Protokoll der Sitzung vom 22.09.2022

Herr Dr. Naas, lassen Sie eine Zwischenfrage von Herrn Gagel zu?

(Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Gern, wenn es nicht zu lange dauert!)

Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen, Herr Dr. Naas. – Stellen Sie sich vor, es würde ein Ticket geben, wo Biertrinker in Zukunft nur noch 9 Cent pro Bierflasche zahlen müssten. Meinen Sie nicht auch, dass das genauso ein Erfolg wäre wie das 9-€-Ticket im ÖPNV?

Herr Dr. Naas, jetzt haben Sie das Wort.

Darum geht es doch gar nicht, Herr Kollege Gagel. Es ging doch darum, dass eine Entlastung für die Bürgerinnen und Bürger beschlossen wurde. Das war zunächst einmal eine Entlastung auf den Benzinpreis, von dem auch Sie profitiert haben dürften.

(Beifall Freie Demokraten und Rolf Kahnt (frakti- onslos))

Für die Menschen, die den ÖPNV nutzen, war es eine Frage der Gerechtigkeit, dass es für diese Bürger auch eine Entlastung gab. Deswegen hat es das 9-€-Ticket gegeben. Das müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall Freie Demokraten und Rolf Kahnt (frakti- onslos))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme wieder zum Antrag der LINKEN. Diesen einzigen Satz, nämlich, dass es immer auch etwas kosten muss, wenn es gut sein muss, sollten Sie einmal beherzigen.

(Torsten Felstehausen (DIE LINKE): So haben wir das gar nicht gesagt!)

Denn man Ende muss das jemand auch erwirtschaften. Sie müssen, wenn Sie das ÖPNV-Angebot ausbauen wollen, am Ende auch wieder neues Geld in die Hand nehmen. Das gibt es in Ihrem Staat natürlich nicht, weil Sie, wie es Kollege Bamberger schon gesagt hat, alles frei finanzieren können. Sie wollen ja die Druckmaschine anwerfen; Sie wollen die Inflation weiter begünstigen.

(Axel Gerntke und Torsten Felstehausen (DIE LIN- KE): Nein!)

Doch, das wollen Sie, weil Sie alles in diesem Staat freistellen wollen. Ein gutes Angebot hat seinen Preis. Und ein gutes Angebot, das noch besser werden soll, hat auch seinen Preis.

(Beifall Freie Demokraten und Rolf Kahnt (frakti- onslos))

Deswegen ist Ihr Freifahrtschein hier ein völlig falsches Modell, und das Verteufeln eines Pauschaltickets ist genauso falsch. Wir werden beide Anträge ablehnen. Und wie die vermittelnde Position aussieht,

(Karin Müller (Kassel) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Ach, ja!)

werden wir dann beim nächsten Tagesordnungspunkt, nämlich beim Setzpunkt der FDP, thematisieren.

(Heiterkeit und Beifall Freie Demokraten und Rolf Kahnt (fraktionslos))

Danke sehr, Herr Dr. Naas, vor allen Dingen für den Weitblick zum nächsten Tagesordnungspunkt. – Als Nächstem erteile ich Herrn Eckert von der SPD-Fraktion das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Um es vorwegzusagen: Das 9-€-Ticket in Deutschland in den letzten drei Monaten war ein Erfolg. Es ist auch bemerkenswert, dass die Ampel das geschafft hat, obwohl alle immer vorher erzählt hatten, es funktioniere nicht, man könne kein deutschlandweit einheitlich gültiges Ticket zu günstigen Preisen hinbekommen. – Nein, man hat bewiesen: Politik muss es wollen. Politik muss nachher auch die finanziellen Ressourcen dafür zur Verfügung stellen. Gemeinsam mit den Akteurinnen und Akteuren im Bereich des Verkehrs kriegen wir das hin. – Ich glaube, das hat auch das 9-€-Ticket im Sommer gezeigt.

(Beifall SPD und Felix Martin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Es ist auch bemerkenswert – das gehört an der Stelle zur Wahrheit dazu –, in welcher Schnelligkeit die Verbünde, die Nahverkehrsorganisationen, die Leistungserbringer das

alles hinbekommen haben; denn es handelte sich ja nicht um ein langfristig angelegtes Projekt. Aufgrund der Situation des Angriffskriegs von Russland auf die Ukraine, der gestiegenen Preise, insbesondere auch im Bereich der Mobilität,

(Dr. Frank Grobe (AfD): Das gab es schon vorher!)

hat man gesagt: Wir brauchen eine effiziente und wirksame Entlastung der Bürgerinnen und Bürger im Bereich der Mobilität. – Dafür ein herzliches Dankeschön, dass das möglich war.

