Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf Sie ganz herzlich begrüßen und wieder hier im Plenarsaal willkommen heißen. Ich eröffne die 71. Plenarsitzung des Hessischen Landtages und stelle die Beschlussfähigkeit fest.
Noch eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Antrag der Fraktion der AfD mit dem Titel „Für freiwillige und gegen verpflichtende Corona-Schnelltests an den hessischen Schulen“, Drucks. 20/5610. Ich darf fragen, ob die Dringlichkeit bejaht wird. – Das ist offensichtlich der Fall. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 102, und wir können ihn mit Punkt 11 aufrufen, der zweiten Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion der AfD. Sind alle einverstanden? – Dann machen wir das so.
Weiterhin eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Antrag der Fraktion der Sozialdemokraten betreffend psychische Belastung von Schülerinnen und Schülern ernst nehmen, Drucks. 20/5611. Wird die Dringlichkeit auch hier bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Antrag Punkt 103, und wir können ihn, wenn Sie einverstanden sind, mit Punkt 66, dem Setzpunkt der Fraktion der Freien Demokraten, und Punkt 101, dem Dringlichen Antrag der Fraktion der SPD zu diesem Thema, aufrufen. – Alle sind einverstanden.
Außerdem eingegangen und an den Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Antrag der Fraktion der Freien Demokraten betreffend Fangjagd praxisnah gestalten, Drucks. 20/5612. Wird auch hier die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Antrag Punkt 104, und wir können ihn mit Punkt 9, der ersten Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Gesetz zum Verbot von Totschlagfallen, aufrufen. – So machen wir das.
Schließlich ist noch eingegangen ein Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Corona in der Arbeitswelt, Drucks. 20/5614. Auch hier wird die Dringlichkeit bejaht? – Dann wird dieser Dringliche Entschließungsantrag Punkt 105, und wir können ihn mit Punkt 69, dem Setzpunkt der Fraktion der SPD mit dem Thema „Solidarisch durch die Krise“, aufrufen. – So machen wir das.
Auf Wunsch der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN soll Tagesordnungspunkt 98, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wissenschaft und Kunst zu dem Dringlichen Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Freiheit der Wissenschaft wird in Hessen entschieden verteidigt, Drucks. 20/5574 zu Drucks. 20/5349, ohne Aussprache heute Abend mit den anderen Beschlussempfehlungen abgestimmt werden. – Dann verfahren wir so.
Die Fraktion der Freien Demokraten hat mir mitgeteilt, dass Tagesordnungspunkt 44, der Antrag der Fraktion betreffend Corona und Sport, Drucks. 20/5164, zur abschließenden Beratung an den Innenausschuss überwiesen werden soll. – Jürgen Lenders nickt, alle sind einverstanden. Dann machen wir auch das so.
Wir tagen heute, wenn alles gut geht und nichts mehr dazwischenkommt, bis 20:45 Uhr. Wir beginnen im Anschluss an die amtlichen Mitteilungen mit Tagesordnungspunkt 71, dem Setzpunkt der Fraktion der CDU betreffend eindeutiges Bekenntnis zur verfassungsgemäßen Ordnung. Nach der eineinhalbstündigen Mittagspause fahren wir fort mit dem Setzpunkt der Fraktion der SPD – das ist Punkt 69 – mit dem Titel „Solidarisch durch die Krise“.
Ich möchte Sie noch gerne darauf hinweisen, dass heute Abend wieder Corona-Schnelltestungen stattfinden, wie immer im Foyer vor dem Medienraum, und zwar zwischen 17 und 20 Uhr.
Entschuldigt fehlen heute ganztägig der Kollege Markus Meysner, der Kollege Frank Steinraths, der Abg. Karl Hermann Bolldorf, der Abg. Gerhard Schenk und der Abg. Dirk Gaw sowie Frau Ministerin Prof. Dr. Sinemus von 14 Uhr bis 17:30 Uhr. Gibt es weitere Entschuldigungen? – Das ist nicht der Fall.
Entschließungsantrag Fraktion der CDU, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Eindeutiges Bekenntnis zur verfassungsgemäßen Ordnung – für ein rechtsstaatliches Deutschland in Europa – Drucks. 20/5546 –
Das ist der Setzpunkt der Fraktion, und erster Redner ist der Kollege Jörg Michael Müller für die CDU.
