Protokoll der Sitzung vom 07.12.2022

Die hessische Polizei wird bedauerlicherweise immer wieder von Skandalen erschttert. Zu erinnern ist an die rechtsextremen Chats des SEK in Frankfurt, den rechtsextremen bzw. Mobbing-Chat im Polizeipräsidium Sdhessen sowie die aktuellen Vorwrfe im Polizeipräsidium Frankfurt, wo leider auch Vorgesetzte in entsprechende Geschehnisse mit eingebunden sein sollen. Ich sage aber an der Stelle deutlich: Der Fisch stinkt vom Kopf, meine Damen und Herren.

(Beifall SPD ± Jrgen Fr|mmrich (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Oh, oh, oh!)

Sie, Herr Innenminister, sind zumindest aus organisationstechnischer und organisationsstruktureller Hinsicht fr diese Vorkommnisse verantwortlich. Sie haben zwar eine Expertenkommission eingesetzt, recht spät eine neue Fehlerund Fhrungskultur angekndigt, aber das System muss nach unserer festen Überzeugung reformiert werden. Meine Damen und Herren, da muss man grundsätzlicher ansetzen.

(Beifall SPD)

In meiner Sicherheitstour durch unser Land gemeinsam mit meinen Kollegen aus der Landtagsfraktion habe ich oft von Polizeibeamtinnen und -beamten geh|rt, dass in den Beh|rden eine Absicherungsmentalität, eine Angstkultur herrscht. Es fehlt eine offene Struktur des Miteinanders, des Sich-auch-einmal-Fehler-Eingestehens, und es fehlt an einer entsprechenden Fhrungskultur, damit die Organisation Polizei noch besser arbeiten kann.

Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Viele Kolleginnen und Kollegen werden oder sind in diesem System, durch diese systemimmanenten Probleme krank geworden. Das mssen wir ernst nehmen. Unerträglich ist auch, dass die Disziplinarverfahren gegen beschuldigte Kolleginnen und Kollegen zum Teil ber 20 Monate dauern. Das ist weder zumutbar noch hinnehmbar. Und das macht auch viele Betroffene mrbe.

(Beifall SPD)

Fr diese Organisationsstrukturen tragen Sie die Verantwortung. Der Fisch stinkt vom Kopf, Herr Innenminister.

(Holger Bellino (CDU): Unerh|rt!)

Ich sage Ihnen: Wir brauchen fr die hessische Polizei endlich eine echte Fhrungs- und Fehlerkultur, die alle mitnimmt.

(Beifall SPD ± Jrgen Fr|mmrich (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Originell!)

± Weil Herr Fr|mmrich mal wieder dazwischengrätscht:

(Jrgen Fr|mmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich grätsche nicht! Es geht nicht mehr mit dem Grätschen!)

Wo bleibt denn eigentlich der viel angekndigte Polizeibeauftragte, der gerade zwischen Schwarz und Grn zerrieben wird? Er kommt nicht, dabei wäre ein unabhängiger Beauftragter dringender denn je.

(Zuruf SPD: Ja! ± Gegenruf Jrgen Fr|mmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ihr wolltet ihn doch gar nicht! Ihr habt ihn doch abgelehnt!)

In vielen Bereichen ist unsere Polizei chronisch berlastet. Ich nenne ein Beispiel aus der PD Waldeck-Frankenberg,

wo ein Kollege mir w|rtlich gesagt hat: Wir arbeiten am Limit. ± Das hängt zusammen mit der Organisation der Sondereinheiten, das ist unbestritten. Aber die binden enorm Personal, etwa wie die Kryptoverfahren, die BAO Fokus zur Bekämpfung der Kinderpornografie, dauernd neue Sondereinsatzlagen, die Zunahme des Internetbetrugs ± und dann oft nur das Dienstschieben mit Mindestwache. Zu den eigentlichen und originären Aufgaben, auch im präventiven Bereich, kommen viele Polizeibeamtinnen und -beamte gar nicht mehr. Das belastet die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, trbt die Stimmung und fhrt brigens auch zu hohen Krankenständen und vielen Überstunden, meine Damen und Herren.

(Beifall SPD)

Herr Innenminister, weil Sie dazwischengerufen haben

(Minister Peter Beuth: Ich habe doch gar nichts ge- rufen! Wir haben uns unterhalten!)

± ich habe Sie genau geh|rt ±: Ich habe von notwendigen Einsatzstrukturen gesprochen.

Zu den Überstunden. Ich will noch einmal eine Zahl nennen: Zum 31. März 2022 wiesen die Stundenkontingente der Beamtinnen und Beamten im Bereich der hessischen Polizei einen Gesamtstand von ber 3 Millionen Überstunden aus. Meine Damen und Herren, h|ren Sie sich diese Zahl einmal an. Das ist abenteuerlich. Auch da brauchen wir mehr Personal.

