Ich rufe den Tagesordnungspunkt 59, Drucksache 16/5749 auf: Bericht des Umweltausschusses über Konsequenzen aus dem Atomtransporteskandal.
[Bericht des Umweltausschusses über die Drucksache 16/4729: Stellungnahme des Senats zu dem Ersuchen der Bürgerschaft vom 1./2. Juli 1998 (Drucksache 16/1052) – Konsequenzen aus dem Atomtransporteskandal – (Senatsvorlage) – Drucksache 16/5749 –]
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die deutlichste Konsequenz aus dem Atomtransporteskandal haben wir in Frankreich und letzte Woche im Wendland erleben können. Der erste Castor-Transport seit dem Skandal hat deutlich gemacht: Es gibt in diesem Land keinen Konsens in Sachen Atomenergie. Mögen Betreiber und Regierung sich einen ungestörten Weiterbetrieb ihrer Anlagen wünschen, soviel sie wollen, der Widerstand dagegen ist ungebrochen. Das Atomprogramm der aktuellen Regierung wird genauso bekämpft wie das aller Vorgängerregierungen. Das ist gut so und findet unsere Unterstützung.
Mich hat das Ausmaß ein bißchen überrascht; das hat meine Erwartungen fast übertroffen. Denn trotz aller Schikanen, die sich keine CDU-Regierung vorher herausgenommen hat, haben sich mehr Menschen an den Protesten beteiligt als je zuvor. Ein derart in die Grundrechte eingreifendes Demonstrationsverbot habe ich im Wendland vorher noch nie erlebt. Einen Belagerungszustand für einen ganzen Landkreis zu schaffen, der den Menschen vor Ort ein Alltagsleben fast unmöglich macht, und für Menschen, die von weit herkommen, bei dieser Witterung ein Zeltverbot auszusprechen, ist schlicht eine Riesensauerei, die durch gar nichts gerechtfertigt gewesen ist und die nur deutlich macht, daß dieser Regierung jedes noch so hinterhältige Mittel recht ist, um den legitimen Protest zu verhindern.
Diese Schikanen – das war dann fast wieder das interessanteste Erlebnis – haben vor Ort eher das Gegenteil bewirkt, als was es eigentlich sollte. Denn viele, lange Zeit unentschiedene Wendländerinnen und Wendländer haben sich solidarisiert, haben ihre Türen für die Menschen geöffnet, die kein Obdach hatten. Sie haben den Protest unterstützt. Gegen diesen immer breiter werdenden Widerstand ist das Endlager – darum geht es letztendlich in Gorleben – vor Ort nicht durchzusetzen, auch nicht bei einer rotgrünen Regierung.
Damit muß auch das gesamte Atomprogramm verändert werden. Denn ohne Endlager dürfen AKWs in diesem Land nicht am Netz bleiben. Ohne dieses Endlagerkonzept, das ohnehin viel zu riskant gewesen wäre, dürfen die Zwischenlager, die in Gorleben und in Ahaus schon bestehen und demnächst an anderen Standorten errichtet werden, nicht in Betrieb gehen oder in Betrieb bleiben, denn sonst
würde aus diesen Zwischenlagern eine dauerhafte Endlagerung. Der Atomkonsens zum Weiterbetrieb der Atomanlagen ist von Anfang an Unfug gewesen. Aber jetzt ist deutlich geworden, daß dieser Atomkonsens in diesem Land keinen Bestand haben kann.
In der vergangenen Woche ist auch deutlich geworden, daß diese Transporte ins Zwischenlager Gorleben zukünftig nicht in dem geplanten Umfang stattfinden werden. Denn nach diesem Erlebnis ist auch klargeworden, daß beim nächsten Castor-Transport noch mehr Menschen kommen werden, um dagegen zu demonstrieren. Beim nächsten Transport werden wir noch phantasievoller sein. Bereits diesmal mußte sich die Polizei eingestehen, daß sie am Rande ihrer Möglichkeiten angekommen war. Um es gleich zu sagen: Nicht die eine Handvoll Autonomer hat die Polizei dorthin getrieben, sondern die Menschenmasse, die sich drei, vier, fünf Tage immer und überall entlang der Bahngleise und der Straßen quergestellt und zivilen Ungehorsam geleistet hat. Alle diese Gruppen, ob sie nun organisiert oder unorganisiert waren, haben durch ihren zivilen Ungehorsam deutlich gemacht: Wir stellen uns quer, wir lassen den Castor nicht durch, wir pfeifen auf dieses Atomprogramm, und das machen wir immer wieder deutlich! Natürlich haben Umweltverbände auch dieses Mal wieder mit ganz effektiven Aktionen ihren Part im Konzert wunderbar gespielt. Dieses Konzert – das verspreche ich Ihnen – wird beim nächsten Mal wieder gespielt.
