Protocol of the Session on June 4, 2003

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Bei der Bebauung in Altona ist es schon interessant, dass die Bürgerschaft mit einer anderen Mehrheitszusammensetzung genau das gemacht hat, was Sie uns jetzt vorwerfen, nämlich den Bürgerwillen durch Bürgerschaftsbeschluss und einen zuvor vom Senat herbeigeführten Beschluss – also gemeinsam von Senat und damals rotgrün dominierter Bürgerschaft – ausgehebelt hat.

(Antje Möller GAL: Der Unterschied zwischen Se- nat und Bürgerschaft ist Ihnen aber schon klar!)

Ob man das Wort "aushebeln" zu Recht an dieser Stelle benutzt, kann ich nicht beurteilen, weil ich damals noch

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nicht in Hamburg gelebt habe. Nur, dies war genau das, was Sie uns jetzt vorwerfen.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Was Sie zu den Überlegungen des Landesabstimmungsleiters gesagt haben, geht in einer ganz erstaunlichen Weise an der Substanz der Überlegung von Herrn Wellinghausen vorbei. Dass die Überlegung legitim ist und aus der Sicht des Landesabstimmungsleiters sogar ein Gebot im Sinne von Volksinitiativen, sich darüber Gedanken zu machen, wie wir die Fehlerquote von Unterschriftenlisten auf ein erträgliches Maß reduzieren, zeigt doch, wenn 10 bis 15 Prozent aller Unterschriften nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprechen, dass das Verfahren verbesserungsbedürftig ist. Dass der Landesabstimmungsleiter sich darüber Gedanken macht, wie und auf welche Weise man das Verfahren verbessern kann, ist nicht nur sein Recht, sondern seine Pflicht.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Meine Damen und Herren! Sie haben im Übrigen übersehen, dass der Senat sich im Zusammenhang mit seiner Selbstbindung in keiner Weise Gedanken darüber gemacht hat, weil er sie sich gar nicht machen konnte, wie er bei künftigen Bürgerbegehren und bei bezirklichen Entscheidungen in Sachen Bauleitplanung zu verfahren gedenkt. Jede einzelne Entscheidung ist eine Einzelfallentscheidung. Deshalb kann der Vorwurf, der Senat wolle generell irgendwelche Bürgerbeteiligungen aushebeln, gar nicht richtig sein, weil er eine Bürgerbeteiligung, die er nicht kennt, weil er Bebauungspläne, von deren Inhalt er noch gar keine Kenntnis hat, nicht mit zukünftiger Wirkung jetzt schon aushebeln, an sich ziehen, evozieren oder sonst wie zur eigenen Sache machen kann. Ihre Vorwürfe sind ohne jede Substanz und ich habe den Eindruck, dass Sie möglicherweise angesichts gewisser parlamentarischer Ebbe im Moment nichts Besseres wissen, als zum Trittbrettfahrer außerparlamentarischer Initiativen zu werden.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP – Oh-Rufe bei der GAL)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Dr. Maier.

Herr Senator Kusch, der Februar-Beschluss, den Sie im Senat zur Evokation gefasst haben, hat nur die rechtliche Wirkung, dass Sie jetzt zum Chef des Verwaltungsverfahrens in Wandsbek geworden sind; über das Recht zum Beschluss des B-Plans ist damit überhaupt noch nichts gesagt. Nicht mehr die Bezirksamtsleitung Wandsbek steuert jetzt das Verwaltungsverfahren, sondern die Baubehörde, der Senat. Die Angelegenheit, die die Sache zum Gesetz macht, liegt immer in einem Parlament, entweder in der Bezirksversammlung oder aber in der Bürgerschaft. Insofern haben CDU und GAL zu Beginn der letzten Legislaturperiode die Evokation abgeschafft. Vorher hatte der Senat das Recht, eine solche Sache an sich zu ziehen und zu entscheiden; das kann er gegenwärtig nicht mehr. Deswegen ist das auch ein gutes Gesetz, das wir damals gemeinsam geschaffen haben.

(Beifall bei der GAL und bei Petra Brinkmann SPD)

Jetzt sagen Sie, Sie würden gesamtstädtische Interessen, die wachsende Stadt vertreten und man könne doch nicht die Bürger lokal dazwischenfunken lassen. Diese Stadt ist in den Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts stärker gewachsen,

(Ingo Egloff SPD: 75 000!)

als Sie es in den nächsten zehn Jahren hinbekommen werden, nämlich um 150 000. Gucken Sie sich doch einmal die Ergebnisse Ihrer ersten zwei Jahre an. In Wahrnehmung des Wachstums und der Wachstumsprobleme, Herr Reinert, haben Sie dem Volksgesetzgebungsverfahren mit den lokalen Rechten zugestimmt. Jetzt wollen Sie es abschaffen, weil Sie plötzlich derjenige sind, der es durchführen muss.

(Bernd Reinert CDU: Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich!)

Da hinkt überhaupt nichts, das ist völlig eindeutig.

Die Stadt ist in den Neunzigerjahren stärker gewachsen als sie gegenwärtig wächst. Wir haben in Wahrnehmung der Probleme dennoch diese lokalen Verfahren zum Bürgerbegehren geschaffen, weil uns nämlich eines damals klar war: Eine Vielzahl von Häusern bilden eine Siedlung, aber Bürger machen eine Stadt. Das hat der alte Rousseau einmal gesagt.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Darum sind uns aktive Bürgerinnen und Bürger unendlich viel wichtiger als die eine oder andere zusätzliche Baumaßnahme an diesem oder jenem Ort.

(Glocke)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller-Sönksen?

– Nein, dafür sind fünf Minuten zu kurz und seine Fragen auch nicht interessant genug.

