedrohung mit dem Tode; Beispiel: Angriff auf Sicherheitsleute in der Flüchtlingsunterkunft in Langen.

Herr Innenminister, der Bericht der „Bild“-Zeitung, wonach keine Informationen seitens der jeweiligen Polizeibehörden an die Öffentlichkeit gegeben worden sein sollen, obwohl es sich um durchaus erhebliche Straftaten handelte, wirft für uns massiv Fragen auf. Zunächst die Frage: Herr Innenminister, stimmt das, was dort berichtet wird?

(Beifall bei der FDP)

Wenn die genannten Vorgänge, wie von der „Bild“-Zeitung behauptet, tatsächlich aus als geheim eingestuften Lageberichten des HLKA stammen, dann nährt das erhebliche Zweifel an den Ausführungen des Ministers im Innenausschuss des Landtags vor zwei Wochen. Dort haben Sie noch vehement bestritten, dass es gezielte Vorgaben gebe, wie die Behörden mit der Veröffentlichung von Straftaten von Flüchtlingen in Hessen umzugehen haben. Wie verträgt sich damit die Einstufung als „VS – vertraulich“?

Herr Innenminister, wir erwarten, dass Sie angesichts dieser Berichterstattung hier und heute abschließend und umfassend erläutern, wie das zusammenpasst. Bei Ihrer Regierungserklärung haben Sie die Chance leider verpasst.

(Beifall bei der FDP)

Wenn man sich vor Augen führt, mit welcher Empörung der Minister unsere sachlichen Nachfragen im Innenausschuss zurückgewiesen und diese gar als dreist und unverschämt – ich habe es mir genau gemerkt – bezeichnet hat, dürfte einem klar sein, dass sich daraus einige offene Fragen ergeben: Gab es zu diesem Termin im Innenausschuss auch schon die angeblichen regelmäßigen Lageberichte des LKA, in denen über die Vorfälle in Flüchtlingsunterkünften berichtet wird? Warum wurden die diesbezüglichen Fragen nicht beantwortet? Gibt es noch mehr Berichte, die der Öffentlichkeit vorenthalten werden? Herr Minister, hierauf erwarten wir heute noch Antworten von Ihnen.

(Beifall bei der FDP)

Wir als Freie Demokraten hatten von Anfang an und in aller Deutlichkeit betont, dass es natürlich keine Berichterstattung allein deshalb geben soll, weil ein Täter ausländischer Herkunft ist. Das ist kein wesentliches Merkmal. Aber bei den berichteten Straftaten handelt es sich um Übergriffe auf Sicherheitspersonal, Taten im Zusammenhang mit Schleusertätigkeiten und gezielte Angriffe aus bestimmten Tätergruppen heraus, bei denen dieser Zusammenhang durchaus von Relevanz ist.

(Florian Rentsch (FDP): Gegen Frauen!)

Wie wiederholen deshalb in aller Deutlichkeit unsere Forderung: Sie als Innenminister müssen für eine offene und nachvollziehbare Art der Kommunikation – auch bei heik

len Sachverhalten – sorgen; sonst befördern gerade Sie die Legendenbildung und schüren das Gefühl der Bevölkerung, nicht umfassend informiert zu werden.

(Beifall bei der FDP)

Nicht derjenige, der die notwendigen Fragen – wie wir – in sachlicher Art und Weise stellt und Probleme offen anspricht, sondern derjenige, der fortgesetzt und anscheinend systematisch Informationen zurückhält, leistet jenen rechten Kräften Vorschub, die sich den Schießbefehl an deutschen Grenzen zurückwünschen. Es ist nun an der Landesregierung – zuvorderst am Innenminister –, endlich offen zu kommunizieren und die entstandenen Irritationen auszuräumen.

(Beifall bei der FDP)

Um jedwedem Vorwurf, der unserer Fraktion, auch im Innenausschuss, gemacht worden ist, gleich zu begegnen: Gerade um jede Art der extremistischen Instrumentalisierung von tatsächlich vorliegenden oder auch nur vermeintlichen Straftaten zu verhindern, ist es unerlässlich, die größtmögliche Transparenz herzustellen. Wir haben es deshalb für notwendig erachtet, kritische Nachfragen zu stellen, und werden das auch in Zukunft jederzeit und ohne Schere im Kopf machen, wenn wir hierzu Anlass durch die Nachrichtenlage sehen.

(Beifall bei der FDP)

Herr Minister, ich will mich an Ihrer Regierungserklärung orientieren, also nur kurz auf die Polizeiliche Kriminalstatistik eingehen, und in dem Zusammenhang feststellen: Wir leben in sicherheitspolitisch äußerst bewegten Zeiten. Die Herausforderungen sind, wie man feststellt, wenn man gerade das vergangene Jahr als Maßstab für die hessischen Sicherheitsbehörden und damit für die Politik nimmt, äußerst vielfältig geworden.

Wir sind uns auch als Oppositionsfraktion sehr wohl bewusst, dass diese sicherheitspolitische Gemengelage für andere Personen alles andere als ein Kinderspiel ist. In aller Deutlichkeit gilt es daher, auch lobend zu erwähnen, dass in Hessen, gerade vor dem Hintergrund jüngster Ereignisse in anderen Bundesländern, eine vergleichsweise stabile Lage besteht. Die Zahlen und Fakten, die der Innenminister vergangene Woche im Rahmen der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik präsentiert hat, belegen dies im Wesentlichen.

Sie belegen aber auch, dass es sich bei diesen Entwicklungen eben nicht nur gefühlt um eine besondere Situation handelt, die es derzeit zu meistern gilt. Die Fallzahlen sind absolut und zum ersten Mal seit 2010 wieder über 400.000 gestiegen. 2014 waren es knapp 397.000 Taten, 2015 ungefähr 403.000 Taten. Bei einer Steigerung von 1,6 % kann man wohl kaum von Geringfügigkeit sprechen. Zudem steigen die Zahlen bereits zum zweiten Mal in Folge an, sodass seit 2013 ein Plus von 4 % besteht. Damit kann man das Gerücht, Hessen sei unter Schwarz-Grün sicherer geworden, getrost in den Bereich der Mythen und Legenden verweisen.