Protokoll der Sitzung vom 03.09.2003

Finanzpolitik ist aber kein Selbstzweck. Finanzpolitik steht nicht allein, sondern ist eingebunden in den Auftrag, das Leitbild der Metropole Hamburg als „Wachsende Stadt“ zu unterstützen und zu ermöglichen.

Im Gegensatz zu alldem, was wir eben gehört haben: Dieser Senat hat dieser Stadt ein Leitbild gegeben, eine

_____________

Ergebnisse siehe Seite 2657 A

Orientierung, wie es zuletzt vor 30 Jahren unter Bürgermeister Herbert Weichmann existierte. Und wir haben weit über die Wahlperiode hinaus den Ergeiz, dass unser Leitbild langfristig gilt und dass unsere Finanzpolitik diesem Leitbild entsprechen muss.

Die wesentlichen Leitlinien sind Ausbau der Metropolfunktion, regional und international, überdurchschnittliches Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum, Erhöhung der Einwohnerzahl, aber vor allen Dingen auch Sicherung der Lebensqualität und Zukunftsfähigkeit. Diesen Zielen wird sich die Finanzpolitik der Freien und Hansestadt unterordnen.

Dabei müssen wir aber auch sehen, dass wir vor erheblichen Problemen stehen. Probleme, die vielschichtig sind. Denn, und das ist uns klar, auch die Haushaltspolitik muss sich Sachzwängen ordnen, die für uns alle schwer in Griff zu kriegen sind. Ich möchte hier den Rechnungshof vom März dieses Jahres zitieren, der feststellte:

„Wir, die Freie und Hansestadt Hamburg, leben seit langem über unsere Verhältnisse und geben mehr aus, als wir einnehmen. Seit 1970 hat es nur ein Jahr ohne zusätzliche Kreditaufnahme gegeben, seit 1993 können wir mit wenigen Ausnahmen sogar die laufenden Ausgaben nicht mehr aus den laufenden Einnahmen bezahlen.“

Der Rechnungshof führt weiter aus:

„Wie kann Hamburg, wie kann überhaupt jemand über eine so lange Zeit mehr ausgeben, als er einnimmt?“

Und er stellt fest: Durch Rückgriff auf die Substanz und durch Verschuldung. In beiden mahnt er uns, nicht mehr weiter voranzugehen. Das bestimmt den Rahmen dessen, in dem wir uns bewegen müssen.

Die Einnahme-Erwartungen liegen auf einem weiterhin niedrigen Niveau und die Ausgaben werden auch bis jetzt immer noch nicht endgültig den Realitäten angepasst. Das ist der Grund, warum wir vor einem doppelten Problem stehen. Es ist nun unsere Aufgabe, in diesem Spannungsverhältnis eine Finanzpolitik zu gestalten.

Und wir haben weitere Altlasten zu bewältigen, unabhängig von dem Substanzverlust und auch von der Verschuldungsproblematik. Das ist auch der Erhaltungszustand unserer Schulgebäude, unserer Universitäten, unserer Häfen und unserer Straßen, die allesamt in einem beklagenswerten Zustand sind, und wir haben viele ungelöste Probleme, wie zum Beispiel bei dem Landesbetrieb Krankenhäuser und bei pflegen & wohnen.

Deswegen ist unsere gemeinsame Erkenntnis, dass wir bei einer Bewertung der Ursachen sowohl ein Einnahme- wie auch ein Ausgabenproblem haben.

Ursache der Steuerausfälle ist in erster Linie die wirtschaftliche Entwicklung und damit die verfehlte Wirtschaftspolitik des Bundes, die nunmehr fast alle Länder, Städte und Gemeinden sowie den Bund vor fast unlösbare Aufgaben bei der Aufstellung ausgeglichener Haushalte stellt. Diese Probleme sind nicht nur konjunkturell, sondern sie sind eben auch strukturell bedingt.

Aber Ursache für die kritische Haushaltsentwicklung sind auch die Ausgaben. Jahrelang haben Bund, Länder und Gemeinden die Steigerung ihrer Ausgaben an unrealistischen Zuwachsraten der Einnahmen orientiert mit dem Problem, dass die Lücke zwischen Einnahmen und Aus

A C

B D

gaben immer größer wurde. Heute wissen wir, dass die dramatischen Einbrüche bei den Steuereinnahmen im Jahre 2001 keine Ausnahme waren, sondern auch in Folgejahren auf diesem niedrigen Niveau verharren.

