Protokoll der Sitzung vom 03.02.2022

Wo ist da eigentlich Ihre warnende Stimme vor demokratiefeindlichen Umtrieben? Sie spielen hier „gute Demonstrationen, schlechte Demonstrationen“. Die Menschen fallen aber zunehmend darauf nicht mehr hinein. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall AfD)

Herr Kollege Lambrou, vielen Dank. – Das Wort erhält jetzt Herr Kollege Günter Rudolph, der Fraktionsvorsitzende der SPD.

Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nach Art. 8 unseres Grundgesetzes ist in der Tat unantastbar. Wir brauchen von einer rechtsextremen Partei keine Belehrungen, dass wir die Grundrechte zu akzeptieren haben. Sie sind für uns unveränderbar.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt DIE LINKE)

Wir haben eben schon die gekünstelte Aufregung erlebt. Der ehemalige Parteivorsitzende Meuthen hat gesagt, wie

er die AfD einschätzt. Das wird sicherlich bei der Bewertung eine Rolle spielen, ob der Verfassungsschutz demnächst diese Partei beobachten kann. Von daher war das, was wir eben gehört haben, eine ziemliche Beleidigung der Demokratien.

Hier zu sagen, in Deutschland könne man nicht demonstrieren, sondern es sei eine Diktatur, das ist eine Verhöhnung von Menschen, die in vielen Ländern der Welt wirklich um ihre Freiheitsrechte kämpfen müssen.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In der Tat, die Kollegin Feldmayer hat es eben gesagt. Wenn wir uns an den Gedenktag am 27. Januar erinnern: erst die Worte, dann die Taten. Wer sich die Dokumentation „Die Wannseekonferenz“ angesehen hat, hat auch gesehen, in welcher kaltblütig-technokratischen Art und Weise über das Schicksal von Menschen geredet wird. Deswegen gilt: Demokraten und Demokratien müssen es ertragen, wenn man mit Maßnahmen nicht einverstanden ist, dass rechtsstaatlich dagegen vorgegangen werden kann. Das hat auch niemand bestritten.

Bei den sogenannten Montagsdemos wird ein Begriff missbraucht; denn, wenn wir uns an die Montagsdemos in der DDR erinnern, das waren friedliche Demonstrationen,

(Robert Lambrou (AfD): Das sind die aktuellen Demonstrationen auch!)

die dazu beigetragen haben, ein morsches System letztlich zu überwinden. Dieser Begriff wird missbraucht von einer Partei, die die Demokratie verachtet, und das ist schäbig, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das ist einfach nur schäbig.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Freie Demokraten, DIE LINKE und Rolf Kahnt (fraktionslos) – Zurufe AfD – Glockenzeichen)

Wenn AfD und NPD, die Identitäre Bewegung und andere rechte Gruppierungen dann zu diesen Demos aufrufen und deutlich machen, sich mit diesen gemeinmachen zu wollen, zeigt das, sie wollen die politisch instrumentalisieren.

(Widerspruch AfD – Glockenzeichen)

Es geht nicht darum – und das hat übrigens auch nie jemand behauptet –, dass alle bei diesen Demos rechtsextrem seien. Aber relativ klar ist: Wer mit AfD- und NPD-Anhängern und Mitgliedern der Identitären Bewegung demonstriert, der muss wissen, er steht auf der falschen Seite – klar und eindeutig.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Freie Demokraten, DIE LINKE und Rolf Kahnt (fraktionslos) – Zurufe AfD)

Ja, über die Corona-Maßnahmen wird diskutiert. Das Thema Impfpflicht ist sehr komplex. Die Entscheidung trifft der Deutsche Bundestag. Genau das ist der Punkt: In einer Demokratie gehört das zu einem Abwägungsprozess. Das hat nichts mit Diktatur zu tun. Einzelinteressen dürfen auch nicht entscheidend sein für Interessen, die die Allgemeinheit zu schützen haben. So ist das auch bei diesen Maßnahmen. Den Rechtsstaat zeichnet eben aus, dass man auch gerichtlich gegen Entscheidungen vorgehen kann. Auch wir müssen es ertragen, dass Gerichte Entscheidungen von Parlamenten oder Regierungen aufheben; das ist ein ganz normales Verfahren. Ich bin stolz, dass so etwas in einer Demokratie möglich ist.

