Protokoll der Sitzung vom 22.09.2022

Seit dem 15. Geburtstag sind monatliche Schmerzen und auch Menstruationsschmerzen ständiger Begleiter. Krämpfe, Magen-Darm-Infekte, Migräneattacken pünktlich zum Eisprung, Rückenschmerzen und ein geschwächtes Immunsystem sind Symptome der chronischen Schmerzerkrankung der Gebärmutter.

Immer wieder gibt es Krankenhauseinweisungen wegen ungeklärter Schmerzen und deutlich erhöhter Entzündungswerte. Alle Untersuchungen bleiben ohne Diagnose und damit ohne Therapie.

Die beiden ersten Schwangerschaften sind geprägt von monatelangen stationären klinischen Aufenthalten, weil beide Male eine Frühgeburt droht und jede Bewegung die Geburt provozieren könnte.

Die Geburten sind beide Male eine große Erleichterung und ein großes Glück. Doch sie machen auch stutzig; denn die gefürchteten Schmerzen einer natürlichen Geburt unterscheiden sich kein bisschen von den Schmerzen, die monatlich ertragen werden müssen. Die Geburten sind ein Spaziergang im Vergleich zu dem, was sonst regelmäßig erfahren wird.

Nach einer Fehlgeburt, einem weiteren unerfüllten Kinderwunsch kommt kurz vor dem 30. Geburtstag, also 15 Jahre später, endlich die Diagnose: schwere Endometriose. Plötzlich macht vieles Sinn. Plötzlich gibt es eine Erklärung für die jahrelange Odyssee. Aber die Optionen zur Behandlung lassen nicht viel Hoffnung auf Besserung.

Diese Geschichte ist meine eigene Geschichte, und sie deckt sich mit dem Leid so vieler anderer Frauen. Diese Geschichte ist meine Lebensgeschichte, und die Endometriose ist zu meinem ständigen Begleiter geworden.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt SPD und CDU)

Durchschnittlich braucht es etwa zehn Jahre, bis Frauen eine Diagnose erhalten. Durch die vielfältigen Symptome wird eine sichere Diagnostik oft erschwert. Die unheilbare chronische Schmerzerkrankung der Gebärmutter betrifft jede zehnte Frau. Die wenigsten wissen davon. Deswegen brauchen wir mehr Sensibilisierung und mehr Informationen für Betroffene und Weiterbildung für Medizinerinnen und Mediziner. Wir brauchen mehr Therapiemöglichkeiten.

Deswegen müssen wir lauter werden und dürfen Schmerzen und Leid und auch Menstruation nicht tabuisieren.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD und Freie Demokraten)

Aber vor allem möchte ich den vielen jungen Frauen von hier aus sagen: Regelmäßige Schmerzen, teilweise bis zur Bewusstlosigkeit, sind nicht normal. Schmerzen, die mehrere Tage im Monat zu Arbeitsunfähigkeit führen, sind nicht normal.

Aber vor allem möchte ich all diesen Frauen sagen: Man muss all das nicht im Stillen ertragen. Man kann sich Hilfe suchen und Hilfe bekommen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, DIE LINKE und Freie Demokraten)

Ich bin froh, dass wir in Hessen bereits die Forschung zur Endometriose verstärkt haben und dass wir an drei Standorten in Hessen Forschungsaktivitäten haben. Wir haben viele Kinderwunschzentren mit Expertise. Wir haben viele Gynäkologinnen und Gynäkologen mit hoher Expertise, und wir haben die Endometriose-Vereinigung, die ein wichtiger Ansprechpartner ist, mit Informationen und Kontakten. Und wir haben an einigen wenigen Stellen sogar schon Selbsthilfegruppen.

Aber wir wissen auch: Das allein reicht nicht, um mehr Frauen zu helfen und um Leid zu verringern. Es wird Zeit, dass Endometriose endlich als chronische Erkrankung anerkannt wird. Es wird Zeit, dass Kosten für die einzige Therapie, nämlich hormonelle Therapien, tatsächlich auch von den Krankenkassen übernommen werden. Es wird Zeit, dass die Beantragung eines Schwerbehindertenausweises für besonders schwere Erkrankungsbilder erleichtert wird. All das ist die Aufgabe des Bundesgesetzgebers, und das muss dringend angegangen werden.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Ich bin froh, dass wir heute hier in der Debatte sehen, dass es einen großen Konsens darüber gibt, dass wir auch in den Ländern etwas tun müssen, dass wir mehr Aufklärungsarbeit leisten müssen.

Das können wir im Lehrplan für die Sexualerziehung tun, aber das geht natürlich auch, indem wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber intensiv darüber aufklären, was es mit dieser Krankheit auf sich hat und welche Folgen das für jede einzelne Frau hat.

