Protokoll der Sitzung vom 28.04.2021

Gedenkstätten wie die in Hadamar sind ein wichtiger Bestandteil unserer Erinnerungskultur. Sie regen auf anschauliche Weise zur generationenübergreifenden Auseinandersetzung mit nationalsozialistischen Verbrechen an. Aus abstrakten Zahlen werden menschliche Schicksale, so, wie es gerade zuvor beschrieben wurde.

Ich finde das Erinnerungsbuch mit den Namen der Opfer besonders ergreifend. Zurzeit ist es durch einen Sichtschutz vom Rest der Ausstellung abgeschirmt. Doch es wird in Zukunft in einer ruhigeren Umgebung aufbewahrt, um einen würdigeren Rahmen besonders für die persönliche Trauer zu ermöglichen.

In vielen Opferfamilien war das Thema jahrzehntelang ein Tabu. Zum einen war es ein Tabu, überhaupt über Behinderungen oder psychische Erkrankungen zu reden. Zum anderen wurde mit dem Versprechen, mit der Lüge, man werde sich um das Kind, die Schwester, den Onkel kümmern, die Einwilligung zum Abtransport erschlichen. Heute ist es oftmals die Enkelgeneration, die nach dem Schicksal der

Verwandten fragt und mit der schrecklichen Wahrheit konfrontiert wird.

Die Gedenkstätte in Hadamar betreibt seit vielen Jahren eine aktive, engagierte, aber, wie ich auch finde, sensible Gedenkstättenarbeit. Das spiegelt sich auch in den steigenden Besucherzahlen wider.

Angesichts des gestiegenen Interesses an einem Gedenkstättenbesuch ist es sehr zu begrüßen, dass nun auf der Grundlage neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse eine Neukonzeption umgesetzt werden kann. Hierbei, es wurde schon erwähnt, leisten das Land Hessen mit 4 Millionen €, der Bund mit über 5 Millionen €, aber auch der Landeswohlfahrtsverband mit 4 Millionen € ihren Beitrag, damit die Gedenkstätte sehr gut umgestaltet werden kann.

(Allgemeiner Beifall)

Hinzu kommt noch, dass wir die Mittel generell in unserem Haushalt verdoppelt haben. Das hilft bei der Bereitstellung von Lehrkräften, aber auch für die institutionelle Arbeit. Vor allem das pädagogische Konzept kann noch verbessert werden.

Ich freue mich auch, dass die Landeszentrale für politische Bildung unterstützend mit ihrem Know-how und finanziellen Mitteln dabei ist, vor allem was die Digitalisierung angeht. Im Zuge der Neukonzeption sollen neue digitale Angebote geschaffen werden, die besonders Jugendlichen den Zugang erleichtern sollen, sich mit dem Verbrechen der Nationalsozialisten und den Schicksalen ihrer Opfer auseinanderzusetzen.

Sie müssten bitte zum Ende kommen, Herr Kollege.

Die CDU sieht es als herausragende Pflicht an, durch die Pflege der Gedenkstätte die Erinnerung an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte wachzuhalten und für das beherzte Eintreten für unsere Demokratie zu werben. Die Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen dürfen nicht in Vergessenheit geraten.

(Allgemeiner Beifall)

Vielen Dank, Herr Utter. – Nächster Redner ist der Abg. Dr. Grobe für die Fraktion der AfD.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor einigen Jahren fiel mir bei einer Recherche für einen wissenschaftlichen Aufsatz ein Manuskript des früheren Aachener Hochschulrektors August Hertwig in die Hände. In dessen Lebenserinnerungen berichtete der Hochschullehrer über seinen Sohn Rolf, der während seines Studiums 1931 psychisch erkrankte und in die geschlossene Heilanstalt Eberswalde eingewiesen wurde. Zehn Jahre darauf erhielten seine Eltern eine Mitteilung, dass ihr Sohn aus Eberswalde nach Bernburg an der Saale verlegt worden sei. 14 Tage darauf erreichte sie bereits die Todesanzeige. Die Eltern wussten, dass ihr Sohn umge

bracht wurde; denn Hertwig beschrieb, dass „während der Kriegszeit die Befehle ergingen, die Anstalten von allen unheilbar Kranken zu befreien“.