Das Problem der Bundesrepublik Deutschland ist, dass wir im Moment eine Steuerquote haben, wie wir sie in der Vergangenheit noch nie gehabt haben. Sie ist extrem niedrig, ohne dass dieses das Ergebnis rationeller planerischer Ansätze der Politik war. Es ist eher ein zufälliges Ergebnis der Steuergesetzgebung als das Ergebnis systematischer Vorausschau. Und das Zweite ist, dass eben dieses noch nicht einmal bei den Bürgern ankommt und auch nicht bei den Betrieben als zusätzliche Kaufkraft, sondern dass dies zusätzlich überkompensiert wird durch hohe Lohn- und Nebenkosten, die insgesamt dazu führen, dass die verfügbaren Einkommen in den letzten Jahren nur gesunken sind. Dieses ist das Szenario, in dem wir unsere Haushaltspolitik gestalten müssen.

Ziel für diese Stadt ist es, das Wachstum zu fördern und auf die sinkenden Steuereinnahmen zu reagieren. Wie groß unser Problem quantitativ gegenüber noch vor zwei Jahren ist, sei nur an einer Zahl gesagt: Die mittelfristige Finanzplanung, die der Senat vor zwei Jahren um diese Zeit vorgelegt hat, also noch vor der letzten Bürgerschaftswahl, ging von Steuereinnahmen aus, die etwa eine Milliarde Euro höher waren als heute. Das ist das Problem, gegen das wir anarbeiten müssen. Vor diesem Hintergrund haben wir unsere Ziele formuliert. Ausgeglichener Betriebshaushalt bis 2006, sukzessive Erhöhung der Investitionen und schrittweise Senkung der Nettoneuverschuldung.

Wir haben vor knapp zwei Jahren gesagt, dass wir das Ziel haben, den Betriebshaushalt bereits 2004 auszugleichen. Wir haben damals eine Finanzplanung aufgesetzt und einen Haushaltsplan für 2003 und 2004 erstellt. Wir haben als Senat alle uns gesetzten Vorgaben für 2003 und 2004 erfüllt. Wenn wir dennoch das Ziel eines ausgeglichenen Betriebshaushaltes 2004 nicht erreichen, dann ausschließlich, weil der Bund uns einen Strich durch die Rechnung gemacht hat und nach den beiden Steuerschätzungen eben über eine Milliarde zusätzliche Steuermindereinnahmen bei uns berücksichtigt werden müssen.

Wir gehen jetzt davon aus, dass wir das Ziel erreichen, bis 2006 einen ausgeglichenen Betriebshaushalt zu schaffen. Dann steht auch ein erster Überschuss zur Finanzierung von Investitionen zur Verfügung. Dass dieses nicht nur Plan ist und dass dieses nicht nur Finanzplan ist, werden wir durch einen Doppelhaushalt 2005/2006 gesetzlich sicherstellen, der insgesamt davon ausgeht, dass wir das Haushaltsvolumen gegenüber der Finanzplanung von vor zwei Jahren strukturell um 400 Millionen Euro verbessern, fast ausschließlich durch Absenkung der Ausgabensätze, und dass wir die Investitionen schrittweise bis auf eine Milliarde Euro erhöhen und gleichzeitig die Neuverschuldung schrittweise bis 2007 auf 600 Millionen Euro pro Jahr absenken.

Wir haben uns natürlich auch gefragt, ob es zu diesem Kurs Alternativen gibt. Sicher wäre der Verzicht auf die Konsolidierung unter Inkaufnahme höherer Neuverschuldung eine Alternative. Das würde aber bedeuten, dass ohne gegensteuernde Maßnahmen auf der Ausgabenseite die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts für mehrere Jahre in Folge hätte erklärt werden müssen. Das ist verfassungsrechtlich nicht möglich und deswegen

werden wir dieses nicht hinnehmen. Am Ende einer solchen Abwärtsspirale stünde – jedoch ohne Anspruch auf Hilfe durch den Bund – zwangsläufig die Feststellung eines Haushaltsnotstandes.

Im Hinblick auf den Haushaltsnotstand erlauben Sie mir eine Bemerkung zum aktuellen Zehn-Punkte-Programm der SPD. Berlin hat gestern den Haushaltsnotstand erklärt, Bremen hat dies bereits vor einigen Jahren getan. Beide Länder haben also einen Haushaltsnotstand. Wieso, meine Damen und Herren von der SPD, Ihr ZehnPunkte-Programm unter Finanzen den Punkt umfasst, dass eine Allianz der Stadtstaaten Hamburgs Finanzen bei den Entscheidungen über die Steuerpolitik sichern und die Blockadepolitik der unionsregierten Bundesländer überwinden soll, ist mir schlicht ein Rätsel. Mit zwei Pleiteländern möchte ich Hamburg nicht gemeinsam ins Bett legen.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Wir gehören in eine andere Liga. Ich sage Ihnen noch einmal – das hat auch häufig Bürgermeister von Dohnanyi gesagt –: Es war ein verhängnisvoller Fehler hamburgischer Finanzpolitik, sich mit den Schwachen zu solidarisieren, obwohl wir Geberland sind. Uns in einer solchen Situation mit den Kandidaten Bremen und Berlin zu verbünden, bedeutet für Hamburg einen politischen Irrweg ersten Ranges.