Ich möchte ganz eindeutig sagen, dass ich dieses Vorhaben unterstütze. Aber, ich möchte auch betonen, ich möchte

bundesweit Medizinerinnen und Mediziner hören, die wissen, was in dem Fall zu tun ist. Ich möchte Frauengesundheit und frauenspezifische Erkrankungen besser in den Blick nehmen. Dafür brauchen wir eine nationale Strategie und nicht einen Alleingang einzelner Länder.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und Rolf Kahnt (fraktionslos))

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss. – Ich wünsche mir mehr Frauen, die den Mut aufbringen, über ihr Leid zu sprechen. Und ich wünsche mir mehr Forschung für gendergerechte Medizin, damit diese Krankheit nicht im Verborgenen bleibt und die Frauen von uns nicht alleingelassen werden.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und Rolf Kahnt (fraktionslos))

Vielen Dank, Frau Abg. Anders. – Jetzt hat Frau Abg. Papst-Dippel, AfD-Fraktion, das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Den Aufreger vorweg: Den Begriff „Menschen mit Uterus“ finden wir hier deplatziert.

(Beifall AfD)

Diese Diskussion können wir ja woanders führen.

Jetzt zur Endometriose. Die Endometriose kann eine große Belastung für Frauen sein und bleibt oft lange Zeit unerkannt. Das haben wir jetzt schon mehrfach gehört, und damit ist auch schon das größte Problem adressiert. Die betroffenen Frauen finden wenig und zu spät Hilfe. Frau Kollegin Knell, Sie haben das sehr eindrücklich geschildert. Frau Anders hat das auch schon gemacht – danke dafür. Es scheint bislang auch keine gute Studienlage zu geben, wenn man die Ausführungen der EndometrioseVereinigung auf ihrer Homepage sichtet.

Leider gibt es zu den dort genannten Studien noch keine Ergebnisse. Einige Studien laufen derzeit noch. In diesem Zusammenhang finden wir die Umfrage zur Endometriose im Medizinstudium sehr interessant, und auf die Ergebnisse der Umfrage darf man gespannt sein.

Es gibt in Hessen 48 Kliniken, in denen Endometriose behandelt wird. Die Fallzahlen sind sehr unterschiedlich und zeigen auch noch einmal die Wichtigkeit einer wohnortnahen Versorgung im Bereich der Gynäkologie. Wie kommt es aber, dass Endometriosen so spät erkannt werden? An dieser Stelle sehen wir ein Problem darin, dass der Anfangsverdacht durch längere Gespräche erhärtet werden müsste und die sprechende Medizin zu gering vergütet wird. Das beinhaltet natürlich auch den interdisziplinären Austausch, das gilt für den Bereich der hausärztlichen Versorgung und der Gynäkologie, beides Anlaufstellen für oft unklare Beschwerden.

Die Kollegen von den Freien Demokraten fordern nun eine hessische Strategie und weitere Forschung sowie Aufklärung zur Endometriose. Dem Forderungskatalog der Endometriose-Vereinigung soll entsprochen werden. Wir können den Forderungen nach mehr Aufklärung und der Aufstockung der Mittel für die Forschung zustimmen. Ursachen müssen erforscht, und vor allen Dingen müssen Heilungswege gefunden werden.

Allerdings spricht sich die Endometriose-Vereinigung auch in einigen Punkten für die Umsetzung einer nationalen Strategie aus, zusätzlich auch für etliche Initiativen auf Landesebene – bis hin zur Festschreibung der Thematisierung in Lehrplänen. Im Unterricht an sich sollten unserer Meinung nach zunächst die Grundlagen für normale Funktionen rund um das Thema Menstruation zu einer Sensibilisierung bei den Mädchen führen. So könnten frühzeitige Arztbesuche hilfreich stattfinden. Bei Beschwerden darf natürlich niemals diskriminiert werden.

Die FDP fordert eine hessische Strategie Endometriose nach australischem und französischem Vorbild. In diesen Ländern gibt es jedoch nationale Strategien mit Umsetzung in der Fläche, in Medizin und Forschung. Diese Länder hatten ganz andere und schlechtere Voraussetzungen bei der Hilfe für betroffene Frauen. Das haben unsere Recherchen ergeben. Bevor wir aber eine hessische Strategie beschließen, würden wir gerne auf die Ergebnisse einiger der ausgelobten Studien und Umfragen warten wollen und besonders Medizinstudenten und die medizinische Forschung insgesamt hören.

(Beifall AfD)

Hier sind noch wertvolle Hinweise auf strategische Ansatzpunkte zu erwarten. Eine nationale Strategie würde ohnehin auf Landesebene umgesetzt wie in Australien und Frankreich.

