Protokoll der Sitzung vom 22.09.2022

Auch die Landesregierung hat sich schon mit vielen Akteurinnen und Akteuren beraten. Sie wird das nächste Woche beim Sozialgipfel weiter so halten. Sie wird das vertiefen. Wir werden genau schauen, wie die Maßnahmen des Bundes wirken und wo möglicherweise Lücken entstehen, um ziel- und passgenau zu helfen.

Sie wissen das doch. Wir haben diese Diskussion schon öfter geführt. Die steigende Armutsquote treibt auch uns um. Wir schauen genau hin. Das Stichwort dazu lautet: Landessozialberichterstattung. Wir wollen bei den Ursachen gegensteuern. Wir haben in Hessen bereits ein breites Netz an Maßnahmen gespannt, um von Armut betroffenen Menschen zu helfen. Darauf greifen wir auch während dieser Krise zurück. Ich will nur zwei Punkte beispielhaft herausgreifen:

Erstens. Die Arbeitslosigkeit ist eine der Hauptursachen für Armut und die Bedrohung durch Armut. Sie kennen die Vielzahl der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, die wir ergriffen haben, um da zu helfen.

Zweitens. Wir werden die Lebensperspektive für die Kinder und Jugendlichen in diesem Land spürbar und dauerhaft verbessern. Wir setzen uns dafür ein, dass die Kindergrundsicherung weitgehend vorrangig vor den anderen Sozialleistungen greift, um die Kinder aus der verdeckten Armut herauszuholen und vor Armut zu schützen. Wir haben auch dafür eine Vielzahl an Programmen auf dem Weg.

Die Armutsbekämpfung ist eine der wichtigsten Aufgaben der Sozialpolitik. Sowohl die Bundesregierung als auch die Landesregierung nehmen diese Aufgabe aktiv an. Die Bundesregierung wird zum 1. Januar 2023 das Bürgergeld einführen. Dabei werden die Regelsätze deutlich steigen.

Wenn Hessen eigene Möglichkeiten zur Armutsbekämpfung hat, werden sie auch genutzt. Wir haben insbesondere die von der Energiekrise stark belasteten Gruppen im Blick. Sie kennen die Maßnahmen, die wir ergriffen haben, um Betroffene vor Versorgungssperren zu schützen. Dazu gibt es in Hessen schon seit Langem ein Projekt.

Statt die Spaltung herbeizureden und Konflikte zu schüren, beteiligen Sie sich doch einmal aktiv daran, die Gesellschaft zusammenzuhalten. Ich glaube, das ist die Aufgabe unserer Generation. – Vielen Dank.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Minister, vielen Dank. – Herr Kollege Schalauske, Sie hätten noch zwei Sekunden Redezeit. – Dann reden Sie doch lieber nicht.

Wir kommen dann zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE LINKE.

(Zurufe DIE LINKE: Er soll dem Sozial- und Inte- grationspolitischen Ausschuss überwiesen werden!)

Soll er dem Ausschuss überwiesen werden?

(Zuruf)

Ich darf einmal fragen. Bleiben Sie ganz friedlich. – Gut.

Ich rufe dann Tagesordnungspunkt 80 auf:

Antrag Aktuelle Stunde Fraktion der Freien Demokraten Volkskrankheit Endometriose endlich anerkennen – Hessen braucht eine Strategie! – Drucks. 20/9185 –

Es spricht die Kollegin Wiebke Knell. Wiebke, bitte.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich zitiere:

Meine Geschichte mit Endometriose musste wahrscheinlich schon mit der ersten Menstruation begonnen haben. Damals war ich 13 Jahre alt. Ich litt unter fürchterlichen Schmerzen, Übelkeit und Durchfall. Ich fiel oft in Ohnmacht, musste immer wieder von der Schule abgeholt werden.

Ich nahm es so, wie es war. Alle Gynäkologen waren sich einig, das wird nach der Schwangerschaft besser.

So schildert eine von Endometriose Betroffene ihre Erfahrungen mit der Krankheit als junges Mädchen.

Trotz aller Aufklärung gibt es heutzutage wahrscheinlich kaum ein größeres Tabu als das, über die Periode zu sprechen. Wir reden nicht über die Menstruation. Wir reden nicht über die Beschwerden, die Menstruierende monatlich

ertragen. Wir reden auch nicht über die damit verbundene Stigmatisierung und Diskriminierung.

Die Frauen sind die Benachteiligten in unserer Gesellschaft. Denn sie leiden an diesen Folgen. Die Folgen sind real.

Wir haben das Thema Endometriose zum Gegenstand einer Aktuellen Stunde gemacht. Denn am 29. September ist der Tag der Endometriose.

Jede zehnte Frau in Hessen leidet darunter. Endometriose bezeichnet gutartige Wucherungen, die sowohl in als auch außerhalb der Gebärmutter auftreten können. Oftmals verursachen sie große körperliche Schmerzen.

Die Leiterin der Beratungsstelle der Endometriose-Vereinigung Deutschland, Andrea Franke, nennt eindrückliche Zahlen. 51 % der Frauen mit Endometriose berichten von Problemen am Arbeitsplatz. Die Hälfte davon hat die Probleme wegen Fehlzeiten durch die Endometriose. 50 % der Betroffenen berichten auch von Problemen in der Partnerschaft. 10 % trennten sich infolgedessen auch von ihren Partnern.

Fast ein Drittel der Endometriosepatientinnen leidet an schweren bis moderaten Angststörungen. 16,7 % berichten von einer schweren bis moderaten Depression.