Aber auch der zweite Weg – der vollständige und sofortige Ausgleich des Haushaltes in 2004/2005 durch drastische Leistungseinschnitte auf der Aufgabenseite – wäre unrealistisch, weil er die Änderung fast aller gesetzlichen und vertraglichen Grundlagen notwendig macht, insbesondere auch von Bundesgesetzen. Wir wissen, dass die Leistungen des Bundesgesetzes von uns allein nicht geändert werden können. Deswegen haben wir den Weg einer verantwortungsbewussten Konsolidierung gewählt, nämlich konsequent in den Bereichen zu sparen, auf die ich gleich noch eingehe, um auf der anderen Seite im Interesse des Wachstums in dieser Stadt und der politischen Schwerpunkte deutliche Zeichen zu setzen.

Was bedeutet dies? Der Maßstab unseres Handelns ist die Nachhaltigkeit. Das verantwortungsbewusste Konsolidieren bedeutet Opfer, aber dennoch zumutbare Belastungen für alle. Vor allen Dingen dürfen wir nicht mehr über unsere Verhältnisse leben, wie wir es – hier hat der Rechnungshof Recht – jahrzehntelang in dieser Stadt getan haben.

Deswegen gibt es einen Mix unterschiedlicher Maßnahmen: Einerseits die Stabilisierung der Steuereinnahmen und andererseits die Überrollung der Vorjahresansätze, aufgabenkritische Einsparungen, Einfrieren der Personalausgaben, Einnahmeerhöhungen, Vermögensmobilisierung, aber auch Bundesratsinitiativen zum Subventionsabbau, um Mehrausgaben bei Ländern und Kommunen auf Dauer drastisch zu senken. Mit diesem Mix vermeidet der Senat eine für die wirtschaftliche Entwicklung schädliche prozyklische Finanzpolitik und setzt seine verantwortungsbewusste Politik für diese Stadt fort.

Vor allem wollen wir damit auch eines: Wir wollen nicht in die Situation kommen, dass wir verfassungswidrige Haushalte vorlegen müssen. Der Bund ist dabei – mittlerweile im dritten Jahr hintereinander –, im Jahr 2004 den Notstand auszurufen und das Ungleichgewicht der gesamtwirtschaftlichen Lage festzustellen. Unser Nach

barland Schleswig-Holstein wird dies vermutlich zum dritten Mal hintereinander tun. Hamburg wird auch weiterhin einen soliden Haushalt vorlegen, um nicht auf dieses Substitut, das im Grunde genommen nur ein Freibrief für höhere Verschuldungen ist, zurückgreifen zu müssen.

(Beifall bei der CDU und der Partei Rechtsstaatli- cher Offensive)

Wir werden unserer Verantwortung gerecht und stärken damit das Vertrauen in eine auf Wachstum gerichtete Finanzpolitik. Zugleich wird aber auch deutlich, dass ohne Mitwirkung des Bundes die Abwärtsspirale, in der sich die deutsche Wirtschaft befindet und die ihre unmittelbaren Auswirkungen auf die Steuereinnahmen hat, beendet werden muss. Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf, im Interesse der Bürger und der Unternehmen für Vertrauen und Berechenbarkeit zu sorgen und die entsprechenden Weichen für eine Reformgesetzgebung zu stellen.

Unsere Maßnahmen im Einzelnen, auf die ich relativ kurz eingehen möchte, weil ich glaube, dass wir vor dem Hintergrund der fortgeschrittenen Zeit die Einzeldiskussionen im Haushaltsausschuss führen können:

Am Anfang steht für uns – und das ist wichtig – die Stabilisierung der Steuereinnahmen. Das darf aber nicht durch höhere Steuern, höhere Steuersätze und schon gar nicht durch neue Steuern geschehen. Wir erteilen allen Bemühungen der Sozialdemokraten, die Vermögensteuer neu einzuführen, hier und heute eine klare Absage.

