Protokoll der Sitzung vom 25.05.2023

Der Klassiker: „Ich deute nach Berlin“, zieht nicht mehr; denn in Berlin regieren Sie mit, freudig mit uns, und Sie stellen die zuständige Ministerin. Sie können nicht anderswohin deuten; denn Sie tragen an dieser Stelle seit zehn Jahren Verantwortung – ich bin ein paar Tage länger hier –, und seit zehn Jahren diskutieren wir hier über den Fachkräftemangel.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Finanzminister stellt die Finanzen zur Verfügung!)

Ich habe den Minister gestern gefragt: Haben Sie Erkenntnisse, wie viele Fachkräfte in diesem Land fehlen? – Darauf antwortete der Minister: „Nö, das weiß ich nicht“. Dies sagte Ihr eigener Minister. Wie können Sie hier in den Raum stellen, dass Sie genug dafür machen, dass wir ausreichend Fachkräfte haben, wenn jeder Bürgermeister und jeder Träger in diesem Land sagen: „Es sind zu wenige“? Wie können Sie sich für „zu wenig“ hier auch noch loben? Ich verstehe Ihre Rede nicht, Herr Kollege Martin.

(Beifall Freie Demokraten – Felix Martin (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN): Das hat keiner gemacht! Erst die Zahlen durcheinanderwerfen und dann auch noch falsch zitieren!)

Ich sage einmal, zwei Drittel der Vorschläge, die DIE LINKE hier gemacht hat, sind für alle, die sich mit dem Thema beschäftigen, Allgemeingut, das hier längst umgesetzt sein müsste. Als Freier Demokrat sage ich nun zu einem Antrag der LINKEN: Das ist absolutes Allgemeingut, das in diesem Land aber nicht umgesetzt wird.

Ich habe Ihnen auf die Frage: „Was könnte man tun, wenn Fachkräfte kurzfristig fehlen?“, einen Vorschlag gemacht. Ich habe gesagt: Wenn Sie den Fachkräftekatalog schon erweitern, dann stellen Sie bitte sicher, dass Fachkräfte, bevor sie ohne jegliche pädagogische Vorbildung in eine Kita, in eine Gruppe gehen, erst einen Crashkurs machen, sodass sie ein Minimum an pädagogischer Bildung haben, bevor sie das tun. Das ist für die Erzieherinnen und Erzieher besser; das ist für denjenigen besser, der dort arbeitet; und es ist vor allem für unsere Kinder besser.

Aber warum öffnen Sie den Fachkraftschlüssel nicht nach oben? Warum machen Sie es für pädagogisch Gebildete aus anderen Bereichen nicht attraktiver, in diesem Bereich zu arbeiten? Warum öffnen Sie den Fachkraftschlüssel nicht nach oben?

Herr Abg. Rock, das sind zu viele „Warum“. Ihre Redezeit ist zu Ende.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich glaube, Herr Kollege Martin, ich habe Ihnen genügend Anregungen gegeben, um über Ihre Rede nachzudenken. Das wäre wirklich wichtig. – Vielen Dank.

(Beifall Freie Demokraten)

Vielen Dank, Herr Abg. Rock. – Für die Fraktion DIE LINKE hat jetzt die Fraktionsvorsitzende für 19 Sekunden das Wort.

(Elisabeth Kula (DIE LINKE): 19 Sekunden?)

Ja, ich dachte, Sie wollten noch vor der – –

(Elisabeth Kula (DIE LINKE): Alles gut! Also 19 Sekunden! – Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, wir sind in der Aktuellen Stunde!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Zunächst einmal: Ich finde es wirklich schade, dass die regierungstragenden Fraktionen nicht einmal eingestehen können, dass wir ein Problem haben.

(Felix Martin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das habe ich doch gesagt!)

Ich möchte gern, dass sich die Erzieherinnen und Erzieher in diesem Land diese Reden anschauen; und dann werden sie sich ihre Meinung schon bilden. Niemand hat etwas dagegen, dass Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten an Kitas arbeiten. Das ist gar kein Problem,

(Zurufe Freie Demokraten)

aber eben zusätzlich zu den Erzieherinnen und Erziehern, nicht statt der Erzieherinnen und Erzieher. Das ist doch der Punkt.

