Protokoll der Sitzung vom 13.12.2016

… Kulturpolitik sollte nicht allein den Kulturdezernenten, Kulturverwaltern und Kulturräten überlassen werden. Und das gilt auch für die Theaterpolitik. Die Theaterlandschaft lebt von den Künstlern. Tanz- und Theaterschaffende vereinigt euch – und seid in der Kulturpolitik so mutig wie in der Kunst!

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, wenn wir über kulturelle Bildung reden, reden wir über das Heranführen und die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen an Kunst und Kultur. Bereits 2002 beklagte eine unabhängige Kulturkommission für Hessen die Vernachlässigung der musischen Fächer und der ästhetischen Erziehung im schulischen und vorschulischen Curriculum.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ja!)

Was in Kindergärten und in der Schule nicht als kulturelles Interesse angelegt wurde, sei später kaum mehr zu gewinnen. Die Kommission empfiehlt dem Land eine am skandinavischen Beispiel orientierte Bildungs- und Kulturoffensive, die bestehende Strukturen stärkt und neue Projekte entwickelt.

Meine Damen und Herren, solche Projekte wären wirklich einmal eine lohnende Aufgabe für die hessische Kulturpolitik. Aber das ist leider weit und breit nicht zu erkennen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Die Wichtigkeit der sogenannten MINT-Fächer wird landauf, landab gerne betont. Aber dass viele Kinder keinen Musikunterricht haben, ist offenbar in den Augen vieler gar kein Problem.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Oder fachfremd!)

Bildung ist aber mehr als Ausbildung. Der staatliche Bildungsauftrag darf sich nicht selbst der ökonomischen Bewertungslogik unterwerfen. Der „Kulturkoffer“ ist ein gu

tes Einzelprojekt. Aber es ist gar nicht darauf angelegt – das kann es gar nicht –, eine umfassende oder flächendeckende Wirkung zu entfalten. Es bleiben Bausteine, wie Sie selbst auch in Ihrer Regierungserklärung gesagt haben. „FLUX Theater und Schule“, der Kulturkoffer, das Projekt „JeKi – jedem Kind ein Instrument“ – das sind alles gute Projekte.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ja!)

Es sind sogar so gute, dass sie schon längst keine Projekte mehr sein, sondern flächendeckend und dauerhaft gesichert werden sollten:

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

wirklich jedem Kind ein Instrument, jedem Kind die Möglichkeit zu geben, ein Instrument zu erlernen – völlig unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. Das jetzige Projekt „JeKi“ wird in Zusammenarbeit mit den Musikschulen gemacht. Aber es kommt leider nur wenigen Schulklassen zugute, weil es vollkommen unterfinanziert ist.

Meine Damen und Herren, wir hatten Anfang 2010 schon einmal beantragt, Kindern und Jugendlichen einen Anspruch auf freien Eintritt in alle staatlichen Museen und Theater des Landes zu gewähren.

(Zuruf: Es ist auch so!)

Diesem Antrag wurde damals von der Regierungsmehrheit nicht zugestimmt. Jetzt hat sich die Idee aber zumindest bei den Landesmuseen durchgesetzt, und ich will noch einmal betonen, dass freier Eintritt tatsächlich zählbare Auswirkungen auf Besucherzahlen und -zusammensetzung hat.

Das hat sich in diesem Jahr in Hamburg gezeigt. Der Hamburger Senat hat auf Anfrage der LINKEN bestätigt, dass durch den Monat des freien Eintritts in die Kunsthalle im Mai 2016 „neue Besuchergruppen für das Museum erschlossen werden konnten“. Laut Senat haben

Beobachtungen vor Ort und zahlreiche Gespräche … ergeben, dass das Angebot des freien Eintritts auch von vielen genutzt wurde, die sonst selten oder nie ein Museum besuchen: Der Anteil von Erstbesucherinnen und -besuchern wird auf mindestens 20 % geschätzt.

Herr Minister, auch für Museen und Theater, die Zuwendungsempfänger des Landes Hessens sind, sollten Sie die Voraussetzungen schaffen, dass es einen freien Eintritt für Kinder und Jugendliche gibt. Die Voraussetzungen zu schaffen bedeutet natürlich, dass man ihnen dann eventuell fehlende Einnahmen kompensiert.

