Protokoll der Sitzung vom 24.11.2016

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Debatte hat gezeigt, dass wir in diesem Hause sehr einhellig der Meinung sind, dass die Situation, wie sie sich jetzt in der Türkei darstellt, uns alle mit Sorge erfüllt. Ich glaube, alle Rednerinnen und Redner haben darauf hingewiesen, mit welchen Repressalien, mit welchen willkürlichen Verhaftungen und mit welchen Suspendierungen Menschen plötzlich zu rechnen haben, ohne dass ihnen konkret etwas vorgeworfen werden kann.

Wenn man sich das Datum des 15. Juli, den Putschversuch, anschaut, so ist vollkommen klar: Die Hessische Landesregierung missbilligt jegliche Art von Putsch gegenüber de

mokratisch gewählten Regierungen. Das kann nicht sein. Es ist kein Mittel der Politik und wird von uns in besonderer Art und Weise abgelehnt und missbilligt. Aber entscheidend ist, dass eine Regierung, gerade wenn sich das Volk so hinter sie gestellt und sich den Putschisten entgegengestellt hat, mit Augenmaß und mit rechtsstaatlichen Mitteln diesen Putsch aufarbeitet.

Meine Damen und Herren, da haben wir als Landesregierung große Zweifel, dass das im Moment gemacht wird. Wir haben eher die Angst, dass in diesem Bereich überzogen wird, dass Menschen willkürlich verhaftet werden, dass nicht Rechtsstaatlichkeit das oberste Prinzip ist.

Meine Damen und Herren, das kann nicht im Sinne der Hessischen Landesregierung sein. und es ist nicht im Sinne der Hessischen Landesregierung. Ich bedanke mich bei allen Rednerinnen und Rednern, die das hier deutlich gemacht haben: Es muss unser gemeinsames Interesse sein, in der Türkei eine Rechtsstaatlichkeit, eine Demokratie zu haben, die diesen Namen auch verdient.

(Allgemeiner Beifall)

Journalisten, Wissenschaftler, Richter, Staatsanwälte, Polizisten, Lehrer und viele mehr sind verhaftet worden. Ich teile die Sorgen, die hier genannt worden sind. Dass in kurdischen Gebieten teilweise Städte unter Zwangsverwaltung gestellt werden, Bürgermeister einfach abgesetzt worden sind, ist wirklich nicht mit unseren demokratischen Grundsätzen zu vereinbaren.

Schließungen von Printmedien, Rundfunk- und Fernsehanstalten, Enteignungen von Firmen zeigen, dass sich die Türkei in der derzeitigen Situation immer weiter von dem wegbewegt, was wir als Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bezeichnen. Es hat den Anschein, auch aufgrund der Schnelligkeit, wie die Listen der Menschen nach dem 15. Juli abgearbeitet worden sind, dass es wirklich eine langfristige Vorbereitung gegeben hat. Das muss man an dieser Stelle deutlich sagen.

Ich habe den Auftrag dieses Parlaments sehr wohl wahrgenommen, zu sagen: Wir wollen die Türkei nicht verlieren. Wir wollen die Türkei eigentlich als Partner, nicht nur in unserem gemeinsamen Verteidigungsbündnis, sondern auch in der Frage der Flüchtlinge oder bezüglich Zypern. Auch dort brauchen wir die Türkei. Eigentlich wollen wir sie nicht verlieren. – Aber wir verlieren sie gerade. Wir verlieren sie auf eine Art und Weise, die uns erschrecken muss.

Deswegen: Ja, wir werden alles tun – das hat auch meine Ministerin immer wieder deutlich gemacht –, den Gesprächsfaden nach Bursa nicht abbrechen zu lassen. Wir werden versuchen, diese Partnerschaft zwischen den zwei Regionen als Basis zu nehmen und vielleicht auch Einfluss zu nehmen auf das, was dort passiert. Aber wir müssen auch deutlich sagen: Wir müssen denjenigen in der Türkei helfen und sie unterstützen, die Rechtsstaatlichkeit und Bürgergesellschaft leben wollen.

Deswegen ist es unser gemeinsames Interesse, diese auch von hier aus zu unterstützen. Ministerin Puttrich hat in den letzten Tagen viele Gespräche mit türkischen Organisationen hier in Hessen geführt, die enge Verbindungen in die Türkei haben, die enge Verbindungen nach Bursa haben, um zu schauen: Wo können wir ansetzen? Wo können wir versuchen, das, was wir umsetzen wollen, auf den Weg zu bringen?

Ich appelliere an dieser Stelle an unsere türkischen Partner in Bursa, aber auch an die gesamte Türkei: Wenn die Türkei wirklich näher an Europa heranrücken will, muss sie die rechtsstaatlichen Prinzipien wahren und gemeinsame europäische Werte achten. Ohne dies wird es nicht gehen, ohne dies wird eine wirkliche Partnerschaft nicht möglich sein.

(Beifall bei der CDU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Wenn Sie mich fragen, was mein Wunsch ist: Es ist mein Wunsch, dass wir auch in Zukunft die Türkei als Partner haben, nicht als Gegner. Aber Partner gehen offen miteinander um und sagen, wo die Schwächen sind und was nicht geht. Das müssen wir an dieser Stelle deutlich sagen. Das hat dieses Parlament heute gemacht. Das macht auch die Hessische Landesregierung. Ich glaube, damit können wir auch ein Zeichen dafür setzen, dass Rechtsstaatlichkeit und Demokratie nicht nur eine hohle Phrase sind, sondern wir uns gemeinsam dafür einsetzen sollen, dass es in der Türkei anders wird, viel besser wird, als es im Moment ist. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Allgemeiner Beifall)

Vielen Dank. – Damit sind wir am Ende der Debatte, und wir kommen zur Abstimmung.

