Protokoll der Sitzung vom 09.12.2020

Seit Jahren diskutieren wir über den Lehrkräftemangel. In der Corona-Krise – auch das ist zum Ausdruck gekommen – kommt dieser besonders zum Vorschein; denn Lehrkräfte, die zur Risikogruppe gehören und deshalb zu Hause bleiben müssen, ließen den Bedarf deutlich erkennen. Jetzt haben wir gewisse Zahlen gehört; und es scheint, dass der Bedarf abgefedert werden soll. Immerhin stellt die Landesregierung 100 Millionen € – Herr Kollege Schwarz hat es ausgeführt – für VSS- und TV-H-Kräfte zur Verfügung. Das ist auch gut so. Das will ich gar nicht kritisieren. Von den Mitteln sind bisher 6 Millionen € abgerufen worden. Jetzt kann man natürlich die Frage stellen, warum dies so ist. Herr Kollege Schwarz hat ein Erklärungsmodell geliefert; und auch ich stelle eine kühne These auf. Ich glaube, es ist schlicht und ergreifend sehr schwierig, vor Ort die passenden Fachkräfte zu finden. Tatsache ist, einfach die Mittel zur Verfügung zu stellen, reicht nicht aus.

(Beifall Freie Demokraten)

Stärkung der Bildungssprache Deutsch, Ausbau des Ganztags, Stärkung der Sozialarbeit und Inklusion bei gleichzeitigem massivem Lehrkräftemangel – also auch in diesem Jahr lautet das Motto des Kultusministers: Hauptsache, die Überschrift im Haushaltsplan stimmt.

(Beifall Freie Demokraten)

Meine Damen und Herren, ich will noch einen zweiten wichtigen Aspekt im Hinblick auf den Haushalt ansprechen. Ich werde dies ebenfalls mit einem Zitat einleiten:

Wir haben ein umfangreiches Maßnahmenpaket vorgeschlagen, von der Ausstattung der Schülerinnen und Schüler sowie der Lehrkräfte mit Tablets über die Bereitstellung sonstiger digitaler Unterrichtsmedien, die Qualifizierung der Lehrkräfte als grundlegende Aufgabe, über die Notwendigkeit der technischen Betreuung der Infrastruktur usw.

Wer hat dies wohl bei den Haushaltungsberatungen 2018 gesagt? Es war nicht der Kultusminister, nein, weit gefehlt, es war der Freie Demokrat Wolfgang Greilich.

(Beifall Freie Demokraten)

Seit Beginn der Krise hat der Kultusminister immer wieder gesagt, das mit dem digitalen Lernen habe keiner kommen sehen. – Das ist falsch. Richtig ist vielmehr: Wir, die Freien Demokraten, haben schon vor Jahren angemahnt, dass Sie von der Bremse gehen müssen. Wir haben schon vor Jahren gesagt, dass Sie die Fahne ausnahmsweise einmal nach vorne und nicht nach hinten tragen sollen. Aber Fakt ist auch: Seit Jahren ist in diesem Bereich viel zu wenig passiert.

(Beifall Freie Demokraten)

Jetzt ist klar, Sie verweisen in Bezug auf die Endgeräte und den Support ganz stolz auf den Bund, dessen Mittel Sie ein bisschen aufgestockt haben. Herr Kollege Schwarz, bei den 25 % gehört zur Wahrheit auch dazu, dass 12,5 % der Schulträger zu tragen hat. Insofern macht sich das Land schon einen schmalen Fuß.

(Beifall Freie Demokraten und SPD – Zuruf Holger Bellino (CDU): Bei diesem Etat macht sich das Land „einen schmalen Fuß“?)

Ja, in der Tat. Der Bund hat Sie per Verwaltungsvereinbarung ohnehin verpflichtet, 10 % dazuzugeben. Sie haben schlicht und ergreifend nur 2,5 % draufgepackt.

(Daniel May (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist falsch! Es gibt auch Länder, die gar nichts dazugeben!)

Sie hätten das alles schon viel früher haben können, dann würden wir heute auch besser dastehen.

(Beifall Freie Demokraten und vereinzelt SPD – Zu- rufe)

Das will ich jetzt am Beispiel des Digitalpakts verdeutlichen. Da wurde in der kursorischen Lesung gesagt, dass 2021 genutzt werden solle, um Anträge zu stellen. Ich erinnere gerne noch einmal daran: Das war nicht die ursprüngliche Idee des Digitalpakts, meine Damen und Herren. Die Höhe der Mittel, die bereits abgerufen wurden, ist verschwindend gering. Die Höhe der Mittel, die bereits ausgezahlt wurden, ist noch geringer. Laut einem Bericht aus dem Deutschen Bundestag waren von den für Hessen vorgesehenen Mitteln Mitte des Jahres gerade einmal 104.000 € abgeflossen. – So viel zum Digitalpakt.

(Beifall Oliver Stirböck (Freie Demokraten))

Das in einer Zeit, in der Schulen das digitale Lernen so massiv ausbauen müssen und so viel damit arbeiten müssen wie nie zuvor.