(Beifall bei der CDU und der Partei Rechtsstaatli- cher Offensive)

Wir werden auch keine höheren Steuersätze einführen, weder bei der Gewerbesteuer noch bei der Grundsteuer. Wir erklären hierzu klar: Wenn sich die Gewerbesteuer in Hamburg verändern sollte, dann nur nach unten und nicht nach oben. Wir werden diejenigen, die bei uns die Steuern bezahlen und die zu der wirtschaftlichen Entwicklung einen soliden Beitrag leisten, nicht noch zusätzlich belasten.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Aus diesem Grund richten wir unseren Appell an die Bundesregierung, die Verwirrung der Bürger und der Unternehmen im Bereich der Steuerpolitik zu beenden und insbesondere die diffusen Äußerungen von Clement einerseits und Eichel anderseits zu beenden und zu einer klaren belastbaren Aussage für die Politik in Deutschland zu kommen.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Wir haben als Basis für den Haushaltsplan-Entwurf 2004 die Steuerschätzung aus 2003 zugrunde gelegt. Das ist nicht ganz frei von Risiken. Das wissen wir, aber wir sind daran gebunden, weil dies eine Grundlage des Finanzplanungsrates ist. Gegenüber 2003 können wir bisher noch keine nennenswerten Abweichungen feststellen. Deswegen gehen wir davon aus, dass wir uns hoffentlich auf diesem extrem niedrigen Niveau – das muss man leider sagen – konsolidiert haben.

Aber ein zentrales Thema der nächsten Monate wird die Gemeindefinanzreform sein. Die Ziele hat der Senat festgelegt. Wir brauchen eine verlässliche Finanzierungsgrundlage für die kommunale Infrastruktur. Die Steuer

muss sich an der Wirtschaftskraft orientieren, um Anreize für die Ansiedlung von Unternehmen – und damit für Arbeitsplätze – zu bieten. Sie darf nicht zu einem höherem Verwaltungsaufwand führen.

Wir haben in der Kommission zur Änderung der Gemeindefinanzen lange und intensiv diskutiert, auch gemeinsam mit dem Bundesfinanzminister. Das Ergebnis war, dass die Bundesregierung jetzt ein Konzept vorgelegt hat, das allen Diskussionen in dieser Kommission – insbesondere den Interessenlagen Hamburgs – schlicht nicht entspricht. Ich habe auch an die Sozialdemokraten in dieser Stadt die herzliche Bitte: Sorgen Sie dort, wo Sie im Bund Einfluss haben – den haben Sie an einigen Stellen –, dafür, dass hier ein Konzept zum Tragen kommt, das nicht fundamental den Interessen der Freien und Hansestadt Hamburg widerspricht. Ich bin sehr froh, dass auch der Landtag in Schleswig-Holstein einstimmig – ich betone, einstimmig – den Entwurf der Bundesregierung zurückgewiesen hat. Im Norden gibt es zumindest in den Parlamenten der Länder noch Vernunft.

(Beifall bei der CDU und der Partei Rechtsstaatli- cher Offensive)

Hamburg wäre – genauso wie nach der Unternehmensteuerreform – zusätzlich von einem Einnahmeeinbruch betroffen; das können und wollen wir nicht hinnehmen.

5 Prozent der in Deutschland eingenommenen Gewerbesteuer werden in Hamburg erwirtschaftet, obwohl hier nur 2,8 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten tätig sind. Deswegen lautet heute unser Grundsatz: Lieber keine Gewerbesteuerreform als die, die die Bundesregierung derzeit vorgeschlagen hat. Ich bin sicher, dass wir hier gemeinsam auf einer Linie mit Schleswig-Holstein liegen. Wir haben im Bundesrat ein Sofortprogramm vorgeschlagen, das zumindest kurzfristig unsere Situation entlastet.

Auch in dieser Situation ist dem Bund nichts anderes eingefallen, als die dritte Steuerreformstufe vorzuziehen. Ich kenne zurzeit kein einziges Bundesland – weder SPD- noch CDU-regiert –, das das Vorziehen dieses Vorschlages fördert und unterstützt, wenn es nicht durch eine solide Gegenfinanzierung ergänzt wird. Auch hier habe ich die herzliche Bitte an die Sozialdemokraten und an die Grünen, darauf zu drängen, dass im Bund eine Gegenfinanzierung stattfindet.

Das Vorziehen kostet Hamburg im Jahre 2004 allein 300 Millionen Euro Einkommensteuermindereinnahmen und würde den Haushalt der Stadt an die Grenze der Verfassungswidrigkeit bringen. Das zeigt wieder einmal, dass offenbar Verschuldung für diese Bundesregierung keine Rolle spielt. Das Problem, vor dem wir stehen, ist, dass der Bund im Jahre 2004 zum dritten Mal hintereinander gegen die Maastricht-Kriterien verstoßen wird. Wir möchten aus Hamburger Sicht dazu keinen Beitrag leisten.