(Beifall bei der GAL)

Wenn jetzt gesagt wird, Herrn Staatsrat Wellinghausen ginge es nur um die Senkung der Fehlerquote, dann frage ich mich, warum er dann nicht den Rückweg zum alten Verfahren vorschlägt, das teuer ist und das wir gerade, weil es so teuer ist, gemeinsam abgeschafft und gesagt haben, wir vergesellschaften die Sammlung der Stimmen. Er schlägt nur vor, dass nicht mehr frei gesammelt werden dürfe und die Leute alle ins Bezirksamt sollten. Von der Wiedereinführung der Benachrichtigung war keine Rede. Mit diesem Vorschlag findet eine Beschränkung des Zugangs zur Abstimmung statt und dahinter steckt ein sehr eindeutiger und sehr unangenehmer Geruch der Einschränkung der Möglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger. Wir als Parteien haben allesamt – Sie als Senat auch – erheblich damit zu tun, dass das Ansehen von Politik in der Republik nicht gut ist. Und wir sollten froh sein über jede Bürgerin und jeden Bürger, die sich aktiv um Gemeinwesen kümmern, selbst wenn sie es unter lokalen Gesichtspunkten tun, und ihnen keine Steine in den Weg legen.

(Beifall bei der GAL, der SPD und bei Norbert Frühauf Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Duden.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Senator Kusch, Ihre Replik auf die Anmeldung dieses Themas von dieser Seite des Hauses war eigentlich sehr albern. Das haben Sie in Ihrer Rede auch schon selber gemerkt, sonst hätten Sie sich inhaltlich mehr dazu geäußert.

Dieser Senat, der von einigen dieser Stadt ironischerweise Bürgersenat genannt wird, tut zurzeit alles, um diesen Begriff Lügen zu strafen, denn die Interessen der Stadt und der Bürger werden von diesem Senat nicht vertreten.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Motto, unter dem man hier auch diskutieren könnte, heißt in Wirklichkeit Bürgerabschreckung statt Bürgerbeteiligung. Sie schrecken nicht einmal davor zurück, Ihre Bezirksabgeordneten in den Bezirksversammlungen, die Beschlüsse gegen ihre eigenen Entscheidungen und Interessen fassen müssen, in diesem Haus lächerlich zu machen. Das ist ein Stil, den man nicht pflegen sollte.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Herr Reinert hat gesagt, diese Seite des Hauses sei gewählt worden, weil sie das Konzept der wachsenden Stadt im Wahlkampf deutlich gemacht habe. Da habe ich eine Erinnerungslücke, ich erinnere an den Wahlkämpfer Ole von Beust, der gesagt hat, kein Wohnungsbau in den Walddörfern und nun holt es ihn irgendwie wieder ein. Von 38 Bürgerbegehren und Volksgesetzinitiativen gibt es zwölf in dieser Legislaturperiode – die Hälfte ist gerade vorbei – und alle werden nervös. Die CDU hat dies im Wahlkampf gesagt, nun holt es sie ein und alle sind völlig aufgeregt und versuchen, einen Ausweg aus dieser Situation zu finden.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Man kann auch erkennen, dass hier ein bisschen Nervosität vorherrscht, denn die Begründungen, insbesondere von der FDP, aber auch von Herrn Reinert, waren in einigen Bereichen sehr fein ziseliert. Sie wichen ein bisschen vom Thema ab, Evokation ja oder nein und rechtliche Bedenken, aber eines ist doch ganz wichtig. Man muss doch erkennen, dass es hier ein Problem gibt, das viele Bürger in dieser Stadt interessiert. Wer davon ausgeht, dass man sagen könne, das werde schon alles in der Bürgerschaft geregelt, der befindet sich auf dem Holzweg; das muss man einmal deutlich sagen.

Herr Reinert, Sie haben hier lehrerhaft gesagt, wir sollten zuhören und würden dann viel von Ihnen lernen. Ich habe Ihrem Wortbeitrag entnommen, dass der Senat neuerdings die Gesetze beschließt. Ich sitze hier eigentlich mit einem anderen Anspruch und denke – man vergaloppiert sich ja manchmal –, wir sollten alles beim Alten lassen und in Zukunft weiterhin die Bürgerschaft die Gesetze beschließen lassen.

Aber Herr Reinert hat noch einen anderen Satz gesagt, der in diesem Zusammenhang noch einmal von uns allen aufgenommen werden sollte. Er hat nämlich gesagt, der Senat und die Bürgerschaft auf der Seite des Hauses machten das alles, um die Handlungsfähigkeit dieser Stadt aufrechtzuerhalten. Nach dieser Debatte kann man aber eher den Eindruck haben, hier soll die Handlungs

fähigkeit dieses Senats aufrechterhalten werden und nichts anderes, und das werden die Bürger merken.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Noch eine Bemerkung zur Pressemitteilung der Justizbehörde der vergangenen Woche, in der gesagt worden ist, es sei doch gar nicht schlimm, wenn man dem Bürger nach vier Wochen mitteile, vielleicht könne es klappen, vielleicht auch nicht. Bürgerbeteiligung sozusagen als Lottospiel zu gerieren, finde ich etwas daneben.

Eins will ich noch zu Herrn Rutter sagen. Sie haben gesagt, viele Bürger wüssten eigentlich gar nicht, was sie beschließen.

(Dr. Willfried Maier GAL: Das ist wie in der Bürger- schaft!)

Ich weiß nicht, ob Sie das auch in Ihren Stadtteilen so verkaufen, aber eins bleibt dabei doch hängen. Wenn die Bürger sich sachkundig gemacht haben und sich anders entscheiden, dann sind sie in der Fortführung Ihrer Argumentation vermutlich blöd. Ich hoffe, das kann man in dem Zusammenhang sagen.

(Glocke)