Der Erfolg des 9-€-Tickets gibt uns recht. Das sieht man an den Nutzerzahlen – Kollege Dr. Naas ist schon darauf eingegangen. Auch im eigenen Verhalten hat sich etwas verändert, und man hat einfach einmal gesagt: Ich bin jetzt auch bereit, etwas anderes, etwas Neues auszuprobieren. – Denn immer nur darüber zu reden und zu sagen: „Ich mache das vielleicht irgendwann einmal“, ist das eine; aber das dann auch konkret auszuprobieren, ist das andere. Das ist der eine Erfolg.

Aber ich finde, und das ist der zweite Teil des Erfolges: So viel wie in dieser Zeit ist über den ÖPNV, seine Bedeutung und die Herausforderungen, um ein bezahlbares Angebot für alle hinzubekommen, noch nie in Deutschland diskutiert worden, unabhängig von den Fachdebatten. Das ist ein Erfolg, meine Damen und Herren. Denn der ÖPNV ist wichtig für die Zukunft unseres Landes.

(Beifall SPD und Karin Müller (Kassel) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Es hat auch Hemmungen genommen. Denn warum steigen Menschen schneller ins Auto? Wenn ich es dastehen habe, nutze ich es, weil es einfach und unkompliziert ist und weil ich von A nach B fahren kann, wie ich will. Ich muss mir über nichts Gedanken machen. Beim ÖPNV war und ist oft die Herausforderung: Habe ich das richtige Ticket? Bin ich in der richtigen Tarifstufe? Fährt das Angebot auch dort, wo ich hinwill, und Ähnliches mehr? Auch dort hat das 9-€-Ticket gezeigt, dass es gelingt, Menschen anzusprechen, die sich bisher noch nicht in dem System bewegen, wenn ich ein einfaches Angebot hinbekomme, das auch einfach im Handling für die Nutzerinnen und Nutzer ist. Damit wird diesen Menschen Mut gemacht, den ÖPNV in Deutschland auch zu nutzen.

Meine Damen und Herren, der Erfolg wird eher ein bisschen negiert, weil man sagt: Na ja, die Pendlerinnen und Pendler sind nicht massenweise auf den ÖPNV umgestiegen und haben auch nicht das Auto abgemeldet.

(Zuruf Robert Lambrou (AfD))

Aber wer meldet schon das Auto ab, wenn er weiß, dass das nur für drei Monate passiert? Vielmehr haben sich Menschen Mobilität leisten können, die ganz oft nicht an Mobilität rankommen. Es haben sich Menschen in diesem Land bewegen können zu einem Preis, der ihnen Teilhabe ermöglicht hat – und das ist ein echter Erfolg des 9-€-Tickets.

(Beifall SPD – Zuruf Dr. Frank Grobe (AfD))

Damit ist in der Tat auch der AfD-Antrag entlarvend; denn angeblich ist nach dem, was Sie immer erzählen, die AfD die Partei des kleinen Mannes. – Wer das negiert und das alles nicht sieht und auch noch das Gegenteil fordert, hat von dem System nichts verstanden, meine Damen und Herren. Insoweit ist das auch selbstentlarvend.

Aber es ist richtig: Ohne das entsprechende Angebot nützt mir der günstigste Bus nichts. Wenn der Bus nicht fährt, kann er so günstig sein, wie er will: Ich kann ihn nicht nutzen. Deswegen gehört es richtigerweise dazu, wie es auch in der Überschrift des Antrags steht, über den wir jetzt gerade hier beraten, die Kapazitäten auszubauen und zu erweitern. Wir haben hier schon oft über das Problem diskutiert, z. B. dass ich zu Beginn einer Plenardebatte nicht pünktlich über den ÖPNV hier sein kann, weil es einfach das Angebot nicht gibt.

(Dr. Frank Grobe (AfD): Sie können mit dem Fahrrad fahren!)

Wir müssen dahin kommen, dass wir den Menschen ein ehrliches Angebot im ÖPNV machen, wenn wir von Herausforderungen wie Umstieg und Veränderungen reden. Aber immer nur darüber zu reden, dass die Wirklichkeit der Menschen so aussieht, dass es gar kein Angebot gibt, das zieht dann auch Verärgerung und weniger Umsteigebereitschaft nach sich. Deswegen ist es richtig, über das Thema Ausbau zu reden.

Wenn wir über das Thema Ausbau reden, dann reden wir über die Herausforderung für den Bund – Stichwort: Regionalisierungsmittel. Das, was mit der Union auf Bundesebene in den letzten Jahren nicht machbar war, nämlich, dass der Bund sagt: „Ja, wir erhöhen nicht nur die Regionalisierungsmittel, sondern wir dynamisieren sie“, hat die Ampel im Koalitionsvertrag festgelegt. An dieser Stelle will ich das auch im Hessischen Landtag sagen: Ich erwarte, dass das dann auch umgesetzt wird und dass das kommt; denn diese Ausbauschritte brauchen wir. Ich freue mich, wenn wir gemeinsam daran arbeiten, sowohl die, die diese Regierung in Berlin tragen, als auch diejenigen, die das bisher in Berlin immer verhindert haben. Wenn wir aber im Hessischen Landtag einer Meinung sind, dass das notwendig ist, dann lassen Sie uns daran arbeiten; denn auch der Bund muss seinen Beitrag dazu leisten, meine Damen und Herren.

