Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Am 1. Januar diesen Jahres trat die Gesundheitsstrukturreform 2000 in Kraft, mit der insbesondere die unselige Budgetierung im Gesundheitswesen fortgeschrieben wurde. Die Gesetzesänderungen treffen auf der Patientenseite lediglich die gesetzlich Krankenversicherten, nicht aber Privatversicherte und Sozialhilfeempfänger ohne eigene Krankenversicherung, also die Bezieher der Krankenhilfe. Dieses führt zur Ungerechtigkeit und Schlechterstellung der Beitragszahler.
Ich möchte es mit einem Beispiel belegen, der Arzneimittelverordnung. Sie wissen, daß bei Überschreitung die Ärzte mit ihren Einkünften haften. Dieser Regreßanspruch gilt übrigens gegenüber allen Vertragsärzten in Hamburg, also auch denjenigen, die ihr eigenes Budget nicht überschritten haben, und sogar denjenigen, die selber gar keine Medikamente verschreiben, wie zum Beispiel Röntgenärzte. Das Hamburger Arzneimittelbudget 1999 war um rund 70 Millionen DM zu niedrig bemessen. Deshalb sollen nun die Ärzte 45 Millionen DM als Regreß leisten.
Dieser Arzneimittelregreß gilt aber nur für Verordnungen für gesetzlich Krankenversicherte. Er gilt weder für Privatpatienten noch für Sozialhilfeempfänger ohne Krankenversicherung. Ärzte dürfen bei nicht krankenversicherten Sozialhilfeempfängern teurere Medikamente und Heilmittel verschreiben als bei Kassenpatienten. Festbeträge, Budgets und Verordnungsausschlüsse gelten faktisch nicht. Entsprechend fiel auch die Ausgabensteigerung der BAGS für Arzneimittel aus:von 1998 auf 1999 eine Steigerung von rund 27 Prozent, während die sonstigen Arzneimittelausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung lediglich um 8 Prozent gestiegen sind.
Es ist doch einleuchtend, daß diese Budgetierung zu einer Änderung des Verhaltens in der Ärzteschaft geführt hat, denn sonst wäre das Ziel der Kostendämpfung gar nicht erreicht worden.Aber es kann im Ergebnis nicht sein, daß ein Arbeitnehmer, der regelmäßig seine Beiträge zur Krankenversicherung bezahlt, schlechter gestellt wird als jemand, der aus anderen Gründen von der Allgemeinheit versorgt wird und keinen eigenen Beitrag zur Finanzierung des Gesundheitssystems leistet. Wer diese Gerechtigkeitslücke duldet, gefährdet damit den sozialen Frieden im Gesundheitswesen, und davon haben letztlich auch die nicht krankenversicherten Sozialhilfeempfänger eher den Schaden. Die Lösung kann deshalb nach Meinung der CDU nur sein, diese Form des Arzneimittelbudgets und Regresses abzuschaffen. Einen entsprechenden Antrag haben wir eingebracht, über den nachher auch abgestimmt wird.
Aber auch durch ein großzügiges Bewilligungsverhalten der BAGS gegenüber den meisten Krankenkassen kommt es zu Ungerechtigkeit und Schlechterstellung von Beitragszahlern, auch hier ein Beispiel: Akupunktur bei Drogensüchtigen.Am besten haben es die Privatpatienten, sie bekommen diese Therapie von der Versicherung bezahlt. Danach kommen die Sozialhilfeempfänger ohne Krankenversicherung; auch hier zahlt das Sozialamt. Die übrigen gesetzlich Krankenversicherten bekommen es in der Regel nicht bezahlt, können es sich aber selbst leisten. Und ganz am Schluß dieser traurigen Reihe stehen Sozialhilfeempfänger, die noch eine eigene Krankenversicherung haben, denn da zahlt es weder die Krankenversicherung noch das Sozialamt, und sie selbst können es sich auch nicht leisten.
