Sehr geehrte Damen und Herren, wir sind uns einig: Wissenschaft berät, Politik entscheidet. – Herr Büger, das habe ich wörtlich in meiner Rede gesagt. Das hat der Kollege Hofmeister gesagt. Das hat auch die Ministerin gesagt. Darüber einen Dissens zu konstruieren, dass die Landesregierung und die sie tragende Koalitionsfraktionen der Meinung seien, wir würden uns hinter der Wissenschaft verstecken, wenn wir politische Entscheidungen in dieser Krise treffen, wo dieser Dissens nicht existiert, schadet der Demokratie.
(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU – Widerspruch Dr. Frank Grobe (AfD) – Zurufe Freie Demokraten)
Lassen Sie uns gemeinsam klarstellen, wie es alle demokratischen Fraktionen in dieser Debatte gesagt haben: Die Politik entscheidet, die Wissenschaft berät. – Wir stellen uns aber hinter die Wissenschaft. Und jetzt gut zuhören: Wir stellen uns gemeinsam hinter die Wissenschaft, wenn sie angegriffen wird. Wenn sie Morddrohungen und Beleidigungen bekommt, dann stehen wir hinter ihr. Das ist doch eine Selbstverständlichkeit. – Danke schön.
Antrag Christoph Degen (SPD), Kerstin Geis (SPD), Karin Hartmann (SPD), Manuela Strube (SPD), Turgut Yüksel (SPD), Fraktion der SPD Sicheres und angstfreies Lernen in der Krise garantieren – Drucks. 20/4233 –
Dringlicher Antrag Fraktion der Freien Demokraten „Maske auf statt Schule zu“ ist alleine kein Konzept – Kultusminister muss Missstände endlich erkennen und handeln – Drucks. 20/4241 –
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Lage ist ernst. Wir haben darüber an diesem Tag schon vielfach diskutiert. Ich weiß nicht, ob Sie auch die gestrige Rede der Kanzlerin verfolgt haben, die ausdrücklich appelliert hat, das Infektionsgeschehen an den Schulen nicht zu unterschätzen.
Denn die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina sagt in ihrer Stellungnahme: Schülerinnen und Schüler sind ein wesentlicher Teil des Infektionsgeschehens. Das zeigen die Zahlen in anderen europäischen Ländern wie auch aktuelle Zahlen des Robert Koch-Instituts für Deutschland.
Gerade die kompletten Schulschließungen, die wir auch hier im Frühjahr erlebt haben, sind das Schlimmste für Bildungsgerechtigkeit. Denn wenn es keine strukturierten Wechsel, keinen regelmäßigen Anlaufpunkt an den Schulen gibt, werden Kinder und Jugendliche abgehängt. Das darf nicht sein. Das müssen wir verhindern, meine Damen und Herren.
Bayern geht einen anderen Weg, wenngleich dort an den beruflichen Schulen kompletter Distanzunterricht auch dort, wo die Siebentageinzidenz nicht über 200 liegt wird, praktiziert wird, der auch Schulschließungen umfasst. Ausgenommen sind Grundschulen und die 5., 6. und 7. Klassen an Förderschulen. Aber alle ab Jahrgangsstufe 8 gehen ansonsten in den Wechselunterricht.
Es fällt mir schwer, das zu sagen, weil ich nicht immer Fan der dortigen Politik bin. In diesem Fall muss ich sagen: Wo Bayern recht hat, hat es recht. Die Staatsregierung übernimmt dort Verantwortung und macht klare Vorgaben.
Dabei geht es mir gar nicht um die politischen Farben der betroffenen Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten. Diese Farbenspiele – das glaube ich – finden in dieser Pandemie keine Anwendung. Herr May, ich selbst bin Fan des Achtpunktepapiers der Bundes-GRÜNEN. Ich finde richtig gut, was darin steht. Das ist sehr deckungsgleich mit dem, was wir machen. Aber in allen Parteien gibt es unterschiedliche Auffassungen. Deswegen machen diese Spiele hier keinen Sinn.
Bayern war schon im Sommer vor uns. Die Sommerferien in Bayern waren noch nicht einmal halb herum, da gab es dort schon einen Stufenplan, und alle wussten, bei welchen Inzidenzwerten sie sich auf was einstellen können. Da wurde das in Hessen abgelehnt. Erst zwei Wochen später – das wissen Sie – kam hier ein Stufenplan heraus, jedoch leider ohne verbindliche Vorgaben.
Wir sind es nicht anders gewöhnt: Hessen zögert und zaudert. Kurzschlussentscheidungen sind nach wie vor an der Tagesordnung. Wir haben es schon vielfach erlebt: Schulen haben freitags erfahren, was am Montag auf sie wartet. Deswegen erwarten wir jetzt schon Planbarkeit, bevor wieder irgendwann die nächste Kurzschlussentscheidung kommt, damit Schulen präventiv besser vor weiteren Steigerungen der Zahl der Infektionsfälle geschützt werden.