Was hinter dem Euphemismus „befreien“ zu verstehen war, war jedem klar. Dieses schreckliche Einzelschicksal war eines von über 200.000. Diese Morde wurden durch die sogenannte „Aktion T4“ an körperlich, geistig und seelisch kranken Menschen verübt, da die Nationalsozialisten unter erbbiologischen und rassistischen Wahnvorstellungen litten und diese zum Kernbestandteil ihrer Ideologie erhoben hatten. Darüber hinaus waren es materielle Gründe, die Ärzte und Pflegepersonal zu Mördern werden ließen, denn man wollte Geld für den Krieg sparen.

Wer aber die Opfer waren und welche Leidensgeschichte sie durchlebten, bleibt überwiegend nebulös. Daher ist es gut und wichtig, dass das Land Hessen die Gedenkstättenarbeit verstärkt finanziell fördert. Denn indem man die Lebensgeschichten, insbesondere der Opfer, aber auch der Täter, nachzeichnet, gibt man ihnen wieder ein Gesicht.

Einer der wenigen Historiker, der sich frühzeitig mit den Euthanasieopfer-Biografien beschäftigte, ist Götz Aly. Er versucht mit seiner Herangehensweise, das jahrzehntelange Schweigen zu brechen. Denn viele Angehörige haben bis heute ein schlechtes Gewissen.

Götz Aly verurteilt aber das Verhalten der Opferangehörigen nicht. So sagt er: „Wir Heutigen [sollten] uns nicht leichtfertig über die Eltern, Geschwister und Gatten erheben, die damals wankten.“ Denn nicht wenige Angehörige waren ohnehin überfordert und vom Nazistaat dazu noch propagandistisch, psychisch und materiell unter Druck gesetzt. Nicht zu vergessen, dass Eltern sogenannter „erbkranker“ Kinder jegliche finanzielle Unterstützung verloren. Aber es gab glücklicherweise auch mutige Personen, die gegen die Tötung körperlich behinderter und geistig kranker Menschen aufbegehrten. Einer von ihnen war der „Löwe von Münster“, Clemens August Graf von Galen, der die Euthanasie öffentlich als „glatten Mord“ bezeichnete, Strafanzeige stellte und damit eine kurzfristige Einstellung der Morde erreichte.

Dass aber die Euthanasiemorde ohne größeren Widerspruch der Bevölkerung bis zum Sommer 1941 durchgeführt werden konnten, zeigte den Naziführern, dass noch größere Verbrechen möglich waren – Verbrechen, die mit der Ermordung von sechs Millionen Juden endeten.

Dass auch Wehrmachtssoldaten und Kriegsteilnehmer des Ersten Weltkriegs, die an der Front Gehirnschäden erlitten bzw. den Verstand verloren hatten, in den Tötungsanstalten wie Hadamar umgebracht wurden, wurde erst vor wenigen Jahren bekannt und ist bisher kaum erforscht. Das liegt unter anderem daran, dass ermordete Wehrmachtsangehörige bis heute nur schwer in das einfache Täter-Opfer-Schema eingeordnet werden. Doch auch sie waren Ziel technokratischer Menschenfeindlichkeit geworden. Das dürfen wir nicht vergessen. Dass viele dieser Soldaten aus den unteren gesellschaftlichen Schichten kamen und über keine festen familiären Bindungen verfügten, erleichterte deren Ermordung. Denn für ihre Entlassung setzte sich niemand ein.

Für uns als Alternative für Deutschland ist es daher wichtig, dass die Gedenkstättenarbeit auch in Hadamar weiter verstetigt wird. Aus diesem Grund werden wir dem Antrag zustimmen.

Dennoch hätten wir noch eine Frage an die antragstellenden Fraktionen CDU, GRÜNE, SPD und FDP: Sie führen bereits im Titel auf, dass Sie „gemeinsame Verantwortung wahrnehmen“ möchten. Für uns bedeutet Gemeinsamkeit, dass man allen Fraktionen die Möglichkeit gegeben hätte, hier ein Zeichen für das Gedenken an die Opfer und gegen das NS-Regime zu setzen. Dieses Zeichen haben Sie leider verpasst. – Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Vielen Dank, Herr Dr. Grobe. – Nächste Rednerin ist die Abg. Löber für die Fraktion der SPD.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Gedenkstätte Hadamar hat sich als zentraler Ort des Erinnerns und Gedenkens für die Opfer der grausigen Verbrechen der Euthanasie der Nationalsozialisten entwickelt.