Diese Ungleichbehandlung führt auch zur Ungleichbehandlung zwischen Sozialhilfeempfängern.Es ist also nicht die Frage, ob man gesetzlich versichert oder Sozialhilfe
empfänger ist, sondern innerhalb der Sozialhilfeempfänger sind die Sozialhilfeempfänger mit gesetzlicher Krankenversicherung am schlechtesten gestellt.
Doch damit nicht genug.Schlimm ist die Situation durch die mangelnde Kontrolle der jährlichen Ausgaben von 200 Millionen DM für Krankenhilfe. In der Folge kommt es zu Unwirtschaftlichkeit und Verschwendung, und auch das führt zu fehlender Gerechtigkeit. Bei der Gewährung der Krankenhilfe hat die BAGS keinen Steuerungsmechanismus zur Verfügung. Die Krankenhilfekosten unterliegen keiner Budgetierung, es gibt keine andere Form von indirekter Leistungsbegrenzung. Die inhaltliche und rechnerische Überprüfung dieser Abrechnungen soll durch die Sozialdienststellen der Gesundheitsämter wahrgenommen werden. Aber für die Überprüfung von 860 000 jährlichen Einzelabrechnungen steht keine eigene Stellenkapazität zur Verfügung, sondern dies wird von den Sozialamtsmitarbeitern nebenher miterledigt.Auch eine EDV-Unterstützung gibt es dafür nicht. Die Abrechnungen werden laut Senatsantwort auf meine Kleine Anfrage stichprobenartig geprüft. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie klein diese Stichprobe von den 860 000 sein kann.
Der Senat mußte auf meine Kleine Anfrage außerdem einräumen, daß Behandlungsscheine nicht einmal den Personenakten zugeordnet, sondern irgendwo stapelweise abgelegt werden. Dadurch sind Doppelbehandlungen, Mehrfachuntersuchungen und Verordnungen gar nicht feststellbar. Frau Mandel, Sie schütteln den Kopf, lesen Sie die Anfrage. Der Senat hat diese Frage mit Ja beantwortet. In einer seltenen Klarheit hat er genau dieses schriftlich bestätigt; es ist leider so.
Der gesamte Bereich der Krankenhilfe in der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales mit einem jährlichen Ausgabenvolumen von 200 Millionen DM Steuergeld verläuft unkontrolliert und chaotisch. Schon in mehreren Jahresberichten hat der Rechnungshof das kritisiert. Im Jahr 1992 hat er die Mißstände alle einzeln aufgelistet, doch gehandelt hat bisher keiner der Sozialsenatoren, nicht Ortwin Runde, nicht Helgrit Fischer-Menzel und auch noch nicht Frau Roth. Hinweise auf dieses Chaos und die Gerechtigkeitslücke werden in der Regel nur mit Polemik abgetan. Dabei sind die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Sozialämtern bei der Kontrolle der Krankenhilfe völlig allein gelassen. In den Feinheiten der Verordnungsvorschriften kennen sich noch nicht einmal die Ärzte richtig aus, so daß auch die Bediensteten dieses nicht kontrollieren können.
Eine Zahl zum Schluß.Die Ausgabe pro Krankenversicherten bundesweit durch die AOK betrug etwa 3340 DM. Bundesweit hat der Sozialhilfeträger für Krankenhilfeempfänger 5950 DM ausgegeben und der Hamburger Sozialhilfeträger 8000 DM, also 34 Prozent mehr als der Bundesdurchschnitt und das Zweieinhalbfache dessen, was für einen AOK-Versicherten durchschnittlich ausgegeben wird.
Die Konklusion daraus ist unser Antrag, denn er fordert die naheliegendste Konsequenz, erstens per Ausschreibung ein Unternehmen zu ermitteln – das kann auch eine Krankenkasse sein, Frau Roth, Sie führen ja entsprechende Gespräche –, das für die Sozialbehörde tätig ist, um die abgerechneten Leistungen gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung und den Krankenhäusern zu überprüfen, zweitens den Medizinischen Dienst wie auch die Krankenkassen einzuschalten, um die inhaltliche Überprüfung beantragter laufender oder abgerechneter Leistungen zu gewährleisten – dies klappt schon in der Zusammenarbeit mit
der Pflegestufenfeststellung –, und drittens die Bitte an den Senat, darüber bis zum Jahresende zu berichten.