(Beifall DIE LINKE)

Frau Abg. Kula, 19 Sekunden sind schnell um.

Ich komme zum Schluss.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein, die 19 Sekunden sind um!)

Wenn sich die Arbeitsbedingungen nicht verbessern, dann gehen die Erzieherinnen und Erzieher weiterhin aus den Kitas. Das ist doch der Punkt. Wir haben die Erzieherinnen und Erzieher, aber sie gehen aus dem Beruf oder erst gar nicht rein. Von daher, Herr Martin, sind Ihre Argumente leider ebenfalls haltlos. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE – Jürgen Frömmrich (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN): Leider keine Ahnung!)

Jetzt hat Staatssekretärin Janz für die Landesregierung das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich gehe davon aus, dass wir nicht zum letzten Mal über das sehr wichtige Thema der frühkindlichen Bildung und der Kinderbetreuung reden werden. Von daher bemühe ich mich jetzt, meine Redezeit einzuhalten.

Kitas leisten in der heutigen Zeit eine herausragende Arbeit. Das ist aufgrund der heutigen Emotionalität hier deutlich geworden. Wir wissen alle, dass der bundesweite Fachkräftemangel im Übrigen nicht nur die sozialen Berufe betrifft, lieber Herr Rock, sondern auch die pädagogischen Berufe, die sozusagen noch eine höhere Qualifikation haben, wie z. B. die Lehrerinnen und Lehrer, usw. Diese fehlen im Bereich der Kinderbetreuung, und deswegen stehen wir im Bereich der Fachkräfte vor großen Herausforderungen.

Deshalb kommt es nicht nur darauf an, die Arbeitsbedingungen der Fachkräfte zu verbessern und Eltern zu unterstützen, und damit Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren, damit dem Fachkräftemangel auch in anderen Bereichen abgeholfen werden kann, sondern es kommt vor allem darauf an, eine qualitativ hochwertige Kinderbetreuung für alle Kinder im Blick zu behalten und zu gewährleisten.

Es ist eben schon deutlich geworden, dass wir in den letzten Jahren viele Familien und Fachkräfte, auch bedingt durch die Corona-Schutzmaßnahmen, vor große Herausforderungen gestellt haben. Deswegen ist das Land aktiv geworden. Liebe Frau Stang, ich kann Ihre Einrede verstehen, ich war selbst lange Jugenddezernentin in der wunderschönen Stadt Kassel. Ich kann aber auch sagen: Wir haben vor Ort als kommunale Aufgabe – die Gemeinschaftsaufgabe ist in der Rede von Herrn Martin deutlich geworden – sehr viel dafür getan, in den Kitas eine hohe Motivation bei Erzieherinnen und Erziehern möglich zu machen. Wir haben unsere eigenen Aufgaben an dieser Stelle kommunal erfüllt. Auch haben wir natürlich darauf gesetzt, dass uns das Land, wie übrigens auch der Bund, mit Investitionsmitteln und mit vernünftigen Vorgaben unterstützt und hilft.

Das haben wir jetzt mit der Änderung des HKJGB deutlich gemacht, indem wir mithilfe der Bundesmittel, Gute-KitaGesetz, und jetzt auch mit dem Kita-Qualitätsgesetz zur Qualitätsverbesserung in Hessen höhere Mindeststandards umgesetzt haben. Wir geben den Trägern aber auch die Möglichkeit, diese Qualitätssteigerung um zwei Jahre auszusetzen. Sie können sie erfüllen, wenn sie das notwendige Personal haben; und wir geben ihnen mehr Zeit, um das im Bereich der Kitas, sowohl im baulichen, im quantitativen, als auch im qualitativen Bereich, ein Stückchen zu ziehen.

Deswegen war der Gesetzentwurf zur Öffnung des Fachkräftekatalogs der richtige Schritt, den wir im Übrigen mit allen Beteiligten erörtert haben und der seit Langem eine Forderung ist, nicht nur der kommunalen Ebene, sondern auch vieler Trägerverbände.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – René Rock (Freie Demokraten): Pädagogische Fachkräfte?)