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ein Setzpunkt mit dem Thema „Bekenntnis zur Verfassung in Europa“, warum heute Morgen um 9 Uhr schon so etwas? Warum so Grundsätzliches, doch so Selbstverständliches – wenn das alles so wäre, könnte man auch sagen: Unnötiges – um 9 Uhr?
Na ja, das ist wie ein großer Tanker auf dem Meer. Unbeeindruckt fährt er vor sich hin. Stürme, was soll es? Das schafft er schon, immer weiter, immer voran. Doch alles zehrt an ihm: Wetter, Wellen, Technik, eben alles. Er bleibt nicht unberührt von allem. – Nur eines ist immer sicher: der Hafen, ein Ort der Sicherheit.
Ich finde, das ist ein sehr einprägsames Bild für das, was in unserer Gesellschaft gerade passiert. Wenn wir auf die berühmte Leiter der Psychologie steigen und auf uns herunterschauen, darauf, welche gesellschaftlichen Veränderungen bei uns stattfinden, wie unfassbar widersprüchlich so vieles ist, dann ist es gut, den sicheren Hafen unserer Verfassung und eine Umgebung wie Europa zu haben.
Unsere Verfassungen, also vor allem unser Grundgesetz, aber auch die erste bundesdeutsche Landesverfassung, die hessische, entstanden aus dem, was einer der neurechten Nichtalternative als „Fliegenschiss“ bezeichnet hat: zwölf Jahre Unrechtsstaat, Menschenverachtung, Mord, Krieg, Schoah. Wenn wir es heute übersetzen, waren es nur zweieinhalb Legislaturperioden unseres Landesparlaments, eine Zeit, in der die Geschichte umgegraben wurde, die Konsequenz für viele fürchterlich, schrecklich war. Sie hat nachwirkende Ereignisse hervorgebracht hat, sie hat aber auch
für uns als Lehre und Mahnung – mehrere sichere Häfen, Leitplanken unseres Handelns, namentlich unsere Verfassungen und die so heilsbringende Hinwendung und Einigung Europas, hervorgebracht. Beides, unsere verfassungsmäßige Ordnung mit ihren Ausprägungen und die Hinwendung und Einbindung in Europa – –
Beides, unsere verfassungsmäßige Ordnung mit ihren Ausprägungen und die Einbindung in Europa haben unsere Demokratie, Freiheit, Sicherheit und den Deutschen und eben auch uns Hessen einen, was so gerne verniedlicht wird, außergewöhnlich breit verteilten Wohlstand gebracht.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, deshalb ist es genau in dieser Zeit wichtig, auf beides zu achten oder, wie man heute so gerne sagt: achtsam mit den Konsequenzen aus dem von Gauland so irre bezeichneten „Fliegenschiss“ zu sein –
gerade jetzt, in Zeiten dieser Pandemie, die alle belastet und beschwert, die deutlich macht, wie verwundbar ein solch komplexes System tickt und wie wichtig diese unsere Verfassung für unser gemeinsames Zusammenleben und eben auch den Erfolg unseres Landes und der Republik ist, wie wichtig dies für uns alle ist.
Viele Grundentscheidungen sind in den Verfassungen getroffen: Freiheit, Eigentum, Sozialverpflichtung, das sind die Leuchttürme. Daraus leiten zurzeit viele ab, der Staat beschränke in der Pandemie übermäßig, er sei antidemokratisch, das Infektionsschutzgesetz sei beispielsweise ein Angriff auf diese Verfassung – ungeachtet dessen, ob man das Gesetz für gelungen, die Maßnahme für übergriffig oder falsch hält.
Das ist Kritik, die übrigens in unserer Verfassungslage frei geäußert werden kann, darf und in einer Demokratie auch muss. Sie verkennt eines: Die eingangs geschilderten Leuchttürme stehen auf der eigentlichen Grundlage unserer Verfassung: der Menschenwürde und dem Schutzauftrag des Staates eben für diese Menschen.
Kolleginnen und Kollegen, daraus folgt, dass der Staat gerade in einer solchen Situation wie der Pandemie handeln und eben schützen muss. Dass dies Widerspruch hervorruft und dieser auch geäußert werden kann und darf, ist Gütezeichen unserer verfassungsmäßigen Ordnung. Möglich wird es, diese Ordnung zu leben, diese Freiheit zu haben und vor allem diesen Wohlstand zu erwirtschaften, weil wir tief eingebunden sind in die Europäische Union. Die Freundschaft der Europäer – zugegebenermaßen einmal mehr, einmal weniger, aber immer notwendig – ist neben den Möglichkeiten, die das Miteinander bietet, vor allem aber ein Schutz vor dem Gegeneinander, vor allem eben eine Friedensunion.
