Weshalb dieser demokratische Prozess innerhalb der Parteien falsch sein sollte, erschließt sich aus keinem einzigen Argument der Opposition und auch nicht aus der Wahlrechtsinitiative. Jedenfalls habe ich dazu von Ihnen nichts gehört. Weshalb sollen die Parteien nicht die Möglichkeit haben, in ihrer Wahlkreiskandidatenliste eine Gewichtung für eine Kandidatin oder einen Kandidaten vorzunehmen? Hierzu schweigt die Opposition und auch die Wahlrechtsinitiative.
Ich habe auch kein einziges schlüssiges Argument gehört, weshalb die Parteien keine demokratisch legitimierte Gewichtung für ihre Wahlkreiskandidatenliste vornehmen dürfen. Herr Dees, auch der von der CDU-Fraktion eingebrachte Gesetzesentwurf – darauf hat Frau Dr. Hochheim hingewiesen – sieht vor, dass die Wähler auf den Wahlkreislisten einen Kandidaten von einem hinteren auf den vorderen Platz in das Parlament wählen können.
Das ist auch gut so, Herr Dr. Dressel. Wenn eine Kandidatin oder ein Kandidat auf den hinteren Wahlkreislistenplätzen als besser angesehen wird, dann kann dies mit mehreren Stimmen zum Ausdruck gebracht werden. Es kann und darf aber nicht so sein, dass ein Kandidat auf der Wahlkreisliste mit nur wenigen Stimmen Vorsprung Listenplätze überspringt. Hierzu bedarf es einer größeren Legitimation.
Das Einführen der Relevanzschwelle lässt Veränderungen in der Listenreihenfolge in beachtlichem Umfang zu. Die Berechnungen haben wir in der Begründung zu unserem Gesetzesentwurf dargelegt.
Herr Dr. Dressel, eine Relevanzschwelle ist auch deswegen ein notwendiger Schritt für ein robustes politisches Mandat, denn wenn ihnen nur wenige Stimmen vergönnt sind, dann ist es ein Problem.
Das dritte Argument für das von der CDU-Fraktion eingebrachte Wahlrecht betrifft die Wahl zu den Bezirksversammlungen, die – und das betone ich – nun wieder auf vernünftige Füße gestellt worden ist, denn das Verlängern der Wahlperiode für die Bezirksversammlung um ein Jahr ist verfassungsrechtlich sehr problematisch. Hierzu hat die Opposition auch nichts gesagt.
Die Wahlrechtsinitiative hat schlicht übersehen, dass die Wahl zu den Bezirksparlamenten ohne entsprechende demokratische Legitimation um ein Jahr verlängert wird. Hier musste die Bürgerschaft aus verfassungsrechtlichen Gründen eingreifen, weil das Koppeln der Wahlperiode für die Bezirksversammlung an die des Europäischen Parlaments, Herr Reinert hat es gesagt, verfassungsrechtlich problematisch ist.
Ich habe mit Herrn Klooß auch auf dem Sommerfest darüber gesprochen. Man hätte darüber diskutieren können, ob man die Wahlperiode für die Bürgerschaftsabgeordneten auch um ein Jahr verlängert, aber damit wollte Herr Klooß sich nicht auseinandersetzen und darüber wollte er auch nicht diskutieren.
Ich appelliere an die Opposition, sich inhaltlich mit dem Wahlrecht in Hamburg auseinanderzusetzen. Die Opposition hat nur ein Argument auf ihrer Seite, nämlich den Volksgesetzgeber über dieses Parlament zu stellen. Dies ist nicht nur formal ein fragwürdiges Argument, es ist zudem auch höchst undemokratisch, denn wir befinden uns in einer repräsentativen Demokratie. Die Frage ist auch, weshalb das Votum der gewählten Abgeordneten weniger zählen soll als das der Volksgesetzgeber. Wieso sollten wir als Abgeordnete gar nicht mehr gehört werden? Dazu wird hier überhaupt nichts von Herrn Dr. Dressel gesagt.
Zusammenfassend kann ich nur sagen: Ihnen sind die Argumente ausgegangen. Ich fordere Sie auf, sich den Wahlrechtsänderungen der CDU-Fraktion anzuschließen.
Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie sich entweder draußen weiter unterhalten oder sich hinsetzen würden, denn es ist sehr unruhig hier.
