Protokoll der Sitzung vom 09.12.2020

Hier würde ich mir wünschen, dass wir einerseits den gesunden Menschenverstand, aber auch die goldene Regel der praktischen Ethik anwenden, hier im negativen Sinne: Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu. – Denn wer von uns möchte in der Öffentlichkeit auf Schritt und Tritt gefilmt werden? Wer von uns möchte zu viele Daten preisgeben, um eine Sache zu erhalten oder ein Geschäft zu erledigen? Da müssen wir nicht einmal über die DSGVO und die Datensparsamkeit reden. Wie gesagt, es sollte einem schon der gesunde Menschenverstand sagen.

Neben den jetzt genannten Fällen leben wir – ich habe es am Anfang schon in Bezug auf die Feier gesagt – in besonderen Zeiten, in der Corona-Krise. Auch wenn der Berichtszeitraum diese eigentlich nicht umfasst, will ich trotzdem darauf eingehen. Sätze wie „Corona zeigt wie unter einem Brennglas die Versäumnisse der Digitalisierung“ oder „Corona hat die Digitalisierung in Deutschland beschleunigt“ haben wir in den letzten Monaten zuhauf gehört, wenn ich richtig mitgezählt habe, allein gestern schon dreimal von drei verschiedenen Rednerinnen oder Rednern.

Wenn wir über Digitalisierung reden, kommen wir zwangsläufig über kurz oder lang zum Thema Datenschutz. Die Debatte wurde am intensivsten in den letzten Wochen und Monaten in Bezug auf die Corona-Warn-App geführt. Sie sei, so konnte man in den letzten Wochen verstärkt in der

Öffentlichkeit hören, quasi wirkungslos, und das liege natürlich am Datenschutz. Er behindere wieder alles. Prof. Ulrich Kelber, der Bundesdatenschutzbeauftragte, hat es in der letzten Woche bei Twitter recht süffisant kommentiert. Mir fällt dazu eine alte Redensart ein, die ich etwas ergänzen möchte: Wenn man nicht mehr weiterweiß, gründet man einen Arbeitskreis oder führt den Datenschutzverweis.

Ein wirklich valides Argument, wo weniger Datenschutz bei der Corona-Warn-App helfen würde, konnte bisher noch niemand vorbringen. Dabei sind es gerade die Punkte Freiwilligkeit und Datenschutz, die dafür sorgen, dass wir im Ländervergleich eine sehr hohe Installationszahl dieser Corona-Warn-App haben.

Es ist natürlich auch so – das gebe ich zu –: Es gibt Möglichkeiten, die App zu verbessern. Zwei Beispiele sind die Integration einer automatischen Clustererkennung und das Führen eines Kontaktdatenbuchs. Man hat es erkannt, und man will sie verbessern. Aber ich hoffe sehr, dass wir die heilige Kuh Datenschutz, wie das auch genannt wird, dafür nicht schlachten müssen.

Bevor ich zum Ende komme, noch ein Kommentar zu Frau Gersberg. Wir sitzen im selben Ausschuss. Es gibt nur einen Ausschuss für Digitales und Datenschutz. Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie da in jeder Sitzung gefragt hätten, wann der Datenschutzbeauftragte neu gewählt wird. Das möchte ich hier richtigstellen.

(Zuruf Nadine Gersberg (SPD))

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt komme ich zum Ende. Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Ronellenfitsch, ich hatte Ihnen am Anfang für die in den beiden Tätigkeitsberichten dargestellte Arbeit gedankt. Zum Abschluss meiner Rede möchte ich Ihnen, auch wenn Sie noch bis zum 28.02. im Amt sind, für die gesamte Arbeit danken. Wenn ich richtig gezählt habe, waren es 16 Tätigkeitsberichte zum Datenschutz und zwei Berichte zur Informationsfreiheit, die Sie als Hessischer Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit eingebracht haben. Vielen Dank dafür. Sie bleiben, wie gesagt, noch bis zum 28.02. im Amt. Bis dahin weiterhin alles Gute. Ich hoffe, Sie sind weiterhin noch so fleißig wie bisher. – Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt CDU und DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Kollege Leveringhaus. – Der nächste Redner ist Herr Abg. Lichert für die Fraktion der AfD.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Prof. Ronellenfitsch, es ist gar nicht möglich, in der Kürze der Zeit Ihre Tätigkeit angemessen zu würdigen. Deswegen möchte ich es gar nicht erst versuchen. Aber unser Dank und unsere Anerkennung sind Ihnen selbstverständlich sicher.