Fragen Sie doch einmal die Schulen, woran das krankt, warum die Mittel nicht abfließen. Es kann doch nicht sein, dass Sie sich einfach aus der Affäre ziehen. Meine Damen und Herren, die Fragen sind doch offensichtlich: Sind die Schulleitungen wegen der Mehraufgaben belastet? Ist es der bürokratische Aufwand? Sind die Schulträger etwa der Flaschenhals, und wenn ja, warum? – Das sind doch die Fragen, die Sie beantworten müssen, Herr Kultusminister. Statt die Augen davor zu verschließen, wäre es richtig, hier entsprechend nachzugehen; sonst, habe ich die Befürchtung, gehen wir schnellen Schrittes in das nächste Jahr, und die Mittel werden weiterhin nicht abgerufen.

(Beifall Freie Demokraten)

Insgesamt finden sich im Bereich Digitalisierung im Einzelplan 04 natürlich auch richtige und wichtige Sachen – das will ich gar nicht verhehlen –, beispielsweise die Anschubfinanzierung für einen einheitlichen Lehrkräftezugang; das begrüßen wir. Vielleicht kommt es etwas spät im Jahr 2020, aber sei es drum, immerhin kommt es jetzt.

Herr Kollege Schwarz, noch ein Punkt, der mich in Ihren Ausführungen doch etwas verwundert hat, das ist die Sache mit dem Schulportal. Die Betriebskosten liegen laut Kultusministerium bei ungefähr 1 Million € im Jahr. Jetzt wissen wir alle, dass die Ausrollung eigentlich hätte vorgezogen werden sollen, und zwar zum Sommer dieses Jahres. Dann musste allerdings noch einmal neu ausgeschrieben werden, weil das Schulportal, so wie es aufgelegt war, wohl doch noch nicht allen Schulen zur Verfügung gestellt werden konnte. Jetzt, im Dezember, ist die Ausrollung immer noch nicht abgeschlossen. Das ist doch Tatsache. Besonders befremdlich finde ich in diesem Zusammenhang, dass sich dazu keine Mehrkosten im regulären Haushalt finden. Wissen Sie, wo die nämlich vorgesehen sind? Im

sogenannten Sondervermögen bzw., um es einmal besser auszudrücken, im Schattenhaushalt der Landesregierung mit insgesamt gut 13 Millionen € für die nächsten drei Jahre.

(Beifall Freie Demokraten)

Jetzt müssen wir uns das einmal auf der Zunge zergehen lassen: Die für das Schulportal vorgesehenen Mittel waren also überhaupt nie ausreichend. Das hat jetzt auch nichts mit dem Vorziehen zu tun, wenn die Mittel im Schattenhaushalt für die nächsten drei Jahre vorgesehen sind. Das ist schlicht und ergreifend eine Fehlkalkulation, die Sie jetzt versuchen zu übertünchen, meine Damen und Herren.

(Beifall Freie Demokraten und vereinzelt SPD)

Drittens. Eingehen möchte ich auf die Ganztagsbetreuung. Kollege May hat auch ein Plädoyer dafür gehalten. Ich glaube, vielen von uns liegt die Ganztagsbetreuung am Herzen. Ich habe in der kursorischen Lesung nachgefragt, ob bei der derzeitigen Geschwindigkeit des Ausbaus ein Ganztagsanspruch bis 2025 realistisch ist. Geantwortet wurde mir, das sei ein politisches Ziel.

Ich hätte in den kommenden Wochen noch einmal nachgebohrt, aber da ist Ihnen und mir der Bund zuvorgekommen. Still und heimlich wurde in den letzten Gesprächen zwischen Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin das politische Ziel aufgegeben. Der Ganztagsanspruch kommt jetzt erst bis 2029.

Kollege May, ich nehme Sie beim Wort, ich fordere die Landesregierung und auch die regierungstragenden Fraktionen auf, an dem bisherigen Ziel festzuhalten.

(Beifall Freie Demokraten und vereinzelt DIE LIN- KE)

Ich finde, dass es im Bereich des Ganztags in den letzten Jahren wichtige Fortschritte gab. Der Ganztag ist kein Nice-to-have, ganz bestimmt nicht. Er ist das Bildungsund Betreuungsangebot, das die Lebensrealität einer Vielzahl von Menschen in unserem Land abbildet. Wir brauchen den Ganztagsanspruch für die Chancengerechtigkeit in unserem Land und für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Weil das so ist, ist es schon erstaunlich, dass der Ausbau des Ganztags auch dieses Jahr wieder auf der Brockenliste zu finden ist. Das macht deutlich, dass Sie das wollen; aber es wäre wichtig, zu unterstreichen, dass Sie an dem ursprünglichen Ziel festhalten und es nicht rausschieben. Aber auch hier ein Schuss Wasser in den Wein: Die Fachkräfte müssen wir auch in diesem Bereich im Blick behalten. Der Fachkräftemangel macht sich auch hier bemerkbar.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Lieber Herr Kultusminister Prof. Lorz, Stellenaufwuchs bedeutet nicht mehr Lehrkräfte an den Schulen. Klar ist auch, eine Stelle im Haushalt gibt noch keinen Unterricht. Stellenaufwuchs ersetzt auch keine Idee. Stellenaufwuchs ersetzt auch keine Vorstellung von Schule im 21. Jahrhundert.

