Beim Landesamt für Verfassungsschutz reden wir von einer Behörde, die entgegen dem Sparzwang in allen anderen Bereichen der Landesverwaltung seit über zehn Jahren immer weiter Personal und immer mehr Kompetenzen erhält. Allen Skandalen – Sozialkürzungen, Bildungskürzungen und Lohnkürzungen – zum Trotz: Für den Verfassungsschutz darf es immer noch ein bisschen mehr sein. Alleine in diesem Jahr wurden die Stellen beim Verfassungsschutz um sage und schreibe 20 % ausgeweitet. Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Wo gibt es das sonst im Landesdienst?
Wir LINKE sagen seit Jahren: Das sind die falschen Prioritäten. Es ist hochgefährlich, dass ein skandalbelastetes und undemokratisches Gebilde wuchert, während auf wirksame parlamentarische Kontrolle de facto vollständig verzichtet wird.
Wir reden über eine Behörde, der per Gesetz erlaubt ist, gegen das Legalitätsprinzip zu verstoßen. Wir reden über Geheimdienstverbünde, die nach den Veröffentlichungen über den NSU-Skandal, über den NSA-Skandal und über den BND-Skandal offensichtlich vieles machen, was die Verfassung eben nicht schützt, sondern sie fortlaufend und massenhaft bricht.
Jede Beamtin, jeder Beamte, jeder Bürger, jeder Besitzer einer Würstchenbude muss sich an das Gesetz und an Regeln halten und wird im Zweifel öffentlich zur Rechenschaft gezogen. Aber der Geheimdienst darf sogar mit Straftätern kooperieren, darf Straftäter bezahlen und sie vor Strafverfolgung schützen. Die Leute, die der Verfassungsschutz als „Vertrauenspersonen“ bezeichnet, sind überwiegend Kriminelle. Denen wird vertraut. Denen vertrauen wir unsere Verfassung an. Das ist schon ein starkes Stück.
Zudem entscheidet der Verfassungsschutz auch noch nach eigenem Ermessen, was die Öffentlichkeit und die Parlamente hierüber erfahren dürfen. Schredder oder nicht Schredder – das, so wissen wir heute, entscheiden die Dienste nach ihrem eigenen Ermessen. Ich bezweifle, dass ein solches Geheimdienstsystem gut für die Demokratie ist.
Herr Bauer, die LINKE sagt seit Jahren: Wir wollen keinen Staat im Staate. – Die Geschichte der Geheimdienste ist, zumal in Deutschland, untrennbar mit diktatorischen Erfahrungen verbunden – und eben nicht mit der Demokratie. Spätestens nach den Enthüllungen im NSU-Komplex muss doch klar sein: Die Geheimdienste haben im Kampf gegen rechts entweder vollständig versagt, oder sie haben sogar zum Erstarken der rechten Szene und zu Gewalt beigetragen.
All jenen, die die Geheimdienste dennoch für „unverzichtbar“ erklären, sage ich: Es kann und darf in der Demokratie doch nicht sein, dass eine Regierungsbehörde außerhalb
von Gesetzen operiert und dass sie selbst darüber entscheidet, wer sie dabei kontrolliert. Es muss doch unser demokratischer Mindestanspruch sein, das Tun und Lassen wenigstens im Nachgang zu kontrollieren – und zwar umfassend und ohne jede Einschränkung, Herr Bauer.
Aber genau so läuft es nicht. Lediglich drei Fraktionen des Hessischen Landtags – Frau Faeser hat darauf hingewiesen –, darunter den beiden Regierungsfraktionen, ist es gestattet, sich an einem unbekannten Ort zu einer unbekannten Zeit über unbekannte Dinge berichten zu lassen – und dann darüber für immer zu schweigen. Die fünf Abgeordneten, denen berichtet wird, dürfen die Mitarbeiter des Landesamts für Verfassungsschutz nicht einmal befragen oder bei Verstößen jemanden einschalten – nicht den Landtag, nicht den Datenschutz, nicht die Medien, niemanden. Das ist doch keine Kontrolle, Herr Bauer, sondern eine Alibiveranstaltung. Hier wird der Öffentlichkeit eine Kontrolle doch nur vorgegaukelt, und das seit Jahr und Tag.