Diesmal waren wir alle nach vier Jahren Pause noch ein bißchen ungeübt, aber beim nächsten Mal werden wir besser aufeinander abgestimmt sein. Wenn dann tatsächlich wieder so etwas gewagt wird, wenn wir besser vorbereitet und noch mehr Menschen sind, dann wird es mich nicht wundern, wenn der anstehende Castor-Transport nicht nur 20 Kilometer zurückfahren, sondern überhaupt nicht mehr ins Wendland durchkommen wird.
Denn – auch das ist deutlich geworden – immer mehr Menschen haben begriffen, daß es in Sachen Atomausstieg offenbar dummes Zeug ist, in diesem Land auf Regierungen zu setzen. Denn derjenige, der den Atomausstieg voranbringen will, der muß sich auf die Gleise und auf die Straßen setzen. Er muß in das Vertrauen auf die eigene Kraft setzen und sie nicht an irgendwelche Regierungen abgeben,
sondern es auf diesem Wege voranbringen. Frau Schaal, daß Sie das aufregt, verstehe ich, denn das ist natürlich ein Stachel in Ihrem Fleisch als Regierungsfraktion.
Demnächst – darüber haben wir in der letzten Sitzung auch schon geredet – werden wieder Castoren durch Hamburg rollen. Demnächst wird wieder von allen Atomkraftwerken dieser unsinnige Atommülltourismus aufgenommen werden, wieder werden die Hamburger Wohngebiete unnötig gefährdet.
Noch immer kann nicht ausgeschlossen werden, daß diese Transportbehälter kontaminiert sind. Wie immer muß davon ausgegangen werden, daß von ihnen eine niedrige Neutronenstrahlung ausgeht.
Noch immer kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Transporte in Unfälle verwickelt werden, die katastrophale Folgen hätten. Und natürlich sind diese Transporte noch immer nicht nur gefährlich, sondern sie verlagern das Problem in eine Sphäre, von der wir heute wissen, daß es kein Konzept für eine sichere Lagerung gibt.
Deshalb werden wir uns und werden sich viele Menschen in dieser Stadt und aus der Umgebung auch bei diesen Transporten zukünftig querstellen. Mit dem Rückenwind aus Gorleben wird es einen ganz anderen Tanz in dieser Stadt geben.
Denn immer mehr Menschen haben gemerkt, daß die Stilllegung von Atomanlagen auf der Straße vorangebracht werden muß. Darum werden wir uns bemühen, mehr Menschen anzusprechen, damit wir auch in dieser Stadt diese Angelegenheit auf der Straße voranbringen, weil wir erleben müssen, daß Rotgrün in Hamburg in dieser Frage genauso versagt hat wie in Berlin.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Über Konsequenzen aus den Atomtransporteskandalen haben wir seit 1998 beraten, letztmalig im Oktober 2000. Der vorliegende Ausschußbericht kommt Ihnen sehr gelegen, um Ihre Kampagne weiter fortzusetzen. Nicht ungeschickt ausgenutzt, Kompliment.
Eine der wichtigsten Konsequenzen aus dem Atomtransporteskandal, Herr Jobs, ist die Einleitung des Endes der Atomenergie. Das ist eine historische Leistung gewesen, die diese Bundesregierung im letzten Jahr zustande gebracht hat.
Die Regierung hat in den Konsensvereinbarungen die Weichen für den Ausstieg gestellt. Noch in dieser Legislaturperiode wird eine entsprechende Novelle des Atomgesetzes den Deutschen Bundestag passieren.