Meine Damen und Herren, dieser Haushaltsplan ist voll von schönen Überschriften, aber zukunftsorientiert ist dieser Haushalt auf keinen Fall. – Vielen Dank.

(Beifall Freie Demokraten und Elisabeth Kula (DIE LINKE))

Vielen Dank, Kollege Promny. – Das Wort hat nun Frau Abg. Kula, Fraktion DIE LINKE. Bitte sehr.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Schuldebatten in diesem Haus haben immer ihren ganz eigenen Charme,

(Beifall Torsten Warnecke (SPD))

besonders wenn Herr Schwarz nach vorne tritt und in seiner unnachahmlichen Art sagt, wie toll und super alles an hessischen Schulen ist. Das finde ich auch unterhaltsam, das hat aber leider nichts mit den realen Problemen an hessischen Schulen zu tun. Von daher danke für die Vorstellung. Jetzt kommen wir aber einmal zu den Problemen zurück, die es wirklich gibt.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Die Pandemie hat die eklatanten Probleme an hessischen Schulen und somit die politischen Versäumnisse der Bildungspolitik der letzten Jahrzehnte sichtbar gemacht. Zustände, die Gewerkschaften, Eltern und Schülervertretungen seit Jahren anprangern, werden zur Achillessehne unserer Schulen unter Corona. Da ist es schon bezeichnend, dass die Landesregierung trotz Aussetzung der Schuldenbremse und Sondervermögen nicht einmal versucht, die grundlegenden Missstände an Hessens Schulen zu beheben.

(Beifall DIE LINKE)

Wie immer sehen die Zahlen im Landeshaushalt schön aus. Schaut man aber hinter die Fassade, dann fällt doch einiges in sich zusammen. Dazu hat Herr Degen in seiner Rede schon etwas gesagt. Von den 654 neuen Stellen für die Unterrichtsversorgung bleiben nicht mehr wirklich viele übrig, rechnet man die Aufhebung von Stellensperrungen und kw-Vermerke heraus. Die übrigen Stellen sollen sowohl für den Ganztagsausbau, sozialpädagogische Unterstützung, verpflichtende Vorlaufkurse, eine zusätzliche Deutschstunde in der Grundschule als auch über die Zuweisung über den Sozial- und Integrationsindex eingesetzt werden.

Es ist richtig, Stellen an den Schulen aufzubauen. Aber wie die Landesregierung die Stellen dann verteilt, sagt viel über ihre Prioritätensetzung aus. Die 210 Stellen für die verpflichtenden Deutschvorlaufkurse für Kinder im Vorschulalter ohne ausreichende Deutschkenntnisse sind ein Beispiel, wie viele Ressourcen bereitgestellt werden, wenn der politische Wille da ist. Die Lehrer-Kind-Relation liegt in diesen Vorlaufkursen bei 3,3. Davon traut man sich an Schulen ansonsten nicht einmal zu träumen.

Andererseits sollen für die Einführung einer weiteren Deutschstunde an den Grundschulen – es sind 1.200 Grundschulen – nur insgesamt 100 Stellen zur Verfügung gestellt werden. Die Grundschulen sind doch gerade jene Orte, an denen aufgrund des Lehrermangels bereits jetzt viel Unterricht ausfällt oder fachfremd gegeben wird.

Stellen alleine reichen hier nicht aus. Um diese besetzen zu können, braucht es auch die Grundschullehrkräfte. Angesichts dessen ist es vollkommen unverständlich, wieso in Hessen die Kolleginnen und Kollegen an den Grundschulen noch immer schlechter bezahlt werden als die an anderen Schulformen. Vielleicht liegt es daran, dass dort

vor allem Frauen arbeiten, wie das so oft ist. Ein Armutszeugnis, würde ich sagen, für eine Regierung unter grüner Beteiligung.

(Beifall DIE LINKE)

Bereits lange vor Corona haben wir gefordert, endlich eine Anhebung auf A 13 vorzunehmen. Aber nun, in CoronaZeiten, in denen gerade die Grundschulen am wenigsten geeignet sind, Schülerinnen und Schüler selbstständig von zu Hause aus lernen zu lassen, in denen Grundschullehrkräfte wirklich in Präsenz gefordert sind, kann doch niemandem mehr erklärt werden, warum im Haushalt nicht 75 Millionen € für die längst überfällige Anhebung der Besoldung vorgesehen sind. A 13 auch für Grundschullehrkräfte jetzt, das wäre ein Zeichen des Respekts.

(Beifall DIE LINKE)

Auch der bauliche Zustand vieler Schulgebäude wird unter Corona zur echten Gefahr: Kaputte Fenster, marode Sanitäranlagen und zu kleine Räume erschweren den Schulbetrieb aktuell genauso stark wie zu große Lerngruppen und fehlende digitale Infrastruktur.