Es muß in diesem Bereich dringend etwas geschehen, denn 200 Millionen DM Steuergelder laufen hier unkontrolliert durch die Behörde, und es gibt ein großes Potential durch eine wirtschaftliche Verfahrensweise in der Behörde, ohne den Menschen etwas wegzunehmen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion machen sich Sorgen darüber, daß die Hansestadt Hamburg zu viel Geld für die medizinische Betreuung von Sozialhilfeempfängern ausgeben könnte. Diese Sorge um die Finanzen der Stadt ehrt Sie sehr, Herr Wersich. Gleichzeitig beantragen Sie aber, Steuergelder für die Einrichtung einer weiteren Prüfinstanz auszugeben, die die Abrechnung der Ärzte gegenüber dem Sozialhilfeträger Hamburg überprüfen soll. Sie wissen so gut wie ich, daß diese Prüfung bereits einerseits durch die Kassenärztliche Vereinigung und andererseits durch die Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales stattfindet. Es gibt einen Vertrag zwischen dem Sozialhilfeträger Hansestadt Hamburg und der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg vom 12.Februar 1993, der genau diese von Ihnen verlangte Prüfung von medizinischen Leistungen für Sozialhilfeempfänger regelt.
Die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg führt diesem Vertrag zufolge für die Hansestadt Hamburg Wirtschaftlichkeits- und Plausibilitätskontrollen durch. Sie bestätigt die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Honorarforderungen und stellt für die BAGS die Abrechnungsunterlagen zusammen.Falsche Abrechnungen werden von der Kassenärztlichen Vereinigung gegebenenfalls berichtigt. Die Hansestadt Hamburg hat als Sozialhilfeträger das Recht, ihrerseits die Abrechnungen zu überprüfen und nötigenfalls Korrekturen vorzunehmen. Die Kostenabrechnung erfolgt zentral über die BAGS, und zwar im Amt für Soziales und Rehabilitation. Sie unterstellen der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales mit Ihrem Antrag zu Unrecht, daß sie nicht in der Lage sei, diese Kostenabrechnung inhaltlich zu überprüfen. Die Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter verfügen sowohl über die entsprechenden Prüfungsunterlagen als auch über die notwendigen Kenntnisse, die in den letzten Jahren durch zusätzliche Schulungen und Qualifizierungsmaßnahmen auch kontinuierlich verbessert worden sind.
Die Prüfung richtet sich grundsätzlich nach den Maßstäben, die auch für die gesetzlichen Krankenkassen gelten.
Hier eine weitere Prüfinstanz zusätzlich einzurichten, wäre eine sinnlose Verschwendung von Steuergeldern. Sie, meine Damen und Herren von der CDU, unterstellen den Ärzten, für Sozialhilfeempfänger zu viel abzurechnen und zu viel zu verschreiben, um somit Verdienstausfälle im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung ausgleichen zu können. Diese Unterstellung dient aus meiner Sicht rein populistischen Zwecken.
Frau Blumenthal, so ist es. – Ebenso bekommt der behandelnde Arzt nach Paragraph 37 Absatz 3 des Bundessozialhilfegesetzes eine Vergütung in derselben Höhe, die die Vertragsärzte der AOK für die Behandlung der Mitglieder der AOK in Rechnung stellen können. Der Behandlungsumfang ist gesetzlich im Fünften Buch Sozialgesetzbuch geregelt und festgeschrieben. Die Behandlungsmaßnahmen müssen wirksam, wirtschaftlich und notwendig sein.Wenn niedergelassene Ärzte für Sozialhilfeempfänger zum Beispiel Zahnersatz oder Heil- und Hilfsmittel verschreiben, werden die Heil- und Kostenpläne von den Amtsärzten – das ist richtig, Herr Wersich – kontrolliert, und es findet zum Beispiel bei Zahnersatz eine Untersuchung statt, wo der Amtszahnarzt sich davon überzeugt, daß das notwendig ist.