(Beifall SPD, vereinzelt CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Freie Demokraten und Rolf Kahnt (frak- tionslos))

Wenn dann zu Hetze, Gewalt und teilweise zu Mord aufgerufen wird: Wo ist denn da die Distanzierung der AfD? Wenn in Kassel von den sogenannten Montagsdemos und den Corona-Leugnern aufgerufen wird, man könne ja auch mal am Haus des Kasseler Oberbürgermeisters vorbeidemonstrieren, der dort mit seiner Familie wohnt, Wissenschaftler und Ärzte bedroht werden, dann ist das nicht mehr lustig. Wenn nach der Ermordung von zwei Polizeibeamten vor wenigen Tagen in der Pfalz über die sozialen Medien verkündet wird: „Das freut uns, dann hat die Polizei jetzt was anderes zu tun“, dann ist das schäbig und menschenverachtende Politik, die hier betrieben wird.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Freie Demokraten, DIE LINKE und Rolf Kahnt (fraktionslos) – Zurufe AfD – Glockenzeichen)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß, dass auch in demokratischen Parteien Mitglieder solche Sachen kritisch sehen. Ja, das können wir wahrscheinlich alle belegen. Trotzdem stellen wir uns dem Diskurs in einem rechtsstaatlichen Verfahren, und wir verteidigen die Demokratie. Wir erwarten auch, dass die Polizei – ich will den Polizeibeamtinnen und -beamten ausdrücklich für ihren schweren Job danken, den sie zu leisten haben – die örtlichen Versammlungsbehörden mit unterstützt; die schaffen das nämlich nicht allein, Herr Innenminister Beuth. Das Versammlungsrecht ist ein hohes Gut, aber wenn es umgekehrt um die Einhaltung von Auflagen, Abständen und Maskenpflicht geht, muss auch das ein Rechtsstaat konsequent umsetzen können.

Deshalb haben wir gemeinsam die Aufgabe, das Versammlungsrecht als ein Grundrecht zu schützen. Aber wir haben auch die Verpflichtung, gemeinsam als Demokraten unsere Verfassung und die Grundrechte zu schützen, nämlich auch die Unversehrtheit des körperlichen Lebens. Gegenüber den Feinden der Demokratie müssen wir gemeinsam wachsam sein. Erst Worte, dann Taten – eine Lehre aus der deutschen Geschichte.

(Zurufe AfD)

Die Beiträge der AfD zeigen, wir müssen gemeinsam wachsam bleiben. – Vielen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE, vereinzelt CDU, Freie Demokraten und Rolf Kahnt (fraktionslos))

Meine Damen und Herren, es geht schon wieder ein bisschen hoch her. Der Kollege Rudolph hat von einer rechtsextremen Partei gesprochen.

(Günter Rudolph (SPD): Ja! – Zurufe: Stimmt ja auch!)

Ich darf vielleicht einmal aussprechen. – Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD hat das moniert. Herr Dr. Grobe, ich würde vorschlagen, dass wir diese Thematik einmal im Ältestenrat behandeln und klären, sonst kommen wir hier nicht weiter. Rechtsextrem, linksextrem, mitteextrem: Ich bitte darum, dass wir das einmal im Ältestenrat behandeln, sonst haben wir heute zu viel zu tun.

Frau Kollegin Kula, bitte.

(Unruhe – Glockenzeichen)

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es gibt aktuell viele Gründe, auf die Straße zu gehen: Angst vor Jobverlust, Armut, fehlende Maßnahmen in Kitas und Schulen, Überlastung von Familien, zunehmende soziale Spaltung. Über all das machen sich viele Menschen legitime Sorgen, und Kritik an einer chaotischen und kaum noch nachvollziehbaren Corona-Politik ist und bleibt notwendig.

(Beifall DIE LINKE)

Die Organisatoren der Montagsspaziergänge aber rekrutieren sich hauptsächlich aus dem Querdenkermilieu. Diese Gruppen leugnen die Existenz oder Gefahr des Corona-Virus und stellen oft krude pseudowissenschaftliche Behauptungen mit dem Hang zu Verschwörungsmythen auf.

(Zuruf Robert Lambrou (AfD))

Sie missachten häufig bewusst Auflagen zum Infektionsschutz, verhalten sich dadurch unsolidarisch und egoistisch, und gefährden ihre Mitmenschen.