Wir erleben nun im NSU-Untersuchungsausschuss unfassbare Dinge. Sogar für Geheimdienstkritiker wie mich ist fast nicht zu glauben, was man da erleben muss. Da kommen Geheimdienstler in den Ausschuss, frei von Ahnung und Sachverstand, frei von Moral und mit einer Arroganz gegenüber dem Parlament, dass mir gruselig wird. Da wird intern über die NSU-Opfer abfällig gesprochen, da werden reihenweise Dienstvergehen begangen, ohne dass im Amt etwas passiert, da werden Vorgesetzte und die Polizei belogen, das Parlament und die Öffentlichkeit getäuscht – und zwar von Beamtinnen und Beamten des Landes Hessen.
Herr Bauer, noch schlimmer sind aber die V-Leute – Ihre angeblichen Vertrauensleute. Wir haben zwei dieser VLeute öffentlich vernommen, und man kann niemandem erklären, warum der Staat ausgerechnet mit denen kooperiert hat. Herr Bauer, ich möchte unsere Verfassung nicht Herrn Gärtner und auch nicht Herrn Temme anvertrauen. Das sage ich ganz eindeutig. Das ist die Zwischenbilanz, die wir schon jetzt ziehen können.
Mein Eindruck war, dass diese V-Leute unsere Gesellschaft eher verachten, als sie intensiv zu schützen. Diese Leute lassen sich auf Staatskosten auch noch versorgen, ohne dabei irgendetwas Brauchbares zu liefern, was im Kampf gegen rechts von Nutzen wäre.
Was macht die Landesregierung angesichts dessen? Die Antwort ist klar: nichts, außer weiteres Chaos zu erzeugen. – Im letzten Jahr hat man mir auf die Frage nach den NSAAktivitäten geantwortet, man habe keine Erkenntnisse über NSA-Aktivitäten. Die Standorte der NSA sind zwar in Hessen – das kann jeder nachlesen –, aber laut Landesregierung gibt es da keine Aktivitäten. Im NSU-Komplex erklärte die Landesregierung tatsächlich, in Hessen habe es keinerlei Pannen gegeben. Das erklärt sie noch heute. Ich fürchte, Sie glauben das sogar selbst. Was also die parlamentarische Kontrolle angeht, erleben wir ein peinliches Schauspiel.
Zum Streit über die „Expertenkommission“ will ich nur daran erinnern, dass Schwarz-Grün die Einsetzung eines NSU-Untersuchungsausschusses zunächst mit allen Mitteln verhindern wollte. Nur deshalb wurde eine Kommission, bestehend aus vier Personen, im Innenministerium eingesetzt, die parteipolitisch ausgesprochen ausgewogen zusammengesetzt war. Diese Kommission sollte auf der Grundlage der gemeinsamen Empfehlungen des ersten NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages eigenständig Vorschläge zur Neuausrichtung des Hessischen Landesamts für Verfassungsschutz machen und unabhängig arbeiten.
Sie sollte dies – das ist seinerzeit immer wieder betont worden – in enger Abstimmung mit dem Innenausschuss des Hessischen Landtags tun. Wir haben die Kommission bisher aber nur einziges Mal erlebt – auch nur den Vorsitzenden der Kommission –, und zwar auf Antrag unserer Fraktion. Wir werden im Innenausschuss am 1. September dieses Jahres mit der Kommission ein zweites Mal in einen Dialog eintreten. – So viel zu Ihrer angekündigten „engen Zusammenarbeit“ mit dem Parlament.
Ich will aber auch daran erinnern, dass Schwarz-Grün zwei Gesetzentwürfe aus der Schublade gezogen und auf einer Pressekonferenz vorgestellt hat, bevor die Kommission ihre Arbeit überhaupt aufnehmen konnte. Damit hat Schwarz-Grün die von ihnen eingesetzte Kommission vor den Kopf gestoßen. Offiziell wurden diese Gesetzentwürfe bis heute nicht in den Landtag eingebracht. Sie sind seit ihrer Vorstellung nie wieder aufgetaucht. Die Kommission des Innenministers erklärte einen der Gesetzentwürfe – das ist die Krönung – auch noch für unzureichend und verfassungswidrig. Ein grotesker Vorgang, wie ich finde.
