Wir wollen mal ganz sachlich festhalten, was bei Tempo 50 passiert. Da haben wir nach neuesten Berechnungen einen Bremsweg von ungefähr 25 Metern. Bei Tempo 60 sind das schon 32 Meter, bei Tempo 69, die man fast ungestraft noch fahren kann – denn erst bei Tempo 69 beginnt nach Ihrer Definition die Sanktionierung –, bei Tempo 69 ist der gesamte Anhalteweg bei 40 Metern. Das sind 15 Meter mehr, im Zweifelsfall 15 Meter zuviel.
Wenn wir das mal andersherum ausdrücken, ich fahre Auto mit Tempo 50, das können Sie sich gut vorstellen.
Quatsch mit Soße. Sie fahren Tempo 50 – nun hören Sie mir einmal zu, das werden Sie noch ertragen können – und wenn Sie dann abbremsen, weil sie dort eine Gefahr erkennen, dann sind Sie nach ungefähr 19 Metern schon bei einem Tempo von 25.
Das ist ein Tempo, das ein Kind, das Sie dort anfahren, nach aller Wahrscheinlichkeit noch überlebt. Wenn Sie Tempo 69 fahren, sind Sie noch in dieser Reaktions
sekunde und fahren mit Tempo 69 auf das Kind und dieses Kind wird den Unfall nicht überleben. Das ist der Unterschied. So deutlich sind die Unterschiede.
Auch dieser Unterschied gilt nur unter den günstigsten Voraussetzungen. Es ist hell, der Fahrer ist konzentriert, es ist nicht nass, es gibt keine Ablenkungen. Professor Lachenmayr, der Vorsitzende der Verkehrskommission der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft, bezeichnet selbst dieses als wissenschaftlich nicht haltbar. Die Reaktionszeit von unterstellt nur einer Sekunde ist im Stadtverkehr zu kurz. Wenn Sie sich nämlich in der Stadt zum Beispiel auf Ihren Vordermann oder auf einen Fußgänger, der die Straße überquert, konzentrieren, dann sind Sie nicht mehr in der Lage, peripher zu sehen.
Das bedeutet aber, dass Sie Gefahren, die dort entstehen, wesentlich später erkennen und dass Sie dann im Zweifelsfall tatsächlich einen Unfall haben. Das wird alles noch viel schlimmer, wenn die in Hamburg völlig unüblichen Begleitumstände, wie Nässe, Dunkelheit während der Hauptverkehrszeit oder Ablenkungen durch Werbeanlagen, noch dazu kommen. Dann kracht es bei Ihnen.
Im internationalen Vergleich möchte ich jetzt einmal feststellen: In Dänemark, in den Niederlanden, in Großbritannien gibt es zurzeit flächendeckende Versuche, den Verkehr sicherer zu machen. In Schweden und in der Schweiz geht man sogar so weit, amtlicherseits „Vision Zero“ zu befördern. Das bedeutet eine Vision von null Verkehrstoten.
Das ist überhaupt nicht wahr, Herr Ehlers. Passen Sie auf, was Sie sagen. Machen Sie sich einmal schlau über das, worum es hier geht.
Die schweizerische Beratungsstelle für Unfallverhütung hat einen ganzen Katalog vielfältigster Maßnahmen entwickelt, wie man den Verkehr sicherer machen kann. Allein auf die Idee, innerorts die Höchstgeschwindigkeit heraufzusetzen, kommt in unseren Nachbarländern merkwürdigerweise niemand. Wieso eigentlich? Auch Sie werden uns hier nicht erklären können, warum das nicht Unfälle geradezu provoziert.
Gerade im internationalen Vergleich habe ich immer wieder das einzige Bild vor Augen, was Verkehrspolitik angeht, dass der Senat sich irgendwie dort hinten in den Räumen in eine Zeitmaschine gesetzt und den Hebel auf Vergangenheit gestellt hat. Legen Sie ihn doch einfach auf diese Seite des Hauses und kommen Sie mit uns in der Gegenwart an.
„Das Ziel der Koalitionsvereinbarungen, die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf Hauptverkehrsstraßen auf 60 heraufzusetzen, wird in absehbarer Zeit realisiert.“
Im Juni 2002 beschließt die Regierungskoalition, der Senat solle eine Liste der Hauptverkehrsstraßen vorlegen, in der die Höchstgeschwindigkeit auf 60 heraufgesetzt werden soll. Diese Liste sollte danach die Bürgerschaft bis zum 30. August 2002 haben. Bis zum 30. August 2002 haben wir keine Liste bekommen. Auch heute, am 6. Februar 2003, haben wir immer noch keine Liste. Das ist jetzt zehn Monate her und insofern ist die Ankündigung von Senator Schill mehr als sechs Monate nach dem Bürgerschaftsbeschluss eine interessante Geschichte. Jetzt soll eine einzige 6,7 Kilometer lange Straße auf Tempo 60 heraufgesetzt werden. Das ist aber auch noch nicht passiert, sondern das soll im nächsten Monat geschehen.
Das sage ich jetzt, um Irritationen oder möglicherweise aufkommende falsche Erwartungen bei den Regierungsfraktionen und bei der GAL auszuräumen. Wir bedauern das bisherige Nichthandeln oder zumindest das sehr zögerliche Handeln des Senats ausdrücklich nicht.
Bei uns in der SPD kam sogar schon der Verdacht auf, dass sich unter diesem Senat die Vernünftigen und die Verantwortungsbewussten, diejenigen, die nicht nur mit dem Bleifuß denken, sondern die sich auch ihrer Verantwortung für die Sicherheit, das Leben und die Gesundheit
Man konnte, Herr Reinert, für einen Moment hoffen, dass die Liste der Straßen, in denen die zulässige Geschwindigkeit erhöht werden sollte, zumindest kurz ausfällt. Diese Hoffnung hat sich aber zerschlagen, wie man überhaupt bei diesem Senat immer mit dem Schlimmsten rechnen muss.
Nach dem, was man von dem Senat hört und liest, ist mit einer wahren Horrorliste zu rechnen. Darin sind so schlimme Sachen, dass sogar die örtlichen CDU- und Schill-Politiker nicht immer folgen wollen und können. Am Montag konnte man jedenfalls in den Zeitungen lesen, dass auch die CDU- und Schill-Fraktionen in der Bezirksversammlung Nord die geplante Tempoerhöhung in der nördlichen Alsterkrugchaussee ablehnen.
Bevor jetzt nach mir die Sprecher der drei Regierungsfraktionen nacheinander das hohe Lied des durchgedrückten Gaspedals und des Geschwindigkeitsrausches singen werden, möchte ich noch einmal unsere Gründe zusammenfassen,
warum wir den geplanten Geschwindigkeitserhöhungen grundsätzlich skeptisch gegenüberstehen und meinen, dass man es sehr gut in begründeten Einzelfällen vornehmen darf, aber eben nur dort.
Erstens: Diese Regeländerungen auf bestimmten Straßen erwecken zusammen mit sonstigen Handlungen des Senats bei vielen Autofahrern und auch bei einigen Autofahrerinnen den Eindruck, auf Hamburgs Straße gilt völlig freie Fahrt für freie Bürger, Regeln müssen nicht mehr beachtet werden.
Herr Winkler hat bei der Einbringungsrede des einschlägigen Antrags im Juni letzten Jahres noch gesagt:
„Dabei muss die Ausführung der Maßnahme mit einem gezielten Geschwindigkeitskontrollüberwachungssystem verknüpft werden.“
In seiner Antwort auf die Große Anfrage macht der Senat nun deutlich, dass er gar nicht kontrollieren will. Er sagt: