Jetzt komme ich zu einem positiven Teil. Das ist der gesamte Themenkomplex Asyl und die Bewältigung dieser großen Herausforderungen, die wir in diesem Jahr und vor allem auch im Vorgängerjahr hatten. Herr Minister, ich kann es wohl mit großer Übereinstimmung sagen: schwierige Phase, schwierige Zeit, große Herausforderungen mit großem persönlichem Engagement gemeistert. – Ich muss das Regierungspräsidium Gießen in besonderer Weise hervorheben, auch den ehemaligen Regierungspräsidenten. Das können Sie wahrscheinlich noch viel deutlicher würdigen.
Was hier geleistet und umgesetzt worden ist, hat unsere Anerkennung. Herr Minister Grüttner, da sind wir auch dankbar, dass wir Sie an dieser Stelle hatten und dass Sie diese Herausforderungen gut gemeistert haben. So ein Lob kann man hier auch einmal deutlich machen.
Beim Thema Asyl komme ich jetzt auch wieder zu einem anderen Bereich. Die Macht der großen Zahlen ist noch lange keine gute Politik. Bei einer so großen Zahl von 1,6 Milliarden € zu sagen: „Das reicht schon und belegt, dass ich eine gute Politik und ein gutes Konzept habe“, das reicht nicht. Wir sind mittlerweile in einer Phase, in der man sagen kann: Wir kommen vom Notfallmodus in den Modus der Abarbeitung. – Auch da, gestehe ich zu, ist das Ministerium nicht untätig geblieben.
Aber mir fehlt der große politische Rahmen. Lieber Minister Grüttner und Koalition in diesem Raum, es wird uns keine Integration gelingen, und wir werden unglaublich viel Geld – diese 1,6 Milliarden € – verbrennen, wenn es uns nicht gelingt, die gesetzlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Menschen, die heute da sind, die die Voraussetzungen erfüllen, die hierbleiben und sich produktiv in unsere Gesellschaft einbringen wollen, auch die Möglichkeit haben, dauerhaft hierzubleiben.
Solange diese Möglichkeit nicht geschaffen ist, solange diese Voraussetzung nicht geschaffen ist, liegt die grundsätzliche Voraussetzung für die Integration und die Investition hier nicht vor. Dann wird dieses Geld – 1,6 Milliarden € –, das wir heute nur als Land Hessen investieren, verbrennen. Es wird an dieser Stelle kein zukunftsfähiges Geld sein. Es wird Geld sein, das wir hier temporär investiert haben. Es wird nicht nachhaltig genutzt werden, und das kann man nur als ganz schlechte Politik bezeichnen.
Wenn Sie nicht den Rahmen für eine echte Integrationsmöglichkeit der Leute schaffen, die heute bei uns sind, wenn wir gleichzeitig Berufsausbildung, Sprachbildung und was weiß ich alles fördern und dann sagen: „Jetzt haben wir einmal ordentlich Geld investiert, und morgen reist ihr aus“, fragen uns doch in Deutschland irgendwann die Leute: „Was macht ihr da eigentlich? Was macht ihr eigentlich an der Stelle? Ihr legt hier 50-Millionen-€-Programme für Arbeitsmarktförderung auf, ihr legt da ein 30-Millionen-€-Programm auf, die Bundesarbeitsagentur, die Kommunen, überall wird investiert“ – und dann schicken wir die Leute wieder heim.
Wir brauchen ein Zuwanderungsgesetz, das klarmacht, unter welchen Voraussetzungen die Menschen hierbleiben dürfen. Da kann das Land Hessen auch initiativ werden und deutlich machen, dass es diese Haltung teilt. Ich finde, da muss ein CDU-Minister auch einmal deutliche Worte dazu sagen – vielleicht macht er das ja in seiner Rede –, ob er für seine Partei ein Zuwanderungsgesetz für notwendig hält. Hier müssen wir endlich eine Lösung finden, sonst wird womöglich ein Großteil dieser immensen Summe, die deutschlandweit ausgegeben wird, wirklich versanden und eine Investition sein, die ins Nichts führt, weil wir, nachdem die Leute die Ausbildung hier beendet haben, nachdem wir in Sprachunterricht investiert haben, dann sagen: „Und morgen reist ihr wieder aus“. Das kann keine zielgerichtete Politik an dieser Stelle sein, und da kann ich die Landesregierung auch auffordern, einmal auf Bundesratsebene, und wo man politisch aktiv ist, tatsächlich aktiv zu werden.