Aber schon jetzt kommt die Umsetzung des Ausstiegsprozesses voran. Stade wird vorzeitig abgeschaltet. Es ist ein neues Entsorgungskonzept beschlossen, das auch bereits umgesetzt wird. Mit den kraftwerknahen Zwischenlagern werden künftig Transporte überflüssig. Es sind bereits 18 Zwischenlager beantragt. Aber die Genehmigungsprozesse werden eine ganze Zeit in Anspruch nehmen, denn ein Zwischenlager geht nicht mit einer einfachen Baugenehmigung über den Hocker, sondern es hat ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren zu durchlaufen, in dessen Mittelpunkt die Prüfung der Gewährleistung von Sicherheit für Mensch und Umwelt steht. Darin ist auch eine Umweltverträglichkeitsprüfung eingeschlossen. Zuständig für das ganze Verfahren ist das Bundesamt für Strahlenschutz. Ab Mitte Juni 2005 – Herr Jobs, Sie haben es gesagt – wird die Wiederaufarbeitung als Entsorgungsweg endgültig verboten.
Die Bundesregierung hat das Ziel, in Deutschland ein Endlager für alle radioaktiven Abfälle in tiefen geologischen Formationen einzurichten. Erst die rotgrüne Bundesregierung hat sich überhaupt um die Lösung des Endlagerproblems gekümmert. Das ist, wie ich meine, auch eine historische Leistung. Bisher wurde das Problem immer vor sich hergeschoben.
Wo ein solches nationales Endlager eingerichtet wird, klärt der Arbeitskreis Endlager, den die Bundesregierung 1999 eingesetzt hat. Schon im nächsten Jahr sollen die ersten Empfehlungen aus dem Arbeitskreis vorliegen und öffentlich diskutiert werden. Aber die Suche und die Auswahl eines Endlagers ist ein sehr schwieriger gesellschaftlicher Prozeß. Ganz wichtig ist, daß die Standortentscheidung und die ihr zugrunde liegenden Kriterien nachvollziehbar sind. Das war bisher nicht der Fall.
Die Entscheidung für ein nationales Endlager schließt auch mit ein, daß kein Atommüll in andere Staaten verschoben wird, wo möglicherweise ein weniger sicheres Atomkonzept vorliegt. Dieses Entsorgungskonzept schließt weiter ein, daß die über 5000 Tonnen deutschen Atommülls, die sich jetzt in Frankreich und England befinden, in die Bundesrepublik zurückgeholt werden müssen. Dazu werden noch mindestens 120 Castor-Transporte notwendig sein.
Die Rücknahme des deutschen Atommülls ist auch ein Teil der Ausstiegsstrategie. Dazu sind wir politisch und völkerrechtlich verpflichtet, das wissen Sie. Das sehen auch zwei Drittel der deutschen Bevölkerung so. Ich bin davon überzeugt, daß die Gewaltaktionen im Zusammenhang mit den Transporten Ende März von der Bevölkerung überhaupt nicht verstanden wurden.
Wenn REGENBOGEN jetzt erklärt, es gehe bei der Demonstration gar nicht darum, die Rücktransporte des Atommülls aus Frankreich nach Deutschland zu bekämpfen, dann halte ich das schlichtweg für unglaubwürdig. Für die Polizisten, die diesen Transport durchsetzen mußten, war der Einsatz alles andere als ein Spaziergang. Für die Besonnenheit, die die Einsatzkräfte unter den Bedingungen vor Ort gezeigt haben, sollten wir Ihnen danken.
Besonnenes Verhalten auf seiten der Atomkraftgegner konnte ich leider durchgängig nicht erkennen, auch wenn die Mehrheit der Demonstranten sich friedlich verhalten hat. Aber Scherbengerichte, wie sie überall vorgekommen sind – vor kurzem auch in Kopenhagen –, gehören meines Erachtens nicht dazu. Auch Menschen in Beton an Schienen zu fesseln hat nichts mehr mit Demonstrationsfreiheit zu tun.
Bei solchen Aktionen stehen Leben und Gesundheit von Menschen auf dem Spiel. Das geht nicht, Demonstranten müssen das unterbinden. Ich meine, auch in diesem Zusammenhang gilt: Wer nichts tut, macht mit!