Nach diesen wichtigen Hinweisen auf die repräsentative Demokratie – wir hätten gar nicht geglaubt, dass wir in einer solchen leben – noch ein paar Bemerkungen zum Wahlrecht.
Ich habe den Eindruck, dass Sie nicht mitbekommen, dass Sie hier ein richtiges Misserfolgserlebnis der Demokratie organisieren. Was war der Ausgangspunkt der Kritik an dem Gesetzentwurf der Initiative? Der Ausgangspunkt war zu sagen, das ist viel zu kompliziert, die Bürgerinnen und Bürger werden nicht durchsteigen. Jetzt nehmen Sie den Kompliziertheitsgrad gar nicht zurück, sondern kombinieren ein kompliziertes Wahlrecht mit einem Ergebnis vorbestimmenden Wahlrecht. Das heißt, Sie nehmen das, weswegen die Kompliziertheit in Kauf genommen wurde, aus dem Wahlgesetz heraus. Sie kombinieren zwei Übel miteinander und das kann nur auf völliges Unverständnis innerhalb der Bevölkerung stoßen.
Sie zwingen die Leute, sich mit komplizierten Wahlzetteln auseinanderzusetzen und die Leute werden nachher das Ergebnis haben, dass sie damit gar nichts erreichen können. Die Initiative wollte gerade das Gegenteil. Sie hat gesagt, wir muten dem Wähler/der Wählerin ein durchaus komplexes Wahlverfahren zu, weil wir davon ausgehen, dass die Leute das annehmen werden, wenn sie die Wahrnehmung haben, damit auch etwas erreichen zu können und damit in die personelle Zusammensetzung dieses Parlaments eingreifen können.
Die Möglichkeit haben Sie in Bezug auf die Landesliste komplett abgeschafft, Sie haben sie vollständig weggenommen und in Bezug auf die Bezirkswahlkreise haben Sie sie faktisch durch die 30-Prozent-Regelung beseitigt, weil das nur in wirklich extrem seltenen Fällen zum Tragen kommen wird. Sie kombinieren zwei Nachteile miteinander und sagen, das sei ein tief verantwortungsbewusst empfundenes Geschenk an das Volk; das ist irgendwie ein bisschen komisch.
Zudem ist diese interne Hürde durchaus kompliziert konstruiert. Wenn Sie sich einmal die Befragung in der "Bild"Zeitung angucken, die unter uns Abgeordneten durchgeführt worden ist, dann stellt sich heraus, dass eine Mehrheit von uns dieses Wahlverfahren, das Sie gegenwärtig einführen wollen, nicht beschreiben kann. Wir, die danach gewählt werden sollen, können es nicht. Und nicht etwa, weil Sie jetzt so ein einfaches Wahlsystem vorschlagen, können das endlich einmal alle Abgeordneten begreifen, nein, insbesondere, was Sie einführen wollen, kann kein Mensch begreifen.
Das ist doch völlig verrückt. Sie haben sich in Ihren eigenen Aussagen, die Sie gegenüber der "Bild"-Zeitung gemacht haben, komplett demontiert. Wenn Herr Voet van Vormizeele sich nicht so sehr demontiert fühlt, dann
möchte ich an eines erinnern: Heute las ich in der Zeitung "Die Welt" in Bezug auf das neue Wahlverfahren, das Sie jetzt beschließen wollen, sich nach der Wahl einer Evaluierung zu stellen.
Verzeihung, hörte ich nicht eben, Experimente mit dem Wahlrecht gäbe es nicht, als wir sagten, lass' uns doch einmal wählen und dann werten wir das aus. Jetzt soll das einmal Wählen, was das Volk vorgeschlagen hat, nicht erprobt werden, aber der Quatsch, den Sie vorschlagen, den wollen Sie evaluieren. Das ist doch eine Groteske.
Dann sprechen Sie von den Verfassungsbedenken, die Ihnen so tief im Bauch säßen. Sie haben als Fraktion die Möglichkeit, zum Verfassungsgericht zu gehen
und Sie haben diese Möglichkeit nicht wahrgenommen. Sie haben das Spiel der Gewalten, das hier angesagt wäre, nicht ausprobiert, nicht wahrgenommen. Sie wenden sich nicht einfach gegen das Volk, wie es auf den Straßen geht, sondern wie es in der Verfassung als Gesetzgeber fixiert und konstituiert ist.