Mehr aber als freier Eintritt zählt, Kindern und Jugendlichen die Möglichkeiten und Fähigkeiten zur Entfaltung der eigenen kulturellen Interessen zu geben. Freier Eintritt hilft ja nicht, wenn niemand hingehen möchte, weil das Interesse nicht besteht. Da ist natürlich die Frage, wie man auch in der Schulpolitik darauf hinwirken kann, z. B. dadurch, dass es jährlich in den Unterricht eingebundene Museumsbesuche für Schulklassen gibt, betreut von einer museumspädagogischen Kraft, dass jede Schulklasse einmal im Jahr ins Museum geht, dass es Kapazitäten bei Kinder- und Jugendtheatern, Kinos und Konzertveranstaltungen gibt, sodass Schulklassen regelmäßig und nicht einmal in einem Schülerleben dort zu Besuch sind.

Wir brauchen natürlich den Ausbau gebundener Ganztagsschulen mit entsprechenden Angeboten und das dafür notwendige und qualifizierte Personal an den Schulen.

Meine Damen und Herren, ich will noch einige Sätze zu den Museen sagen. Die wenigen Vergleichszahlen, die zu den Ausgaben für Museen vorliegen, deuten klar darauf hin, dass Hessen auch hier mehr tun könnte und sollte. So lag Hessen im Vergleich der Bundesländer bei den ProKopf-Ausgaben für die Museen 2011 nur an neunter Stelle und unter dem Durchschnitt aller Bundesländer.

Für die Landeshaushalte 2015 und 2016 hatten wir bereits beantragt, die Museumsförderung an den tatsächlichen Bedarf anzupassen. Wie Sie wissen, übernimmt der Hessische Museumsverband in Hessen wesentliche Leistungen, die in anderen Bundesländern von staatlichen Stellen geleistet werden. Dafür erhält er unserer Meinung nach eine völlig unzureichende finanzielle Förderung. Der Hessische Museumsverband muss jährlich die Förderanträge hessischer Museen in gleicher Höhe zurückweisen, wie er Förderungen gewähren kann, von einem erforderlichen Ausbau der Angebote ganz zu schweigen. Wir bräuchten eigentlich viel mehr kulturelle Bildung vor Ort durch Museumspädagoginnen und Museumspädagogen.

Deswegen schlagen wir einmal mehr vor, die Mittel für die Projektförderung für die Museen in Hessen dem tatsächlichen Bedarf anzupassen. Das würde bedeuten, sie zu verdoppeln.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, bereits erwähnt hatte ich, dass wir die Aufstockung der Mittel für die Soziokultur und die weitgehende Eigenverantwortung der LAKS bei der Vergabe begrüßen. Aber leider habe ich, Herr Minister, in Ihrer Regierungserklärung vermisst, dass Sie die Literatur und die Bibliotheken in Hessen erwähnt haben. Das ist, glaube ich, kein Zufall, das ist programmatisch. Denn die hessische Literaturförderung ist im Bundesvergleich deutlich unterfinanziert. Auch die Zuschüsse an die Bibliotheken sind seit Jahren eingefroren, obwohl die Bibliotheken die meistgenutzten Einrichtungen der kulturellen Bildung sind und das Buch gerade für Hessen eine ganz besondere Bedeutung hat. Darauf haben Vorredner schon hingewiesen.

Über die Filmförderung haben Sie kurz gesprochen. Ich bleibe da etwas skeptisch, weil die tatsächlichen Ergebnisse der Neustrukturierung der hessischen Filmförderung abzuwarten bleiben. Ich finde aber: Wenn wir über das Filmland Hessen reden, sollten wir auch über die Orte reden, an denen Filme verwahrt und vor allem auch, wo sie gezeigt werden.

Erfreulich finden wir, dass die Murnau-Stiftung, die gerade ihren 50. Geburtstag gefeiert hat, in die institutionelle Förderung des Landes übernommen wurde. Wir halten es für richtig, dieses einmalige und international höchst bedeutsame Filmarchiv langfristig zu sichern und dauerhaft finanziell aus Landesmitteln zu fördern.

Wichtige Kultureinrichtungen sind aber auch die kommunalen und nicht kommerziellen Kinos in den hessischen Städten, vor allem aber im ländlichen Raum in Hessen. Sie sind oft viel mehr als Kinos.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie sind Ort der Begegnung, sie sind Ort von Debatten. Ich finde es schön, dass die kommunalen Kinos wieder den Hessischen Film- und Kinopreis erhalten haben. Aber das alleine reicht nicht zur Unterstützung dieser wichtigen kulturellen Infrastruktur.