Meine Damen und Herren, aus all unseren Erfahrungen der letzten Jahre ist die Position der LINKEN, den Geheimdienst, das Landesamt für Verfassungsschutz komplett in ein Zentrum für Demokratie und Menschenrechte umzuwandeln. Wir wollen eine Institution schaffen, die wissenschaftlich arbeitet, die demokratische Initiativen und die Zivilgesellschaft stärkt und die vor allem auf das unsägliche V-Leute-System gänzlich verzichtet, wie es das Land Thüringen richtigerweise praktiziert.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist in gewissem Umfang verständlich, dass vor dem Hintergrund des schrecklichen Geschehens, der schrecklichen Taten des NSU die Emotionen teilweise ein bisschen durchgehen und damit den Blick auf die zu entscheidenden Fragen verstellen. Ich kann das durchaus verstehen. Trotzdem empfiehlt es sich, auch hier mit der notwendigen Nüchternheit und Klarheit an die zu entscheidenden Fragen heranzugehen. Deshalb will ich eingangs noch einmal kurz zusammenfassen, worüber wir heute eigentlich reden, wie der Sachstand ist.
Die schwarz-grüne Koalition und der hessische Innenminister haben am 10. Oktober 2014 ihre Vorschläge zur
Neuausrichtung des Verfassungsschutzes vorgestellt. Das geschah, noch bevor die von der Landesregierung selbst eingesetzte überparteiliche Expertenkommission ihre Ergebnisse vorgelegt hat. Das war sicherlich nicht glücklich; das hat mittlerweile auch die Koalition gemerkt.
Zum Glück haben Sie wenigstens eines nicht getan: Sie haben diesen unzureichenden Gesetzentwurf nicht in das parlamentarische Verfahren eingebracht. Das hat Ihnen eine noch größere Blamage erspart.
Ein Jahr später, am 12. Oktober 2015, hat die Expertenkommission ihren Bericht vorgelegt, der heute schon vielfach erwähnt und gelobt worden ist – zu Recht gelobt worden ist. Das war der Anlass für die Koalition – bzw. für den Innenminister –, zu sagen, man werde sich damit auseinandersetzen und den Entwurf überarbeiten. Das war im Oktober 2015.
Wir haben dann ein Vierteljahr gewartet und im Januar als Fraktion den Vorschlag unterbreitet: Wenn das Thema so schwierig ist, dass es in der Koalition nicht vorangeht, sollte man sich über alle Fraktionen hinweg zusammensetzen, um die Überarbeitung anzugehen. – Zwei Monate später bekamen wir die Antwort, man wolle noch vor der Einbringung des Gesetzentwurfs auf die Opposition zukommen. Herr Frömmrich hat das heute wiederholt. Sonst ist nichts passiert. Seitdem gab es keine weiteren Aktivitäten.
Vor dem Hintergrund des Ausmaßes der Kritik der Expertenkommission könnte man fast Verständnis dafür entwickeln, dass die Regierungsfraktionen so lange Zeit für die Überarbeitung benötigen.
Aber ich sage nur, man könnte „fast Verständnis“ dafür haben; denn das, was hier schlichtweg passiert, ist, dass die Koalition – die Landesregierung – ihre Hausaufgaben nicht macht. Sie müssten gar nicht so viel tun. Sie haben zwei Blaupausen – die auch noch durch den Bericht der Expertenkommission zusammengeführt sind –: einerseits den Bericht, andererseits die bundesgesetzliche Regelung. Eigentlich brauchen Sie nur abzuschreiben, um daraus auch für das Land Hessen ein ordentliches Gesetz zu machen. Aber dazu können Sie sich anscheinend nicht verständigen, oder es fehlt Ihnen die Kraft dazu.
