Protokoll der Sitzung vom 27.09.2006

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Sie und auch wir haben moralisch das Recht verloren, diesen Volksentscheid auszuhebeln, der letztendlich nur wegen unserer gemeinsamen vorherigen Versäumnisse erfolgreich war. Wir halten uns daran. Tun Sie es aus Verantwortung und Respekt vor den Bürgern dieser Stadt auch.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Was sind die wahren Gründe Ihres Verhaltens? Sie wollen nicht, dass die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt diejenigen Kandidatinnen und Kandidaten in die Bürgerschaft und die Bezirksversammlung entsenden, die sich vielleicht mehr um die Belange ihrer Wählerinnen und Wähler kümmern als um die Belange der CDU. Sie wollen, dass in Ihren Hinterzimmern Listen ausgekungelt werden, die dann von Ihren Parteitagen bestätigt werden, die im Interesse der CDU liegen und nicht im Interesse der Wählerinnen und Wähler.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Rolf Harling- hausen CDU: Wer hat Ihnen das bloß aufge- schrieben?)

Das ist eine Fortsetzung einer unheiligen CDU-Geschichte in dieser Stadt, in der Ihnen schon einmal vom Hamburger Verfassungsgericht undemokratisches Verhalten vorgehalten werden musste.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Sie haben nichts dazu gelernt. Das ist schlecht für die Demokratie und schlecht für Hamburg. Bei dieser mühevollen Arbeit Ihrer famosen Strategen sollen doch wohl die Wähler nicht in die Lage kommen, zu kumulieren und zu panaschieren. Wo kämen wir denn da hin? Hamburg, friss oder stirb. Wähle mich und meinen von mir vorsortierten Anhang oder lasse es bleiben.

Herr Bürgermeister, Sie fahren vielleicht einmal nach Bayern zu Ihren CSU-Freunden.

(Christian Maaß GAL: Möglichst lange!)

Dort haben die Parteien gelernt – auch die SPD – dass die Bürgerinnen und Bürger wenigstens auf dem Wahlschein die wirklich freie Wahl haben, ihre Vertreter über Parteigrenzen hinweg und von den hintersten Listenplätzen nach vorn zu wählen.

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Bei der Land- tagswahl?)

Ich gebe zu, das macht es für die Parteien nicht einfach. Ich füge hinzu: na und? Das Volk ist nicht für die Parteien da. Wir alle sind für das Volk da.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Herr Bürgermeister, Sie sollten sich den Voten Ihrer Vorgänger nicht verschließen. Peter Schulz bittet Sie und die CDU-Fraktion innezuhalten. Henning Voscherau hält es für undemokratisch und illegitim, das Wahlrecht jetzt zu ändern. Ortwin Runde hält den Umgang der CDU mit den Volksentscheiden für hoch bedenklich. Ich schließe mich diesen Worten an.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Wir sprechen hier über das Wahlrecht. Das Wahlrecht ist das Wurzelwerk unserer Demokratie. Jeder Abgeordnete muss mit sich und seinem Gewissen ausmachen, wie er damit umgeht,

(Harald Krüger CDU: Das Wahlrecht betrifft Sie gar nicht. Sie wählt sowieso niemand!)

ob er die Axt schwingt oder ob er frische Triebe – nicht Wildwuchs – gedeihen lässt. Ich kann dieser Gesetzesänderung nicht zustimmen, weil sie einen Rückschritt darstellt und den mündigen Bürger wieder ein Stück entmündigt.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das schadet den Menschen in unserer Stadt. Dieses schändliche, selbstherrliche Vorgehen schadet dem Ansehen Hamburgs. Dafür werde ich meine Hand nicht heben.

(Lang anhaltender Beifall bei der SPD und der GAL)

Bevor ich Frau Goetsch das Wort gebe, erteile ich Frau Ehlers einen Ordnungsruf. – Frau Goetsch, bitte.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Meine Damen und Herren von der CDU, Herr Voet van Vormizeele, es ist politisch nicht angebracht, an einem vom Volk beschlossenen Wahlrecht Änderungen durchzuführen. Wir sprechen heute nämlich nicht über irgendwelche Kinkerlitzchen, sondern es geht um Fragen von Verfassungsrang.

(Kai Voet van Vormizeele CDU: In der Tat!)

Wir als GAL-Fraktion haben nicht umsonst eine Vertagung beantragt. Wir ziehen nämlich die Konsequenzen aus den Bedenken, von denen wir im Vorwege von Professor Mahrenholz in seiner rechtsgutachterlichen Stellungnahme erfahren mussten und die wir angesichts einer so weit reichenden Entscheidung nicht einfach übergehen können.

(Lars Dietrich CDU: Das glaubt Ihnen aber nicht wirklich einer!)

Sie haben sich mit Ihrer parlamentarischen Mehrheit dagegen entschieden. Da müssen wir uns fragen, wie viel Sie sich eigentlich um demokratische Regeln und parlamentarische Gepflogenheiten scheren.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Dabei gibt es auch bei Ihnen in der CDU-Fraktion Bedenken, den Beschluss der deutlichen Mehrheit der Wählerinnen und Wähler mit Ihrer absoluten Mehrheit im Parlament aufzuheben. Einige von Ihnen haben wohl auch überlegt, ob sie ihre demokratische Verantwortung wahrnehmen und dagegen stimmen sollen. Es wäre gut, wenn es denn so wäre. Wir entscheiden nicht über Kinkerlitzchen, sondern über Fragen von Verfassungsrang. Verfassungsexperten wie auch der eben schon genannte, ehemalige Verfassungsrichter, Professor Mahrenholz, bestätigen die Bedeutung eines Wahlgesetzes, das durch die direkte Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger zustande gekommen ist. Er meint:

"Es lässt sich keine gesetzliche Materie denken, die dem ursprünglichen demokratischen Gedanken real ausgeübter Volksherrschaft näher steht als ein volksbeschlossenes Wahlgesetz."