Wenn ich mit anderen über dieses Thema rede, gibt es zwei typische Reaktionen. Entweder fragt mein Gegenüber: Endo-was? – Endometriose kommt häufiger als Diabetes Typ 2 vor. Dennoch ist sie weniger bekannt.

Wenn man mit anderen über die Krankheit oder beispielsweise die Symptome spricht, berichten viele Frauen, dass sie entweder selbst von Endometriose betroffen sind oder in ihrem näheren Umfeld mehrere Frauen kennen, die daran leiden.

Obwohl 10 % aller Frauen an Endometriose leiden, wird dazu kaum geforscht. Es gibt zu wenige Behandlungsmöglichkeiten. Die Betroffenen leiden nicht nur unter den Beschwerden, sondern auch an dem fehlenden Bewusstsein für diese Krankheit in der Gesellschaft.

Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich die Arbeit der Verbände und der Forscher loben, die Pionierarbeit leisten. Oftmals sind sie die einzigen Ansprechpartner für die Betroffenen. Dazu zählen die Endometriose-Vereinigung Deutschland e. V., aber auch Ärzte wie Herr Prof. Tinneberg von der Universität in Gießen.

Ich hatte bereits Gelegenheit, mich sowohl mit Herrn Tinneberg als auch mit Vertreterinnen der Endometriose-Vereinigung Deutschland auszutauschen, um von ihnen zu lernen, wie wir die Betroffenen mit politischen Maßnahmen besser unterstützen können. Endometriose betrifft nämlich nicht nur jede zehnte Frau. Ein weiteres Problem ist, dass der Diagnosezeitraum im Durchschnitt mehr als sieben Jahre beträgt. Die Ursache der Erkrankung ist weiterhin unbekannt.

Dieses Unwissen betrifft z. B. auch Paare, die eine Schwangerschaft haben wollen. Auch wenn die Endometriose nicht automatisch zu Unfruchtbarkeit führt, kann sie das Schwangerwerden sehr erschweren. Bisher konnte nicht geklärt werden, woher die Verbindung zwischen Endometriose und Fertilitätsproblemen kommt.

Jetzt frage ich Sie: Was muss denn passieren? Wir Freie Demokraten fordern eine Strategie für Hessen.

Erstens brauchen wir mehr Geld zur Erforschung der Krankheit, insbesondere zu den Ursachen. Wir reden hier über Grundlagenforschung.

Zweitens sind bessere Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Aktuell können Betroffene nur zwischen der Einnahme von Schmerzmitteln, einer Hormonbehandlung oder einer operativen Behandlung wählen.

Drittens fordern wir, ein umfassendes Screening bei den Frauenärzten einzuführen. Wenn jede zehnte Frau davon betroffen ist, dann muss jede Frau auch automatisch untersucht werden.

(Beifall Freie Demokraten, vereinzelt SPD und Eli- sabeth Kula (DIE LINKE))

Viertens fordern wir eine flächendeckende Aufklärungskampagne. Das Thema Endometriose muss in der Ausbildung der Ärztinnen und Ärzte wie auch in den Sexualerziehungsplänen für die Schulen stärker verankert werden.

Mir ist das Thema Endometriose nicht nur wichtig, weil ich sehe, wie viele Frauen davon betroffen sind und daran leiden. Mir ist das Thema auch wichtig, weil ich die Tabuisierung des Themas Periode nicht länger akzeptiere.

(Beifall Freie Demokraten, vereinzelt SPD und Eli- sabeth Kula (DIE LINKE))

Deswegen fordere ich und fordern wir, die Freien Demokraten, die Landesregierung auf, endlich tätig zu werden und eine hessische Strategie hinsichtlich der Endometriose zu entwickeln und umzusetzen. – Danke schön.

(Beifall Freie Demokraten, vereinzelt SPD und Eli- sabeth Kula (DIE LINKE))

Frau Kollegin Knell, vielen Dank. – Jetzt spricht Frau Kollegin Nadine Gersberg von der SPD-Fraktion. Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt in Deutschland Krankheiten, die Millionen Menschen betreffen, von denen aber kaum jemand etwas weiß. Eine dieser Krankheiten ist die Endometriose.

Das Schlimme daran ist, dass nicht nur viele Menschen in der Gesellschaft wenig von dieser Krankheit wissen, sondern auch nur wenige Menschen im Gesundheitswesen davon wissen.

Frau Knell hat es schon angesprochen: Allein die Feststellung, dass jemand unter Endometriose leidet, kann Jahre dauern. Manchmal wird es gar nicht festgestellt. Da unterdrückt man lieber das komplette Hormonsystem einer Frau, indem man ihr die Pille verschreibt, oder man verschreibt ein paar Schmerzmittel.

Frau Knell hat ein Beispiel genannt. Ich möchte ein weiteres nennen. Das Beispiel ist Lara. Ich kenne sie persönlich. Sie hat ihre Periode mit elf Jahren bekommen. Sie hatte von Anfang an ganz extreme Schmerzen. Sie hatte Schmerzen, die regelmäßig bis zur Ohnmacht führten. Das hatte sie als elfjähriges Mädchen.

Ihre Mutter geht mit ihr zum Gynäkologen. Er sagt ihr, sie sei anscheinend eine sehr schmerzempfindliche Person,

und verschreibt ihr schwache Schmerzmittel, die natürlich nicht helfen: Sie fällt zwar nicht mehr in Ohnmacht, aber sie liegt immer noch fünf Tage schweißgebadet im Bett, sie kann nicht zur Schule gehen, sie kann kaum etwas essen, sie kann nicht am Basketballtraining teilnehmen, und sie verliert an Gewicht.