(Beifall SPD)

Die von Ihnen angekndigten und zum Teil administrierten Sicherheitspakete sind der richtige Schritt in die richtige Richtung, aber Sie vernachlässigen dabei, zu bedenken, dass vor etlichen Jahren viel Personal abgebaut worden ist und dass das vorhandene Personal nicht reicht. Bedenken Sie auch, dass es bei den Lehrgängen eine Abbrecherquote von 20 % gibt. Das hei‰t, diese Menschen werden gar keine Bediensteten und kommen somit gar nicht zur Polizei. Da msste man einmal fragen, woran die hohe Abbrecherquote liegt.

(Beifall SPD ± Minister Michael Boddenberg: Das ist berall so! ± Gegenruf Gnter Rudolph (SPD): Na ja, das ist auch eine Antwort!)

Auch bei dem sogenannten Lebensarbeitszeitkonto scheitern Sie, meine Damen und Herren, in der Praxis. Gut gemeint ist nicht gleich gut gedacht. Die Abarbeitung des Lebensarbeitszeitkontos erfolgt nämlich in der Regel so, dass die Kolleginnen und Kollegen bereits ein Jahr, bevor sie in die Pension eintreten, keinen Dienst mehr versehen und die Beh|rden, d. h. die anderen Kolleginnen und Kollegen, entsprechend mehr belastet sind. Ich sage Ihnen deutlich: Auch da muss praktisch nachgearbeitet und nachgebessert werden; denn das belastet viele Bedienstete und die Polizeibeh|rden.

Ein weiterer wichtiger Punkt: Warum finden Sie in dem an sich sehr attraktiven Polizeiberuf viele Kolleginnen und Kollegen nicht mehr? Wegen der von Ihnen zu verantwortenden miserablen und verfassungswidrigen Besoldung.

(Beifall SPD)

Der VGH hat Ihnen mit einem Glockenschlag und einem entsprechenden Richterspruch Folgendes ins Stammbuch geschrieben: Die Beamtenbesoldung in Hessen ist seit 2013 verfassungswidrig ausgestaltet.

(Jrgen Fr|mmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist ein Vorlagebeschluss zum Bundesverfassungsgericht, kein Urteil!)

Was haben Sie gemacht? ± Nichts. Jeder Brger muss sich an Recht und Gesetz halten, aber Sie haben erst einmal nichts getan. Sie kamen dann in den Sommerferien mit einer Pressekonferenz um die Ecke. In dieser Pressekonferenz haben der Ministerpräsident und der Innenminister versucht, uns die Welt zu erklären.

Sie haben au‰erdem Ihr Wort gebrochen. Sie hatten den Gewerkschaften und allen Beteiligten versprochen, dass sie eingebunden werden. Was kam stattdessen? ± Eine Ankndigungserklärung. Das, was Sie jetzt auf den Tisch gelegt haben, ist wirklich miserabel. Es erfllt mitnichten die Anforderungen, die der VGH formuliert hat, an die Besoldung. Das, was Sie jetzt auf den Tisch gelegt haben, ist erneut ein Schlag in das Gesicht der Beamtinnen und Beamten unseres Landes Hessen, die von Ihnen ohnehin ± ich will an die Nullrunde aus dem Jahre 2015 und an die Sparrunde aus dem Jahre 2016 erinnern ± zu Sparschweinen dieser Landesregierung gemacht wurden.

(Beifall SPD)

Ein letzter Punkt. Ich bin fr die heutige bundesweite Razzia dankbar, und ich bin der festen Überzeugung, dass unsere Sicherheitsbeh|rden im Kern ± trotz dieser Landesregierung ± funktionieren, und hoffe, dass der Rechtsstaat an der Stelle Flagge zeigt. Ich sage Ihnen aber deutlich: Der rechte Terror hat sich insbesondere in Hessen mit einer langen Spur an Taten gezeigt. Zu erinnern ist an den Mord an Halit Yozgat, den Mord an Dr. Walter Lbcke und an das Attentat von Hanau.

Dazu sage ich Ihnen: Der Verfassungsschutz ist leider, wie wir erst jngst im NSU-Untersuchungsausschuss wieder gesehen haben, auf dem rechten Auge blind. Wir mssen unsere Sicherheitsbeh|rden insgesamt und auch den Verfassungsschutz stärken. Wir brauchen eine Landesstiftung zur Erforschung des Rassismus, um noch besser gewappnet zu sein, um dem rechten Terror, dem rechten Netzwerk auf den Grund gehen zu k|nnen. Hier mssen wir noch stärker werden und unsere Demokratie mit entsprechenden Strukturen verteidigen.

(Beifall SPD)

Frau Abgeordnete, Sie mssen zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss. ± Dieser Innenminister, der sich brigens schon verabschiedet hat, und der Entwurf des Einzelplans 03 werden diesen Anforderungen nicht gerecht.

