Protokoll der Sitzung vom 22.09.2022

(Beifall DIE LINKE)

Wir sagen, das Ganze soll eine sozialstaatliche Leistung sein. Das hat zur Konsequenz, dass der Ausgleich nicht nur zwischen denen besteht, die den ÖPNV viel, und denen, die den ÖPNV wenig nutzen, sondern dass der Ausgleich auch zwischen denen besteht, die das Angebot nutzen, und denen, die das Angebot gar nicht nutzen. Das hieße, dass alle gesellschaftlichen Gruppen zur Finanzierung herangezogen würden, wie es im Übrigen auch in anderen Bereichen des Verkehrs der Fall ist. Denn wer meint, dass die Kosten, die für den Autoverkehr anfallen, allein über die Kfz-Steuer, die Benzinsteuer usw. abgewickelt würden und dass die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für die Bereithaltung der entsprechenden Infrastruktur nicht Diverses zusätzlich zu bezahlen hätten, der irrt im besten Falle – es sei denn, er weiß, was er tut, und behauptet es trotzdem.

Wir sind also insoweit dafür, das Ganze sozialstaatlich zu organisieren. Dass das Ganze aber auseinandergefallen ist und in verschiedenste Sektoren aufgegliedert worden ist, dass die RMVs dann wiederum in GmbHs und in Anbieter und Abnehmer umgewandelt werden, dass das Ganze als Markt organisiert ist, ist nicht zufällig passiert, sondern ist beabsichtigt. Ich erinnere nur an den hessischen Weg in den Wettbewerb von 2003. Das klingt schon wie eine blöde Idee, und sie war es auch. Die war ja auch von Roland Koch.

Das war sozusagen die Art und Weise, wie damit umgegangen wurde. Es gibt da eine Konkurrenz um die Vergabe von Bus- und Bahnlinien. Seitdem geht es mit den Lohn- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten genauso bergab, wie es mit der Versorgung der Bevölkerung mit entsprechenden Verkehrsleistungen bergab geht.

Diese Struktur scheint mir in der Tat für eine sozialstaatliche Aufgabe nicht besonders angemessen zu sein. Die muss grundlegend anders organisiert sein. Das hat dann eben auch zur Konsequenz, nicht, dass die Kosten sinken, sondern dass die Kosten nicht primär über die Nutzerinnen und Nutzer – am besten gar nicht –, sondern gesellschaftlich getragen werden.

Insoweit bin ich nur über den FDP-Antrag etwas verwundert – –

(Zuruf Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten))

Jetzt sind ja auch ein paar Leute mehr da, und manche hören sogar zu, das ist auch ganz schön. Das ist man vom Parlament nicht immer gewohnt.

(Volker Richter (AfD): Wir hören gut zu!)

Aber je mehr Sie sich bemühen, desto mehr bemühe ich mich auch. Da kann etwas gehen.

Es wundert mich bei der FDP trotzdem, dass sie auf der einen Seite die Strukturen, die doch eigentlich völlig in

ihrem Sinne sind – nämlich die Totalität des Wettbewerbs, die sie immer weiter ausgeweitet hat –, beklagt und sagt: Das alles ist Kleinstaaterei.

(Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Nein!)

Das ist doch genau Folge Ihrer Wettbewerbsgedanken, die da sozusagen manifest werden und die Sie auch in zahlreichen Regierungsbeteiligungen weiter ausgebaut haben.

Aber wenn Sie an der Stelle nicht nur die Liebe zum öffentlichen Nahverkehr im Allgemeinen entdeckt haben, sondern auch die Liebe zu sozialstaatlichen Strukturen, dann kriegen wir da gemeinsam bestimmt ein super Ergebnis hin. Vielleicht fließt das Wasser auch einmal wieder den Rhein hinauf. – Herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE)

Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich nun Frau Müller das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich hatte durchaus einen Erkenntnisgewinn bei dieser Debatte. Als Herr Dr. Naas seinen Vortrag gehalten hat, habe ich gedacht: Ich weiß jetzt, warum er immer so viel herummeckert – weil er stehen geblieben ist, als Herr Rentsch Verkehrsminister war.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Sind wir wieder bei der Traumabewältigung? – Zurufe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nein, ich bin ja nicht so, dass ich hier einfach etwas raushaue und es nicht begründe. Die Begründung kommt jetzt.

Zunächst haben Sie gesagt, mit dem 9-€-Ticket sei die Digitalisierung in den ÖPNV gekommen – als ob man vorher die Tickets nicht hätte digital kaufen können. Ich kann jedes Ticket digital kaufen. Das Schülerticket ist ein E-Ticket gewesen. Da haben die Verbünde zusammengearbeitet. Ich kann jedes Ticket digital kaufen. Dazu hätten wir das 9-€-Ticket nicht gebraucht – aber gut.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Dirk Bam- berger (CDU) und Rolf Kahnt (fraktionslos))

Der zweite Punkt, warum ich mich daran erinnert habe, ist, weil Sie gesagt haben: „die Kleinstaaterei beenden“, also die zweieinhalb Verbünde. RMV, NVV und VRN: Das sind drei Verbünde.

(Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Zweieinhalb!)

Von mir aus zweieinhalb. Faktisch sind es zweieinhalb, genau. – Dadurch ist der ÖPNV einen Riesenschritt nach vorne gekommen. Gerade dadurch ist die Kleinstaaterei beendet worden. Schauen Sie einmal in andere Bundesländer, in denen das viel kleinteiliger organisiert ist, dann sehen Sie, wie schwierig da die Absprachen laufen. Hier machen das die Verbünde im Auftrag der Aufgabenträger und koordinieren den ÖPNV und die Nahverkehrspläne.

Ihr damaliger Verkehrsminister Rentsch hatte auch schon einmal die Idee, aus zwei bzw. zweieinhalb Verbünden

einen zu machen. Das hat er aber schnell wieder in der Schublade verschwinden lassen, weil der NVV und der RMV einfach unterschiedliche Räume organisieren. Die müssen gut zusammenarbeiten. Das tun sie auch. Beim Schülerticket, bei allem, was verbundübergreifend ist, arbeiten die gut zusammen. Ansonsten sind es einfach andere Räume, andere Schwerpunkte.

Der NVV hat das Programm „Jedes Dorf – Jede Stunde“ oder vermietet als Projekt E-Bikes an Dauerkunden usw. Der RMV hat wieder andere Projekte. So ergänzen sie sich wunderbar. Warum Sie jetzt aus allen wieder einen Verbund machen wollen, müssen Sie mir mit Ihren Erkenntnissen, die sich seit damals verändert haben, schon näherbringen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Dirk Bamberger (CDU))

Ich will es noch einmal sagen, ich habe es gestern schon einmal gesagt: Der ländliche Raum ist nicht so schlecht, wie Sie ihn hier immer machen. Wann haben Sie denn das letzte Mal in die Fahrplanauskunft geschaut, um von A nach B, von der Stadt in den ländlichen Raum, zu fahren? Das muss wahrscheinlich auch zu Zeiten der FDP im Landtag gewesen sein.

(Dr. Matthias Büger (Freie Demokraten): Wir sind die ganze Zeit im Landtag!)

Die Verbindungen sind viel besser, als Sie suggerieren wollen. Versuchen Sie es doch einfach einmal.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe)

Zu der Zeit war es auch so, dass mitten in der Finanzierungsvereinbarung 20 Millionen € aus den Regionalisierungsmitteln gekürzt wurden – einfach so. Dass Sie dann kein Vertrauen in die Finanzierung haben, glaube ich Ihnen ja; aber das waren Erfahrungen mit der FDP und nicht mit einem grünen Verkehrsminister.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber zum Schluss vielleicht noch – wir sind uns ja einig –: Das Land hat seine Hausaufgaben gemacht, der Bund noch nicht. Da wollte ich Ihnen gerne mitgeben, was Sie Ihrem Bundesverkehrsminister vielleicht noch einmal näherbringen wollen. Es gibt einen Koalitionsvertrag, da ist die Erhöhung der Regionalisierungsmittel festgelegt. Das ist noch nicht eingelöst. Es ist auch festgelegt, dass für die Schiene doppelt so viel ausgegeben werden soll wie für die Straße. In dem derzeitigen Haushalt ist für die Straße doppelt so viel drin.

Der Verkehrsminister Wissing argumentiert: Na ja, dazu kommen ja noch die Regionalisierungsmittel und die Mittel der Länder. – Das ist natürlich eine Milchmädchenrechnung; denn die Regionalisierungsmittel sind für den Betrieb und nicht für die Investitionen gedacht, und auch nur für den regionalen Schienenverkehr. Ich kann nicht einfach das Geld der Länder dazurechnen und sagen: Ich habe meine Hausaufgaben gemacht. – Wenn Sie ihm da noch ein bisschen Nachhilfe geben, kommen wir auf einem guten Weg zusammen und finden auch eine gute Finanzierung für den ÖPNV.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Dirk Bam- berger, Claudia Ravensburg (CDU) und Rolf Kahnt (fraktionslos) – Zuruf Dr. Stefan Naas (Freie Demo- kraten))

Für die SPD-Fraktion erteile ich nun Herrn Eckert das Wort.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat ist es richtig – damit wiederholen wir uns etwas in der Debatte des heutigen Nachmittags –, deutlich zu machen, was ein Teil des Erfolges des 9-€-Tickets war, nämlich durchaus eine Tarifstruktur für die Menschen zu schaffen, damit sie sich eben nicht erst komplett einarbeiten müssen in die Unterschiedlichkeiten von Verbünden, von Verbänden, von Tarifstrukturen und von Ländergrenzen. Ich wohne selbst an der Landesgrenze zu Rheinland-Pfalz, wo es ganz unterschiedliche Strukturen gibt.

