Protokoll der Sitzung vom 14.09.2016

Aber auch an dieser Stelle: Manchmal ist es so, dass die europäischen Standards nicht die besten sind. Ich stelle immer wieder fest, dass es viele Menschen gibt, auch welche in diesem Haus, auch TTIP-kritische,

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das stellen wir auch immer wieder fest!)

die nach Reisen in die USA mit Medikamenten zurückkommen, die sie dort eingekauft haben, bei denen sie sich keine Sorgen machen, sondern eher sagen: Mann, sind die günstig dort.

Wie gesagt, an dieser Stelle kommt es immer darauf an – –

(Marjana Schott (DIE LINKE): Gilt das auch für die Haschischprodukte?)

Für Haschischprodukte? Dafür gibt es noch keinen europäischen Standard, Frau Kollegin Schott.

Noch einmal: Wir haben es mit viel Misstrauen zu tun. Das habe ich genannt. Es ist auch aus Sicht der Landesregierung wichtig, dass es in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Sozialdienstleistungen, Kultur und Wasserversorgung keine Privatisierungsverpflichtungen gibt, die das Regulierungsrecht von Ländern und Kommunen aushöhlen. Um es deutlich zu sagen, das Right to regulate war einer der Punkte, über die gestritten wurde, und zwar zu Recht.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich ist auch wichtig, was die Klarstellung angeht, dass wir nicht etwas bekommen, was DIE LINKE hier an die Wand malt. Willi van Ooyen hat es genannt, im Antrag ist es auch nachzulesen: sozusagen TTIP durch die Hintertür zu bekommen.

Das ist relativ einfach zu lösen. Man kann auch klarstellen, dass rechtlich unselbstständige oder sogenannte Briefkastenfirmen über den Umweg Kanada in der EU bestimmte Punkte nicht durchsetzen können.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Die haben doch alle Niederlassungen!)

Ich glaube, an dieser Stelle ist völlig klar, dass man das regeln kann.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Anforderungen haben wir im Landtag wiederholt beraten und beschlossen. Natürlich werden wir, sobald die abgeschlossenen Verhandlungspapiere und das Ratifizierungsgesetz der Bundesregierung vorliegen, diese noch einmal wirtschaftlich, politisch und juristisch prüfen. Das, finde ich, ist eine Selbstverständlichkeit.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich muss Sie an die Redezeit der Fraktionen erinnern, Herr Staatsminister.

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Den Chancen, die ein Freihandelsabkommen mit Kanada für unser Bundesland bietet, sollten wir keine vorschnelle Absage erteilen. Wir sollten die Potenziale auch für die hessische Wirtschaft ausloten und gleichzeitig dafür Sorge tragen, dass beispielsweise die öffentliche Daseinsvorsorge, die eine zentrale Voraussetzung für unseren wirtschaftlichen Erfolg darstellt, nicht gefährdet wird. Verbraucher und Umwelt sollen weiterhin mindestens so gut geschützt sein wie derzeit.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, wenn man sich an dieser Stelle in die Tiefe der Verhandlungspapiere hineinarbeitet, dann wird die Debatte uns zwar weiter verfolgen. Ich bitte aber darum, sehr genau zu betrachten, was passiert, nicht euphorisch zu sein, aber auch gleichzeitig nicht Angst zu verbreiten. Ich glaube, beides ist an dieser Stelle nicht angebracht, sondern ruhig und in der Sache zu entscheiden. Genau das werden wir tun. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Staatsminister Al-Wazir. – Mir liegt eine Wortmeldung von Frau Wissler von der Fraktion DIE LINKE vor. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil ich einige Dinge in dieser Debatte nicht so stehen lassen wollte, sowohl was den Redebeitrag von Herrn Reif anging als auch das, was der Herr Minister eben gesagt hat.

Zum einen will ich noch einmal deutlich machen, dass es hier überhaupt nicht um die Frage geht: USA gegen EU. Das ist überhaupt nicht die Ebene, auf der wir diskutieren. Wir haben auch nicht das Bild gestellt, dass hier irgendwie eine US-amerikanische Gefahr gute europäische Standards gefährdete. Das ist überhaupt nicht die Diskussion. Die Trennungslinie, um die es hier geht, ist: Konzerninteressen oder Gemeinwohl? Das ist die Frage, um die es geht und über die man entscheiden muss.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Die Befürchtung ist, dass, wenn diese Abkommen in Kraft treten, Arbeitnehmerrechte, Umweltstandards und Verbraucherschutz auf beiden Seiten des Atlantiks abgesenkt werden, dass Menschen im Interesse der Konzerne gegeneinander ausgespielt werden und dass das auf beiden Seiten des Atlantiks, sowohl in den USA als auch in der Europäischen Union, letztlich zur Absenkung von Standards führen kann. Das ist unsere Kritik – und nicht EU gegen USA. Die Grenze verläuft ganz woanders. Die Grenze verläuft da, dass wir uns fragen müssen: Wer soll hier das Sagen haben? Das Interesse der Menschen, das Gemeinwohl, soll das Vorrang haben oder die Interessen von Konzernen?

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Unsere Befürchtung ist, dass Freihandelsabkommen wie CETA oder TTIP eben nicht zu einer allgemeinen Erhöhung dieser Standards führen, sondern eher zu einer Absenkung. Hier Antiamerikanismus zu unterstellen, wie Sie das getan haben, Herr Reif, ist geradezu absurd.