Eines wird klar, wenn man den Bericht liest: Herr Kollege Bauer, Herr Kollege Frömmrich, es nützt gar nichts, auf das zu verweisen, was in der letzten Wahlperiode zur Stärkung des Verfassungsschutzes in der Tat schon getan wurde und was diese Koalition zum Glück fortgeführt oder jedenfalls nicht zurückgenommen hat. In der Tat sind dort die Strukturen verbessert worden. Wir reden hier über das Gesetz, das novelliert werden muss. Da sind Sie bis jetzt alles schuldig geblieben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf ist es, der bei der Kommission in Bausch und Bogen durchgefallen ist. Er soll nach Meinung der Kommission überarbeitet werden, da er – ich zitiere wörtlich – „in der vorgelegten Fassung nicht geeignet [ist], die Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages umzusetzen“.
Die Kommission betont, dass der Entwurf zu sehr hessische Eigenheiten betont und Sonderwege beschreitet. Das fängt im Einzelnen mit der Frage der Gesetzgebungszuständigkeit an. Hier regelt der Entwurf teilweise die Zusammenarbeit mit anderen Behörden sowie die Datenübermittlung innerhalb des öffentlichen Bereichs. Da aber ist der zutreffende und wichtige Hinweis: Die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes hat der Bund.
Herr Kollege Frömmrich, das muss man zur Kenntnis nehmen. Dass Sie es nicht gemerkt haben, werfe ich Ihnen nicht vor. Das werfe ich keinem Parlamentarier vor. Das ist nun einmal etwas, was man verfassungsrechtlich im Blick haben muss. Aber der Verfassungsminister, der auch an der Erarbeitung des Gesetzentwurfs und der Vorstellung beteiligt war, hätte im Blick haben müssen, wo die Gesetzgebungskompetenz liegt und was man machen kann bzw. was man nicht machen kann. Was hier geschehen ist, ist höchst peinlich.
Ein anderer Punkt, den die Kommission zu Recht kritisiert, ist die Missachtung des Gebots einer klaren Aufgabenbeschreibung bei der Normenklarheit. Die Kommission schreibt dazu: Der Entwurf aus Hessen weiche an vielen Stellen bewusst von den Formulierungen des Bundesgesetzes ab, ohne dass es dafür sachliche Rechtfertigungen gebe. Zu Recht bezeichnet man das als „Länderegoismen“.
Es gibt einen Punkt, den der Kollege Frömmrich ebenfalls gestreift, aber in seiner Bedeutung ein Stück weit zu relativieren versucht hat. Es geht um das informationelle Trennungsprinzip: das Trennungsprinzip, das ein wesentlicher Bestandteil unserer verfassungsmäßigen Ordnung im Bereich der Sicherheit ist.
Nach Feststellung der Kommission dreht der Entwurf nämlich genau das Regel-Ausnahme-Prinzip um. Der Regelfall ist, dass es keinen Austausch zwischen Geheimdienstorganisationen und Polizeiorganisationen gibt. Herr Kollege Frömmrich, das ist unsere Rechtsordnung. Das steht so fest. Da kann man nicht einfach sagen: Wir gehen in Hessen her und drehen das einmal schnell um. – Das funktioniert nicht.
Ich räume eines ein, darüber können wir auch gerne bei passender Gelegenheit diskutieren: Es ist die Frage, ob diese sehr singuläre Regelung, die in Deutschland aufgrund der Geschichte zu Recht etabliert ist, heute noch zeitgemäß ist. Kein anderes Land der Welt versteht, wie wir diese Trennung vollziehen. Aber es ist Verfassungsrecht. Wenn wir es verändern wollen, können wir das nicht durch einen einfachen Gesetzgebungsakt eines Landes machen, sondern müssen grundsätzlich darüber reden, ob gegebenenfalls Nachjustierungen geboten und an der Tagesordnung sind.
Meine Damen und Herren, ich will in der Kürze der Zeit nicht alles abhandeln, was ansonsten noch auf der Agenda steht. Wir müssten das in der Tat sinnvollerweise gemeinsam angehen – gemeinsam, wie wir das z. B. bei der Reform des Datenschutzes in Hessen gemacht haben –, um ordentliche und tragfähige Regelungen zu bekommen.