Meine Damen und Herren, Kulturfinanzierung ist eine öffentliche Aufgabe und eine Frage demokratischer Entscheidungen. Das heißt, sie darf nicht abhängig sein von Mäzenatentum oder Sponsoring. Kultur muss sich nicht rechnen. Sie muss auch nicht vor Finanzabteilungen von Unternehmen bestehen. Dafür ist eine öffentliche Förderung von Kultur unabdingbar. Privates Engagement ist erwünscht, aber keinesfalls als Ersatz für das öffentliche.

Herr Minister, die Zahlen der Besucherinnen und Besucher in den Landesmuseen, die Sie hier dargestellt haben, sind in der Tat beeindruckend. Ich warne aber sehr davor, Kultur allein oder auch nur zuvorderst an den Zuschauerzahlen zu messen. In dieser Logik wäre dann Mario Barth der größte Kulturschaffende Deutschlands. – Ich glaube, das sehen wir alle nicht so.

(Stephan Grüger (SPD): Hört, hört!)

Oder, wie die Kabarettistin Christine Prayon einmal mit Blick auf ihn gesagt hat: „Comedy bedient … Klischees, Kabarett bekämpft … [sie].“ Ich finde, das ist eine sehr schöne Unterscheidung dieser beiden Sparten.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, viele Kultureinrichtungen, ob Museen, Bibliotheken, Theater oder kommunale Kinos, sind bedroht durch die Unterfinanzierung der Kommunen. Der Leitfadenentwurf des Innenministeriums aus dem Jahr 2011 für Kürzungsmaßnahmen in den Schutzschirmkommunen zeigte nicht gerade die Wertschätzung der damaligen Landesregierung für Kunst und Kultur – um es vorsichtig zu sagen.

Zu kommunalen Museen, Bibliotheken, Musikschulen und Theatern war dort zu lesen, die Kommunen sollten Zuschüsse reduzieren, beim Anschaffungsetat kürzen. Sie sollten Werke aus Sammlungen veräußern, Eintrittspreise erhöhen, ermäßigte Karten abschaffen, Hauptamtliche durch Ehrenamtliche ersetzen, Öffnungszeiten reduzieren, Einrichtungen schließen oder am besten alles gleich auf Dritte übertragen – sprich: privatisieren. Und die kommunalen Kinos sollten sich auf umsatzstarke Filme konzentrieren.

Jetzt frage ich mich gerade: Wer war 2011 noch gleich Innenminister, Herr Rhein?

(Zurufe von der LINKEN und der SPD: Ah! – Zuruf des Ministers Boris Rhein)

Es ist immer blöd, wenn man mir nicht zuhört, dann verpasst man etwas.

(Heiterkeit – Minister Boris Rhein: Ich bitte um Ver- zeihung!)

Es freut mich ausdrücklich, dass Sie mittlerweile eine höhere Wertschätzung für Kunst und Kultur haben und darin mittlerweile offensichtlich mehr als Einsparpotenzial sehen. Das ist eine gute Entwicklung. Aber ich wollte Sie an das erinnern, was damals von Ihrem Ministerium herausgegeben wurde.

(Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): Diese Ironie!)

Besser wäre es noch, wenn Kunst und Kultur endlich Pflichtaufgaben der Kommunen wären. Dann müsste das Land sie finanzieren. So aber sind Kunst und Kultur freiwillige Leistungen, und sie können bei Bedarf weggekürzt werden, wenn die Haushaltslage es nicht anders zulässt. Insbesondere dazu hätte ich mir von Ihnen etwas gewünscht, aber auch zu der Frage, wie ein Ausgleich zwischen Stadt und ländlichem Raum aussehen könnte. Wie schaffen wir es, Kultureinrichtungen im ländlichen Raum zu sichern und zu erhalten? Denn auch das macht Lebensqualität im ländlichen Raum aus. Dazu haben Sie leider nichts gesagt. Sie haben sich auf wenige Leuchttürme – so nennen Sie das, glaube ich – beschränkt, und das finde ich bedauerlich.

Meine Damen und Herren, der Frankfurter Kulturwissenschaftler Dieter Kramer, der sachverständiges Mitglied der Enquetekommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestages war, hat einen Kerngedanken der Kulturpolitik wie folgt auf den Punkt gebracht:

Kultur ist nicht nur, wie der ganze Mensch lebt und arbeitet, sondern auch, wie wir leben wollen.

Beide darin enthaltenen Gedanken gehen weit über das vom Minister Vorgetragene hinaus.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Wohl wahr!)