Wenn Sie dann sagen: „Aber die Lebenswirklichkeit der Menschen, auch mobil, ist eine ganz andere, als wir sie abbilden“, kann man antworten: „Genau, das 9-€-Ticket“. Ich hoffe, dass das Folgeticket des 9-€-Tickets es schafft, dass wir das Thema „Kleinstaaterei im Bereichs des Tarifs“ dann auch wirklich dauerhaft überwinden; denn es macht den ÖPNV insgesamt attraktiver, unabhängig vom Preis.

(Beifall SPD und Karin Müller (Kassel) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Es zeigt sich auch, was oftmals im Bereich der Mobilität der Fall ist: „Das wird nie funktionieren; das wird nicht funktionieren; das kann man nicht schaffen“ läuft so lange, bis jemand um die Ecke kommt, der nicht wusste, dass das nicht geht, und es einfach macht. Genau so hat das jetzt die Ampel in Berlin getan.

Es haben nämlich alle gesagt: Es wird nicht klappen, dass wir einen bundesweit einheitlichen Tarif hinbekommen und das für den ÖPNV organisieren. – Das hat man offensichtlich nicht gewusst in Berlin. Man hat es gemacht. Es war ein Erfolg. Dass wir das jetzt gemeinsam – Bund und Länder – für das Folgeticket folgefinanzieren wollen, ist ein nachhaltiger, dauerhafter Erfolg der Bundesregierung mit dem 9-€-Ticket. Meine Damen und Herren, ich freue mich darüber, dass wir das in Deutschland möglich machen konnten.

(Beifall SPD, Karin Müller (Kassel) und Martina Feldmayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Frau Kollegin Müller hat das zu Recht beschrieben: Der Koalitionsvertrag auf Bundesebene ist richtig und wichtig. Der besagt: Der Bund wird seiner finanziellen Verantwortung auch in Zukunft gerecht, wenn er Regionalisierungsmittel erhöht und mit einer Dynamisierung fortschreibt. – Das ist im Moment noch nicht der Fall. Aber wir schließen ja gemeinsam Verträge, damit wir sie einhalten. Wir wollen ja nicht, so wie Schwarz-Grün das in Hessen macht, reinschreiben: „Schieneninfrastrukturgesellschaft wollen wir“, dann schieben wir das neun Jahre vor uns her und erklären immer: Es geht nicht.

(Zuruf Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten))

Nein, wir in der Ampel in Berlin sagen: „Wir machen es“, und dann wird es auch kommen. Da bin ich sehr zuversichtlich. Ich war eben überrascht, dass der Minister klatschte, als ich dies in meiner vorherigen Rede sagte. Das passiert mir eher selten. Aber ich freue mich, dass wir

an dieser Stelle als Hessen gemeinsam in Berlin vorstellig werden und klarmachen wollen: Wir brauchen genau diesen Schritt des Bundes für den Ausbau des ÖPNV-Angebots. Dafür braucht es die Regionalisierungsmittel, deren Anstieg und deren jährliche Dynamisierung.

Für die Finanzierung des Tickets – das ist die zweite Baustelle – braucht es mindestens die 1,5 Milliarden € des Bundes plus – ich habe es eben gesagt – die ehrliche Kofinanzierung durch das Land. Ich bin sehr gespannt, wenn Sie sagen: „Das wollen wir, das ist auch die Linie der derzeitigen Landesregierung“, ob Sie uns das auch mit Ihrem Haushaltsentwurf zeigen werden. Zeigen Sie uns doch bitte, dass Sie es ehrlich meinen. Da wir schon jetzt wissen, dass es mindestens im Haushalt 2023 stehen muss, könnte das auch schon im Regierungsentwurf stehen. Daran würde man erkennen, dass Sie das ernst meinen, meine Damen und Herren.

Bei allen Rechenschiebereien des Ministers will ich noch einmal deutlich machen – denn wir haben heute einfach Zeit, über solche Mobilitätsfragen zu diskutieren –: Es ist und bleibt eine Tatsache, dass das Bundesland Hessen für die dauerhafte und verlässliche Finanzierung der Verbünde lediglich 3 % originäre Landesmittel zur Verfügung stellt. Alles andere stammt von uns, außer, Herr Minister, die Landesmittel immer wieder umzuetikettieren, obwohl sie den Kommunen sowieso zur Verfügung stehen, weil sie im KFA stehen. Die Corona-Hilfen sind von uns, und die Investitionen sind von uns.