Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Zu diesem Thema hatte ich schon vor einem Jahr in der Debatte für den REGENBOGEN gesagt, daß wir natürlich auch die bestmögliche Förderung aller Kinder wollen. Das bedeutet auch, daß wir die bestmögliche Förderung für besonders Begabte wollen. Daran hat sich bis heute auch nichts geändert. Ich möchte aber trotzdem noch einmal die Möglichkeit nutzen, zu zwei Punkten etwas zu sagen, die ich problematisch finde.
Das ist erstens die Verankerung der Begabtenförderung in den Schulprogrammen. Denn wirft man noch einmal einen Blick auf die Große Anfrage zur Schulprogrammentwicklung, so wird dort in der Auswertung aller abgegebenen Schulprogramme folgendes festgestellt – ich zitiere –:
„Auffallend ist die häufige Nennung der Begabtenförderung, während die Förderung lernschwacher Schülerinnen und Schüler in den meisten Schulprogrammen nicht in den Vordergrund gerückt wird.“
Ich finde, das ist sehr bedenklich. Da kann ich nur sagen, so bitte nicht, das muß auch ausgewogen sein.
Zweitens zum Schulversuch „Springergruppen“. Ich finde in der Tat, daß Springergruppen besser sind als individuelles Springen, weil sie es ermöglichen, einen gewissen sozialen Zusammenhalt Gleichaltriger beizubehalten. Nun muß man natürlich vorweg sagen, daß dies gar nicht der Grund ist, weshalb Springergruppen eingerichtet wurden, sondern mit den Springergruppen – noch einmal Zitat –:
Das funktioniert so: Vor der Teilnahme eines Kindes an einer Springergruppe gibt es im Halbjahreszeugnis vor dem Start solch einer Gruppe eine Empfehlung dafür, und dann gibt es Elterngespräche. Zum einen finde ich, daß die Auswahl für die Gruppen viel zu früh angesetzt wird. Von den sieben Gymnasien, die an diesem Schulversuch teilnehmen, beginnt an drei Gymnasien die Springerphase bereits in Klasse 6, das heißt nach einem halben Jahr auf dem Gymnasium, mit zehn Jahren fällt der Hammer, ob du als Kind leistungsstark bist oder nicht. Welch pädagogischer Quatsch.
Zum anderen zeigt sich bei diesen Springergruppen aber auch noch ein anderes Problem, auf das ich bereits vor einem Jahr in der Debatte eingegangen bin, das aber noch niemand von irgendeiner anderen Partei aufgegriffen oder berücksichtigt hat. Es ist doch die Frage, ob besondere Begabung möglicherweise nicht auch mit purem Elternehrgeiz verwechselt werden kann. Wir sind nach wie vor der Auffassung, daß es nicht sein darf, daß die besonderen Begabungen dem Ehrgeiz der Eltern oder auch derem Geldbeutel entspringen, was nämlich heißen würde, daß die besonderen Leistungen der Kinder auf häuslichem oder auch bezahltem Eintrichtern von Wissen beruhen. Aber ganz anderes zeichnet sich nämlich ab. So habe ich mir zum Beispiel sagen lassen, daß das Gymnasium Willhöden in Blankenese, also ein Gymnasium, das gerade an diesem Schulversuch „Springergruppen“ teilnimmt, die Eltern wie nichts Gutes dahinterher jagen, daß möglichst alle Kinder in Springergruppen kommen, und dort ein richtiger Kleinkrieg ausgebrochen ist. Ich finde das wirklich völlig neben der Spur und vor allem den Kindern gegenüber völlig unzuträglich.
Schulzeitverkürzungen, zum Beispiel durch Springergruppen, dürfen nicht dem kollektiven Phantasma von Eltern, Politikern und Wirtschaft von einer früheren Verwertbarkeit für den Arbeitsmarkt entspringen und auf dem Rücken möglicherweise auch überforderter Kinder ausgetragen werden.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Förderung begabter, besonders begabter, hochbegabter Kinder ist über lange Zeiträume ein wenig beachtetes Thema gewesen, wenn man es freundlich formuliert. Wenn man es weniger freundlich und ein bißchen schärfer formuliert, dann kann man sagen, daß das ein Tabuthema gewesen ist.