(Beifall AfD)

Ich konzentriere mich lieber auf die Themen, wo besonders auch wir als Legislative im Hohen Haus gefordert sind: die Datenschützer und Informationsfreiheitsbeauftragten stärker zu unterstützen als in der Vergangenheit. Ihre Aufgabe

als HBDI ist es, zu kontrollieren, ob Datenschutzrecht und Informationsfreiheit, also die einschlägigen Gesetze und Verordnungen, richtig und korrekt angewandt werden. Es ist jedoch nicht Ihre Aufgabe, das Datenschutzrecht zu schaffen. Das ist Aufgabe der Legislative, also unsere, wohl wissend, dass natürlich der hessische Aktionsradius sehr begrenzt ist. Dennoch müssen wir uns fragen, ob dieser Rechtsrahmen richtig gesetzt ist. Aber die entscheidenden Weichenstellungen erfolgen auf Bundes- und auf EUEbene.

Apropos EU. Im vergangenen September hat die EU-Kommission die digitale Dekade ausgerufen: Big Data, künstliche Intelligenz, Telemedizin. Es fehlt in diesem BuzzwordBingo kaum eine Modevokabel. Die andere Bingo-Variante mit dem weniger parlamentarischen Vokabular schenke ich mir an dieser Stelle.

Meine Damen und Herren, hoffen wir, dass es an dieser Stelle ein etwas weniger peinlicher Flop wird als die Lissabon-Strategie, die im Jahre 2000, damals auf dem Höhepunkt des Internetbooms, ebenfalls als Zehnjahresplan für die Entwicklung der EU ausgegeben wurde. Die EU sollte bis zum Jahre 2010 zum wettbewerbsfähigsten, dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt gemacht werden. – Wir erinnern uns: Im besagten Jahre 2010 steckten die EU und vor allem die Eurozone in ihrer bis dato größten Krise, der Euro-Schuldenkrise. Was macht uns glauben, dass es dieses Mal besser laufen wird?

Warum erwähne ich das hier? Ganz einfach, weil heute die Buzzwords andere sind. Aber inhaltlich geht es immer noch darum, die viel besungene Digitalisierung zu gestalten. Aber bei der Digitalisierung liegen Utopie und Dystopie so nahe beieinander wie in keinem anderen Politikfeld.

(Beifall AfD)

Genau aus diesem Zusammenhang speist sich die Bedeutung von Datenschutz und Informationsfreiheit und der entsprechenden Beauftragten. Wie so viele Grundrechte war auch das Hessische Datenschutzgesetz von 1970 – es ist hier schon mehrfach erwähnt worden – vor allem ein Abwehrrecht gegen einen übergriffigen Staat, dem bis dahin unbekannte technische Mittel zur Verfügung gestellt wurden. Das Spannungsfeld bestand also zwischen Staat und Bürgern. Heute sind viele geneigt, dieses Spannungsfeld eher zwischen den Bürgern – oder sollte man besser „Usern“ sagen? – und den großen Internetplattformen zu vermuten. Herr Honka hat ebenfalls in diese Richtung argumentiert. Das mag in einer Zeit, in der diese Internetplattformen mehr Umsatz machen, als viele Länder Bruttoinlandsprodukt haben, plausibel sein.

Aber schauen wir einmal auf das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Es geht hier um die Gefahr einer staatlichen Instrumentalisierung dieser Plattformen. Die Methodik des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes führt dazu, dass die Plattformen starken Anreizen unterliegen, lieber einmal zu oft als einmal zu wenig zu löschen. Sie zensieren de facto. Das Totschlagargument lautet, dass Hass und Hetze und vor allem Gewaltaufrufe verhindert werden sollen.