Sie verhalten sich nicht so. – Sie begreifen zum Beispiel nicht, dass es etwas anderes ist, einen LBK-Volksentscheid zurückzuweisen. Man kann darüber streiten, ob das richtig oder falsch ist, aber man wird nicht bestreiten können, dass Sie dazu das verfassungsmäßige Recht hatten. Hier ist aber die Situation etwas anders. Das verfassungsmäßig konstituierte Volk trifft eine Entscheidung darüber, wie es zu Abgeordneten kommen will, wie es also über uns entscheiden will und dann sagen Sie als knappe Mehrheit in diesem Hause, diesen Konstitutionsakt des Parlaments, über den das Volk entschieden hat, machen wir zu einer knappen Mehrheitsentscheidung innerhalb dieses Hauses. Das ist etwas völlig anderes, weil Sie damit in den elementaren Prozess der politischen Willensbildung eingreifen und den Volksgesetzgeber in seinem genuinen Schöpfungsrecht von Institution angreifen.
In unserer Verfassung steht der Grundsatz, alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird ausgeübt in den Institutionen der Gewaltenteilung, das ist völlig klar. Aber wenn man schon Volksgesetzgebung schafft und dann noch nicht mal akzeptiert, dass Volksgesetzgebung in Bezug auf das Wahlverfahren der Repräsentanten einen Vorrang haben muss, zumindest den Vorrang, überhaupt einmal stattfinden zu dürfen, dann hat man Demokratie elementar nicht verstanden.
Herr Reinert sagte, keinem Hamburger würde das Wahlrecht weggenommen, insofern sei es kein Wahlrechtsraub. Keinem Hamburger wird das Wahlrecht weggenommen, aber jeder Hamburgerin und jedem Hamburger wird sein Wahlrecht verkürzt. Die Hamburger Bevölkerung wollte in ihrer aktiven Mehrheit darüber entscheiden, welches die Personen sind, die in dieser Bürgerschaft sitzen und Sie sagen, wir als CDU-Partei wollen darüber entscheiden, wen wir auf der Liste haben und wer in der Bürgerschaft sein soll. Das ist eine Verkürzung der Wahlmöglichkeiten, die Sie den Leuten aufdrücken. Wir werden nicht aufhören, immer wieder zu sagen, hier findet eine Verkürzung des Wahlrechts durch die CDU statt.
Schließlich noch eine kurze Bemerkung zum schon mehrfach zitierten Jahr 1993. Sie sind sich offenbar der Bedeutung der Geschichte nicht bewusst. Ein einziges Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, in jetzt fast 60 Jahren, hat ein Verfassungsgericht eine Neuwahl angeordnet, weil ein Landesverband einer demokratischen Partei elementare Verstöße gegen das Wahlrecht, gegen die Rechte seiner Mitglieder ausgeübt hat: Der CDU-Landesverband in Hamburg 1993. Sie sind dabei – und das führt Sie möglicherweise zu Ihrer Politik – ins weiche Schößchen gefallen, Sie haben die absolute Mehrheit. Den Schaden durch diese Entscheidung hatte die SPD, nicht Sie. Die SPD verlor ihre absolute Mehrheit und Ole von Beust, der den Prozess verloren hatte, wurde anschließend Ihr Fraktionsvorsitzender. Insofern ist er ein Glückskind des damaligen Verfassungsbruchs; das kann man so festhalten.
Sie knüpfen in gewisser Weise heute daran an, wenn Sie sich nicht klarmachen, dass Sie sich auf diesem Feld mit allergrößter Vorsicht bewegen sollten und das tun Sie nicht. Wenn Sie das Dampfbügeleisen brauchen, um die Widersprüche und Konflikte in Ihrer eigenen Fraktion glattzubügeln, dann ist doch klar, welche Widersprüche erst innerhalb der gesamten hamburgischen Bevölkerung da sein werden. Wenn Sie nur mühsam in Ihrem eigenen Laden eine Mehrheit bekommen, damit aber die Wahlgesetzänderung durchsetzen wollen, dann sind Sie von allen guten Geistern verlassen, wenn Sie das partout trotzdem wollen.