(Clemens Reif (CDU): Das ist es doch! Genau das ist es!)

Da Sie ja häufig in den USA sind, wissen Sie sicher, dass TTIP in den USA mindestens genauso kritisch diskutiert wird wie in Deutschland. Ich will sagen, dass es einen Präsidentschaftskandidaten gab, Bernie Sanders, der dagegen war. Die Gewerkschaften diskutieren das kritisch, und auch dort gibt es eine große öffentliche Debatte, die das sehr skeptisch sieht.

Ich will noch einmal deutlich machen, wer die Unterstützer für die Demonstrationen am Samstag sind. Unterstützer ist unter anderem der DGB. Natürlich, Frau Kollegin Beer, haben IG Metall und ver.di gerade vorletzte Woche in Frankfurt für die Demonstration mobilisiert, aber auch der Deutsche Mieterbund, Greenpeace, Brot für die Welt, der Paritätische Wohlfahrtsverband, BUND und NABU, der Deutsche Kulturrat, die Naturfreunde, das Umweltinstitut München und viele andere. Herr Reif, wollen Sie diesen Organisationen allen Ernstes unterstellen, sie seien antiamerikanisch?

Das ist wirklich blanker Unsinn, was Sie da unterstellen, der auch dadurch noch schlimmer wird, dass Ihr eigener Koalitionspartner mit zur Demonstration aufruft. Hier geht es nicht um Antiamerikanismus, hier geht es um die Verteidigung von demokratischen und sozialen Rechten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Ich will noch einmal deutlich machen, wie unterschiedlich hier mit gesellschaftlichen Mobilisierungen in Deutschland umgegangen wird. Wenn in Dresden 10.000 Pegidisten auf die Straße gehen, dann reden auch Politiker, die der Großen Koalition angehören, von berechtigten Ängsten und Sorgen der Menschen, die man doch ernst nehmen müsse. Wenn aber eine Viertelmillion Menschen gegen TTIP auf die Straße gehen, dann spricht man davon, dass die Menschen irgendwie hysterisch seien und fehlgeleiteten Argumenten hinterherliefen. Es ist doch absurd, dass diese Menschen so abgetan werden. Ich würde mir wünschen, dass man einmal die Sorgen und Ängste jener Men

schen, die gegen TTIP oder CETA demonstrieren, ernst nimmt – statt dieser Pegidisten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Eben in der Debatte wurde mehrfach gesagt, es seien mit falschen Fakten und Argumenten Ängste geschürt worden. Ich kann das nicht erkennen. Wer nachweislich mit falschen Fakten gearbeitet hat, ist unter anderem der BDI, aber auch die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Sie mussten ihre Daten nach unten korrigieren, weil die Zahlen, mit denen sie für TTIP geworben haben, nachweislich viel zu hoch waren.

(Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Das haben sie auch korrigiert. Das heißt, wer hier mit falschen Zahlen arbeitet, das sind nachweislich die TTIPBefürworter und nicht die TTIP-Gegner, Herr Reif.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Das Misstrauen, von dem hier gesprochen wird, ist nicht irgendeine diffuse Angst, sondern es ist mehr als berechtigt:

Erstens. Wer nichts zu verbergen hat, der braucht keine Geheimverhandlungen. Wer nichts zu verbergen hat, kann transparente Verfahren wählen und nicht solche, wie sie hier gewählt wurden.

Zweitens. Es gibt doch Erfahrungen mit Freihandelsabkommen. Es gibt doch Erfahrungen, die zeigen, dass Freihandelsabkommen eben nicht der Mehrheit der Menschen nutzen, sondern dass sie dazu dienen, Standards abzusenken.

Selbst die Europäische Union geht von minimalen wirtschaftlichen Effekten durch TTIP aus. Von daher stehen hier einem – wenn überhaupt – minimalen Wachstum Risiken gegenüber. Deswegen finde ich es sehr wichtig, dass wir am Samstag mit vielen Menschen demonstrieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein Letztes: Jean-Claude Juncker, der Präsident der Europäischen Kommission, hat über die Politik in der Europäischen Union einmal gesagt:

Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.

Das ist O-Ton Jean-Claude Juncker über die Politik in der Europäischen Union. Ich finde, das ist eine klare Ansage, was wir brauchen.

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.

Ich komme zum Schluss, letzter Satz. – Was wir brauchen, ist laut Jean-Claude Juncker offensichtlich „großes Geschrei“ und zur Not eben auch ein Aufstand, um TTIP zu verhindern, um CETA zu verhindern. Deswegen hoffe ich, dass am Samstag viele Menschen an den Demonstrationen teilnehmen, um ein Zeichen gegen diese sogenannten Frei

handelsabkommen zu setzen, die nur dazu dienen, soziale und demokratische Rechte zu unterlaufen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU: Schwachsinn!)

Danke, Frau Kollegin Wissler. – Als nächster Redner hat sich Kollege Reif von der CDU-Fraktion noch einmal zu Wort gemeldet. Bitte schön.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Wissler, das kann hier nicht so stehen bleiben, wie Sie das eben gesagt haben. Sie sind ignorant.