Protokoll der Sitzung vom 14.12.2016

Guten Morgen, Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 92. Plenarsitzung und stelle sehr wohlwollend die Beschlussfähigkeit des Hauses fest.

Zur Tagesordnung. Erledigt sind die Punkte 1, 2, 4, 6 und 8.

Gestern Abend tagte der Kulturpolitische Ausschuss und hat zu dem Gesetzentwurf Drucks. 19/3836 die Beschlussempfehlung Drucks. 19/4313 beschlossen. Die zweite Lesung des Gesetzentwurfs steht unter Punkt 9 auf der Tagesordnung.

Außerdem tagte gestern Abend der Sozial- und Integrationspolitische Ausschuss und hat zu dem Gesetzentwurf Drucks. 19/4135 zu Drucks. 19/3712 die Beschlussempfehlung Drucks. 19/4315 beschlossen. Die dritte Lesung dieses Gesetzentwurfs steht unter Punkt 36 auf dem Nachtrag der Tagesordnung.

Die zweite Beschlussempfehlung, die der Sozial- und Integrationspolitische Ausschuss beschlossen hat, betrifft den Gesetzentwurf Drucks. 19/4137 zu Drucks. 19/3743 und hat die Drucksachennummer 19/4316. Die dritte Lesung dieses Gesetzentwurfs steht unter Punkt 37 auf dem Nachtrag der Tagesordnung.

Noch eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend aktuelle Herausforderungen brauchen eine zeitgemäße Politik, Drucks. 19/4311. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das scheint der Fall zu sein. Dann wird dieser Dringliche Entschließungsantrag Tagesordnungspunkt 38 und kann, wenn dem nicht widersprochen wird, mit Tagesordnungspunkt 24 zu diesem Thema aufgerufen werden.

Außerdem eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend nachhaltige Forstwirtschaft in Hessen beibehalten, Drucks. 19/4312. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das scheint der Fall zu sein. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 39 und kann, wenn dem nicht widersprochen wird, mit Tagesordnungspunkt 12 zu diesem Thema aufgerufen werden.

Zum Ablauf der Sitzung. Vereinbarungsgemäß tagen wir heute bis 18 Uhr bei einer Mittagspause von zwei Stunden. Wir beginnen mit Tagesordnungspunkt 21. Dann folgt Tagesordnungspunkt 24. Nach der Mittagspause beginnen wir mit Tagesordnungspunkt 20.

Entschuldigt fehlen heute Frau Staatsministerin Lucia Puttrich ab 12:45 Uhr sowie die Abg. Dieter Franz und Tobias Utter ganztägig wegen Erkrankung. – Ich höre gerade, dass auch Frau Staatsministerin Hinz erkrankt und somit entschuldigt ist. – Kollege Bellino.

Der Kollege Meysner fehlt ebenfalls ganztägig, weil er krank ist.

Wir nehmen zu Protokoll, dass auch Kollege Meysner erkrankt und damit entschuldigt ist.

Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf:

Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Verbot der Vereinigung „Die wahre Religion“ und der damit verbundenen „Lies!“-Stiftung ist Erfolg für die Verteidigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung – Prävention als weiterer entscheidender Baustein beim Kampf gegen islamistischen Fundamentalismus – Drucks. 19/4274 –

Vereinbarte Redezeit: zehn Minuten. Als Erster hat Kollege Bellino von der CDU-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Schon zu Beginn meiner Rede möchte ich feststellen: Es war und ist richtig, dass die sogenannte „Wahre Religion“ und damit auch die „Lies!“-Kampagne verboten wurden.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Extremismus jedweder Art gehört zu den größten Gefahren für unsere Sicherheit, für den Rechtsstaat, für die Demokratie und für die Freiheit. Dies gilt z. B. für den radikalen Salafismus mit seinem fundamentalistischen Verständnis des Korans. Derzeit bedrohen Islamismus und Salafismus die Werte unseres Landes und die Sicherheit der hier lebenden Menschen – und zwar unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer politischen Orientierung und ihrer Religionszugehörigkeit. Dies dürfen wir nicht zulassen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Wir sind eine offene Gesellschaft, ein Land mit Meinungs- und Pressefreiheit, ein Land mit Versammlungs- und Religionsfreiheit. In unserem Land ist deshalb Platz für vieles, aber kein Platz für Gewalt gegen Andersdenkende, Andersabstammende oder Andersgläubige.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Deshalb gehören Islamismus und Salafismus nicht zu Deutschland und haben auch in Hessen nichts verloren.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Sie leiten Menschen in die Irre, machen sie mitunter zu Dschihadisten und Selbstmordattentätern. Es ist daher Aufgabe einer verantwortungsbewussten Politik, alles zu tun, um präventiv und repressiv gegen Islamisten wie auch gegen jede andere Form des Extremismus vorzugehen.