Das sehen nicht nur wir so. Wir haben die Schülerdemo in Frankfurt erlebt. Morgen findet in Kassel eine Schülerdemo statt. „Unverantwortlich“ nennen die Schülerinnen und Schüler sich. Sie wollen erreichen, dass es zu einem Wechsel aus Präsenz- und Fernunterricht kommt. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Hessen hat versucht, uns das mit Zahlen näherzubringen. Leider hat der Ministerpräsident das am Dienstag als „unbewiesene Behauptungen“ bezeichnet. Dabei ist es einfach nur die Auswertung der Inzidenzzahlen der Jugendlichen zwischen 11 Jahren und 17 Jahren am Beispiel Frankfurt. Sie liegen immer um ca. 100 Fälle über der Siebentageinzidenz in der gesamten Stadt. Das heißt: Sie sehen, dass es an Schulen ein größeres Infektionsgeschehen gibt. Das betrifft nur die Schüler, noch gar nicht die Lehrkräfte.
Eine Grundschule in Langen hat sich mit einem offenen Brief an die Politik gewendet. Sieben der 25 Mitarbeiter dort sind inzwischen an Corona erkrankt. Weitere sieben befinden sich in Quarantäne. Zwei Klassen sind geschlossen. Man kann doch nicht sagen, dass das alles kein Problem an Schulen sei. Das Beispiel Lollar haben wir auch schon besprochen, meine Damen und Herren.
Ich bleibe deswegen ausdrücklich dabei: Wir müssen hier zu anderen Lösungen kommen. Vor allem ist unser Antrag – das will ich ausdrücklich sagen – kein reines Plädoyer für Wechselunterricht, sondern ein Plädoyer dafür, Abstände in Schulen einzuhalten – vielleicht durch größere Räumlichkeiten, die man finden kann, wofür ich mir mehr Engagement wünschen würde, möglicherweise durch Wechselunterricht, am besten in Hybridform digital, aber auch analog kann das sein. Da gibt es deutlich mehr zu tun, um stärker dafür zu sorgen, dass Abstände eingehalten werden können – auch in Schulbussen. Denn viele Eltern, viele Kinder und Jugendliche sowie viele Lehrkräfte beschäftigt, dass dort bisher Abstände nicht so eingehalten wurden, wie man es sonst im Alltag macht.
Meine Damen und Herren, ich habe mir vor zwei Wochen selbst bei einer Schule bei mir im Wahlkreis solch einen Hybridunterricht angeschaut. Ich weiß: Das sind besondere Bedingungen, weil wir im Main-Kinzig-Kreis – seit Jahren sozialdemokratisch geführt – längst jede Schule ans Glasfasernetz angeschlossen haben.
In diesem Unterricht habe ich erlebt: Die eine Hälfte der Klasse war zu Hause; ich konnte mit ihr sprechen. Die andere Hälfte war im Klassenzimmer. Alle haben das als positiv empfunden und klar gesagt: Wir können viel entspannter lernen. Im Klassenraum sind wir weniger; der Lehrer kann besser auf uns eingehen. Wir sind strukturiert dabei, weil wir parallel am Unterricht teilnehmen.
Das sagen nicht nur Sozialdemokraten. Heute konnten Sie in der „FNP“ z. B. von Limburg-Weilburg lesen. Dort sagt der Landrat – bekanntlich CDU –, der Wechselunterricht in den Schulen ab Klasse 7 im Landkreis Limburg-Weilburg habe sich bewährt.
Also: Warum haben Sie so viel Angst vor diesem Modell? Ich kann verstehen, dass es ein Eingeständnis ist, dass das trotz aller Behauptungen, 90 % der weiterführenden Schulen nähmen an der Schulplattform teil, so eine tolle Lösung am Ende nicht ist und dass wir längst nicht so weit
Ich sage aber noch einmal: Wechselunterricht muss nicht nur digital stattfinden, er kann auch analog stattfinden – mit Wochenplänen, mit Tagesplänen. Uns ist lieber, so einfach dafür zu sorgen, dass Schule angstfrei und sicher stattfindet, als auf dem Normalunterricht zu bestehen und sich damit in die Gefahr zu begeben, dass am Ende Schulen komplett geschlossen werden müssen.
Deswegen wollen wir mehr Verantwortung von Landesseite. Ich weiß: Man kann das zum Teil vor Ort regeln. Aber nicht jeder traut sich das. Nicht alle haben die Kapazitäten, solche schulfachlichen Fragen vor Ort zu bewerten. Ich halte es für falsch, dass immer wieder die Verantwortung aus Wiesbaden nach unten auf die Kommunen delegiert wird, weil man sich einfach nicht traut, selbst Entscheidungen zu treffen.