Deshalb wenden wir uns mit aller Kraft und Deutlichkeit gegen die unfassbar abstrusen Thesen der AfD, diesem auf
dem Parteitag geäußerten national besoffenen Bekenntnis: „Die EU muss sterben, wenn Deutschland leben will“, „Wir wollen raus“, und dies wurde auch noch beschrieben als DNA der AfD.
Dies und die so vielen unfassbaren verbalen Äußerungen, die Angriffe auf das Wertesystem unserer Verfassung – übrigens stets unter dem Deckmantel einer angeblichen Rechtsstaatlichkeit –, die Bekenntnisse zur Identitären Bewegung, die tiefe Verwurzelung und letztlich, wie in Dresden geschehen, die Übernahme durch diesen völkischen, antidemokratischen Flügel zeigen vor allem eines: Die wollen eine andere Gesellschaftsordnung.
Sie verneinen die Erkenntnisse unserer Verfassung aus der Zeit des sogenannten „Fliegenschisses“. Sie wollen kein einiges Europa. Kurz, Sie bekämpfen unsere freiheitliche Grundordnung. Das ist – wie mancher Verfassungsschützer sagt – verfassungsfeindlich.
Dagegen wehren wir uns mit dem Blick auf unsere Verfassung, vor allem die Verantwortung ihrer Entstehung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen vor allem bei der Sozialdemokratie: Da werden Sie möglicherweise mit uns einer Meinung sein. Sie ermahnen uns auch immer schön und nett, ja nicht mit den Leuten gemeinsame Sache zu machen. Ich kann da nur sagen: Man muss uns nicht ermahnen. Zu unserem Gen-Code, um das neudeutsch zu sagen – das verwendet man heute so gerne – gehört es, dass wir mit keinem Extremisten, mit keiner extremen Partei etwas machen. Wir machen das nicht.
Doch reicht das? Haben nicht auch Sie die Aufgabe, sich fernzuhalten von dem, was gegen unsere Verfassung, gegen Europa und eben auch gegen die freiheitliche Gesellschaft anrennt? Ich möchte das mit unserem Antrag heute sehr deutlich machen: Nicht nur rechts außen, sondern auch links außen wird gegen unsere Verfassung agiert und die Verfassung infrage gestellt. Da geht es auch nicht um eine persönliche Sympathie oder freundlichen Umgang miteinander. Da geht es um klare Kante gegen Extremismus.
Wer radikal links ist, die gesellschaftliche Ordnung infrage stellt, Revolution für ein legitimes Mittel dieser Änderungsvorstellungen hält, ist es genauso wie diejenigen, die von Ihnen als rechtsradikal bezeichnet werden.
Es gibt so viele linke Beispiele, Frau Wissler. Da gibt es das Video, mit dem der bewaffnete Kampf, die Revolution legitimiert wird. Ein Dementi dazu gab es bis heute nicht. Aber Sie haben heute Gelegenheit dazu. Da gibt es Mitglieder aus Strategietagungen, die das Erschießen von Reichen goutieren, oder ehemalige Vorsitzende, die dann sagen: Nein, das tun wir nicht – Zwangsarbeit, frei übersetzt. Das kann es auch sein.
Da gibt es jüngst die Wahl von Ihnen zur Vorsitzenden der LINKEN, die mit Marx und Trotzki DIE LINKEN noch
weiter nach links rückt – eine Partei, die genauso radikal gegen unsere Verfassung anrennt wie die rechte.
Aber vielleicht sollten wir auf Willy Brandt schauen. Er ist eine tolle Quelle für Zitate. Vielleicht sollten Sie ihn nicht nur als ziemlich beeindruckende Plastik in Ihrer Parteizentrale stehen haben, sondern sich auch einmal anschauen, was er gesagt hat.
Er hat den Satz gesagt, der für mich immer prägend war und ist: „Man kann heute nicht Demokrat sein, ohne Antikommunist zu sein.“ – Ich finde, das ist ein Leuchtturm in der Betrachtung dieser Welt.
Letztlich brachte es der große Mann der Nachkriegsdemokratie auf den Punkt: Kommunisten sind rot lackierte Faschisten – Kurt Schumacher. Dem muss man nichts hinzufügen.