Herr Engels, eigentlich hatte ich mir vorgenommen, die Schlachten der Vergangenheit nicht zu schlagen, aber dann will ich doch mit einem Satz auf Ihren Beifall eingehen. Wenn man allerdings bedenkt, daß es in den siebziger und achtziger Jahren eine Bildungsexpansion gegeben hat, in einem heute kaum verständlichen Ausmaß, dann muß man sagen, daß da natürlich auch unendlich viele Be
gabungsreserven dadurch gefördert worden sind, die in früheren Zeiten überhaupt nie eine Chance gehabt hätten.
Aber ich will gerne zugeben, daß wir in der Vergangenheit unser Augenmerk zuwenig auf ganz besonders begabte, hochbegabte Kinder gelegt haben. Ich bin deswegen sehr froh darüber, daß wir sagen können, daß wir heute wirklich einen Paradigmenwechsel haben, aber der ist auch nicht vom Himmel gefallen, sondern hier in Hamburg jedenfalls ist er ein Ergebnis konsequenter Schulpolitik. Ein wesentlicher Meilenstein in diesem Zusammenhang ist das Hamburger Schulgesetz 1997 gewesen, das einen erweiterten Förderbegriff festgeschrieben hat. In unserem Schulgesetz heißt es in Paragraph 3 Absatz 3, daß Unterricht und Erziehung so gestaltet werden sollen,
„daß Schülerinnen und Schüler in ihren individuellen Fähigkeiten und Begabungen, Interessen und Neigungen gestärkt und bis zur vollen Entfaltung ihrer Leistungsfähigkeit gefördert und gefordert werden“.
Danach ist das Fördern nicht ausschließlich ausgerichtet auf das Aufholen von Lernrückständen und Lernbeeinträchtigungen, sondern es geht auch um die Gestaltung von lernförderlichem Unterricht für alle Schülerinnen und Schüler.
Nun wissen wir natürlich aus der LAU-Untersuchung, daß wir hier immer noch einen erheblichen Handlungsbedarf für die Zukunft haben. Wir wissen, daß insbesondere leistungsschwächere Schülerinnen bemerkenswert und mit bemerkenswerten Erfolgen gefördert worden sind. Das soll man auch nicht kleinreden, und das soll auch in Zukunft so bleiben, daß wir Schwache natürlich fördern werden. Aber wir wissen aus der LAU-Untersuchung auch, daß besonders leistungsstarke Schülerinnen und Schüler bisher etwas weniger gut, zuwenig gefördert worden sind. Das allerdings ist keine Hamburgensie. Das ist ein Ergebnis der Schulforschung, auch bundesweit.
So richtig und wichtig es ist, schwache Schülerinnen zu fördern, so können und sollten wir es uns aber auf der anderen Seite nicht leisten, die besonders begabten Jugendlichen dabei aus den Augen zu verlieren. Oder anders gesagt, auch leistungsstarke Schülerinnen und Schüler haben es bisweilen nötig, auf jeden Fall aber verdient, in ihren Stärken unterstützt zu werden.
Vor diesem Hintergrund ist hier ein ganzes Bündel von flächendeckenden Maßnahmen in Hamburg auf den Weg gebracht worden, die ich nicht noch einmal besprechen möchte. Es ist zu verschiedenen Maßnahmen auch schon einiges gesagt worden. Ich möchte mich deswegen gerne auf drei Aspekte beschränken.
Erstens: In meinen Augen sind Wettbewerbe ungeheuer wichtig. Hier ist in den vergangenen Jahren sehr viel von seiten der Schulen, von seiten der Lehrerinnen und Lehrer geschehen, auch von seiten der Schulbehörde, dieses zu unterstützen: das Engagement und die Neugier von Kindern zu fördern, aber auch das Engagement von Kolleginnen und Kollegen, das sicherlich immer dazu kommen muß, um Kinder dazu zu bringen, sich einer solchen Situation zu stellen, und sie auch entsprechend darauf vor
zubereiten. Wir können sehen, daß die Teilnahme an Wettbewerben in einem wirklich beachtlichen und, ich finde, erfreulichen Maß zugenommen hat. Ich würde mir wünschen, daß das in dieser steilen Kurve weiter nach oben gehen möge.