Deshalb wäre eine Änderung dieses volksbeschlossenen Wahlrechts heute selbst dann eine Anmaßung, wenn wir sie einhellig beschließen würden, denn auch dann würden Sie die demokratischen Verhältnisse auf den Kopf stellen.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Die gewählten Volksvertreter schreiben den Wählerinnen und Wählern vor, wie diese zu wählen haben. Sie maßen sich in diesem Moment noch mehr an, indem Sie eine Wahlrechtsänderung mit Ihrer parlamentarischen Mehrheit durchdrücken. Das ist die traurige Premiere in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Hamburgische Verfassungsgericht hatte schon im Frühjahr die Senatspläne zur Beschneidung der direkten Demokratie gestoppt und bestätigt, dass das vom Senat verhängte Verbot von Volksentscheiden an Wahltagen gegen die hamburgische Verfassung verstoße. Wollen Sie wirklich riskieren, zum zweiten Mal vom Hamburgischen Verfassungsgericht angehalten zu werden, die demokratischen Spielregeln einzuhalten?

Jetzt haben Sie noch Gelegenheit, die Notbremse zu ziehen. Jetzt könnten Sie zeigen, wie ernst Sie es mit Ihrer Verantwortung nehmen, über die Sie ja auch gern sprechen. Es wäre gut, wenn Sie diese Verantwortung übernähmen.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Man könnte fast glauben, sie wollten die Wähler bevormunden. Wenn der Wähler es nicht besser wisse, werde es die CDU schon richten. Das ist im ersten Moment vielleicht plausibel, entspricht aber nicht der demokratischen Kultur. Volksentscheide sind Instrument direkter Demokratie. Die Bürger wollen mit dem Volksentscheid direkten Einfluss auf die Politik nehmen. Das verlangen wir den Wählerinnen und Wählern auch ab. Hamburgerinnen und Hamburger wollen sich beteiligen und Sie treten dieses Engagement mit Füßen. Ich habe das Gefühl, dass Sie den Volksentscheid zu einer Art Umfrage eindampfen wollen, mit der man die Stimmung bei den Hamburgerinnen und Hamburgern prüft, politisch solle er jedoch nichts bewirken. Der Einfluss auf die personelle Zusammensetzung der Bürgerschaft steht im Zentrum dieses Wahlgesetzes. Wollen Sie denn den Einfluss der Bürgerinnen und Bürger möglichst gering halten? Warum lassen Sie sich nicht wenigstens auf eine Bewährungsprobe des neuen Wahlrechts ein? Sie hätten doch die Möglichkeit, das neue Wahlrecht einmal auszuprobieren.

(Beifall bei der GAL und der SPD – Kai Voet van Vormizeele CDU: Für vier Jahre, richtig!)

Aber das wollen Sie anscheinend nicht. Stattdessen setzen sie die Wahlrechtsänderung mit der Rücksichtslosigkeit einer Dampfwalze durch und beschädigen damit die demokratische Kultur hier in Hamburg.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

"Demokratieverlust" und "Beschädigung der demokratischen Kultur" mag Ihnen zu abstrakt vorkommen. Aber sehen Sie sich die Folgen Ihres Handelns an und überlegen sich, welches Signal Sie den Wählerinnen und Wählern senden. Sie dürfen sich nicht wundern, wenn weiterhin mehr und mehr Bürgerinnen und Bürger der Politik den Rücken kehren. Herr Dr. Petersen sagte eben so schön, Sie würden ein Sonderprogramm zur Förderung der Politikverdrossenheit auflegen.

(Gerhard Lein SPD: Vielleicht wollen sie das ja auch!)

Ich kann dies nur unterstreichen: Sie beschädigen mit Ihrem Verhalten das Vertrauen in die Politik.

Es war ziemlich skandalös, dass Sie sich über den Volksentscheid zum Verkauf des Landesbetriebs Krankenhäuser hinweggesetzt haben. Aber dieses Mal geht es um nichts weniger als um Verfassungsrecht. Wollen Sie von der CDU wirklich ein Exempel in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland statuieren?

Auch Ihr neuester Trick, Zeit zu gewinnen, löst Ihr Problem nicht. Zwar können Sie nun die Frist für die Kandidatenaufstellung verlängern, aber Sie müssen hier und heute entscheiden, ob Sie möglicherweise einer verfassungswidrigen Änderung des Wahlgesetzes zustimmen.

Interessant ist, in den Presseberichten zu lesen, dass Sie der Bürgermeister auf der Fraktionssitzung am Montag zu einem Nachdenkensprozess aufgefordert hat. Auffällig ist dabei, dass sich Herr von Beust aus dieser Angelegenheit anscheinend heraushalten möchte. Wahrscheinlich treibt ihn die nachhaltige Befürchtung, sich die Finger schmutzig zu machen und seinen Ruf zu schädigen.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Welchen Ruf?)

Deshalb hält er zu Ihnen in der Fraktion einen deutlichen Sicherheitsabstand. Das sollte Ihnen zu denken geben.