Meine Damen und Herren, ich würde es mir wünschen, wenn das effektiv passieren würde. Mir fehlen jedoch die Belege, und das liegt sicherlich nicht nur, aber auch an der politischen Schlagseite dieser Zensurpolitik.

(Beifall AfD)

Zu befürchten ist vielmehr eine gefährliche Symbiose aus staatlicher Überwachung und privater Kommerzialisierung unserer Daten und Kommunikationsströme.

Meine Damen und Herren, niemand hat die Absicht, die Verschlüsselung privater Kommunikation zu untergraben, aber – – So könnte man leicht überspitzt den Stand der Debatte zusammenfassen. Deutschland und die EU versuchen die Quadratur des Kreises. Ende-zu-Ende-Verschlüsselung soll weiter möglich sein, aber gleichzeitig sollen Strafverfolgungsbehörden Zugriff erhalten. Wie das gehen soll, ist offen.

Aber auch heute ist es wieder so, dass dem Staat neue technische Mittel in die Hand gegeben sind. Wir als Gesetzgeber müssen Sorge tragen, dass sie nicht gegen die Bürger missbraucht werden.

(Beifall AfD)

In Zeiten, in denen der Inlandsgeheimdienst, der sogenannte Verfassungsschutz, gegen die größte Oppositionspartei im Bundestag eingesetzt wird und demonstrierende Bürger ebenfalls vom Verfassungsschutz beobachtet werden sollen, sind das keine theoretischen Risiken.

(Zuruf Holger Bellino (CDU))

Das Spannungsfeld besteht heute wie vor 50 Jahren zwischen Staat und Bürgern. Deswegen heißt es ausnahmsweise einmal zu Recht: Wehret den Anfängen. – Danke schön.

(Beifall AfD – Tobias Eckert (SPD): Wann hat das denn nicht gegolten?)

Vielen Dank, Herr Lichert. – Der nächste Redner ist Herr Abg. Felstehausen für die Fraktion DIE LINKE.

Ich mache es diesmal andersherum: Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Ronellenfitsch, sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Heute haben Sie dem Hessischen Landtag den 48. Tätigkeitsbericht zum Thema Datenschutz und Informationsfreiheit vorgelegt, und dafür möchten wir Ihnen als Fraktion DIE LINKE ganz ausdrücklich danken. Sie haben in diesem Bericht wieder wichtige Hinweise für das gesetzgeberische Handeln gegeben, auf Sicherheitslücken in der Verarbeitung von personenbezogenen Daten hingewiesen und die Grenzen des staatlichen Handelns bei Videoüberwachung aufgezeigt. All das haben wir im Digitalisierungs- und Datenschutzausschuss ausführlich diskutiert. Deshalb will ich hier nicht auf so viele Aspekte eingehen, weil ich glaube: Heute ist ein besonderer Tag. Es ist der letzte Bericht, den Sie als Person heute vorlegen. Deshalb möchte ich mich darauf konzentrieren.

Seit dem 18. September 2003 waren Sie das Gesicht, die Stimme dieser so wichtigen Institution. 6.292 Tage standen Sie dem vor, und keiner Ihrer Vorgänger war so lange im Amt wie Sie. Um einmal deutlich zu machen, was in dieser Zeit passiert ist: Sie sind 2003 in dieses Amt gekommen, aber erst am 1. Januar 2007 hat Steven Jobs die Bühne betreten, hat von „One more thing“ gesprochen und holte das iPhone 1 aus der Tasche. Das ist heute nicht mehr wegzudenken, aber da waren Sie schon drei Jahre im Amt, Herr

Prof. Dr. Ronellenfitsch. Das zeigt, welch lange Zeitspanne Sie den Datenschutz begleitet haben.