(Beifall bei der FDP und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos) – Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))
Dann komme ich an der Stelle noch einmal zu der Frage: Wie setze ich das Geld vernünftig ein? Ich denke, alle Abgeordneten in den Wahlkreisen erkennen in ihren Diskussionen mit den Flüchtlingen, mit den Flüchtlingshelfern, mit den Arbeitsagenturen, mit den Kommunen, dass es immer noch nicht vernünftig funktioniert, Menschen in den Arbeitsmarkt zu bringen.
Es gibt immer noch Probleme mit den Ausländerbehörden, es gibt immer noch ganz konkrete Hinweise, wo wieder etwas nicht funktioniert, wenn man mit der Arbeitsagentur spricht, dass ein Förderprogramm wieder nicht für Flücht
linge funktioniert. Immer wieder stößt man als Abgeordneter – ich denke, da spreche ich für die allermeisten hier im Raum, zumindest für die, die in dem Bereich unterwegs sind – auf diese Probleme.
Da nutzt es nichts, wenn ich 50 Millionen € als Land einstelle, 100 Millionen € als Bund oder als Kreis oder wo auch immer, wenn wir diese Hürden nicht abbauen können. Ich muss sagen, da könnten wir schon ein Stück weiter sein, und da bin ich auch der Meinung, man müsste sich mit der Landesregierung darüber im Klaren sein, ob wir es jetzt im Wirtschaftsministerium machen oder ob wir es im Sozialministerium machen. Wo machen wir die Förderung jetzt?
Vielen Dank für die Erinnerung, Frau Präsidentin. – Aber es ist für jeden, der in der Landschaft unterwegs ist und weiß, wo die Fortbildungsangebote sind, schwer nachvollziehbar. Wir haben schon beim SGB II große Probleme mit der Qualität der Träger. Wir werden da eine Menge Geld reinpumpen. Aber ob das in irgendeiner Weise sinnvoll ankommt, habe ich immer wieder große Bedenken. Ich würde mir da ein einheitlicheres Vorgehen wünschen, einen einfachen Weg, der klar erkennbar und beschreibbar ist. Dass das in unserer Struktur nicht möglich ist, ist schwer für mich nachzuvollziehen. Also, wie gesagt: Licht und Schatten bei dem Thema Asyl.
Aber ich glaube, es teilen viele, dass wir hier immer noch auf dem Weg sind und einen Prozess beschreiten. Natürlich wird die Opposition immer sagen: „Herr Minister, das kann schneller gehen“. Sie werden immer sagen: „Sie haben uns schon überholt“. Wir sind hier schon auf einem guten Weg; aber dass gerade diese Probleme, die wir vor Ort immer wieder erleben und die einen zur Weißglut bringen können, wo man immer noch nicht weiß, wo man hingehen soll – dann sagt der eine, gehen Sie zu dem –, immer noch nicht im Griff sind, das tut einem ein bisschen weh. Da kann ich nur hoffen und wünschen, dass das jetzt endlich in den Griff gebracht wird.
Jetzt komme ich aber für mich zu einer grundsätzlichen Kritik an diesem Einzelplan. Die grundsätzliche Kritik an diesem Einzelplan ist vielleicht schon in dem Namen des Haushalts ein Stück weit festgelegt: Soziales und Integration, das sind wichtige Themen des Einzelplans.
Warum sage ich das? In dem Sozialetat haben wir gesetzliche Leistungen abzuarbeiten. Wir haben auch ein bisschen freiwillige Leistungen; die sind nicht so üppig. Es ist klar, ich erinnere mich noch an Zeiten – ich glaube, da waren wir einmal mit dem Sozialetat bei gut 500 Millionen €, Mi
nister Grüttner. Dann kam der Ausbau von Familie und Beruf. Da haben wir ein bisschen aufgesattelt. Heute ist der Sozialetat bei 2 Milliarden €.