Zunächst zu Tagesordnungspunkt 45, Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und DIE LINKE sowie der Abg. Öztürk, Drucks. 19/4118. Wer dem Antrag zustimmt, bitte das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von FDP, SPD und DIE LINKE sowie die Abg. Öztürk. Gegenstimmen? – Das sind die Fraktionen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Zurufe von der SPD und der LINKEN: Das gibt es doch nicht! – Pfui, unglaublich!)

Damit ist dieser Antrag abgelehnt.

Ich komme zu Tagesordnungspunkt 46, Dringlicher Entschließungsantrag

(Unruhe)

Kolleginnen und Kollegen, wir sind in der Abstimmung – der Fraktionen der CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP, Drucks. 19/4119. Wer diesem Antrag zustimmt, bitte das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von CDU, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Das sind die Fraktion der LINKEN und Abg. Öztürk. Damit ist dieser Antrag angenommen.

Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun Tagesordnungspunkt 48:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE und der Abg. Öztürk (fraktionslos) betreffend Schule muss ein geschützter Raum sein – Drucks. 19/ 4121 –

zusammen mit Tagesordnungspunkt 50 auf:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend frei

willige Ausreise und Abschiebungen ausreisepflichtiger Personen – Drucks. 19/4130 –

Vereinbarte Redezeit: fünf Minuten. Als Erster hat Herr Staatsminister Beuth um das Wort gebeten.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich, bevor ich die Einzelheiten des konkreten Sachverhalts vortrage, eines voranstellen. Der Sachverhalt, über welchen wir heute sprechen, ist ein Einzelfall –

(Zuruf von der LINKEN: Aha!)

ein Einzelfall bei bislang 1.535 Abschiebungen allein in diesem Jahr. Die Tatsache, dass es ein Einzelfall ist, zeigt meines Erachtens, dass die Vollzugsbehörden umsichtig und sensibel mit diesem schwierigen Thema umgehen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ja, es ist richtig: Auch ich hätte mir gewünscht, dass dieser Einsatz nicht notwendig geworden wäre.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Er war auch nicht notwendig!)

Ich hätte mir gewünscht, dass die Mutter und ihre Tochter, die seit 2014 ausreisepflichtig sind, die Angebote zur freiwilligen Ausreise – das letzte nach meinem Kenntnisstand vom Juni dieses Jahres – angenommen hätten. Eine Abschiebung ist per se immer das letzte Mittel, immer Ultima Ratio;

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Völlig unnötig!)

denn die Aufforderung, das Bundesgebiet zu verlassen, wurde vom Ausreisepflichtigen bewusst und mehrfach ignoriert. Ich weiß nicht, warum die Mutter den Aufforderungen zur Ausreise nicht nachgekommen ist.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Weil sie hierbleiben wollte!)

Ich weiß nicht, ob sie davon ausging, dass die Aufforderungen ohne Folgen bleiben würden, dass der Staat seine Entscheidung nicht wirklich durchsetzen werde. Was ich weiß, ist, dass ihr deutlich gemacht wurde, was die Folge ist, wenn sie ihrer Ausreisepflicht nicht nachkommt.

Im vorliegenden Fall hätte ich mir auch gewünscht, die Mutter hätte ihrer Tochter diese sehr einschneidende Erfahrung erspart.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das ist ja das Allerletzte! Ist jetzt die Mutter daran schuld?)

Nun aber die Verantwortung hierfür den Vollzugsbehörden zuzuschieben, meine Damen und Herren,

(Norbert Schmitt (SPD): Das ist ja unerhört! – Zurufe von der LINKEN: Pfui!)

ist völlig unangemessen.

(Weitere Zurufe von der LINKEN)

Unbestritten ist es so, dass der Vollzug rechtsstaatlicher Entscheidungen im Einzelfall nicht immer einfach ist, weder für die Betroffenen noch für diejenigen, die sie vollziehen müssen, oder diejenigen, die sie miterleben müssen.

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Aber es ist das Wesen eines Rechtsstaats, gegebenenfalls auch unangenehme Entscheidungen durchzusetzen.

Nun zunächst zum konkreten Sachverhalt, wie er mir berichtet wurde, wobei ich um Verständnis bitte, dass ich zu Einzelheiten des Asylverfahrens aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes keine Angaben mache.

Am 22. November wurde durch die Zentrale Ausländerbehörde in Gießen ein Sammelcharterflug vom Flughafen Frankfurt durchgeführt, um vollziehbar ausreisepflichtige Personen mit serbischer Staatsangehörigkeit wieder nach dort zurückzubringen. Im Rahmen dieser Sammelabschiebung wurde auch eine Frau mit ihrer 16-jährigen Tochter aus dem Bereich Mittelhessen abgeschoben; sie waren seit 2014 ausreisepflichtig.

Die hessische Polizei versucht grundsätzlich, eine abzuschiebende Familie in den frühen Morgenstunden in ihrer Wohnung aufzusuchen; denn dann besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass noch alle Familienmitglieder gemeinsam angetroffen werden.