Wir hoffen, dass wir mit diesem Schritt die Familien, die natürlich auf gute Plätze warten, spürbar entlasten.

Meine Damen und Herren, Qualität in der Kindertagesbetreuung ist insbesondere dann zu erreichen, wenn die hierfür getroffenen Maßnahmen in der Praxis als Verbesserungen und Erleichterungen wahrgenommen werden. Deswegen haben wir diesen Dialogprozess mit den Interessenverbänden der Kindertagesbetreuung in Hessen, im Übrigen auch mit den Interessenverbänden der Kindertagespflege, einschließlich der Kommunalen Spitzenverbände, den Gewerkschaften, den Interessenvertretungen der Fachkräfte sowie mit den Eltern geführt. Wir werden die gesetzlichen Änderungsvorschläge sowie weitere unterstützende Begleitmaßnahmen wie z. B. die Entlastung durch Hauswirtschafts- und Verwaltungskräfte nicht nur mit ihnen besprechen, sondern in den nächsten Monaten umsetzen, damit wir gemeinsam weiterarbeiten können.

Ich will noch einmal deutlich machen, wo wir uns als Land in vielfältiger Weise bei der Gewinnung und Bindung von Fachkräften engagieren. Die praxisintegrierte vergütete Ausbildung ist ein richtiger Gewinn. Sie bringt im Übrigen auch junge Männer in die Kindertagesstätte. Das

ist auch eine Forderung, dass wir sozusagen der Feminisierung der pädagogischen Arbeit ein Stückchen entgegenwirken. Und wir haben mit dem bundesweit beachteten Landesprogramm „Fachkräfteoffensive Erzieherinnen und Erzieher“ bisher 1.800 Ausbildungsplätze gefördert. Das hat dazu geführt, dass rund 6 % mehr Erzieherinnen und Erzieher in den Fachschulen für Sozialwesen angekommen sind, im Übrigen kostenlos. Nur die privaten Fachschulen – das muss man hier deutlich sagen – nehmen Schulgeld; wir haben auch in den anderen Bereichen genügend Plätze. Es ist nicht notwendig, dies zu machen.

(Zuruf Lisa Gnadl (SPD))

Deswegen muss man – liebe Frau Gnadl – die Kirche im Dorf lassen.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Ausbildung ist an dieser Stelle kostenlos und wird in einem dualisierten System bezahlt. Wir haben in den letzten Jahren 1.400 zusätzliche PivA-Plätze auf den Weg gebracht, wobei das Land weitere 52,4 Millionen € im Bereich der Fachkräftegewinnung investiert.

Frau Staatssekretärin Janz, ich darf Sie kurz an die vereinbarte Redezeit erinnern.

Danke schön. – Wir begleiten diesen Prozess; und ich bin zuversichtlich, dass wir allen Akteurinnen und Akteuren in der Kinderbetreuung helfen werden, die Herausforderungen der kommenden Jahre mit unseren Lösungen, die pragmatisch und zukunftsweisend sein müssen, bewältigen zu können, und dass wir den Bereich der Kinderbetreuung in eine gute Zukunft entlassen werden. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin Janz. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Damit ist die Aktuelle Stunde der Fraktion DIE LINKE abgehalten, und wir stimmen über den Dringlichen Antrag der Fraktion DIE LINKE, Drucks. 20/11116, ab.

(Elisabeth Kula (DIE LINKE): In den Ausschuss! Das hatte ich auch schon in meiner Rede gesagt, aber vielleicht war ich nicht deutlich genug!)

Alles klar, das machen wir. – Wir überweisen den Antrag an den Sozialpolitischen Ausschuss.

Dann kommen wir zu Tagesordnungspunkt 78:

Antrag Aktuelle Stunde Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hessen ist lebenswert! Unabhängig erstellter Regionaler Wohlfahrtsindex fällt positiv aus – Drucks. 20/11109 –

Als Erste hat die Abg. Kinkel das Wort.