Das muss gar nicht sklavisch „ab einer Inzidenz von 50“ heißen, wie es das RKI vorgibt. Aber das kann nicht heißen: Wir lassen alles ohne Grenze nach oben laufen. – Es braucht auch eine Obergrenze, an der Kultusminister Lorz sagen muss: Jetzt ist Schluss. Jetzt muss das Wechselmodell eingeführt werden. – Solche Sicherheiten brauchen wir. Dazwischen kann es einen Korridor geben, in dem Schulen selbst in die Lage versetzt werden, individuelle Lösungen zu finden – gerade auch Förderschulen, wo besondere Lösungen gefragt sind, wie auch Schulen, auf denen Schüler sind, die es schwieriger haben, und bei denen man schauen muss, dass man nur einen Teil der Schülerschaft ins Wechselmodell schickt, um mehr Räumlichkeiten für die Schüler zu schaffen, die es schwerer haben. Aber solche individuellen Lösungen müssen ermöglicht werden.
Wenn Sie vorschlagen, das wie in Bayern ab Klasse 8 zu machen, werden wir uns an dieser Stelle nicht verrennen. Wir sind gerne gesprächsbereit, um auch andere Lösungen zu finden. Dies ab Klasse 7 zu machen, ist ein gängiges Modell, das in Hessen zum Teil schon praktiziert wird.
Wir sagen ausdrücklich, dass wir die Grundschulen dabei möglichst außen vor lassen möchten; denn da stellen sich ganz andere Herausforderungen. Ausschließen dürfen wir das aber auch nicht. Sollte es dazu kommen, dass auch Grundschulen ins Wechselmodell gehen müssen, dann brauchen wir eine Betreuungsgarantie ohne Wenn und Aber. Wir dürfen Eltern nicht noch weiter belasten.
Wir müssen auch die Schüler mit besonderen Herausforderungen im Blick behalten, die auch dann, wenn sie älter sind, nicht so gut lernen können. Deshalb muss man auch darüber reden, wie man Lernarrangements treffen kann durch Patenprogramme oder wie auch immer, um die Schüler zu unterstützen, die zu Hause keinen eigenen Raum haben, die keinen eigenen Schreibtisch haben, die vielleicht nicht einmal WLAN haben. Wir wissen, das Ganze kann nur ein vorübergehendes Modell sein. Der Präsenzunterricht ist nicht 100-prozentig zu ersetzen. Trotz
Ich komme zum Schluss. Vielleicht agiert Schwarz-Grün deshalb so zögerlich, weil Schwarz-Grün Angst hat, dass dann nicht die Voraussetzungen für zentrale Abschlussprüfungen gegeben sind, an denen Sie unbedingt festhalten wollen. Das ist aber doch schon längst der Fall. Es ist doch schon so, dass unterschiedliche Bedingungen im Land herrschen. Wir haben keine gleichwertigen Lernbedingungen mehr im Land. Manche Klassen gehen reihenweise in Quarantäne. Ganze Jahrgänge sind immer wieder in Quarantäne. Deswegen sind die Voraussetzungen für zentrale Prüfungen nicht gegeben.
Wir sagen: Bitte lassen Sie da nach. Nehmen Sie Druck aus dem System, und sorgen Sie dafür, dass Prüfungen dezentral durchgeführt werden oder zumindest so ein großes Portfolio an Aufgaben da ist, dass am Ende für alle etwas dabei ist, sodass der absolvierte Unterricht abgedeckt wird. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie wirklich herzlich, Druck aus dem System zu nehmen. Außerdem bitte ich Sie, die Anzahl der Klausuren zu reduzieren, damit an Schulen in diesem Schuljahr entspannter gelernt werden kann. Da appelliere ich an Sie.
In der Sommerpause hätte aus unserer Sicht mehr passieren können. Liebe Landesregierung, Herr Kultusminister, bitte passen Sie auf, dass jetzt nicht der Winterschlaf droht. Bitte sorgen Sie dafür, dass für das neue Jahr und für die Prüfungen, die anstehen, jetzt die Voraussetzungen geschaffen werden, damit das alle gut und sicher absolvieren können. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestern haben wir über den Haushalt diskutiert. Heute folgt eine Debatte über das digitale Lernen. Beides kommt natürlich nicht aus ohne den Verweis auf die Corona-Krise. Natürlich offenbart die Krise auch Missstände. Ich greife jetzt nicht verbal zur Lupe; denn gebrannt hat es an den meisten Stellen bereits vorher, etwa beim Thema Lehrermangel oder beim Thema der digitalen Bildung.
Meine Damen und Herren, das Vorgehen der Landesregierung ist in der Regierungserklärung am Dienstag noch einmal lang und ausführlich erläutert worden. Hier wurde ausgeführt, wenn es vertretbar sei, werde am Präsenzunterricht festgehalten. Wir haben im Ausschuss mehrfach nachgefragt, was die Landesregierung unter „vertretbar“ versteht. Eine wirkliche Antwort ist bis heute nicht gegeben worden.