Euthanasie war ein zentraler Begriff der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten. Unzählige Menschen wurden als „unnütz“, „unproduktiv“, „lebensunwert“ bezeichnet und daraufhin ermordet, gequält, verwundet, verkrüppelt, zwangssterilisiert.

Hadamar steht nun als Synonym für die Euthanasieverbrechen an Tausenden Frauen, Männern und Kindern. Die Gedenkstätte bietet gerade als ein authentischer Ort und mit ihren authentischen Inhalten besondere Eindrücke und Erlebnisse, die das unmenschliche Leid, das den unschuldigen Opfern zugefügt wurde, erahnen lassen.

Die Verbrechen, die in Hadamar verübt wurden, waren nicht weit weg, sondern immer besonders präsent. Die dort wohnenden Menschen sahen die grauen Busse mit verdunkelten Fenstern durch die Straßen von Hadamar zu den Gebäuden der damaligen Landesheilanstalt fahren. Sie sahen aus dem Schornstein den Rauch der verbrennenden Leichen in den Krematorien aufsteigen.

Die Konfrontation mit den Originalräumen – der Busschuppen wurde wiederaufgebaut; der Krankensaal beherbergt die jetzige Dauerausstellung; in den Zimmern der Administration und der ärztlichen Untersuchungen sind jetzt Büro- und Tagungsräume; der Keller mit der gekachelten Gaskammer, den Gängen und den Fundamenten der Krematorien und dem Sektionsraum – hinterlässt einen tief erschütternden Eindruck von konkreter Realität. Den letzten Gang – Kollege Utter hat es eben auch gesagt – der Opfer selbst zu gehen, hat mich bei meinem Besuch der Gedenkstätte Hadamar tief bewegt und erschüttert.

Verantwortung und Auftrag, dass sich Ähnliches nicht wiederholt, hat die Gedenkstätte Hadamar angenommen. Sie informiert über die an Kranken und Behinderten begangenen Verbrechen. Sie trägt damit auch als zentrale Gedenkstätte zur Aufklärungs- und Bildungsarbeit bei, um gerade der jüngeren Generation den Zugang zu dieser Vergangenheit zu eröffnen.

Der Landeswohlfahrtsverband trat mit seiner Gründung 1953 und der Übernahme ehemaliger zum Zwecke der Menschenvernichtung missbrauchten Heil- und Pflegeanstalten ein schweres Erbe an. Deshalb fühlt sich der Lan

deswohlfahrtsverband besonders verantwortlich, die Erinnerung in diesen Einrichtungen als Orte des Gedenkens wachzuhalten.

Gedenkstätten werden für unser Erinnern immer wichtiger, da es kaum noch Zeitzeugen gibt, die uns von den Verbrechen erzählen können. Politisches Desinteresse, Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal anderer, Vorrang persönlicher Bedürfnisbefriedigung auf Kosten anderer Menschen sind allgegenwärtige Verhaltensweisen, die schon einmal den Boden bereitet haben für Ausgrenzung und Vernichtung von Menschen. Somit müssen wir besonders wachsam sein, uns erinnern und aufklären über den aktuellen Bezug der Gedenkstätte.

Wir wollen uns weiterhin für die Gedenkstätte Hadamar einsetzen und diese zu einem dauerhaften Ort des Erinnerns und damit des Lernens für die Gegenwart und Zukunft machen. Wir müssen aus dem grausigen Geschehen lernen, wachsam zu bleiben.

Die Inschrift auf der Stele des Gedenkfriedhofs in Hadamar: „Mensch achte den Menschen“, verweist auf die im Grundgesetz postulierte Menschenwürde. Damit ist das Erinnern und Gedenken an die Opfer der Euthanasie ein notwendiges Erleben für uns alle zu jeder Zeit: „Mensch achte den Menschen“.