Wir bedauern außerordentlich, dass wir Corona-bedingt nicht mit Ihnen den 50. Geburtstag des weltweit ersten Datenschutzgesetzes feiern konnten. Dieses Gesetz, aber natürlich auch Sie und Ihre Arbeit und die Arbeit Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten es sicherlich mehr als verdient gehabt. Ich hoffe darauf, dass wir eine Gelegenheit haben, den Geburtstag nachzufeiern. Im nächsten Jahr werden so viele Menschen ihren Geburtstag nachfeiern. Dann werden wir auch einen Platz für den Geburtstag des Gesetzes und die Würdigung Ihrer Arbeit finden.

(Beifall DIE LINKE)

1970 formulierte der Hessische Landtag die ersten gesetzlichen Anforderungen an die Verarbeitung personenbezogener Daten überhaupt. Das Hessische Datenschutzgesetz stellte damit die Weichen für jede weitere Diskussion des Datenschutzes innerhalb und außerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Letztlich ist dieses Gesetz, vor allem mit seiner Auffassung über die Persönlichkeitsrechte, der Grundstein für die Datenschutz-Grundverordnung, mit der wir uns in den letzten drei Jahren so intensiv beschäftigt haben. Die Idee dafür ist aber schon 50 Jahre vorher gelegt worden.

Um hier mit einem Vorurteil aufzuräumen: Sie, Herr Prof. Dr. Ronellenfitsch, haben niemals Daten geschützt. Das war auch nie Ihr Antrieb. Was Sie geschützt haben, das waren die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen. Denn das ist der eigentliche Wesensgehalt des sogenannten Datenschutzes.

Um den Auftrag deutlich zu machen, habe ich geschaut, was das Bundesverfassungsgericht 1983 in seinem Volkszählungsurteil deutlich gemacht hat, als es den Schutz personenbezogener Daten zum Grundrecht erhoben hat und Ihr Amt und natürlich Sie in Person als Amtsinhaber zum Grundrechtswächter erhoben hat. Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt:

Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen.

Dann führt das Bundesverfassungsgericht aus:

Hieraus folgt: Freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus.

Jetzt muss man überlegen: Das war 1983. Was hat sich in der Zeit getan? Wie hat sich Technik weiterentwickelt? Zu dem Zeitpunkt hat noch niemand davon gesprochen, dass es irgendwann künstliche Intelligenz, Big Data oder Silostrukturen in großen Datenbanken geben wird.

Sie haben es vorweggenommen, und Ihre Aufgabe war – Sie sind ihr immer nachgekommen –, dies zu beachten und Hinweise darauf zu geben, wo wir die persönlichen Frei

heitsrechte möglicherweise einschränken. Diesem Leitgedanken waren Sie immer verpflichtet, und Sie haben maßgeblich dazu beigetragen, diese Idee unter den sich rasant ändernden technischen Bedingungen weiterzuentwickeln, immer wieder anzupassen und – ja, das war auch ein Teil Ihrer Aufgabe – sie immer wieder neu zu interpretieren, weil die Zeit und die Technik nicht stehen bleiben. Dafür, sehr geehrter Herr Prof. Dr. Ronellenfitsch, gebühren Ihnen unser Dank, unser Respekt und, auch wenn wir häufig in Detailfragen nicht einer Meinung waren, unsere Anerkennung für Ihre Arbeit.

(Beifall DIE LINKE)

Ich bin der letzte Redner der Fraktionen. Deshalb möchte ich auf eine Sache eingehen, die uns neben Ihrer fachlichen Expertise sicherlich hängen bleiben wird: die Art und Weise, wie Sie Ihre Berichte häufig vorgetragen haben. Ich hatte nur zweimal den Genuss, das live zu erleben, aber ich habe mir die früheren Reden durchgelesen.

Ich habe versucht, Songtexte zu googeln. Aber ich muss gestehen: Mein Musikwissen reicht nicht annähernd an das Ihre heran. So blieb ich dann bei Roger Whittaker hängen: „Abschied ist ein scharfes Schwert“. Aber das ist weder Ihre Musik noch Ihr Stil, und das ist gut so.

Herr Kollege, hätte ich gewusst, dass Sie Roger Whittaker anführen, hätte ich die Redezeit schon früher angemahnt; denn die haben Sie mittlerweile locker erreicht.

(Heiterkeit und Beifall)