Der Teil, den wir für Betreuung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf ausgeben, ist ein großer Bereich. Aber ich möchte das noch einmal unterscheiden, liebe Kollegen, auch von der SPD. Sie wissen, wir sind nicht im Dissens bei der Frage der Kostenfreiheit. Aber wir müssen immer – das hat Kollege Merz bei der Frage, wie groß die Gruppen sind, hier auch angesprochen – auch die Frage der Qualität im Auge behalten.
Zum Thema der frühkindlichen Bildung – das ist ein Versäumnis der Koalition, das muss man hier schon feststellen – findet sich im Koalitionsvertrag nichts. Das ist ein schwarzes Loch bei Ihnen.
Eine schwarze Null, ein schwarzes Loch – wie auch immer: Es fehlt aus unserer Sicht. Das ist ein Versäumnis, das ich nicht nachvollziehen kann.
Wir haben gemeinsam ein Steuerungsinstrument entwickelt: das Kinderförderungsgesetz. Es ist nicht unumstritten, aber es ermöglicht uns sehr gut, kindgenau Förderung zu adressieren, wie man das in der Sozialpolitik eigentlich auch immer versucht. Es ist ein gutes Instrument, an der Stelle auch zu sagen, wir können Förderungen einführen, wir können zumindest auch gewisse Bereiche ausfinanzieren. Wo wir wussten, da war nicht ausreichend Geld, da kann man noch nachlegen.
Wir hätten an der Stelle auch noch ein bisschen mehr machen können. Aber der eigentliche Bereich der frühkindlichen Bildung – da hatten wir Ansätze mit der qualifizierten Schulvorbereitung. Ich habe es hier noch einmal mitgebracht. Dieses Projekt ist evaluiert worden. Ich denke, die meisten Abgeordneten, die sich fachlich damit auseinandergesetzt haben, kennen den Bericht. Ich will mit der Erlaubnis der Präsidentin trotzdem noch einmal ein paar Zeilen daraus – die Ergebnisse, die zusammengefasst worden sind – zitieren: Die Entwicklung der Kinder der Experimentalgruppe verläuft – es sind also zwei Gruppen, er hat sich sozusagen angeschaut, wie es bei den geförderten Kindern und den nicht geförderten Kindern ist – im Untersuchungszeitraum signifikant positiver als die Entwicklung der Kinder der Kontrollgruppe.
Also: bei den geförderten Kindern signifikant besser als bei den nicht geförderten Kindern. Wissen Sie, in welchen Punkten sie signifikant besser waren? – Motorische Kompetenzen, soziale Kompetenzen, Sprache und Lesefähigkeit – ganz wichtige, zentrale Punkte. Das ist ein Modell, das überhaupt erst am Anfang steht. Es wird auch darauf hingewiesen, dass bei Weiterentwicklung dieses Ansatzes noch deutlich mehr zu erreichen ist. Dann nenne ich auch, an die Sozialpolitiker aller Fraktionen gerichtet, noch einmal das Thema Chancengerechtigkeit. Auch das wird hier besonders beleuchtet.
Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl die jüngsten Kinder des Jahrgangs als auch die Kinder aus Familien mit niedri
gem Ausbildungsstatus im Projektzeitraum von QSV profitieren konnten. Ihre Entwicklung verläuft im Modell signifikant positiver als in der Kontrollgruppe. Also auch gerade bei der Chancengerechtigkeit – ich könnte noch viel weiter vorlesen – ist das eine hervorragende Entwicklung, und es ist mit geringem Aufwand erst einmal auf den Weg gebracht worden. Dieses Projekt zum Übergang von der Kindertagesstätte in die Schule – hier geht es um Zukunftschancen für alle Kinder in unserem Land – ist im Haushalt mit null Mitteln aufgestellt. Es gibt sozusagen eine Fortführung in Form einer Schulung.