Die Bürgerinnen und Bürger in Hessen können sich darauf verlassen, dass wir auch in Zukunft alles Notwendige tun und uns mit aller Entschlossenheit und mit Nachdruck an die Seite derer stellen werden, die bereit sind, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu wahren.

Vor Kurzem ist unseren Sicherheitsbehörden ein wichtiger Schlag gegen die Islamistenszene in Deutschland gelungen. Am 25. Oktober – wir erinnern uns – hat unser Bun

desinnenminister Thomas de Maizière die islamistische Vereinigung der sogenannten „Wahren Religion“ verboten. Unter dieses Verbot fielen und fallen auch die sogenannte „Lies!“-Stiftung und der sogenannte „Lies!“-Verlag. Man muss wissen, um wen es sich dabei handelt. Das ist die Organisation, die unter dem Deckmantel vermeintlich harmloser Koranverteilungen in deutschen Innenstädten für den radikalen Islamismus und dessen Ideen warb.

In einer bundesweiten Polizeiaktion wurde das Verbot am 25. November vollzogen. Ich gehe davon aus, dass ich im Namen aller Abgeordneten spreche, wenn ich mich für die professionelle Arbeit unserer Sicherheitsbehörden bedanke.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wir wissen, dass es im Rhein-Main-Gebiet und in bestimmten Teilen Nordhessens eine besonders aktive Islamistenszene gibt. Deshalb lag bei den Polizeiaktionen in Hessen ein Schwerpunkt auf beiden Regionen. Insgesamt wurden in Hessen über 60 Objekte in mehr als 20 Städten durchsucht. 70 Verbotsverfügungen wurden an die betreffenden Personen ausgehändigt.

Dass dieser Schlag gegen den Islamismus gelingen konnte, verdanken wir den hessischen Polizeibeamtinnen und -beamten. Wir verdanken es auch den Beobachtungen der engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes. Wir verdanken es aber nicht zuletzt der entschlossenen Haltung unseres Innenministers Peter Beuth. Er und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Innenministerium haben erheblich zu diesem Erfolg beigetragen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es war Peter Beuth, der das Verbot beim Bund angestoßen hat. Wir sehen heute, dass diese Initiative aus Hessen erfolgreich war. Schließlich sind mit dem Verbot der Organisation auch ihre Koranverteilungen untersagt. Damit entfällt ein wesentlicher Radikalisierungsfaktor; denn in einer Analyse, die das Hessische Informations- und Kompetenzzentrum gegen Extremismus, das HKE, gemeinsam mit dem Bundeskriminalamt und dem Bundesamt für Verfassungsschutz vorgenommen hat, konnte festgestellt werden, dass bei etwa einem Viertel der 572 Personen, die als Anhänger des sogenannten Islamistischen Staats nach Syrien und in den Irak ausgereist sind, die Koranverteilaktionen, z. B. die „Lies!“-Aktion, ein Faktor der Radikalisierung waren. Die „Lies!“-Aktion hat somit maßgeblich dazu beigetragen, dass junge Menschen als sogenannte Gotteskrieger und Dschihadisten ausreisten. Die unmenschlichen Gräueltaten des Islamistischen Staates, der gerade auch Muslime zum Opfer fallen, entsetzen uns alle.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit diesem Verbot zeigen wir deutlich: Unser demokratischer Rechtsstaat hat extremistischen Gruppen und Organisationen etwas entgegenzusetzen. Es ist ein klares Signal gegen alle Formen des Extremismus. Wir gehen mit allen Mitteln des Rechtsstaats gegen Extremismus vor und verteidigen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung.

Aber wir wissen auch: Mit dem Verbot ist die Arbeit nicht getan. Wir dürfen und werden uns auf diesem Erfolg nicht ausruhen. Das Verbot umfasst auch die Nachfolge- und/

oder Ersatzorganisationen. Ich bin mir sicher, dass unsere Behörden genau beobachten und gegebenenfalls einschreiten werden, wenn sich die „Lies!“-Aktion unter anderer Flagge fortsetzt.

Das ist notwendig; denn wir haben die Vereinigung verboten, aber die Menschen mit ihren radikalen Ideen sind noch da. Am besten ist es aber, wenn der Islamismus erst gar nicht gedeiht. Deshalb sind Repression und Prävention für uns immer zwei Seiten einer Medaille. Beides – Prävention und Repression – gehen wir mit der gleichen Entschlossenheit an: repressiv Islamisten verfolgen und präventiv dafür sorgen, dass Menschen sich erst gar nicht radikalisieren oder – wenn das bereits geschehen ist – aus ihrem Irrglauben herausgelöst werden können. Beides gehört für uns untrennbar zusammen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hessen ist daher auch bei der Prävention Vorreiter. Hessen hat als erstes Bundesland im Jahr 2014 ein Präventionsnetzwerk gegen Salafismus geschaffen. Seit der Gründung haben wir die Mittel, die dafür im Landeshaushalt zur Verfügung stehen, versechsfacht. So stehen seit 2016 jährlich 1,2 Millionen € zur Verfügung.