Zweitens eine Bemerkung zum Springen. Ich finde es richtig, daß wir diese Form des Springens in Gruppen hier ermöglicht haben, denn jeder Mensch weiß, daß Springen für Kinder eine Sache ist, die sie nicht gerne tun, aus guten Gründen, weil sie sich aus ihrer sozialen Gruppe lösen müssen, aber auch, weil sie natürlich in eine Gruppe von Älteren kommen und immer in der Gefahr stehen, ein Außenseiter zu bleiben. Mir hat ein hochintelligenter Mann, der heute nicht hier ist, aber sonst häufig da ist, gestanden, daß er in seinem Leben zweimal gesprungen ist. Das hat ihn intellektuell befriedigt, aber emotional leidet er eigentlich bis heute darunter. Das sollten wir Kindern ersparen und es ihnen trotzdem möglich machen, in ihrem Lerntempo weiter voranzukommen.
Richtig finde ich aber, den Aspekt zu prüfen, ob wirklich die Klasse 6 oder 7 der einzig mögliche Zeitpunkt sein und bleiben muß, um diese Maßnahme anzusetzen. Ich kann mir sehr gut vorstellen – wie das Frau Koppke hier auch gesagt hat –, daß natürlich auch spätere Zeitpunkte noch geeignet sein können, etwa Kindern, die sich nach der Pubertät richtig berappelt haben, auch noch eine Chance zu geben, doch dann ein bißchen schneller den Rest zu erledigen. Ich kann mir eine Ausweitung des Springens auch für Schülerinnen und Schüler in höheren Klassen sehr gut vorstellen.
Drittens: Ich möchte noch eine Bemerkung zu der Beratungsstelle machen, die hier schon mehrmals genannt worden ist. Ich denke, sie hat anläßlich ihres fünfjährigen Bestehens wirklich einen Grund zum Feiern. Ihre Erfolge sind hier dargestellt worden. Ich kann das nur noch einmal unterstreichen. Insbesondere freue ich mich darüber, daß diese Stelle durchaus auch in die Breite wirkt, indem sie Modelle und Pilotprojekte in Szene setzt, die es dann ermöglichen, dieses auch an vielen Schulen durchzuführen, etwa – das ist hier, glaube ich, schon genannt worden – philosophieren mit Kindern, Kunstschule für Kinder und „Jugend-forscht-Cafés“.
Wichtig ist, daß man Lehrerinnen und Lehrer dazu ertüchtigt und ihnen die entsprechenden diagnostischen Kompetenzen ermöglicht. Das aber geht nicht ohne Forschung. Ich freue mich deswegen, daß wir in Kooperation mit dem Fachbereich Erziehungswissenschaften der Universität Hamburg dieses bereits erwähnte Projekt „PriMa“ gestartet haben, in dessen Rahmen neue diagnostische Verfahren entwickelt und erprobt werden. Wir werden in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule auch ein weiteres Kooperationsprojekt durchführen.
Meine Damen und Herren! In dieser Debatte ist sehr deutlich geworden, daß Hamburg ein Maßnahmenbündel auf den Weg gebracht hat. Meine Anstrengung wird dahin gehen, die erfolgreichen Maßnahmen fortzuführen, auszuweiten und mit Kreativität weitere Fördermaßnahmen in der Zukunft zu suchen, zu finden und umzusetzen. – Vielen Dank.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf, Drucksache 16/5790: Große Anfrage der GAL-Fraktion zum Thema „Zukunft der Berufsfachschule in Hamburg“.
[Große Anfrage der Fraktion der GAL: Zukunft der Berufsfachschulen in Hamburg – Drucksache 16/5790 –]