Ich will sagen: Wer den Sozialetat als Zukunftsetat sehen will – und das tun wir –, als Investition in die Zukunft, dem muss klar sein, dass der Bereich der frühkindlichen Bildung unser Augenmerk verdient.
Wir können mit wenig Geld, mit überschaubaren Geldmitteln – ich rede nicht von Milliardensummen, sondern zweistelligen Millionensummen – unglaublich viel erreichen in der Verbesserung der Qualität und in der Gewinnung von Zukunftschancen für alle Kinder, ob jetzt Flüchtlingskinder, ob Kinder aus wohlhabenden Familien, Kinder aus der Mittelschicht oder Kinder aus Familien mit geringem Einkommen.
Wenn wir einen Haushalt von fast 2,1 Milliarden € haben und bereit sind, für eine Implementierung von QSV hessenweit wenigstens 20 oder 30 Millionen € einzusetzen – das sind Prozesse –, dann hätten wir einen Hebel für die jüngsten Menschen in unserem Land. Das hätte Auswirkungen auf die Chancen jedes einzelnen Kindes in Hessen. Daher würde ich mir wünschen, dass die Landesregierung an diesem Punkt ein stärkeres Augenmerk auf die Zukunft der Kinder in unserem Land hätte, dass sie sich durchringen könnte, unseren Anträgen zumindest in diesem Bereich zuzustimmen. Da würden Sie für die Kinder in unserem Land und auch für die Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft sehr viel Gutes tun. – Vielen Dank.
Danke, Herr Kollege Rock. – Als nächste Rednerin spricht nun Kollegin Öztürk, fraktionslos. Bitte schön, Sie haben zehn Minuten.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Einzelplan 08, das Thema Soziales, Integration und Flüchtlinge ist hier ausreichend diskutiert worden. Ich hatte mir sogar überlegt, ob ich dazu meine Sicht der Dinge zum Besten gebe. Eigentlich dachte ich, ich mache es nicht. Aber wenn Kollege Bocklet hier ein Bild darstellt, als ob wir schon eine Infrastruktur für Integration hätten, dann muss ich leider doch aufstehen und dem widersprechen. Denn da sind wir noch nicht, lieber Kollege Bocklet.
Ich glaube auch, dass es wichtig ist, dass wir uns in diesem Hause Gedanken darüber machen, wie wir in den nächsten Jahren Integration sowohl von geflüchteten Menschen als auch von anderen Menschen, die auf legalem Arbeitswege zu uns migriert sind, gemeinsam hinbekommen können. Das bekommen wir aber nicht hin, wenn wir uns – im letz
ten Jahr angefangen, dieses Jahr fortsetzend – immer nur für die Arbeit loben, die die Landesregierung bisher gemacht hat. Sie hat vieles sehr gut gemacht, einverstanden, aber es gibt auch Lücken, die man heute auch benennen muss. Sonst laufen wir Gefahr, dass wir in ein paar Jahren die Menschen nicht dort abholen können, wo wir sie abholen wollen.
Was ist die Kritik? Die Kritik ist zum einen: Wir haben uns in der Enquetekommission „Migration und Integration“ in der letzten Legislaturperiode mindestens zweieinhalb Jahre gemeinsam Gedanken darüber gemacht, wie Integration in diesem Land funktionieren kann, wenn wir aus der Projektitis heraus wollen und nicht immer nur von Projekt zu Projekt arbeiten, alle drei Jahre neu oder, maximal dreimal verlängert, knapp zehn Jahre.
Wie können wir infrastrukturelle Maßnahmen zur Verfügung stellen, damit Integration nachhaltig funktionieren kann? Viele dieser Themen haben wir uns in zehn bis zwölf Punkten in der Enquetekommission angeschaut. Damals war auch schon klar: In diesem Land wird Migration, wird Flucht ein Thema sein. Es war schon klar und vonseiten der Opposition immer wieder kommuniziert: Wenn wir uns vorbereiten wollen, dann müssen wir das früh machen. Sonst werden wir mit den Projektstrukturen, die wir in Hessen haben, nicht überleben.