Meine Damen und Herren, das Vorhandensein von Selbsthilfeorganisationen und die Schilderungen heute haben gezeigt, dass Handlungsbedarf besteht. Hier findet sich die Expertise von Betroffenen, und diese muss zwingend bei der Erarbeitung von Strategien abgerufen werden. Da wir in Hessen eine andere Ausgangssituation als in Frankreich und Australien haben – eine bessere nämlich – und noch wertvolle Informationen als Ansätze für mögliche Strategien fehlen, verweisen wir an dieser Stelle auf die Bundesebene, wo ja auch die FDP derzeit großen Einfluss hat.

(Heiterkeit Dr. Frank Grobe (AfD))

Wir sind allerdings dankbar, dass die Kollegen der Freien Demokraten das Thema in den Landtag eingebracht haben. Allein dadurch haben wir eine öffentliche Thematisierung, die vielleicht etwas bewirkt. – Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Papst-Dippel. – Jetzt kommt für die Landesregierung Staatsminister Kai Klose. Bitte sehr, Kai.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! An Endometriose leiden in Deutschland Millionen von Frauen. Nach

den Schätzungen des Robert Koch-Instituts sind etwa 10 bis 15 % aller Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter von Endometriose betroffen, und es treten jährlich 40.000 Neuerkrankungen auf. Dennoch – das haben Sie in der Debatte jetzt mehrfach völlig zu Recht gehört – handelt es sich um eine Krankheit, die trotz dieser weiten Verbreitung noch nicht tiefgreifend genug erforscht ist.

Medizinisch gesprochen, handelt es sich bei diesen sogenannten Endometrioseherden um Zellverbände, die sich außerhalb der Gebärmutterhöhle angesiedelt haben, obwohl sie der Gebärmutterschleimhaut sehr ähnlich sind. Daraus resultieren wiederum Beschwerden – Beschwerden, die teilweise sehr unterschiedliche Erscheinungsbilder auslösen. Sie haben heute hier auch sehr eindringliche Schilderungen dazu gehört. Ich will mich für diesen Mut zur Offenheit ausdrücklich bedanken.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, Freie Demokraten, vereinzelt DIE LINKE und Rolf Kahnt (fraktionslos))

Dieses heterogene Erscheinungsbild hat aber auch zur Folge, dass Endometriose oft lange nicht erkannt wird. Wir wissen über die Ursachen der Erkrankung noch viel zu wenig. Sie sind wissenschaftlich nicht hinreichend geklärt. Deshalb gibt es bislang leider auch keine gezielte Heilbehandlung. Der bisherige Kenntnisstand kann aber zumindest dazu beitragen, dass der Verlauf der Krankheit durch Medikamente zum Stillstand gebracht oder die Symptome gelindert werden können. In manchen Fällen ist aber auch eine Operation angezeigt.

In Ihrem Antrag vom März dieses Jahres, Frau Knell, haben Sie gefordert, die Landesregierung solle dem Forderungskatalog der Endometriose-Vereinigung Deutschland e. V. folgen. Die allermeisten dieser Forderungen richten sich eindeutig an die Bundespolitik. Das haben einige Vorrednerinnen auch schon gesagt. Das ist auch deshalb logisch und sinnvoll, weil Forderungen wie beispielsweise die Einführung eines jährlichen Vaginalultraschalls als zuzahlungsfreie Kassenleistung nur bundesrechtlich im einheitlichen Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung geregelt werden können. Das Gleiche gilt für die Kostenübernahme für komplementäre Behandlungsansätze, für bundesweite Forschungsprogramme oder auch für Aufklärungskampagnen.

Gerade weil Endometriose eine so heterogene Erkrankung ist, weil das die Entwicklung einer einheitlichen Therapie so schwierig macht, wird besonders deutlich, warum die weiterführende Forschung so wichtig ist. Wir arbeiten auch in Hessen bereits intensiv an diesem Thema. Es gibt an den universitätsmedizinischen Standorten zertifizierte Endometriosezentren. Die Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Universitätsklinikum Frankfurt verfügt über ein zertifiziertes Endometriosezentrum, ist international im Bereich der Endometriosetherapie und -forschung gut vernetzt und baut ein akademisch profiliertes klinisches Zentrum auf.

Die Frauenklinik des Universitätsklinikums Gießen-Marburg am Standort Gießen widmet sich bereits seit über zehn Jahren intensiv der Betreuung von Patientinnen mit Endometriose. In Gießen besteht mit dem klinisch-wissenschaftlichen Endometriosezentrum sogar ein Zentrum der höchsten Zertifizierungsstufe. Sie können daran sehen, dass Hessen in der Endometrioseforschung durchaus sehr

aktiv ist. Das soll uns niemals davon abhalten, noch besser werden zu wollen.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)