(Beifall SPD)

Aber wir dürfen das nicht mit den 1,5 Milliarden € des Bundes für das Thema Folgeticketfinanzierung für den ÖPNV vermengen; denn da habe ich ein bisschen Sorge, dass das alles miteinander vermengt wird und gesagt wird: „Ihr habt ja jetzt mehr Geld bekommen.“ Nein, ich glaube, das sind die 1,5 Milliarden €.

Herr Minister, dann sind wir sehr wohl im Land. Sie haben das angekündigt im Sinne von: Wir sind bereit, jeden Euro, den der Bund gibt, mit Landesgeldern zu hinterlegen. – Ich bin sehr gespannt – wir wissen jetzt schon, was die Hausnummer aus Berlin ist und was man sich dort vorstellt –, wie das im Haushaltsentwurf für das nächste Jahr in Hessen aussieht. Denn der Landesanteil der Kofinanzierung müsste dort enthalten sein, wenn wir sagen: Wir wollen ein finanzierbares Folgeticket für die Hessinnen und Hessen sowie darüber hinaus. – Da muss das Land Hessen seiner Verantwortung gerecht werden. Dabei geht es um originäre Landesgelder für diese Kofinanzierung. Ich bin sehr gespannt, Herr Minister, ob Sie dabei Ihren Worten dann Taten folgen lassen.

(Beifall SPD)

Fakt ist auch: Wenn wir an der Gesamtfinanzierung des ÖPNV dauerhaft etwas verändern wollen – das ist mit dem 9-€-Ticket so angelegt: weg vom Fokus auf den harten

Bereich der Nutzerfinanzierung hin zu einem größeren Bereich der solidarischen Versicherung –, bin ich sehr dabei. Da bin ich nicht beim kostenfreien ÖPNV für die Nutzerinnen und Nutzer, aber für ein deutlich bezahlbareres Angebot. Da gibt es die verschiedenen Vorschläge; ich will heute gar nicht über die Zahlen diskutieren. Aber das ist wichtig.

Wir müssen aber den zweiten Schritt gehen, den Mut haben und sagen: Wir sind bereit, ein solidarisches Finanzierungsinstrument, die berühmte dritte Säule für den ÖPNV, einzuführen, damit wir ein finanzierbares Angebot für die Menschen in diesem Land haben. Das funktioniert nur gemeinsam. Herr Minister, da würde ich mir Initiativen und Engagement aus dem Bundesland Hessen wünschen, um deutlich zu machen, wie wir das in Hessen finanziert bekommen – neben den originären Landesmitteln, die Sie aus dem Landeshaushalt zur Verfügung stellen. Da freue ich mich auf die Debatten in der Enquetekommission: Welche Möglichkeiten gibt es, dort nicht immer nur dasselbe zu machen – am Preis zu drehen oder über den Steuerzuschuss? Gibt es im Rahmen der solidarischen Finanzierung noch andere Instrumentarien und Wege, um den ÖPNV mitfinanzieren zu können? Das ist nachher eine große Herausforderung an die Politik.

An diesem Punkt macht es sich der Antrag der LINKEN etwas zu einfach. Umgekehrt gilt das aber auch für den Antrag der Koalitionsfraktionen; denn das ist das Übliche: Jetzt lehnen wir uns zurück und warten, bis Berlin etwas macht. – Nein, meine Damen und Herren, wenn wir etwas gestalten wollen, muss auch das Land Hessen vorangehen und sollte nicht auf Berlin warten. Wir haben in Pressemitteilungen gelesen: Wir sind bereit, das 1 : 1 zu finanzieren. – Wenn Berlin als Minimum 1,5 Milliarden € gibt, wüsste ich gern von der Gegenfinanzierung des Landes Hessen für das nächste Jahr in Ihrem Haushaltsentwurf, Herr Minister.

(Robert Lambrou (AfD): Das wird schwierig!)

Denn dann könnten wir feststellen: Meinen Sie das ernst, oder war das eine bloße Ankündigung? – Herzlichen Dank.

(Beifall SPD)

Danke, Herr Eckert. – Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat sich Frau Müller zu Wort gemeldet.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich wollte eigentlich damit anfangen, dass ein Erfolg des 9-€-Tickets ist, dass wir uns hier relativ einig sind – nicht über den LINKEN-Antrag. So einig wie heute war ich mit Herrn Eckert lange nicht, aber Sie haben zwei Minuten zu lang geredet.