Sie können nicht die gesamte Krankenhilfe in einen Topf werfen, Herr Wersich. Wenn Sie das wirklich anprangern wollen, dann müssen Sie auch immer schön bei Äpfeln oder Birnen bleiben. Die Ausgaben für ambulante Hilfen und Medikamente betrugen zum Beispiel im Jahr 1998 47 Millionen DM und im Jahr 1999 42,4 Millionen DM. Dieser Betrag ist also gesunken, und es deutet nichts, aber auch gar nichts darauf hin, daß man hier Ärzten oder irgend jemandem Mißbrauch vorwerfen kann.
Ihre Unterstellung, die Ärzte würden überhöhte Rechnungen für Sozialhilfeempfänger ausstellen und die Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales wäre nicht in der Lage, diese Rechnungen inhaltlich zu überprüfen, ist aus meiner Sicht haltlos. Gleichwohl ist der gesamte Sachverhalt komplex, und es gibt immer noch die alte Forderung in einem unserer Anträge, selbstverständlich die Sozialhilfeempfänger in die gesetzliche Krankenversicherung aufzunehmen. Das ist eine Altlast, die die vorherige Bundesregierung von 1982 bis 1998 nicht zustande gekriegt hat, aber das muß jetzt geregelt werden, da gebe ich Ihnen völlig recht.
Deswegen beantragen wir, Ihren Antrag zur weiteren Beratung an den Sozialausschuß und den Gesundheitsausschuß zu überweisen. – Danke.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Wersich, bei Ihnen liegt mal wieder, wie sehr häufig, Dichtung und Wahrheit nahe beieinander.Wenn Sie die Diskussion um die notwendige Kontrolle der Krankenhilfe mit einem Rundumschlag gegen Budgetierung im Gesundheitswesen verbinden, dann ist das höchst unglaubwürdig, denn ohne Budget – das hat auch Herr Seehofer letztlich nicht bestritten – geht es nicht. Zur Frage, wie man die Budgets umsetzt, gibt es allerdings im Arzneimittelbereich mit der Kollektivhaftung Probleme, die wir auch intern mit unserer Gesundheitsministerin diskutieren müssen.
Aber wenn Sie – ich möchte das als Beispiel aufgreifen – die Suchtakupunktur eine Errungenschaft und Avantgardefunktion des Staates nennen, um die Krankenkassen davon zu überzeugen, daß die Suchtakupunktur sinnvoll, notwendig und auch kostensparend ist, wenn Sie das herunterregulieren wollen, indem Sie argumentieren, Sozialhilfeempfänger seien bessergestellt als Krankenkassenpatienten, dann kann ich dieser Argumentation so nicht folgen. – Ich möchte Sie bitten, sich noch einmal zu melden und mit mir zu diskutieren, aber eine Zwischenfrage lasse ich im Moment nicht zu.
Sie beklagen eine Gerechtigkeitslücke. Aber diese Gerechtigkeitslücke gerade am Beispiel der Suchtakupunktur nach unten regulieren zu wollen, ist eine Argumentation, der wir mit Sicherheit nicht folgen werden.
Auf der anderen Seite beschreiben Sie die Problematik, daß in dieser Übergangssituation, in der Sozialhilfeempfänger noch nicht bei den Kassen versichert sind, mit denselben Maßstäben, wie die Kassen kontrollieren, auch die Ausgaben in der Krankenhilfe kontrolliert werden müssen. Da finde ich es schon wichtig nachzufragen, ob die KV als quasi Interessenvertretung der Leistungsanbieter die richtige Instanz ist, diese Kontrolle auszuüben, und ob die Amtsärzte, die weiß Gott viel mit Gutachten und sonstigen Aufgaben zu tun haben, auch noch in der Lage sind, über Stichproben hinaus die Kontrolle auszuüben, die nötig ist.