(Beifall DIE LINKE)

Mittlerweile hat sich die Bewegung radikalisiert: Spucken, anhusten, zuschlagen – das sind nicht selten die Reaktionen von „Spaziergängern“ gegenüber Presse, Polizei und Gegendemonstranten. Die Gruppen organisieren sich meist über den Messengerdienst Telegram in Gruppen, die harmlos klingen und doch häufig eine Plattform für Desinformation, Hass und Hetze darstellen. Menschen, die Fragen haben, sich vielleicht jenseits von Printmedien und Fernsehen informieren, kommen in diesen Gruppen in Kontakt mit organisierten rechten Kräften und geraten öfter in einen Strudel der Desinformation und Verschwörungserzählungen.

Aber nicht nur im Netz nutzen extremrechte Kräfte die Sorgen und Nöte der Menschen in der Corona-Pandemie für ihre Interessen aus: Bei den Montagsspaziergängen in Hessen tauchen immer wieder Gruppierungen wie der rechtsextreme Dritte Weg oder die NPD auf, die AfD ist fast überall dabei. Auch sind dort immer wieder antisemitische Entgleisungen zu beobachten, wie etwa das Tragen des gelben Sterns mit der Aufschrift „ungeimpft“, was eine Relativierung des Holocaust darstellt und durch nichts zu entschuldigen ist.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, vereinzelt CDU, Freie Demokraten und Rolf Kahnt (fraktionslos))

Um es an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich zu sagen: Immer und überall, wo Nazis, Rechtspopulisten und andere Faschisten auftauchen, ist mit unserem Widerspruch und Protest zu rechnen.

Nun treffen sich montags zum Spazierengehen aber nicht nur überzeuge Neonazis. Stattdessen lässt sich eine bunte Mischung aus verschiedenen Milieus beobachten.

(Zuruf AfD: Aha!)

Die gesunkene Hemmschwelle dieser Menschen, sich mit extrem rechten Kräften gemeinzumachen, ist echt besorg

niserregend. Aber man kann es sich nicht so einfach machen und nur den moralischen Zeigefinger in Richtung dieser Menschen heben. Wir müssen uns doch die Frage stellen, warum vermeintlich ganz normale Leute bei diesen Demos mitmachen.

Man kann dieses Phänomen nicht erklären, ohne auf den erheblichen Vertrauensverlust eines großen Teils der Bevölkerung in staatliche Institutionen und politische Entscheidungsträger hinzuweisen. Schon vor Corona gab es tiefe Risse in dieser Gesellschaft. Viele Menschen haben die Erfahrung gemacht, dass – eigentlich egal, welche Parteien regieren, ich nehme meine sozusagen mit in die Pflicht – die sozialen Verwerfungen immer weiter zunehmen und Politik eher zugunsten von Vermögenden und Wirtschaftsinteressen gemacht wurde. Diese Erfahrung hat den sozialen Nährboden für das gelegt, was wir hier im Parlament auf der rechten Seite sehen, aber auch für Verunsicherung und Anfälligkeit für die Vereinnahmung von rechts bei Protesten gegen die Corona-Politik.

Die Wahrnehmung, dass sich Unionspolitiker mit Maskendeals bereichert haben und ein undurchschaubares Maßnahmenchaos auf dem Rücken von Kultur, Gastronomie und Pflege durchgesetzt wurde, in der schon lange vor der Pandemie erschöpftes sowie durch Privatisierung und Profitlogik ausgebeutetes Personal den Kopf für falsche Politik hinhalten musste, dass die Politik es zwei Jahre lang nicht geschafft hat, Luftfilter an den Schulen zu installieren, diese Wahrnehmung trägt zu einem weiteren Vertrauensverlust bei. Unser Finger, der auf diejenigen Menschen zeigt, die kein gefestigtes rechtes Weltbild haben, sich aber auf politischen Abwegen befinden und an diesen Demos teilnehmen, zeigt auch auf uns zurück. Wir müssen alles dafür tun, das Vertrauen derjenigen Menschen zurückzugewinnen, die sich in der Corona-Krise von Gemeinsinn und Demokratie abgewendet haben. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Kollegin Kula. – Das Wort hat nun der Abg. Alexander Bauer, CDU-Fraktion. Alexander, bitte.

Hochverehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu unserem Alltag in Corona-Zeiten zählen mittlerweile auch mancherorts die sogenannten Spaziergänge von Bürgerinnen und Bürgern, die auf diese Weise ihren Protest gegen die Maßnahmen des Staates zur Pandemiebekämpfung zum Ausdruck bringen wollen.