(Allgemeiner Beifall)

Vielen Dank, Frau Löber. – Nächster Redner ist der fraktionslose Abg. Rolf Kahnt.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Gedenkstätte in Hadamar hält die Erinnerung wach an Tausende Opfer der Euthanasiemorde des Naziregimes. Von Januar bis August 1941 wurden dort über 10.000 Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen in Gaskammern ermordet. In einer zweiten Mordphase war die ehemalige Landesheilanstalt erneut Tötungsanstalt. Weitere 4.500 Menschen wurden dort von August 1942 bis zum März 1945 durch Hungerkost, vorenthaltene Medikamente oder Gabe von überdosierten Medikamenten ermordet.

Die Gedenkstätte verfügt über eine umfangreiche Datenbank mit Biografien zu Opfern und Tätern. Damit wird ihnen ein Gesicht gegeben. Besuchern werden damit das Unfassbare des Geschehens, die Bestialität und Monstrosität der NS-Tötungsmaschinerie spürbar und nachvollziehbar nähergebracht.

Es ist und bleibt unsere historische Verantwortung, und es liegt an uns, Erinnerung und Gedenken auch an diese Opfer und an ihr unsägliches Leid nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Das ist heute notwendiger denn je. Es ist geradezu erschreckend: Immer weniger junge Menschen wissen Bescheid über die Gräueltaten der Nazizeit. Diese Entwicklung ist nicht länger hinnehmbar. Wir müssen daher mehr Betroffenheit erzeugen.

Meine Damen und Herren, der Antrag leistet auch einen wichtigen – wenn auch nur indirekt – und dringlichen und notwendigen Widerstand gegenüber wirklich abscheulichen und widerlichen Ansätzen oder Äußerungen von

rechtsextremen Vertretern, die mit der „180-Grad-Wende“ die NS-Verbrechen verharmlosen oder sogar ausklammern wollen. Man kann nachvollziehen, warum diese bei diesem Antrag außen vor bleiben sollen.

Deshalb ist es notwendig, auch mit Hadamar als Ort dunkelster Kapitel deutscher Geschichte notwendige Erinnerungsarbeit zu leisten, sodass die Beschäftigung mit dem Thema entsprechend gefördert wird. Das ist notwendig, weil es um menschliche Schicksale der Opfer und um deren Würde geht. – Danke.

Vielen Dank, Herr Kollege Kahnt. – Nächste Rednerin ist die Abg. Martina Feldmayer für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit dem beschönigenden Ausdruck Euthanasie wurden in der NS-Zeit kranke und behinderte Menschen, stigmatisierte und teilweise einfach unliebsame Menschen zu Hunderttausenden ermordet. Dies geschah nicht irgendwo, weit weg, verborgen vor den Augen der Öffentlichkeit. Nein, es geschah mitten unter den damals lebenden Menschen, auch im heutigen Hessen.

Die Heil- und Pflegeanstalt Hadamar war eine der sechs Mordanstalten des Deutschen Reiches. Hier wurden zwischen 1941 und März 1945 fast 15.000 Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen ermordet. Diese Tötungsanstalt war Teil eines Geflechts von Anstalten und Zwischenanstalten, das einzig dem Zweck diente, Menschen zu töten, die in den Augen der NS-„Rassenhygiene“ kein Recht zum Leben hatten und nach ihren Vorstellungen nur das Sozial- und Gesundheitssystem belasteten.

Damals herrschte der Begriff des „Volkskörpers“ vor. Das deutsche Volk sei ein Volkskörper, der nicht von außen geschädigt werden dürfe oder durch Teile, die schwach oder krank sind.

Wer heutzutage noch über den Begriff „Volkskörper“ schwadroniert oder von „brandigen Gliedern“ redet, wie Höcke, der hat jede Mitwirkung an einem Antrag der demokratischen Fraktionen zu diesem Thema natürlich verwirkt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, Freie Demokraten, vereinzelt SPD und DIE LINKE)

Auf einem NS-Propagandaplakat stand damals: „Täglich 5,50 Reichsmark kostet den Staat ein Erbkranker, für 5,50 Reichsmark kann eine erbgesunde Familie einen Tag leben!“ Diese Doktrin wurde also öffentlich verbreitet und keineswegs klandestin vollzogen. Die Menschen wussten, was passierte.