(Beifall SPD)

Vielen Dank. ± Als Nächster darf ich Frau Abg. Goldbach von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort erteilen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute Morgen in den Nachrichten ± Peter Beuth hat uns soeben darber informiert ± von einer der gr|‰ten Razzien gegen eine mutma‰liche terroristische Vereinigung in der Reichsbrgerszene geh|rt. Wir haben eben von Innenminister Peter Beuth auch geh|rt, dass diese Ermittlungen ganz wesentlich auf die Arbeit des hessischen Landesamts fr Verfassungsschutz zurckzufhren sind. Vor diesem Hintergrund stellt sich Heike Hofmann hierhin und behauptet, das hessische Landesamt fr Verfassungsschutz sei auf dem rechten Auge blind. Das ist unerh|rt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU ± Zuruf Heike Hofmann (Weiterstadt) (SPD))

Diese Organisation ÄReichsbrger³ ist brandgefährlich. Nach allem, was wir heute in den Medien lesen konnten, hat sie einen paramilitärischen Arm. Es gibt in ihr Leute, die frher Bundeswehrangeh|rige waren. Auch ehemalige NVA-Mitglieder und Leute mit militärischer Spezialausbildung geh|ren dieser Organisation an.

(Zuruf Torsten Felstehausen (DIE LINKE))

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, besonders muss uns besorgen ± das sage ich jetzt ohne jede Häme oder Genugtuung ±: Eines der Mitglieder dieser Vereinigung, eine Frau, die fr das Schattenkabinett vorgehen war, das unsere Regierung abl|sen sollte, ist die ehemalige AfDBundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann. Vor diesem Hintergrund braucht die AfD nie wieder zu behaupten, es gebe keine Verbindungen zur rechtsextremen Szene. Das ist hiermit widerlegt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und SPD ± Dr. Frank Grobe (AfD): Gilt die Unschuldsvermutung nicht mehr?)

Wir haben in Hessen in der letzten Legislaturperiode ± ich will einen etwas gr|‰eren Zeitraum betrachten ± Vorgänge erlebt, die wir nie fr m|glich gehalten hätten. Wir haben den Mord an Dr. Walter Lbcke erlebt, der hier Gegenstand eines Untersuchungsausschusses ist. Wir haben die rassistischen Morde in Hanau und rechtsextremistische Chats innerhalb der hessischen Polizei erlebt. Was macht eine Regierungskoalition in solchen Fällen? ± Sie reagieren darauf. Genau das hat diese Regierungskoalition getan. Gerade im Bereich Rechtsextremismus und Sicherheit besteht diese Reaktion aus einem Dreiklang: Stärkung der Strafverfolgungsbeh|rden, Repression, aber auch Prävention, Beratung und ± ganz wichtig ± Opferhilfe. Ich will auf einiges davon näher eingehen.

Innenminister Peter Beuth hat nach Bekanntwerden der rechtsextremistischen Chats die Expertinnen- und Expertenkommission ÄVerantwortung der Polizei in einer pluralistischen Gesellschaft³ eingesetzt. Die Kommission hat ± zusammen mit vielen Fachleuten aus der Polizei und Externen ± die hessische Polizei grndlich untersucht: ihre Strukturen, ihren Aufbau sowie die Ausbildungs- und Fortbildungsma‰nahmen. Die Kommission hat dann ein gro‰es Paket an Handlungsempfehlungen geschnrt. Diese Handlungsempfehlungen werden seit ihrer Bekanntgabe im Sommer 2021 konsequent umgesetzt.

Ich finde, eine ganz wichtige Ma‰nahme ist das, was als Allererstes erfolgt ist. Auch wir Parlamentarier wussten ja gar nicht, was in diesen Chats berhaupt verbreitet wurde.

Die Kommission aus Expertinnen und Experten hat bei der Ver|ffentlichung der Ergebnisse die Bilder und die Texte beschrieben. Das hat sie dann auch in Transparenzveranstaltungen gemacht. Es gab fr die Polizei Transparenzveranstaltungen, an denen jede Polizistin und jeder Polizist teilnehmen konnte. Dort wurde eine wissenschaftlich fundierte Einfhrung ber Rechtsextremismus und zur Bedeutung solcher Bilder und Texte gegeben, und dann wurden den Polizistinnen und Polizisten diese Bilder gezeigt. Das hatte den ungeheuer gro‰en Effekt, dass die Polizistinnen und Polizisten ± ich habe mit einigen gesprochen, die in diesen Veranstaltungen waren ± so entsetzt waren, dass sie sich sofort, ganz klar und ohne jeden Zweifel von diesen Inhalten und von den Kolleginnen und Kollegen, die diese Inhalte verbreitet haben, distanzieren konnten.

Es ist keine Frage, dass Extremisten im Staatsdienst nichts zu suchen haben. Neu und bundesweit einmalig ist, dass ± abgesehen von der konsequenten Anwendung des Strafund Disziplinarrechts und neben der gezielten Prävention ± das Thema Extremismusresilienz wissenschaftlich bearbeitet wird. Deshalb hat diese Regierungskoalition eine neue Forschungsstelle am Campus Mhlheim, der zur Hessischen Hochschule fr |ffentliches Management und Sicherheit geh|rt, geschaffen. Dort werden die Formen des Extremismus, die es im |ffentlichen Dienst gibt, untersucht. Es wird untersucht, wie sie erkannt werden k|nnen und wie Beschäftigte widerstandsfähiger, eben resilienter, gegen radikale Einstellungen gemacht werden k|nnen. Das ist ein guter und wichtiger Schritt im Kampf gegen rechtsextremistische Einstellungen innerhalb der Polizei und sonstiger Beh|rden.