Zur Präventionsarbeit gehört aber auch die Integration, z. B. die Arbeit in den Schulen – die politische Bildung. Eltern, Vereine, Organisationen, Schulen und Moscheeverbände können dazu beitragen, dass junge Menschen stabile Persönlichkeiten sind, die der Demagogie der Islamisten widerstehen.

Zur Präventionsarbeit gehört auch unser Programm „Extremismusprävention Flüchtlinge“. Wir wissen, dass unter denen, die hier Schutz suchen, viele Verfolgte sind: von Islamisten verfolgte Christen, Jesiden und auch viele Muslime, die den Islamisten nicht islamisch genug sind. Nicht wenige bringen auch ein anderes stark konservatives Islamverständnis mit. Sie sind deshalb nicht gleich potenzielle Attentäter, aber für islamistische Menschenfänger potenzielle Opfer.

Deshalb ist es unabdingbar, dass Staat und Gesellschaft alles unternehmen, um gerade diese Gruppe von Geflüchteten vor den falschen Versprechungen der Islamisten und Salafisten zu schützen. Auch hier setzt die Aufklärungsarbeit an. Zudem – das gehört auch zur Prävention – haben wir die personellen Ressourcen im Landesamt für Verfassungsschutz aufgestockt. Der Verfassungsschutz wird nächstes Jahr über ein Drittel mehr an Personal verfügen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Salafismus ist gefährlich und schadet dem Ansehen des Islams in Deutschland. Er richtet sich gegen den Glauben, wie ihn die Mehrheit der in Hessen lebenden Muslime real praktiziert. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir in den vielen friedliebenden und integrationswilligen Muslimen Verbündete haben, mit denen wir gemeinsam gegen den Islamismus vorgehen können. Es ist und bleibt unsere Aufgabe, Hessen verlässlich sicherer zu machen. Dafür steht unsere Koalition, und daran arbeiten wir auch weiterhin.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Als Nächster spricht Kollege Greilich für die FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die salafistischen Umtriebe haben uns in diesem Haus in den vergangenen fast drei Jahren dieser Legislaturperiode immer wieder intensiv beschäftigt. Ich will hierzu drei Beispiele nennen.

Das erste Beispiel ist die von uns Freien Demokraten initiierte zweitägige Anhörung zum Thema Islamismus und Salafismus – sie hat im Plenarsaal stattgefunden –, die uns wertvolle Erkenntnisse zu den Motiven und Gründen junger Menschen gebracht sowie die Entwicklung der Szene aufgezeigt hat.

Das zweite Beispiel sind die vielen Vorkommnisse, die das Sicherheitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger erheblich beeinflusst haben, wie die Anwerbeversuche islamistischer Vereinigungen, die zwielichtigen Hilfsprojekte zur Terrorfinanzierung – z. B. die Hilfsorganisation Weiße Flügel e. V. –, die Verbände oder auch die Hinterhofmoscheen verschiedener Moscheevereine, die sich unter dem Vorwand der Religion gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung betätigt haben. In diesem Zusammenhang gibt es Fälle von meist jungen Menschen aus Hessen, die verblendet in einen vermeintlich heiligen Krieg gezogen sind und von denen viele nicht mehr zurückkehren werden.

Das dritte Beispiel – das hat Herr Kollege Bellino bereits erwähnt – ist das Ringen der letzten Jahre in den Haushaltsberatungen um die Aufstockung der Finanzmittel für Personal sowohl bei der Prävention über das VPN als auch bei der Repression durch den Staats- und Verfassungsschutz. Wir sind hier in der Tat nach langem Drängen große Schritte vorangekommen.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Ismail Tipi (CDU))

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, als ich mich auf die heutige Rede vorbereitet und die vielen Fälle noch einmal durchgesehen habe, mit denen wir uns hier beschäftigen mussten, wurde mir einmal mehr klar – ich glaube, da sind wir uns einig –, wie wichtig der Kampf gegen Islamismus und Salafismus nicht nur in unserem Land ist. Hierbei – insbesondere Herr Innenminister, daraus haben wir nie ein Hehl gemacht – war uns die Herangehensweise seitens der Landesregierung an der einen oder anderen Stelle zu zögerlich.

(Beifall bei der FDP)

Die entsprechenden Fälle und die teilweise äußerst dürftige Informationspolitik habe ich Ihnen an dieser Stelle bereits mehrfach vorgehalten, vor allem in dem vergangenen halben Jahr. Deswegen verzichte ich darauf, das jetzt zu wiederholen.